Georg Britting
Sämtliche Werke

Herausgegeben von Ingeborg Schuldt-Britting

Band 9

Georg-Britting-Stiftung

Georg Britting
Das gerettete Bild

Erzählungen 1937-1940

Der bekränzte Weiher

Es ist lange her, erzählte das Mädchen, daß ich zur freideutschen Jugend gehörte, so nannten wir uns, nahe Verwandte des großen Wandervogelbundes. Mein Gott, ist das schon lange her, unendlich lange, auch wenn ich mich noch so deutlich an alles zu erinnern vermag, an alles und jedes, als wär's erst gestern und vorgestern gewesen!

Es war während des großen Krieges, daß ich als eine der Jüngsten unter der Schar der Wandernden jeden Sonntag dahinzog, hinter unserm Wimpel her, mit langem, weitem Rock am kurzen Leibchen. Das Kleid war einmal ein weiß und rot gewürfelter Bettbezug gewesen und der Schurz war aus einem Stück eines gebrauchten Vorhangs gemacht, das die Mutter zu Haus in der Waschschüssel gefärbt hatte. Es war ja während des Krieges, als alles schon anfing knapp zu werden und man sich behelfen mußte, so gut es eben ging, und man sich auch behalf.

Wir Mädchen waren in der Überzahl damals, aber auch Buben gehörten zu uns, halbwüchsige Burschen, ein langaufgeschossener Goldschmiedlehrling war darunter, und ein kleiner, buckliger Handlungsgehilfe, aber zumeist waren es Schüler, die Wochentags nur widerwillig auf den Bänken saßen und Latein und Rechnen trieben, weil ihnen das überflüssig vorkam in dieser Zeit, die bald anderes von ihnen verlangen würde. Es schien fast so, als verstünden es die Burschen schneller zu wachsen in diesen Wochen und Monaten, als verbreitere sich ihre Brust zusehends und als würde ihr Blick von Sonntag zu Sonntag feuriger. Sie hatten es eilig, dahin zu kommen, wo der Krieg war, wo dieser von uns Mädchen nicht zu begreifende Krieg war, und sie hielten sich gerne, bei einer Rast, aber auch während des Marsches, ein wenig abseits von uns, die wir nicht verstanden, was sie bewegte, die wir nicht wußten, was sie erwartete, was das war: Krieg! – sie aber wußten es und behandelten uns mitunter ein wenig hochmütig und von oben herab, wie schon ganz richtige Männer.

Eines Tages verließ uns denn auch der erste der Freunde, in die hohen Stiefel zu schlüpfen, den grauen Rock anzuziehen, das Seitengewehr umzuschnallen, und nach kurzer Ausbildungszeit kam er dann auch an die Front und schickte uns gleich am ersten Schützengrabentag eine Feldpostkarte, und nun wußte er wohl, wie der Krieg war und konnte wohl auch merken, daß er nicht genau so war, wie er sich eingebildet hatte es zu wissen, als er noch singend mit uns hinter unserm Wimpel marschierte.

Für den Goldschmiedlehrling dann, der sehr schön zeichnen konnte, – wie oft hatten wir staunend zugesehen, wie er eine Blume, einen Dornenzweig liebevoll und genau, mit zartem und doch festem Strich auf dem Papier nachbildete! – für den Goldschmiedlehrling dann, den wir immer noch so nannten, auch als er seine Gesellenprüfung schon bestanden hatte, weil es so altertümlich klang, wie in den Volksliedern, die wir sangen, für ihn kam dann auch der große Tag, da man ihn zu den Soldaten nahm, das Geschütz zu bedienen mußte er lernen, und er wurde bald nach Rußland geschickt, und er war, obwohl er der dritte war, der uns verließ, um ins Feld zu gehen, er war dann der erste, von dem wir erfuhren, daß er nie mehr zu uns zurückkehren würde, nie mehr. Die Nachricht von seinem Tod erreichte uns einige Wochen vor Ostern. Sie versetzte die Großen unter uns in eine tiefe Fassungslosigkeit, wir kleinen Mädchen aber, für die das Wort: Tod nur ein Wort war und nicht viel mehr, wir trugen bald wieder den Kopf oben und besannen uns, wie wir auf eine geziemend feierliche Art den gefallenen Helden zu ehren vermöchten.

Lange beratschlagten wir, und berieten hin und berieten her, und dann fiel uns nichts anderes ein, als was den Erwachsenen aller Länder späterhin auch einfiel, später, als der Krieg aus war, als sie ihren tapferen Toten, die im fremden Boden moderten, zu Hause, in den Städten und Dörfern, die zu verteidigen sie ausgezogen waren, sinnbildlich gemeinte Grabstätten errichteten.

Den Goldschmiedlehrling, war uns berichtet worden, den feinfingrigen Zeichner, den Kameraden auf vielen Fahrten, hatte die Kugel getroffen während eines Flußübergangs, und so war er vom ängstlich auf schmaler, schwankender, schnellgebauter Brücke tänzelnden Pferd in den kalten Fluß gestürzt, und niemand konnte sagen, ob noch Atem in seiner Brust war, als das Wasser über ihm zusammenschlug, oder ob er als Verwundeter ertrunken war, und auch kein Arzt hatte das mehr feststellen können, weil der Fluß den Toten mit sich genommen hatte, mit anderen, denen es ähnlich ergangen war.

Ein unruhiger Vorfrühlingshimmel wölbte sich in diesen Tagen über Deutschland, Wolken stiegen auf und liefen über uns hinweg, treibende, geballte Wolkenmassen, zwischen denen es hie und da blau erblitzte, und als sei er ein Schlachtengemälde, sahen wir zum Himmel auf. Reiter sprengten dahin auf weißen, bäumenden Rossen, Rüstungen glänzten, Beinschienen und Sporen, und die Helmbüsche flatterten, rosa und grün. Und unser Goldschmiedlehrling war ein kühn schimmernder Ritter geworden, sein Panzerhemd, mattblau strahlend, trug eine goldene, flammende Sonne an der Brust, und ritterlich fechtend stürzte er vom Gaul, vom sausenden Schwerthieb des Feindes getroffen, und seine langen, blonden Locken wehten, und fast hatten wir vergessen, daß er im feldgrauen Rock gefallen war und daß er sein dunkles Haar immer gänzlich kurz geschnitten hielt, wie Soldaten es tun.

Nur betrübte es uns sehr, daß ihm, dem Helden, nicht ein Grab gegönnt war, und sei's auch in fremder Erde, ruhig zu liegen, daß der brausende Strom ihn hinweggetragen hatte, und daß er preisgegeben war, der Freund, dem Spiel der Wellen und den Tücken der Strudel und kreisenden Wirbel.

Wir waren damals, erzählte das Mädchen und lächelte, alle ein wenig verschwärmten Sinnes, unklarer Gefühle übervoll das Herz. Wir überraschten uns zum Geburtstag oder zu anderen Festen mit Freundschaftsringen, in die zärtlich Widmungen oder Zuneigungsbeteuerungen eingeschnitten waren, oder schenkten uns, zum Zeichen unverbrüchlicher Treue, die wir einander halten wollten, an schwarzen Samtbändern um den Hals zu tragende kleine billige Anhänger, goldene Anker, von gläsernen Vergißmeinnichtblüten umwunden, oder silberne Kreuze. Man mußte sinnbildlich nehmen können, was uns gefallen sollte, und jedem Ding und jedem Tun, so wollten wir es, sollte eine geheime tiefere Bedeutung unterlegt werden können. Ja, so waren wir damals, jung alle, keiner und keine älter als siebzehn. Keine Dorfkirche verließen wir, die wir auf unseren Wanderungen besuchten, ohne die Finger ins kalte Weihwasser zu tauchen und uns gegenseitig feierlich damit zu besprengen, ohne ein paar Pfennige in den Opferstock zu werfen, und das Knie vor dem Altar, um den die Engel tanzten, beugten wir tief und fromm und ausdrucksvoll, und die Evangelischen unter uns, die taten mit, waren besonders eifrig in solchen Übungen, als wär's nicht ein fast heidnischer Frevel für sie.

Am Sonntag vor Ostern sammelten wir uns früh am Morgen, fuhren mit der Straßenbahn aus der Stadt hinaus, und zogen dann flußaufwärts, einen kalten, klaren, eifrig strudelnden Fluß hinauf. Die kleinen Inseln, die aus dem Wasser ragten, aus rundgeschliffenen Kieselsteinen zusammengeschwemmt, waren noch silberweiß überschneit, aber die Hänge, die zu beiden Seiten des Flusses anstiegen, hatte die Sonne schon kahlgeschmolzen. Der Boden schien trocken, fürs Auge, aber wir merkten im Gehen, daß in tieferen Schichten die Erde noch feucht war, denn der Weg schwappte leicht unter unseren Tritten. An geschützten Stellen wuchsen schon dicht die Osterblumen, wie wir sie nannten, die großen Küchenschellen heißen sie im Naturkundebuch, deren blaue Blüten wärmend grau behaart sind. Auf sanften Hügeln lagen die Dörfer, Rauch stieg aus den Schornsteinen, und immer wieder sahen wir, bei einer Wegbiegung, von einer Anhöhe aus, fern das Gebirge zartblau dämmern.

Wir wanderten ihnen entgegen, den Bergen, ohne ihnen merklich näher zu kommen, und der wohlbekannte Weg schien sich uns länger hinzuziehen als sonst. Vielleicht ermüdete uns der nachgiebige Boden, oder es ging deshalb nicht so rasch voran wie sonst, weil wir keine Marschlieder sangen, kein Lautenton uns anfeuerte, das hätte sich nicht geschickt zu unserm Vorhaben, so meinten wir, und wir sprachen auch nur das Notwendigste miteinander, und kein Lachen hätten wir uns verziehen und keinen übermütigen Schrei auf unserm Zug, der einem Toten galt. Gegen Mittag bogen wir vom Fluß ab und wandten uns nach Süden. In einer Wiesenmulde rasteten wir, saßen im Kreis und aßen schweigend, wie bei einem Trauermahl, den mit Zwetschgenmus verkochten Haferflockenbrei aus unseren Blechgefäßen, verzehrten große Stücke des grobmehligen grauen Kriegsbrotes dazu, und es war uns großartig und feierlich und auch ein wenig bänglich zumute, und wir gefielen uns sehr in unserem gemessenen Tun.

Später dann, nach dem Essen, schritten wir an die Ausführung unseres Plans. Die Burschen machten sich an eine Birkengruppe, die weiß glänzend am Bachrand stand, sie zogen ihre Fahrtenmesser aus den Lederscheiden, die Klingen blitzten, und das waren Messer fast so groß wie die Seitengewehre der Soldaten, und schnitten dünne Äste von den Bäumen, und wir Mädchen pflückten Osterblumen, viele und viele. Und während die Burschen aus den Birkenästen ein kleines, festes Floß zimmerten, bogen wir Mädchen eine lange Weidenrute zum Kreis und wanden die Blumen darum, daß ein großer, schöner, blauschimmernder Kranz entstand. Wir hängten ihn, daß er beim Tragen nicht beschädigt würde, über einen Ast, den die beiden größten Mädchen nun schulterten, aber so groß war der Kranz, daß er trotzdem noch ein wenig und zart auf dem Boden schleifte. Vor uns her, auf den Köpfen, trugen die Burschen das weiße Floß.

Wir zogen einem Wäldchen zu, das wir gut kannten, von unsern Fahrten her. Es lag abgeschieden und barg in seiner Tiefe einen kleinen, geheimnisvoll grünen Weiher. Ihn hatten wir ausersehen für unser Vorhaben.

Wir befestigten den Kranz auf dem Floß, und das Floß schoben wir aufs Wasser und mit einiger Mühe, und auch das ging ohne Lärm und Geschrei vor sich, und das wollte was heißen bei uns aufgeregten jungen Leuten, erreichten wir es, das Blumenfahrzeug in die Mitte des Weihers zu bringen. Mit den Stricken, an denen es hing, banden wir es an vier in die Erde getriebenen Pflöcken fest, und so verankert, noch leise schaukelnd, aber bald ganz ruhig, lag es nun da, das auf den Fluß gehört hätte, fern in Rußland, in dem unser Freund ertrunken war. Aber dies hier, dachten wir, ist es kein Fluß, so ist es ein Weiher immerhin, und Wasser ist Wasser, und es täte ihm gut und freute ihn auch, unsern Toten, wenn er es sehen könnte, wie wir hier um ihn bemüht waren.

Es war kühl in dem Wäldchen, die Fichten standen schwarz und rührten sich nicht, und wir stellten uns im Kreis um den Weiher, und der Weiher war so klein, und wir waren unser so viele, daß wir, so stehend, einander mit ausgestreckten Armen die steifgefrorenen Hände reichen konnten. Mich überschauerte es, sprach das Mädchen, als ich zu meiner Rechten und zu meiner Linken eine eiskalte Hand in der meinen fühlte, und es war mir, es seien nicht die Hände der lebenden Freunde, als greife der Tote, den zu ehren wir gekommen waren, wassertriefend aus seinem russischen Fluß nach uns. Und als ich, sprach das Mädchen weiter, aus der Tiefe des Weihers einen dicken Fisch aufsteigen sah, und ich weiß nicht, ob die andern ihn auch sahen, und der Fisch, grünschuppig schillernd, die Schwanzflossen leicht bewegend, glotzäugig zu mir hersah, und ich des Toten gedachte, dem ein geschaufeltes Grab versagt geblieben war, der in Schlamm und Blatt und Grünfädengespinst fischmaulbenagt verdarb, wankte ich und schloß die Augen und hielt mich nur aufrecht, weil ich links und rechts fest in den Kreis gespannt war. Als ich die Augen wieder aufmachte, war der dicke Stulpmaulfisch verschwunden, nur ein Zitterring lief über das Wasser, da, wo ich den Geschuppten gesehen hatte.

Dann sangen wir. Wir blieben stehen im Kreis, die Hände ineinanderverflochten, und sahen auf den Kranz hin, der wie eine Krone auf dem Weiher lag, und sangen traurighallende Lieder und erinnerten uns des toten Freundes, und manche von uns hatten feuchte Augen, aber nicht alle. Nur traurige Lieder sangen wir, vom Scheiden und Meiden, und »kein schön'rer Tod ist in der Welt« sangen wir, »als wer vorm Feind erschlagen«, nur solche Gesänge stimmten wir an, denn die heiteren und erhebenden Lieder, die gehörten dem nächsten Sonntag, dem Ostersonntag, dem Fest der fröhlichen Auferstehung, an dem die Gräber springen und die Toten frei werden, und da wollten wir wieder hierher wallfahrten, zum Wassergrab des Goldschmiedlehrlings, das war schon abgemacht und fest beschlossen.

Die Karwoche brach an mit mildem Wetter, am Gründonnerstag ging ein eisiger Wind, am Karfreitag schneite es, aber am Samstag klarte es wieder auf und der Ostersonntag war ein strahlender Frühlingstag, und wieder zogen wir flußaufwärts, unserm Wäldchen zu. Gelb leuchtete es von den Wiesen, Schlüsselblumen waren aufgeblüht unter dem Schnee und der Sonne der Karwoche, und aus Schlüsselblumen machten wir einen Kranz diesmal, einen Kranz, fast größer noch als es der erste gewesen war, gegen den wir ihn vertauschen wollten, und der mußte ja auch schon welk geworden sein, und für die Auferstehungsfeier, die wir im Sinn hatten, paßten die lustig trompetengelben Kelche besser als die sanftblauen, schwermütigen und stillen Blüten der Küchenschelle. Wir bückten uns hundertmal, unter Lachen und Scherzen, und wischten uns den Schweiß von der Stirn, und glühten im Sonnenbrand, und hielten geblendet die Hand vor die Augen, nach dem fernen Gebirge zu sehen, wo der Neuschnee in der Sonne glänzte, und bückten uns wieder, und bald so war unser Werk getan, der Kranz fertig, und wir brachen auf.

Aber als wir in das Wäldchen eingedrungen waren und am Weiher standen, am Goldschmiedlehrlingsweiher, wie wir ihn nun schon nannten, da konnte es nicht sein, daß wir den Kranztausch vollzogen, denn der Weiher war zugefroren und im graugrünen Eis saß das Floß fest, und die Stricke, die es hielten, waren wie aus Glas und liefen wie Schlangen hinaus in die Weihermitte, und der Kranz auf dem Floß leuchtete blau und himmlisch und gänzlich unverwelkt, als sei er eben erst gewunden und gebunden worden. Tief betroffen sahen wir uns an, klopften ungläubig mit den Absätzen auf das Eis, das hielt und einen zart klirrenden, abweisenden Ton von sich gab, und neigten unsre Stirnen, die noch von der Hitze über der Wiese brannten, und senkten unsre Augen, die eben noch von der übermächtigen Lichtflut getrunken, draußen, des schon fast sommerlichen Tages, und unsre Herzen schlugen rascher angesichts des Wunders, das uns hier geschehen schien, des spiegelnden Eiswunders in der atmenden Frühlingsnatur. Und als es einer aussprach, der kleine, bucklige Handlungsgehilfe tat es, mit stockender Stimme, wußten wir es alle, und zweifelte keiner daran, und bannte uns in Freude und Schreck zugleich, daß in der vergangenen Woche, im Osten drüben, im fernen russischen Land, ein eisiger Wind geweht hatte, von Sibirien her oder von noch weiter her, und der hatte den kalten mörderischen Fluß zum Erstarren gebracht, in dem unser Freund sein Ende gefunden hatte.

Und daß wir das wissen sollten, war der Klirrende bis hierher gefahren und hatte so den Auftrag unseres Toten erfüllt damit, der gehorsame Wind (oh, die Toten sind mächtig) und hatte über den Frühlingsweiher die gleiche eisblaue Grabplatte schimmernd gelegt, unter der still und geborgen jetzt der Gefallene seines Tages harrte, nicht anders, als die Toten in ihren Gräbern überall tun, und er war nicht mehr schlechter gebettet als sie.

Und ich sah ihn mit Augen, diesen Wind, erzählte das Mädchen, wie ein riesiger, weißer Adler sah er aus, mit rotem Schnabel und mit roten Augen, und unter seinem mächtigen Flügelschlag stöberte Schnee, und sein Atem vereiste jeglichen Stromlauf, wenn er einherflog unter dem Himmel.

Wir stellten uns wieder im Kreis um den Weiher, erzählte das Mädchen weiter, und sangen frommen Sinnes die Lieder, die wir für diesen Tag und diese Stunde geübt hatten, Lieder des fröhlichen Trostes und der gewissen Auferstehung. Und da war es, daß aus dem blumengeschmückten Floß schwirrend ein Vogel sich aufschwang. Ein Sperling mochte es sein, oder ein Fink, der dort sich geborgen hatte im Kranz, und unser Lied hatte ihn aufgetrieben, und ein zweiter und dritter erhoben sich aus der Blumenhöhle. Und die Vögel flogen in einer Linie hintereinander, hielten über den Wald weg, zur Sonne hinauf, die sich eben über die Baumspitzen schob, und der Schall unseres Liedes folgte ihnen.

Eine trunkene Heiterkeit erfüllte uns, sagte das Mädchen, die Erzählerin dieser Geschichte, wie wir die Geflügelten so davonschießen sahen, ins himmlische Blau hinein, wie sie kleiner und kleiner wurden und dann unsichtbar, und den großen Schlüsselblumenkranz, dessen der Tote nun nicht mehr bedurfte, brachen wir auseinander, und wir Mädchen nestelten, und die Burschen steckten sich Sträuße der gelben Kelche an die Joppen. Dann begannen wir den Rückmarsch, der Wimpelträger an der Spitze, in Paaren hintereinander, in strammer Haltung, in gehörigem Abstand und im gleichen Schritt. Als wir aber aus dem Wäldchen ins Freie traten, auf die Wiese hinaus, ins flutende Sonnenlicht, löste sich ohne Befehl die strenge Ordnung, wir stoben auseinander, ein ungezügelter Schwarm, im wilden Lauf, ohne Richtung, ohne Ziel, und unser Getrappel und Schreien erscholl.

Und einer der Burschen stürzte im rasenden Rennen, überschlug und überkugelte sich, laut lachend, und blieb laut lachend am Boden liegen, im grünen Gras, Arme und Beine in der Luft, und fuchtelte mit Armen und Beinen in der Luft, und schrie lauter als wir alle vor Lust und Entzücken, und es war der kleine, bucklige Handlungsgehilfe, der so strampelte und brüllte vor unnennbarer Freude, und kam erst vom Boden auf, als man ihn hoch und auf die Beine riß, und lief dann wieder weiter, mit den andern, mit rotem Kopf und glänzenden Augen und ausgebreiteten Armen. Als wir atemlos hielten dann, war unser Wimpelträger am weitesten gekommen, am Bachrand stand er, bei den Birken, und schwang den Wimpel um seinen Kopf, und das war das Zeichen, daß wir bei ihm sammeln sollten, und das taten wir.

Der Sturz in die Wolfsschlucht

Eine kleine Gehstunde vor der Stadt dämmerte waldbeschattet die Wolfsschlucht, ein Felsenkeller, in dem eine Brauerei ihr Bier lagerte. Ob sie diesem Zweck auch heute noch dient, weiß ich nicht. Die gleichmäßige Erdkühle war dem Getränk bekömmlich und tat ihm besser, behaupteten die alten Leute, als die eisige Frische, die in den neuzeitlichen Lagerhallen durch Maschinen erzeugt wird. An Sonntagnachmittagen wurde das Bier dort auch zum Ausschank gebracht, süßes, dickes, braunes Bier, damals, vor dem Krieg, als das bittre Helle, das dann vom Norden her vordrang, noch wenig Liebhaber hatte bei uns. Heut ist das anders.

An den Tischen unter den laubigen Bäumen war es kühl zu sitzen, die Sonne drang nicht durch das Blätterdach, man ahnte nur ihre heiße Kraft, die zitternd oben liegen mochte. Hummeln brummten herbei, von draußen, von den Wiesen, und grünschillernde Fliegen zogen unermüdlich ihre Kreise und fanden, was sie suchten, und saugten an dem süßen Vergossenen.

Ich war mit meinen Eltern gekommen an diesem Junisonntag. Ich war, wie alle Kinder, kein Freund dieser Familienausflüge, die unter den strengen Augen der Erwachsenen mir mehr eine lästige Pflicht zu sein schienen denn ein Vergnügen. Aber wenn man sich schon nicht ausschließen konnte, so suchte man sich diese erzwungenen Wanderungen genußreicher zu machen, indem man neben den gebahnten Wegen herlief, Blumen ausriß und achtlos wieder fallen ließ, Erkundungen auf eigene Faust ausführte, mit Steinen nach Fröschen im Bach warf, Nachzügler war oder weit vorausprellte und sich nicht viel daraus machte, mahnend immer wieder beim Namen gerufen zu werden. Heut war ich still und verdrossen und ohne einmal vom Weg abzubiegen, mitgegangen und saß nun ruhig am Tisch, in Gedanken versunken. Es waren bittere Gedanken, die mich plagten, und die mit der Schule und ihrem Pflichtenkreise zusammenhingen – womit denn sonst bei einem Vierzehnjährigen?

Morgen war eine Schularbeit zu leisten, in der Geometrie, und das war ein mir verhaßtes Fach, in dessen Geheimnisse ich noch nie so recht eingedrungen war, ich im Leben nicht eindringen würde, wo es Fallen gab, in deren jede ich stürzte, und Irrwege, die ich hoffnungslos ging und nie einen Ausweg fand, und wenn ich mir nur vorstellte, wie das sein würde, morgen, wenn der Lehrer hereinkam und die leeren, weißen Blätter verteilte, die mit Linien und Zahlen zu füllen waren, so lief mir ein kalter Schauder über den Rücken.

Meine Mutter sah mich besorgt an, ich war wohl zusammengezuckt bei dem Gedanken an das Schreckliche, das mir morgen bevorstand, und sie meinte, daß ich mich ein wenig verkühlt hätte, hier im Schatten nach dem heißen Weg, und hieß mich in die Sonne zu gehen, auf die Wiesen hinaus.

Ich stand auf, ich ging gern, ich war froh, dem allem hier entrinnen zu können. Die lustigen Menschen ringsum kränkten mich, ihr Glücklichsein machte mich bös und neidisch, und sie schienen mir alle glücklich, die hier auf den Bänken saßen, das Bier vor sich, und Käse und Rettiche aßen und rauchten und lachten und unbesorgt schwatzten, und die alle längst nicht mehr zur Schule gehen mußten und nichts zu verstehen brauchten von gleichschenkligen Dreiecken und Winkelberechnungen.

Ich trat, fröstelnd noch, in die Sonne hinaus. Am Grunde eines mit Büschen bestandenen, nicht tiefen Hohlwegs saß ein vielleicht sechsjähriger Junge, der an einem dünnen Zweig einen schwarzen Käfer in die Höhe klettern ließ und vorsichtig und gemein immer dann, wenn der eifrige Sechsfüßler die Spitze fast erklommen hatte, den Zweig gänzlich herumdrehte und das betrogene Tier von neuem seinen stets vergeblichen Weg nach oben nehmen ließ.

Vor einem kleinen Waldstück spielten Mädchen, hielten sich an den Händen gefaßt und gingen im Kreise und trennten sich und fanden sich wieder und standen dann still und schwangen die wieder verschlungenen Hände hin und her und sangen mit hellen Stimmen etwas von einem goldenen Fisch im Wasserfall, was mir recht läppisch vorkam. Ich fühlte mich neben diesen Geschöpfen schon ganz wie ein Erwachsener und: »Hat man denn hier nirgends Ruhe?« sagte ich ingrimmig vor mich hin, sah die erstaunten Sängerinnen mit einem zornigen Blick an und stieg langsam eine Wiese empor, die schräg wie ein Dach nach oben lief. Am First der Dachwiese standen Büsche wie aus Silber vor dem Blau des Himmels. Es war eine etwas kümmerliche Wiese, das Gras wuchs niedrig und wenig dicht, und immer wieder sah der graue Stein durch das Grün. Ich war dann oben bei den Büschen, es waren Haselnußstauden, und hellgrün schimmerten die gekrausten Mäntel, welche die junge Frucht bargen. Jenseits der Stauden lief die Wiese wieder hinab und dann ein Stück eben dahin und endete in einer schwarzen, krummen, gefährlich aussehenden Linie: da war es, wo sie anscheinend zur Wolfsschlucht abfiel, und es mochte geraten sein, nicht allzu weit an den Rand vorzugehen.

Ich blieb bei den Büschen, streckte mich ins Gras, die Arme aufgestützt, sah im Sommerrauch die Stadt liegen, mit den steilen Dächern, den beiden grauen Domtürmen, um die der Dunst wallte, sah das glänzende Band der Donau weit über die Ebene geworfen, und fern ragten die festen, schwarzen Rücken der Vorberge des Bayrischen Waldes.

Von der Wolfsschlucht herauf drang verworrenes Geräusch, ein Lachen hier und da, und jetzt auch der Ton einer Drehorgel, die ein Bettler in Tätigkeit gesetzt haben mochte. Das scholl traurig und süß her, und jetzt fiel mir wieder schwer aufs Herz der Gedanke an den morgigen Tag, und was er mir brachte. Allein und ganz auf mich angewiesen lag ich hier unter den Stauden, und rings leuchtete die Welt im Glanz, scherzten die Erwachsenen und sangen und tanzten die Kinder im Glück. Ich seufzte tief.

Auf der Wiese wuchsen kleine, blaue Glockenblumen, die auf zarten Stielen zierlich und demütig schwankten. Ich pflückte einige im Liegen, die auf Armlänge zu erreichen waren, vier oder fünf, das war schon ein kleiner Strauß. Ich würde einen tüchtigen, schönen, vollen Strauß sammeln und ihn meiner Mutter bringen, beschloß ich, die würde sich freuen, sicherlich, und ihn daheim ins Wasser stellen. Es war vielleicht ein wenig unmännlich, so zu tun, überlegte ich, Sträuße zu pflücken war eine Mädchenangelegenheit, schien mir, aber wenn ich mich jetzt sanft erwies und mich demütigte, so konnte es mir gelingen, empfand ich unklar, das Schicksal, das über mir stand, gnädig zu stimmen durch eine solche Handlung der Selbstüberwindung und der zärtlichen Sohnesliebe.

Ich stand also auf und bückte mich oftmals und hatte bald einen stattlichen Strauß gesammelt. Bei jeder Blume, die ich brach, wurde ich zuversichtlicher, die Sicherheit in mir wuchs, daß es morgen so arg nicht kommen würde, auf eine rätselhafte und zauberische Weise war es möglich, fühlte ich, das Schicksal zu beschwören, und ruhig wurde meine törichte Knabenseele.

Unversehens war ich dem Rand nahegekommen, wo es jäh zur Wolfsschlucht abfiel, deutlicher schon hörte ich die Stimmen der Trinker heraufschallen. Dort wuchs ein ganzer Büschel der blauen Glocken, besonders hochstielig, besonders schön waren sie, schien es mir, und lockten, wie nur die Schönheit unwiderstehlich lockt, die dicht am Abgrund doppelt glänzt.

Gerade die muß ich noch haben! schoß es mir glühend durch den Sinn, die hole ich noch, gelobte ich mir, und die kleine Gefahr, die damit verbunden war, sie zu pflücken, machte die Durchführung des Gelübdes nur noch löblicher. Ich wollte mich schon auf den Bauch legen; um vorsichtig kriechend mich dem Standort der Blumen zu nähern, aber dann kam mir das feige vor, und es war verdienstvoller, aufrecht an sie heranzugehen, und so nur war es schicksalswendend.

Mit kleinen Schritten, behutsam Fuß vor Fuß setzend, ging ich den gefährlichen Weg. Ich bemühte mich, nicht in die Schlucht hinabzusehen, um nicht schwindlig zu werden, aber einen schnellen Blick wagte ich doch, sah Baumkronen und wehende Sträucher, ein grünes Dach unter mir, und sah wieder weg und bückte mich und pflückte eine der Glocken, und spürte, wie der Boden unter mir wegbröckelte, das ganze Rasenstück, auf dem die Blumen wuchsen, sich vom Fels löste. Ich wollte mich noch zurückwerfen, aber es gelang mir nicht, und den Strauß fest umklammernd, als hätte ich daran Halt, sank ich in die Tiefe.

Ich weiß noch, daß es ein wunderbar beseligendes Gefühl war, so zu schweben, daß ich keine Angst hatte, nur die heftige Empfindung der Sonderbarkeit, die es bedeutete, wie ein Vogel fast im luftigen Raum sich zu schwingen. Ich merkte, daß ich wie ein Taucher mit dem Kopf voran die Luftflut durchschnitt, und ich erwartete nicht besorgt den Aufschlag, der doch kommen mußte, den Zusammenstoß mit der harten Erde, der doch unvermeidlich war, ich flog nur, es war mir wie im Traum, es rauschte um mich mit vielen Stimmen, ich flog nur und flog und genoß es zu fliegen, und der Flug nahm kein Ende.

Im Biergarten unten hatte man einen Schrei gehört, einen lauten und grellen Schrei, und niemand hatte daran gezweifelt, daß er ein Unglück anzeigte. Von dieser Art war der Schrei, den ich ausgestoßen hatte, ohne es zu wissen, es war der entsetzte Schrei des Körpers, der sich fürchtete, während der Geist heiter die luftige Reise genoß. Meine Mutter war bleich aufgestanden vom Tisch, als sie diesen Schrei hörte, und auch sie hatte nicht daran gezweifelt, daß der Schrei etwas Schlimmes anzeigte, und sie hatte auch nicht daran gezweifelt, daß das Schlimme mich betraf: sie war bleich und wankend aufgestanden vom Tisch, erzählte mir mein Vater später, und hatte meinen Namen geflüstert und war weggestürzt, in die Richtung, aus welcher der Schrei gekommen war.

Im Biergarten unten war auf einer Bank vor seinem Krug ein blauer Soldat gesessen, sein Mädchen neben sich, und er hatte seinen Arm um das Mädchen gelegt gehabt, und der Soldat war ein Unteroffizier mit breiten, goldenen Tressen am Kragen, und vom blauen Uniformrock hoben sich die weißen Sommerhosen prächtig ab. Und weil heute ein hoher militärischer Feiertag war, Regimentsgründungstag, es war in der Zeitung zu lesen gewesen, hatte er auch während des kleinen Ausflugs sich nicht vor der Hitze des Marsches mit der leichten blauen Mütze schützen dürfen, sondern hatte den ritterlich blitzenden Helm tragen müssen. Den Helm natürlich hatte er, während er aß und trank, neben sich auf die Bank gestellt, aber nun hatte er schon bezahlt und wollte gehen, nicht schnurstracks zur Stadt, mit seinem Mädchen noch wollte er einen behaglichen und liebevollen Umweg machen, und der Helm mit der schimmernden Schuppenkette saß schon auf seinem Kopf.

Da scholl über ihm ein Schrei, es rauschte in den Zweigen des Baumes, in dessen Schatten er sein Bier getrunken hatte, dann empfand er einen heftigen Schlag auf die Schulter, und die Umsitzenden sahen, daß auf der Schulter des blauen Soldaten wie ein Turner, der eine Turnübung macht, sich ein Knabe stemmte, Knabenschulter auf Soldatenschulter, einen Augenblick der kleine Turner wie eine Kerze stand und dann über die Bank ins Gras stürzte und bewegungslos liegen blieb.

Da kniete auch schon eine Frau neben dem Knaben, es war jedem klar, daß sie des Knaben Mutter war, und behorchte sein Herz, und das schlug noch. Und der blaue Soldat betastete seine Schulter, die wunderbarerweise unversehrt geblieben war, nur etwas schmerzte, und zog sein Mädchen an sich, das lachte und weinte in einem, und er bedachte, wie wohl die Folgen gewesen wären, wenn der unerwartete Besuch von oben seinen Weg nur ein wenig weiter nach links genommen, wie ihm da die Helmspitze bös funkelnd entgegengestarrt hätte, die unnachgiebige Helmspitze, härter als eine Knabenschädeldecke, und wie da wohl alles anders gekommen wäre, für den Knaben wohl und wohl auch für ihn.

Weil Wasser nicht gleich zur Hand war, so schüttete man dem Bewußtlosen Bier ins Gesicht und auf die Brust, die man ihm entblößt hatte, das Getränk aus den Krügen auf den Tischen, und wenn das auch braun und dick war, kühl war es doch, froschkühl, und es nützte auch. Der aus dem Himmel Gefallene schauerte zusammen unter den Güssen, schlug die Augen auf, sah verwirrt um sich und lächelte verlegen und wischte sich mit dem Ärmel die klebrige Nässe aus dem Gesicht, und braune Flecken blieben ihm auf Stirn und Wange.

Als er aber, von der Mutter gestützt, sich aufrichten wollte, sank er stöhnend gleich wieder zurück. Der rechte Knöchel schmerzte sehr, der war gebrochen, schien es, und auch der rechte Arm tat weh, im Ellbogen, tat aber nicht so weh wie der Knöchel; der Arm war wohl nur verstaucht oder sonst leicht beschädigt.

Der blaue Soldat hatte auf das Unerwartete hin, das ihm zugestoßen war, sich doch noch einmal Bier bestellt. Der Tisch, an dem er saß, an dem er jetzt zu dem im Gras liegenden Abgestürzten hin sein Glas erhob, ihm freundlich zublinzelnd unter dem Helmrand her, ihm aufmunternd zutrinkend, der Tisch war mit Glockenblumen ganz übersät, daß es aussah, als sei da ein Fest gefeiert worden, wie man ja bei freudigen Anlässen Blumen zwischen die Gläser zu streuen pflegt. Und eine der Glocken lag wie mit offenem Mund über eine Bierlache geneigt, als trinke sie gierig.

Von einem nahegelegenen Bauernhof lieh man sich Pferd und Wagen und einen Knecht, um mich in die Stadt zu schaffen. Man trug mich zum Wagen, mein Vater trug mich und der blaue Soldat, der sich das nicht nehmen ließ. Man lehnte mich vorsichtig in die Wagenecke, und mein Vater setzte sich zu mir, und für die Mutter war kein Platz mehr, sie mußte zu Fuß gehen, aber wenn sie einen abkürzenden Feldweg nahm, mochte sie nicht viel später als wir zu Haus eintreffen. Für die Fahrt im Wagen, mich zu betreuen und zu bewachen und nach der Ankunft über die Treppen zu tragen, war mein Vater als der Geeignetere befunden worden.

Der Knecht schnalzte mit der Peitsche, der blaue Soldat legte die Hand grüßend an den Helmrand, und wir fuhren ab. Das Pferd, das uns zog, war ein großes, schweres Bauernpferd, das besser vor einer hochgetürmten Heuladung sich ausgenommen hätte, als vor dem zierlichen, auf kreischenden Federn wippenden Wägelchen, das wie ein Spielzeug wirkte hinter dem mächtigen Tier. Der Vater hatte den Arm sorglich um meine Schulter gelegt, so saß ich in guter Hut und sah in die vertraute Landschaft hinaus. Das Räderknarren klang lustig, der Wagen schaukelte, der braune Pferderücken glänzte in der Sonne, und der blaue Himmel wölbte sich fast wolkenlos. Wenn ich den Kopf drehte, sah ich den Staub uns in Wirbeln nachlaufen. Schmerzen hatte ich nicht oder nur wenig, und daß ich eine große Gefahr glücklich überstanden hatte, darüber wurde ich mir jetzt erst klar, und so war mir ein wenig zumut wie einem Genesenden nach schwerer Krankheit, der die Welt, die ihm wiedergegeben ist, anders und in frischen Farben, ja wie neu sieht.

Und auf einmal kam mir zum Bewußtsein, mit einem Blitzschlag der Erkenntnis, unermeßlichen Glanz verbreitend, daß ich die Schularbeit morgen nun doch nicht machen mußte! Ich atmete tief auf und schmiegte mich fester an den Vater. Nicht bloß, daß ich morgen nicht zur Schule zu gehen brauchte und die gefürchtete Arbeit mir nichts mehr anhaben konnte, es lagen noch mehr schulfreie Tage vor mir, viele Tage wahrscheinlich, eine ganze lange schulfreie Woche möglicherweise, vielleicht sogar deren zwei oder drei, und dahinter dämmerten im rosigen Licht schon die großen, niemals endenden Sommerferien herauf. Glück ohne Maßen! fühlte ich und hätte schreien mögen vor Lust.

Wir hatten uns der Stadt schon sehr genähert, hoch hob sich der Dom, die ersten Häuser kamen, die Straßen waren jetzt gepflastert, und die Hufe des Gauls klapperten hart auf den Steinen. Dort war schon das Jakobstor.

Aus dem Jakobstor heraus, uns entgegen, kam, grünglänzend, ein Straßenbahnwagen. Ich sah ihn neugierig an, der Vater tat's, auch der Knecht auf dem Bock. Es war erst ein paar Tage her, daß die alte kleine Stadt, dem Zuge der Zeit folgend, mehr fast aus Prahlerei als weil es notwendig gewesen wäre, sich dieses Verkehrsmittels bediente. Es war ein großes Ereignis gewesen, als man den ersten Wagen geschmückt und bebändert seine Reise hatte antreten lassen, und man hatte es feierlich begangen mit Reden und Fahnenschwingen und blumenstreuenden Kindern. So ein Wagen also, neu und blitzend, kam uns entgegen, und der Wagenführer klingelte laut und oft hintereinander, er klingelte öfter wohl als es nötig war, auch ihm war seine Tätigkeit noch erregend ungewohnt.

Aber sahen wir Menschen schon mit Staunen und wohl auch mit unbewußter Furcht auf das neuartige Gefährt, das ohne Pferde, die es zogen, geheimnisvoll einherrasselte, mehr noch erschrak das bäuerische Tier, das vor uns an der Deichsel ging. Es stutzte, drängte zurück vor dem Ungetüm, und als der Kutscher ihm eine mit der Peitsche über den braunen Rücken gab, stieg es hoch, schlug mit den Vorderbeinen in der Luft und raste dann in einem wilden Galopp davon. Vergeblich lehnte sich der Mann auf dem Bock in den Zügeln zurück, das scheu gewordene Tier war nicht mehr zu halten, und wir sausten donnernd durch das dunkle Tor. Den Wagen warf es hin und her, der Knecht zog die Bremse an, es schrillte, die Räder drehten sich nicht mehr, und schleifend wie ein Schlitten auf Stein und dann wieder in wilden Sprüngen ging die Fahrt. Erschrocken wichen uns die Menschen aus, drückten sich an die Häuserwände, schrien und winkten sinnlos mit den Armen. Ich sah die blitzenden Fenster der Wohnungen auf und ab tanzen, mir schwindelte, die Luft sauste mir kühl ums Gesicht, ich schloß die Augen, und wie auf einem Schiff im Sturm stieg und fiel ich nun im Dunkel. Einmal warf ich einen schnellen Blick auf den Vater neben mir. Der hatte ein sonderbar verschlossenes Gesicht, saß angespannt vornübergebeugt, sprungbereit sah er aus, und hatte mich fest an sich gezogen, als lauere er auf die Gelegenheit, wie eine Katze mit dem Jungen im Maul, mich mitreißend abzuspringen, und das linke Ende seines Schnurrbarts hatte er auf eine komische Art im Mund und biß darauf herum.

Und dann, auf einmal, hatte das Pferd, so schien es, genug von dem sinnlosen Toben, stand so plötzlich still, daß der Wagen einen Sprung nach vorn machte und die Deichsel weit vorragte und das Geschirr und Gestränge sich verschob, daß es aussah, als wolle das Tier das lästige Lederzeug sich über Hals und Kopf stülpen. Mit den Vorderfüßen auf dem Bürgersteig stand es, vor einer mächtigen, spiegelnden Glasscheibe, und zitterte noch, und schlug mit dem Schweif. Es war ein Sattlergeschäft, vor dem der Ausreißer zu stehen gekommen war, und hinter dem Schaufenster aufgestellt war ein ausgestopfter Gaul, die Kunden anzulocken, und der hob den Kopf mit den großen, schillernden Glaskugelaugen stolz und kampfbereit gegen den stürmischen Ankömmling. Da hielt der Durchgänger nun vor seinem ausgestopften Ebenbild hinter der Scheibe, und es war erschreckend und lustig zugleich für die Leute, die lachend uns umstanden, sie so zu sehen, die beiden, Aug in Aug, da hielt es nun, das feurige Bauernroß, und bewegte die Ohren, die das Schaufenstertier, so lebendig es sonst auch scheinen mochte, doch nicht bewegen konnte. Dann, vom Knecht geleitet, der vom Bock gesprungen war und die Zügel gefaßt hatte, trat das Pferd langsam vom Bürgersteig auf die Straße zurück, dahin es gehörte. Und das sah aus, als weiche es furchtsam vor dem Gegner hinter dem Fenster, der es mit bösen, gläsernen Augen anstarrte.

Die paar Straßen bis zu unserem Haus stieg der Knecht nicht wieder auf seinen Sitz, er führte das Pferd am Zügel, und wie er so neben dem Tier herschritt, Kopf an Kopf, erinnerte es mich an Abbildungen, die ich oft in Büchern gesehen hatte, die von Fahrten und Abenteuern erzählten, wo der Gepanzerte neben dem Streitroß einhergeht, in Waffen klirrend und den Helm bebuscht, und die Gefahr lauert und lockt, der feuermaulige Drache, und nun schien es mir im Wirklichen Gestalt angenommen zu haben und alte kriegerische Zeit war da und sah mich sternäugig an.

Als dann der Arzt kam und mich beklopfte und behorchte und an mir zerrte und an mir herumdrückte und vieles fragte, stellte er fest, daß mir nichts Ernstliches geschehen sei, keine innere Verletzung sich finde. Der Knöchel, der jetzt sehr schmerzte und dick angeschwollen war, sei ganz heil so weit, nur eine unbedeutende Prellung sei's, der Arm aber, dem äußerlich keine Veränderung anzusehen war und der auch gar nicht weh tat, sei im Ellbogen gebrochen, müsse in Gips gelegt werden, aber erst morgen, und für heute tue es ein Notverband.

Am anderen Vormittag kam der hilfreiche Mann denn auch und rührte in einer Schüssel den weißen Brei an und tauchte Binden hinein und zog sie durchtränkt wieder heraus und wickelte die nassen mir um den Arm und panzerte mich mit Gips. Ich saß aufrecht im Bett, ließ mir das alles wohl gefallen und zuckte nicht, wenn es weh tat, und sah die hochstieligen Glockenblumen blaugebüschelt am Rand der Wolfsschlucht stehen, und hörte unsre große, alte Wanduhr neun schlagen, und wußte, daß jetzt in der Schule ein bärtiger, bebrillter, mir im tiefsten zuwiderer Mann leere, weiße Blätter verteilte, die meine Kameraden mit Kreisen und Kurven und Zahlen zu bedecken hatten, und ich fühlte herzliches Mitleid mit ihnen, und zugleich stieg eine so ausgelassene, wilde Schadenfreude in mir auf, daß ich mich fest auf die Zunge biß, vor unterdrückter Wonne, und keuchte, und der Arzt nahm's für einen Wehlaut und meinte mir tröstend sagen zu müssen: gleich sei er fertig, der Gute, der Besorgte, und fuhr nur eifriger und behutsamer fort in seinem helfenden Werk.

Ich lag wohlig im weißen Bett, den Tag darauf, die Sonne schien durchs Fenster, friedlich war es um mich und in mir, da erhielten wir den Besuch einer Frau, die am Sonntag auch in der Wolfsschlucht und Zeuge meines Sturzes gewesen war. Es sei sonderbar, ja, fast zum Fürchten gewesen, erzählte sie, daß, als ich schon auf der Erde lag und man sich um mich mühte, daß da aus dem Baum herab, durch dessen Zweige zuvor ich gefahren war, daß da eine Weile später, eine geraume Weile später, und gerade das war ja das Erschreckende, ein Regen von Glockenblumen niedergegangen sei, lautlos und sanft sich drehend ein blauer Blumenregen herniedergeströmt sei über den verlassenen Tisch. Die Blumen waren von dem Strauß, den ich gepflückt und im Sturz dann doch hatte losgelassen, und weil sie leichter waren als ich, und die Luft und der Wind sie behutsam und schaukelnd trugen, die langstieligen, so kamen sie erst an, blau und still wirbelnd, als ich, ihr Vorläufer, längst hart gelandet war. Diesen Blumenregen, dieses stille, zarte Tropfen, das leichte Aufschlagen der Glocken auf den Tisch, sagte die Frau, werde sie so bald nicht vergessen.

Sie habe dann die Blumen vom Tisch aufgelesen und hier seien sie, sagte sie noch. Meine Mutter füllte ein hohes Stengelglas mit Wasser, tat die Glocken darein und stellte sie mir ans Bett. Da standen sie lang noch mir zu Häupten, die blauen, schändlich geraubten, verblüht schon bald, hängenden Kopfes, und raschelten, wenn man sie anfaßte, wie trockene Spreu, während mein gebrochener Arm, der Arm des Räubers, unter den stürmischen Heilkräften der Jugend wieder erstarkte und sich festigte und gänzlich wieder sich erneuerte, und sich bald würde wieder heben und strecken und biegen lassen, zu jeglichem Guten und Bösen zu gebrauchen, wie ich's nur wollte.

Der Mädchenhändler

Der Schnurrbart, ein Räuberschnurrbart, ein Seeräuberschnurrbart, hing ihm fahlblond und ein wenig nur angegraut über die Lippen. Seeräuberschnurrbart! sagte ich kühn vor mich hin, vielleicht hörte er es und fragte, aber er hörte es nicht, oder wenn er es hörte, er fragte nicht, sah nur unverwandt das Schachbrett an. Über uns rauschte es in den Nußbäumen, wie Atem holend, tief, Blätterschatten wogte über die Tischdecke, grünes Licht erfüllte den Garten. Jetzt ergriff der Einarmige ein Pferd und zog. Er hätte am liebsten nur Züge mit den Pferden gemacht. Das Pferd, Cavallo nannte er es, war seine Lieblingsfigur, und wenn ich Springer sagte, weil es in meinem Schachlehrbuch so hieß, so sah man ihm seine Unzufriedenheit über diesen Ausdruck an. Er zog also das Pferd nach kurzem, scharfen Nachdenken, wobei er die Augenbrauen zusammenschob, und setzte es hart klappernd auf ein neues Feld, und wieder stellte ich mit bestürzter Hochachtung fest, daß an dem einen Arm, den er nur mehr hatte, eine Hand saß mit drei Fingern bloß. Der kleine Finger und der Goldfinger fehlten, so daß die Hand ganz merkwürdig schmal aussah. Wie er zu dieser Verstümmelung gekommen war, damals, vor dem Weltkrieg, war so etwas selten; habe ich nie erfahren und zu fragen traute ich mich nicht.

Herr Berger, so hieß der einarmige Glatzkopf, mehr wußte ich von ihm nicht. Jetzt, in den großen Sommerferien, spielte ich manchen Nachmittag Schach mit ihm. Uns Sechzehnjährigen war nach dem Gesetz der Schule der Besuch von Wirtshäusern unter Androhung strenger Strafe verboten: nur bei Wanderungen aufs Land hinaus durfte man, das war uns ausdrücklich gesagt worden, sich zu stärken und zu erfrischen, ein Gasthaus betreten. So ging ich damals zwei- und dreimal wöchentlich in ein nahes Dorf, drei Viertelstunden Wegs, trank eine Tasse Kaffee, oder bestellte auch Zitronenwasser, das in einem hohen Glas gebracht wurde, und ein langer Löffel steckte darin und ein Strohhalm, und spielte mit Herrn Berger Schach. Das hatte sich zufällig so gegeben: er hatte mich allein vor dem Brett sitzend gesehen, Schachaufgaben lösend, was ich mit Leidenschaft tat, und er war an meinen Tisch getreten, mit einer höflichen Verbeugung seinen Namen nennend, und hatte gefragt, ob ich ihn nicht zum Gegner nehmen wolle. Mit Befangenheit hatte ich eingewilligt und hatte das Brett an seinen Tisch getragen, und der Zweikampf hub an, der erste, den wir ausfochten, und es sollten ihm noch viele folgen. Entgegen aller Regel und aller Weisung der Schachlehre begann der Einarm jeden Kampf mit einem Springerzug, nannte das: zuerst die Reiterei vorschicken! Auch bei unserem ersten Treffen machte er es so. Nun, sagte ich mir, stolz auf meine Buchweisheit, das wird er sich abgewöhnen, den Schaden wird er besehen – aber er gewann, gewann dieses erste Spiel und gewann später noch viele, trotz dieser ganz und gar verfehlten Eröffnung.

Es schien mir gut zu ihm zu passen, wie er den Gaul hin und her hetzte auf dem Brett, und den zweiten dahinterherjagte, und drohend aufgebäumt standen sie vor mir, daß ich ins Gedränge kam mit Läufer und Turm und mich kaum zu erwehren vermochte, sie entsprachen seiner wilden Art, dachte ich bewundernd, diese tollen Reiterkunststücke gehörten zu ihm, dem Einarmigen mit dem Seeräuberschnurrbart. Wir sprachen an diesen Nachmittagen nicht viel miteinander, ins Spiel vertieft. Er hatte ein mageres Gesicht mit vorspringenden Backenknochen, seine Augen waren ein wenig schräggestellt, seine Glatze glänzte, und eine rauhe, männliche Stimme kam hinter dem Schnurrbart hervor. Er war dunkelgekleidet fast immer, war wohl klug und hatte vieles gesehen und erlebt und hatte eine abgebrühte Weise, über das Tun und Treiben dieser Welt bissige und überlegene Bemerkungen zu machen. Er sollte früher einmal Fischer gewesen sein, unter anderem auch das, Donaufischer, das hatte ich herausbekommen, ich mochte es nicht recht glauben – ein ehrliches Gewerbe, aber er schien mir zu fein, zu herrenhaft dafür! Und wenn es doch so war: wer weiß, wie ihn das Leben, sein buntes, feuriges Leben dazu geführt hatte?

In dem halb städtischen Dorfgasthaus kannte man ihn gut, meinen Herrn Berger, er machte manche Zeche dort. Ich hörte den Wirt mit seiner Frau über ihn sprechen, zufällig, sie saßen am Nebentisch, die beiden, und schwatzten, in anerkennendem Ton übrigens, über diesen Teufelsburschen, und da schnappte ich auf, ich lauschte angespannt, daß der Einarm nicht immer bloß Fischer gewesen sei, sondern – wie schoß mir das Blut zu Kopf, wie zitterten mir Hände und Knie! – sondern auch Mädchenhandel getrieben habe. Wahrhaftig, sie gebrauchten das entsetzliche und süßen Schauder einflößende Wort: Mädchenhandel, und lachten dazu, und aus den abgerissenen Gesprächsteilen, die zu mir drangen, reimte ich mir zusammen, daß er mit diesem lasterhaften Gewerbe seinen Lebensunterhalt verdient habe, vielleicht sogar noch verdiente! Wie war mir zumut! Was ist für einen Sechzehnjährigen, nach Abenteuern gierig, ein Mädchenhändler? Ein Kerl, kühn und verschlagen, mit allen Wassern gewaschen, mit allen Hunden gehetzt, in allen Sätteln gerecht, unwiderstehlich und grausam und tückisch, funkelnd in bösem Glanz, halb ein Scheusal und halb ein Held!

Also gut, der war ihm zuzutrauen, dieser Beruf, dem Herrn Berger, bei seinem seeräuberhaften Aussehen. Vielleicht, dachte ich mir, fährt er von Zeit zu Zeit mit einem Schiff donauabwärts, an wallenden Strudeln vorbei, auf Felsen stehen die Burgen, in Deutschland und Österreich, und er fährt weiter nach Rumänien, oder so wohin, und das bewimpelte Schiff ist voll von Mädchen, buntgekleideten Mädchen, singenden Mädchen, weinenden Mädchen, tanzenden Mädchen, Mädchen, die Wein und Schnaps trinken und bitter lachen. Manchmal sah ich im Geist auch, daß die Mädchenladung, die er verfrachtete, nackt war, splitternackt und weiß, und sah verlegen weg, und schämte mich, und stellte mir die taumelnde Schar lieber wieder bekleidet vor, in seidenraschelnde Tücher gehüllt, mit roten Bändern im üppigen schwarzen Haar – alle waren sie schwarzhaarig – und gellend und bitter und lüstern lachend.

Unruhige Gedanken hatte ich. Ich mied Herrn Berger nicht, im Gegenteil, es schreckte mich nicht ab, was ich von ihm wußte. Und vielleicht hatte ich mich doch verhört, oder es war gar nicht wahr, was man von ihm sprach, sicher war es erlogen, was sagen die Leute nicht alles, aber wie es damit auch bestellt sein mochte, es zog mich an, das Fremde, Böse, das um ihn war, geheimnisvoll lockend. Sklavenhändler, Mädchenhändler, Ketten und Armspangen klirrten, tief drunten im Balkan kam die Donau doch auch in türkisches Gebiet, Halbmond und Harem und Morgenland und Paschas mit sieben Roßschweifen, das wirbelte durcheinander, Mädchenfleisch und Beutegeld! Und statt Springer sagte er Cavallo: das war mir noch nicht begegnet, das war ein Mann!

Jeden Freitag, an dem Fleisch zu essen verboten ist, und damals nahm man es strenger damit als heute, hielt man in unserer guten, frommen Stadt Fischmarkt ab. Auf dem Platz, wo der Markt stattfand, in der Nähe der alten Brücke, unweit floß die Donau, die nicht zu sehen war, aber ihre Kühle herschickte, auf dem brunnenüberragten Platz waren in den Boden eingelassen sargähnliche Steine, gewaltige Steinbänke, auf denen standen die Bottiche der Fischhändler, und in den Bottichen schwänzelten und schlugen und schnappten sie: blitzende Weißfische, schwärzliche Barben mit dicken Köpfen, goldgrüne Bürstlinge mit gesträubter, stachliger Rückenflosse, breitgedrückte Brachsen, langnasige Hechte und dumme, dicke Glotzkarpfen. Da drängten sich die Hausfrauen und Dienstmädchen, mit Taschen und Netzen, und schoben sich und wanderten von Steinbank zu Steinbank, und besahen, was es gab, und nörgelten, mit kennerischen Mienen, und fanden den einen Fisch zu klein und den andern zu grätig, und zufrieden waren sie nie. Es wurde nicht nach Gewicht gekauft, die Fische wurden nach der Größe abgeschätzt, und wenn man sich nach langem Feilschen auf einen Preis endlich geeinigt hatte, fuhr der Verkäufer ins Nasse, packte den armen Geschuppten und schlug ihm den Kopf krachend gegen den Rand des Bottichs. Abschlagen hießen sie sachlich diesen Mord, der hundertfach an einem solchen Morgen begangen wurde, und wie Hammerschläge dröhnte es immer wieder auf, herzlos schallender Ton, und stumm starben die Fische, wie sie stumm gelebt hatten.

Während der Schulzeit mußte ich um diese Morgenstunden sonst vor der schwarzen Tafel sitzen, unwillig genug, aber jetzt waren ja Ferien, nicht mehr lange, leider, nur mehr zehn Tage bloß, und da war ich wieder einmal auf den Fischmarkt geraten. Ich hatte mich ins Gedränge gemischt – wie roch es heftig und wunderbar nach feuchtem Zeug und Schuppen und Fischeingeweiden! – und ließ mich treiben im Strom der Käufer, neugierig lauschend dem Hin und Her, das jedem Erwerb voranging, da erkannte ich meinen Herrn Berger hinter einem der Bottiche, in Hemd und ohne Kragen, Fische feilhaltend. Es war in der Nähe des Brunnens, der Wasser aus vier fletschenden Drachenmäulern rinnen ließ, hinter dem verbarg ich mich und beobachtete den Einarm.

Er hatte also immer noch mit Fischen zu tun, der Räuberbärtige, mit dem ich erst gestern nachmittag noch Schach gespielt hatte. Ich wollte mich ihm nicht zeigen, ich nahm an, es wäre ihm peinlich gewesen, mich als Zuschauer zu wissen, wie er hier stand und Fische totschlug und verkaufte. Ich lehnte mich an den Brunnen und lauerte, und preßte die Hand vor das Drachenmaul neben mir, dem Strömenden zu wehren, bis der Druck so stark wurde, daß ich nachgeben mußte und ein wilder Schwall herausfuhr, und dann rann das Wasser wieder gleichmäßig still, und den Glatzkopf ließ ich nicht aus den Augen. Er hatte nicht viele Kunden, eben jetzt war es ganz leer vor seinem Verkaufsstand und das verdroß ihn wohl, denn er machte ein unwirsches Gesicht und schlug ein paarmal mit der Hand in den Bottich, ärgerlich, daß es weiß aufspritzte. Nun trat eine Frau an ihn heran, ich sah nur ihren Rücken, aber ich erkannte sie doch gleich an den breiten Schultern, es war Anna, unser Dienstmädchen, und sie besah die Ware des Einarms, zweifelnd, und der zog aus dem zappelnden Volk einen Fisch hoch und in die grausame Luft, und das Wasser tropfte von ihm ab. Anna schüttelte bedauernd den Kopf, der Fisch gefiel ihr nicht, der sei ja schon halb tot; ihre helle Stimme klang deutlich zu mir her, auf dem Rücken sei er schon geschwommen, der Kümmerling, nein, den wolle sie nicht, und sie drehte sich schon, zum nächsten Händler abzuschwenken. Wütend warf der Glatzkopf den Geschmähten wieder in den Bottich, und dann hörte ich den Mann, den ich nur als gesittet und gebildet kannte, nie hatte ich ein rohes Wort von ihm vernommen, hörte ihn, meinen ritterlichen Gegner am Brett, dem armen Wesen Dinge sagen, daß wir beide, ich und das Mädchen, tief erröteten. Sie habe wohl verklebte Augen, fragte er, und strich seinen Schnurrbart, daß sie es wage, diesen springlebendigen Fisch als nicht mehr ganz frisch zu bezeichnen? Er könne sich schon denken, woher das käme, und er lachte gemein. Vermutlich habe sie die ganze Nacht nicht geschlafen, weil sie nicht allein gewesen sei im Bett, und besseres zu tun gehabt habe, viel besseres, als süß zu schlummern, und er malte in abscheulich deutlichen Worten, schwelgerisch und ausschweifend, dieses Nachtabenteuer aus. Anna, die nicht wußte wie ihr geschah, hielt zuerst wie gelähmt still unter dem Regen von Spülicht, der auf sie herabtrommelte, und dann floh sie, schleunigst, und der Gräßliche schalt hinter ihr drein.

Mittags gab es dann Barben bei uns, und als die Anna sie auftrug, wagte ich nicht sie anzusehen, die heute früh so niederträchtig beschimpft worden war, und beschäftigte mich angelegentlich mit dem Fisch, der blau und gekrümmt auf meinem Teller lag. Nur nach dem Essen schlüpfte ich einmal schnell in ihre Kammer, besah das hochgetürmte, rotgewürfelte Bett, in dem die vergangene Nacht so Erregendes sich abgespielt haben sollte: denn war es nicht vielleicht doch möglich, daß der Herr Berger, Fischer und Mädchenhändler, ein Kenner ja von Beruf, ein bewährter Fachmann, der Frauen einzuschätzen wußte wie keiner, daß er der Magd die schlimme Wahrheit von den Augen abgelesen und ihr in seinem Zorn diese Wahrheit in das unschuldig nur scheinende, heuchlerische Antlitz geschleudert hatte? Aber das Bett lag stumm und rotschreiend da, und über dem Kopfende hing ein buntes, frommes Bild.

Ein paar Tage später, es war nun schon weit im September und immer drohender rückte das Ende der Ferien heran, ging ich wieder in das Schachdorf. Ich hatte den Gang hinausgezögert, ich war sogar entschlossen gewesen, den Einarm gänzlich zu meiden, aber ich hatte doch keine Ruhe gefunden, und unhöflich sei es, redete ich mir ein, den Schachfreund im Stich zu lassen, und eine unwiderstehliche Lust hatte mich gepackt, ihn wieder zu sehen, und so war ich nun unterwegs zu ihm. Es hatte geregnet in den letzten Tagen, das Wasser war schallend durch die Blätter gewirbelt in den Bäumen vor meinem Fenster, und der Regen hatte den Sommer fortgespült, denn als es wieder schön wurde dann und die Sonne schien, war die Luft mit einmal von herbstlicher Klarheit. Zu den Füßen der Kastanienbäume lagen, vom nächtlichen Wind abgeschüttelt, die kleinen, grünen, gestachelten Kugeln, die Felder glänzten abgeerntet, und hinter den Zäunen glühten grellfarbig und prahlerisch die Blumensterne.

Als ich den Wirtsgarten betrat, sah ich gleich Herrn Berger sitzen, und neben ihm saß, in weißer Bluse, ein junges Mädchen, und die beiden sprachen angeregt miteinander. Das war noch nicht vorgekommen, er war sonst immer allein gewesen, ich traute mich nicht zu ihm, unter diesen Umständen, ich war zu schüchtern, ich wollte nicht stören, nein, und suchte nach einem Platz, an dem ich ihm verborgen sitzen konnte, aber da hatte er mich schon erspäht und winkte mir lustig auffordernd mit der Hand, da blieb mir nichts anderes übrig, ich ging zu ihm, verlegen grüßend. Seine Nichte sei das, stellte er mich dem Mädchen vor, das mir eine kleine, rosige Hand entgegenstreckte und mich anlächelte, und mit dem Schachspielen würde es heute nicht viel werden, meinte er, die junge Dame hier wolle unterhalten sein, und er strich seinen Räuberbart, und mir war sehr unbehaglich zumute, wenn ich das Mädchen betrachtete, wie es so neben mir saß und seine Brust sich hob und senkte, und ich konnte den scheuen Blick nicht davon wenden. Der Fischhändler war heute wieder ganz herrenhaft, im hohen, weißen Stehkragen, der leere, linke Ärmel, den er in die Tasche gesteckt trug, wallte nieder in schwungvollen Falten, und er redete viel und aufgeräumt, der einarmige Onkel, und das Mädchen lachte zu seinen Scherzen, silbernen Tons. Vielleicht war es gar nicht seine Nichte, schoß es mir glühend durch den Kopf, vielleicht war es ihr bestimmt, von ihm verkauft, wie ein Stück Vieh verhandelt zu werden und elend verschachert, das junge Blut, das weiße Fleisch, und ich rührte mit dem Löffel in meiner Tasse und zitterte vor Aufregung, und rührte so heftig, daß ich einen braunen Fleck auf das weiße Tischtuch spritzte und schnell die Zuckerschale darauf stellte, daß ihn niemand sähe.

Da trat in diesem Augenblick der Wirt heran und rief Herrn Berger ab, zu einer geschäftlichen Unterredung: der Händler Moosbacher sei da, drinnen sitze er, in der Stube, und warte auf ihn. Ich lasse euch allein, sagte der Einarm, und erhob sich, seid brav, sagte er und lachte ohne Grund. Das kann eine Stunde dauern, bis es soweit ist, sagte er, der Kerl ist zäh, und wenn's euch zu langweilig wird, könnt ihr euch ein wenig die Beine vertreten, aber hier am Tisch, er klopfte auf die Tischplatte, treffen wir uns wieder, und bevor er ging, schien es mir, blinzelte er mich aufmunternd an.

Da saß ich nun mit der Schönen, und wußte nichts zu sagen, und sie sagte auch nichts, und beugte sich weit im Stuhl zurück, daß die Bluse sich spannte, und sah in das Blättergrün des Baums hinauf, und ihre Nähe verwirrte mich. Da lachte sie und stand auf und glättete den Rock über den Hüften und sagte: gehen wir ein bißchen! Wir gingen dem hinteren Teil des Gartens zu, sie ging vor mir her, in hellen Strümpfen.

Es standen hier keine Tische und Stühle mehr, der Garten war hier nicht mehr gepflegt, der Weg war überwachsen vom Gras und kaum noch zu erkennen, Sträucher gab es und Brennesseln wucherten, eine kleine, grüne Wildnis war es, die ich oft schon und gern aufgesucht hatte. Eine alte, morsche Schaukel hing hier, ich hatte sie schon manchmal benutzt, sie trug noch, mochten auch die Pfosten bedenklich wackeln, wenn man sich schwang. Sie lehnte es ab die Schaukel zu besteigen, die Weißblusige, aber ich ließ es mir nicht nehmen, den hölzernen Sitz zu erklettern und ein paar Schwünge zu tun, und ein bißchen hoffte ich wohl auch Eindruck damit auf sie zu machen. Aber das war verlorene Müh', denn sie schaute mir gar nicht zu, trat an den Zaun, der den Garten gegen das freie Feld abgrenzte, und sah in die Weite hinaus, und ich mochte die Schaukel singen und pfeifen lassen aus Leibeskräften, sie drehte sich nicht ein einziges Mal um, und einmal schien mir, sie seufze gar.

Was mochte das Seufzen bedeuten? fragte ich mich, und wie es wohl mit ihr bestellt war? Ob sie ein armes, getäuschtes, nichts ahnendes Opfer war des herrenhaften Bösewichts, in seine Krallen geraten, wer weiß wie, oder ob sie ihr Schicksal kannte und wußte was ihr bevorstand und nichts dawider hatte und freiwillig sich hingab dem sündigen Beruf?

Wilder schwang ich mich auf und ab, hoch und höher, und die Luft sauste mir ums Gesicht, kreischend sangen die rostigen Eisenringe und die Balken wankten mit Ächzen.

Das Mädchen am Zaun wandte sich um, und: Ach, kommen Sie doch! sagte es, ein wenig unwillig, und ich ließ die Schaukel sich ausschwingen und sprang herab dann und gab dem Sitzbrett einen Stoß, daß es sich wieder in Bewegung setzte, und trat zu der Sünderin. Eine kleine Tür war im Zaun, mit einem Holzriegel war sie verschlossen, wir öffneten die Tür und verließen den Garten, und hinter uns die Schaukel schwang still tönend weiter.

Ein Feldweg schlängelte sich hin, dem folgten wir. Ein mächtiger blauer Himmel wölbte sich über uns, an dem unbeweglich ein paar weiße Wolken standen. Die Hügel jenseits der Donau glänzten, als wären sie ganz nah, sah es aus, und die Sonne spiegelte sich in den Stoppelfeldern. Die Bäume waren noch im vollen, grünen Laub, die Kartoffeln trugen ihr Kraut, aber das hing schon schlapp und halb welk. Wir kamen an einem Rübenacker vorbei, da roch es scharf und bitter, und der Graben, der neben dem Fußweg hinlief, war voll Wasser, das ein bißchen Strömung hatte sogar, Moosfäden schwammen darauf, und großlappige Pflanzen hoben sich vom schwarzen Grund her.

Die Neugier ließ mir keine Ruhe. Ihr Onkel, sagte ich lauernd, und versuchte ein gleichmütiges Gesicht zu machen, der Herr Berger, ist er, fragte ich, wirklich ihr Onkel? Sie sah mich erstaunt und belustigt an. Aber ja, sagte sie, und rupfte sich vom Wegrand einen langen Grashalm und steckte ihn in den Mund und kaute darauf herum. Wie kommen Sie darauf? Ich griff geärgert nach dem grünen Stengel zwischen ihren Lippen. Da kann man eine böse Krankheit davon bekommen, belehrte ich sie, die den Halm nicht los ließ, mit weißen Zähnen ihn festhielt. Ach, Unsinn! sagte sie, und spie ihn aber dann doch aus. Ihr Onkel also, fing ich von neuem an, gut also, ihr Onkel, meinetwegen, soll er's sein, und ich lachte frech. Sie verstand nicht, was ich meinte, oder tat wenigstens so, und zuckte nur fragend die Schultern. Ihr Onkel, fuhr ich fort, und sah sie durchbohrend an, ein seltsames Geschäft, das er betreibt, wirklich höchst seltsam! Sie war stehengeblieben, ihr Blick wurde drohend, aber ich hatte nun einmal Mut gefaßt und ließ mich nicht einschüchtern. Mit Fischen handelt er, sagte ich streng, aber er hat auch noch andere Ware, sagt man, wie? Sie gab keine Antwort und lachte nur. Mit Fischen, ich schrie es fast, mit weißen Fischen zu handeln, gut, das mag hingehen, aber mit weißen Mädchen! Das Wort war heraus, gesagt war, was gesagt werden mußte, und ich atmete tief. Ja, sagte sie, und war keineswegs getroffen von dem, was ich zu wissen schien, und: warum nicht? sprach sie im ruhigen Ton, ein Geschäft wie ein anderes, und wenn er mich nur gut unterbringt, das ist die Hauptsache!

Blühend stand sie vor mir, die junge Sünderin, mit vollen roten Lippen, und lachte unbefangen, und mir wurde heiß und kalt. Wo war ich hingeraten? Ein Abgrund tat sich vor mir auf, tief und feurig, und ich sah auf die Stadt hin, auf unsre gute, fromme Stadt, deren Türme herleuchteten, tröstend und vertraut; ich hätte geglaubt sonst zu träumen. Dort lag sie vor mir, im Schatten des Doms, ehrbar und sittenfest, und hier ging an meiner Seite das mädchenhafte Geschöpf, verworfen und lasterschwer, die tief Gefallene, und fast bekam ich Mitleid mit ihr.

Wir waren an einen Brombeerstrauch gekommen. Seine dornbewehrten Zweige hingen voll von Früchten, noch grünlich von Farbe die meisten, andere schimmerten schon wie rötlich durchblutet, aber es waren auch etliche voreilig reife dazwischen, die schwarz glänzten, üppig und saftig. Meine Begleiterin beachtete mich nun gar nicht mehr, sie fing an sich Beeren zu pflücken und mit Bedacht und Genuß sie zu verspeisen, eine nach der andern. Hier haben Sie auch eine! sagte sie, und drehte sich plötzlich zu mir, und ihre Mundwinkel waren ein wenig schwarz gefärbt vom Beerensaft. Sie lachte, und sagte: Mund auf und Augen zu! Und sie war mir so nahe, daß ihre Brust mich streifte, nur leise, aber es durchfuhr mich wie Feuer, und ich schloß die Augen, wie sie es geboten hatte, und öffnete den Mund, und zitterte, und suchte es zu verbergen, daß ich zitterte, und sie schob mir die Frucht auf die Zunge, kühl und herb schmeckte es, und wie Adam war mir, im Paradies. Eine wütende Gier überfiel mich, ich riß die Augen auf. Das ist verboten! sagte sie, und ich legte die Arme um sie, und: Das ist erst recht verboten! schrie sie zornig und wollte sich mir entziehen. Was hat die sich zu zieren? dachte ich, die weiße Puppe, die wird anderes gewöhnt sein, ganz anderes, und ich sah die sündigen Lippen feucht vor mir, und die Zähne blitzten dahinter, und ich zog die vergeblich sich Wehrende heftig an mich und küßte sie wild, die Zappelnde, auf den roten Mund, zweimal, dreimal, immer wieder. Sie verlor den Halt, wankte, Obacht! schrie sie, und jetzt war sie es, die sich an mich drängte, nicht voll zärtlichem Liebesbegehren, um sich vorm Fall zu bewahren tat sie es, gleichviel, ich erschauerte, selig seufzend, und dann war der Sturz nicht mehr zu vermeiden. Wir sanken, eng aneinander geschmiegt, in den Brombeerenbusch, der seine Zweige öffnete, uns bitter zu empfangen, der mit den Dornen nach uns stach, den räuberisch Eindringenden, und dann lagen wir am Boden, Arm in Arm.

Als wir uns wieder aufgerafft hatten dann, aus dem dornigen Gewirr, und uns befühlten und beklopften, stellten wir fest, daß es so schlimm gar nicht geworden war. Ich war unten zu liegen gekommen im Sturz, dem Mädchen war nichts geschehen, aber ich hatte einen langen, klaffenden Riß im linken Ärmel, den ich erschrocken besah, und eine Schramme im Gesicht, von einem wütenden Dorn, die brannte, unter dem Auge, und blutete ein wenig. Die hell Bestrümpfte, sie sagte nichts, sie schimpfte nicht, sie schien mich gar nicht zu sehen, als sei sie allein, setzte sie sich auf einen Baumstumpf, nahm Kamm und Spiegel aus ihrer Handtasche, ordnete sich das zerzauste Haar, schob sich den Rock zurecht, und zog ein Schuhband fest, das sich gelockert hatte. Dann stand sie auf, und mit ihrem Taschentuch, das klein war und spitzenbesetzt, wischte sie mir das Blut ab, und mit einer Stecknadel machte sie dem Ärmel einen Notverband, ohne ein Wort zu sprechen, ohne mich dabei anzusehen, ohne Zorn zu verraten, mit unbewegtem Gesicht. Dann wandte sie sich und schritt den Weg zurück, zum Wirtshausgarten, ohne besondere Eile, und ich folgte ihr, stumm und benommen und beschämt und mit klopfendem Gewissen.

Nun wird sie ihm alles sagen! dachte ich, von meinem frechen Überfall wird sie ihm berichten, dem einarmigen Seeräuber, und mit dem war nicht zu spaßen, ich hatte es erlebt am Fischmarkt, und ich hatte Schlimmeres verbrochen als die mäkelnde Magd. Einen Augenblick lang überlegte ich, ob ich nicht einfach ausreißen sollte, quer über die Felder hin, in die freie Weite, Haken schlagend wie die Hasen tun, auf Nimmerwiedersehn, aber ich bezwang mich, wenn schon, denn schon! sagte mein Trotz, mag kommen, was da mag! und ich wich nicht vom Weg ab, ging hinter meiner Anklägerin her in verbissenem Stolz, aufrecht einem ungewissen Schicksal entgegen.

Da saß er schon am Tisch, der Herr Berger, strahlender Laune, es war ihm ein Geschäft geglückt anscheinend, und neben ihm saß ein kleiner Mann, der eine lange, schwarze Zigarre rauchte, und waren vergnügt, der magere Räuber und der Dickbauch, und glatzköpfig waren sie beide. Das ist Herr Moosbacher, Helen, sagte der Einarm zu dem Mädchen, ein gerissener Fuchs, ich bin ein Waisenknabe dagegen, und er lachte schallend und Herr Moosbacher lachte schallend mit. Er hat mich hereingelegt, fuhr er fort, so sündteuer habe ich noch keine Kartoffeln gekauft, aber das mußte lustvoll für ihn sein, denn er hob freudig sein Glas gegen den Sieger, mit funkelnden Augen, und trank von dem hellen Bier und wischte sich den Schnauzbart dann. Und du kannst am ersten Oktober bei ihm eintreten, sagte er stolz zu dem Mädchen, er braucht eine Aushilfskraft und da habe ich dich vorgeschlagen, aber er zahlt nur fünfzig Mark. Das ist mehr als genug für jemand, der grad von der Handelsschule kommt, sagte Herr Moosbacher, ohne die Zigarre aus dem Mund zu nehmen, und streckte Helene die Hand hin: Abgemacht, Fräulein Berger, und sie schlug ein.

Ja, sagte Herr Berger befriedigt, zwei Fliegen auf einen Schlag, man muß alles mitnehmen heutzutag, nichts darf man auslassen, Fischhandel, Kartoffelgeschäft, Stellenvermittlung, wie's kommt, ein wenig bleibt von allem hängen.

Dann sah er die Schramme auf meiner Backe. Ihr habt euch wohl gerauft, sagte er, und die Helen hat die schärferen Nägel gehabt? Helene sah mich groß an. Ganz im Gegenteil, sagte sie, wir haben uns sogar ganz ausgezeichnet unterhalten. Und beim Brombeerenpflücken wäre ich fast gestürzt, weil ich so gierig war, da hat mich der junge Herr aufgefangen und dabei hat er sich an einem Dorn gerissen. Aber es ist nichts Schlimmes, fügte sie hinzu, mit einem ruhigen Blick auf mich, und bis er geheiratet hat, ist es längst verheilt.

Tief verlegen saß ich da und wagte kaum aufzuschauen, aber es kümmerte sich niemand um mich. Der Einarm war mit Herrn Moosbacher wieder ins Gespräch gekommen über Kartoffelpreise und Helene spielte gedankenvoll mit ihrem Kaffeelöffel. Vielleicht erwog sie die möglichen Vorzüge und Nachteile ihrer neuen Stellung, denn manchmal betrachtete sie lange und mit einem abwesenden Gesichtsausdruck den Mann, der künftig über sie befehlen sollte, seinen dicken Glatzkopf und seine schwarze Zigarre, und die silberne Uhrkette, die er über den Bauch gespannt trug.

Eine Mückensäule drehte sich, vom Nebentisch herwandernd war sie nun bei uns, und streckte sich bis zu dem Blätterdach empor, verlor sich im Grün, und vielleicht reichte sie über den Wipfel des Baumes hinauf, und hoch und höher noch, ins Blaue, und das wirbelte und kreiste, unaufhörlich, und schimmerte silbern und glasflügelig. Ich verrückte unauffällig meinen Stuhl, bis die Säule zwischen meinem Gesicht und dem Gesicht des Mädchens war, und durch das flirrende Gewimmel hindurch blickte ich scheu auf die unbegreiflich Gnädige, wie durch einen Schleier, und das war mir wie schützend und angenehm.

Dann fand ich es an der Zeit, mich zu verabschieden. Gleichmütig gab mir Helene die Hand, der Herr Moosbacher gab mir seine, und die Zigarre behielt er im Mundwinkel, und der Einarm winkte freundschaftlich, und er hoffe auf ein baldiges Wiedersehen vorm Schachbrett, sagte er mit seiner rauhen Stimme, und er freue sich schon auf einen schneidigen Reiterangriff, den er zu machen gedenke, und dann ging ich.

Ich ging, und meine Fassung hatte ich noch nicht wiedergewonnen, und schritt rasch aus, und mußte mich zurückhalten, daß ich nicht zu laufen begann. Weg wollte ich, weit weg von der Stätte meiner Schande, und heim zur Stadt, die sich immer höher aufhob vor mir mit glänzenden Türmen. Wie hatte ich an den kindischen Unsinn glauben können, der Einarm sei Mädchenhändler! Wie gemein und abscheulich, daß ich die Rotlippige überfallen hatte, wie ein Strauchdieb, dreist und gewalttätig, die Edelmütige, die es verschmähte mich zu verraten! Wieder errötete ich, und spürte doch noch voll tiefer Genugtuung ihre Lippen süß auf den meinen. Und rot wie mein schamrotes Gesicht war feurig vor mir die Stadt, in der sinkenden Sonne glühend, und lichterspritzend sich spiegelnd im Fluß.

Zu Hause schlich ich auf den Zehenspitzen über den dämmernden Gang und in die Küche, und dort saß Anna, unser Mädchen, eine Schüssel auf den Knien, Bohnen säubernd und in Stücke schneidend, und ich legte den Zeigefinger Stillschweigen heischend auf die Lippen und winkte ihr, mir in ihre Kammer zu folgen. Den Riß im Ärmel sollte sie mir flicken, bat ich sie, jetzt gleich, daß man den Schaden nicht sofort entdecke. Später, bei gelegener Stunde, würde ich es meiner Mutter schon berichten, für heute war es genug, fand ich, ihre besorgten Fragen wegen der Schramme im Gesicht erdulden zu müssen. Ich zog den Rock aus und Anna holte ihr Nähzeug hervor und begann mit vorsichtigen, kleinen Stichen die Arbeit, nachdem sie vorher die Stecknadel, Helenes Stecknadel, aus dem Ärmel gezogen und in ein beinernes Büchschen zu anderem blinkend Spitzigen getan hatte. Ich saß auf der Kante ihres Bettes, von dem der Einarm so dunkelschwül Abscheuliches gesagt hatte, und sah ihr zu. Ich durchforschte der Nähenden Gesicht, ihre guten, stillen Züge, und wunderte mich, daß ich das ihr zugemutete Böse auch nur einen Augenblick lang hatte glauben können. Sie sah auf von der Arbeit und begegnete meinem prüfenden Spähen und hielt ein mit dem Gestichel und fragte: Warum schaust du mich so an? Ach! sagte ich, und streichelte mit der Hand, die ich auf dem Rücken verbarg, heimlich das Kopfkissen, ach! sagte ich, gleichgültig tuend, nur so, und mach' nur zu! Und sie nähte eifrig weiter, und Josef, der Zimmermann, der buntglänzende Josef auf dem Bild, schwang den Hobel, daß die Späne flogen.

Ich ging früh schlafen heute. Vor meinem Bett, dessen Decke weit und einladend zurückgeschlagen war, mit Sorgfalt verrichtete Anna das allabendlich, blieb ich eine Weile stehen, im langen, weißen Nachthemd, blieb stehen im Zimmer, in dem die letzte Tageshelle noch war, und in den Bäumen draußen rauschte es geisterhaft. Dann legte ich mich in das Bett, aber ich stellte mich umständlich und behutsam dabei an, glatt und faltenlos sollte das Leinentuch bleiben, auf den Rükken legte ich mich und zog straff und fest das Hemd bis an die Knöchel, und die Arme tat ich an den Leib und lag so, lang ausgestreckt, ohne mich zu rühren, und ohne die Decke über mich zu ziehen. Es war schön so, in dem frommen Leinen, das so gut roch, und friedlich war es und brav, und ich beschloß, die ganze Nacht so liegen zu bleiben, still auf dem Rücken, ohne Kissen und Tücher zu zerwühlen, wie ich es sonst gerne tat, am Morgen sah man's dann immer. Die Abendkühle drang durchs Fenster, ein leises Schaudern überlief mich, aber ich verharrte in meiner Stellung und faltete die Hände und horchte auf das Rauschen vorm Fenster und schloß die Augen und versuchte zu schlafen, trotz der ungewohnten Rückenlage, und ohne die wärmende Decke zu benutzen.

Im Entschlummern, halb träumend, sah ich hochschäftig und starr zu beiden Seiten meines Bettes weiße Lilien emporwachsen, bleich und keusch und schwanenhäuptig, und von dem Blumengitter umhegt schlief ich, des Traumes froh, tiefseufzend gänzlich dann ein. Als ich am andern Morgen erwachte, fand ich mich schwelgerisch geräkelt, und die Decke hatte ich bis ans Kinn gezogen, und Kissen und Tuch waren zerrüttelt, wie sonst auch immer.

Die Rettung

Man hatte sich in den letzten Jahren daran gewöhnt gehabt, daß einem auf Schritt und Tritt französische Soldaten begegneten, und es war ja auch so, wenn man seinem gewöhnlichen Tun nachging, und dieses Tun bestand darin, für sich und die Seinen Kleidung und Brot herbeizuschaffen, so wurde man durch die Besatzung nicht gestört. Wenn nun beim Anblick eines Franzosen, und das waren meist gutmütige und höfliche Menschen, gar nichts zu sagen gegen den einzelnen, wenn dann doch irgend etwas in einem sich verdunkelte, einen trüb machte, so war es nicht, weil sie einem den alltäglichen Ablauf des Lebens schwer machten, es war, daß ein paar Laute der fremden Sprache, im Straßengewühl aufklingend, zarte und mächtige Gefühle in einem verletzten, die, wenn man auch vermied sie mit volltönenden und hochtrabenden Namen zu benennen – hochtrabenden Worten zu mißtrauen hatte man gelernt – doch lebendig in jedem waren.

Als es dann aber feststand, daß die Besatzung abziehen würde, und als es dann endlich soweit war, daß die fremden Truppen sich nach Westen in Marsch setzten, ergriff Freude jedes Herz, und als die großen Feiern begannen, spürte man, daß gemeinsame Freude doppelte Freude ist, ja, daß, wenn Tausende sich mitfreuen, die Freude in einer beglückenden Weise sich vertausendfacht.

Alexander, ein vierzigjähriger Bankangestellter, hatte nicht geglaubt, daß er noch eines solchen Aufschwungs fähig sei, wie er ihn erlebte, als von einer tausendköpfigen Menge das Deutschlandlied angestimmt wurde. Er sang zuerst zögernd mit, dann merkte er, daß er merkwürdig unsicher auf seinen Beinen stand, als sei er betrunken, und dann drang mit großer Süßigkeit eine mächtige Woge von Liebe in sein Herz. Er sah mit Augen, in die er nur mit Aufbietung aller Kraft Tränen nicht eindringen ließ, von Gesicht zu Gesicht. Alle hatten rührend den Mund singend offen, vielen, die weniger Kraft hatten als er, vielen liefen die Tränen über die Wangen, und er sah, auch seine Frau, die neben ihm stand und die fünfjährige Tochter an der Hand hielt, weinte, und zum erstenmal wieder seit einem halben Jahr schob er seinen Arm in ihren Arm, und während sie den Kopf drehte und ihn ansah und zugleich sang, stürzten ihr die Tränen heftiger aus den Augen, ihre Augen strahlten, und fast tat's ihm weh, zu sehen, wie Glück und Hoffnung auf ihren Zügen lag.

Sie hatte ihn, seine Frau, und sie hatte es nach anfänglichem Verstummen nicht geleugnet, sie hatte ihn, seine Ehefrau, die Mutter seiner zwei Kinder, sie hatte ihn hintergangen, sie hatte ihn betrogen, sie hatte, wie klang das biblische Wort hart und grausam, sie hatte die Ehe gebrochen, war eine Ehebrecherin geworden. Und war das geworden nicht einmal aus großer, alles niederwerfender Leidenschaft für den anderen Mann, einer Aufwallung nur hatte sie nachgegeben, einer raschen Verlockung hatte sie nicht widerstanden, aus unbeherrschter Neugier nur, halb spielend, hatte sie es so getrieben, ihr selber jetzt unbegreiflich, hatte sie gesagt, und er hatte sie nach diesem Geständnis nicht auf die Straße gejagt, wie ihr das wohl gebührt hätte und wie er das im ersten zornigen Schmerz hatte tun wollen. Aber da war das kleine fünfjährige Mädchen, das jetzt singend neben ihm stand, und da war zu Hause noch ein dreijähriger Knabe, und denen wollte er die Mutter nicht nehmen, hatte er sich eingeredet, und vielleicht war es nur die Gewohnheit, die ihn bannte und lähmte, eine unedle Angst vor Veränderung, schimpfliche Trägheit, und, er konnte es nicht hindern, auch Mitleid mit ihr, und vielleicht auch das Gefühl, daß er oft nicht zärtlich und süß spielend genug mit ihr gewesen war, zu nüchtern fand er sich von je und ohne Schwung, und sie hatte das bißchen flittrigen Glanz, das Frauen wohl auch brauchen, und das er ihr nicht hatte gegeben, bei dem andern gesucht – und kurz und gut, sie waren zusammengeblieben, aber sie waren ohne Herzlichkeit zusammen, ohne Versöhnung.

Sie besorgte den Haushalt, und er lief in die Bank, um Geld zu verdienen und damit Wohnung und Kleidung und Nahrung für sich, für die Frau und die zwei Kinder sicherzustellen. So war sein Leben seit einem halben Jahr, freudlos des Tags und freudlos in der Nacht, und jetzt, in dieser Stunde, während das Deutschlandlied scholl, und er zum ersten Male wieder Arm in Arm mit seiner weinenden und singenden Frau stand, war es ihm, als sei es möglich, nicht, daß alles wieder wie früher wurde, das wohl nicht, aber daß alles wieder leidlich und erträglich werden könnte, und, wenn die Zeit verging, wenn Jahre dahingingen, alles ganz gut sogar wieder werden würde, und sie ihr Auskommen miteinander fänden, sich duldend in einer sanften und ruhigen Art. Es mischte sich in seinem Herzen jetzt in den Überschwall von Liebe, der in ihm wogte, auch ein wenig Liebe zu der Frau neben ihm, gespeist aus dem gekränkten, aber nicht erloschenen Gefühl zu ihr, und so sang er, taumelnd fast, das Lied mit den Tausenden um ihn zu Ende.

Auf dem Heimweg nahmen sie die fünfjährige Tochter in die Mitte und manchmal, wenn der Trubel zu arg wurde, hob Alexander das Mädchen auf seine Schulter. Es war vielleicht ein wenig unvorsichtig gewesen, das Kind mitzunehmen in das zu erwartende Gezerre und Gedrücke, in dem es gefährdet war, aber es hatte so sehr darum gebettelt, und dann, würde es nicht eine Erinnerung sein für das Kind, eine große Erinnerung, eine Erinnerung »für ewig« – er lächelte und verbesserte sich: »bis in seine alten Tage«, er lächelte wieder, das kleine Mädchen hier und sollte einmal eine alte Frau sein, es war nicht auszudenken! – aber würde es sich nicht noch als alte Frau an diesen Abend erinnern?

Sie kamen an die Brücke, es war eine Notbrücke, auf Booten schwimmend, und die Brücke war schmal, und so verstärkte sich das Gedränge. Alexander hatte die Tochter wieder auf die Schulter genommen, er spürte die kindlich mageren Arme um seinen Hals, er ging wieder Arm in Arm mit seiner Frau, die sich scheu an ihn drückte, nein, das nicht, das hätte sie nicht gewagt, die aber, wenn sie von den lachenden, erregten, freudigen Leuten gegen ihren Mann gepreßt wurde, nicht versuchte Abstand zu halten, die sich gern gegen ihn pressen ließ. Was sie nicht so bald getan hätten, was wenigstens sehr schwer gewesen wäre, sich wieder einander körperlich so nahe zu bringen, das besorgte die kupplerische Menge, und wie ein verschämtes Liebespaar spürten sie sich Hüfte an Hüfte, und oft auch Brust an Brust, wenn das Geschiebe sich staute und sie wie im Wirbel drehte.

Die Frau trug eine rote Mütze, die ihren Kopf eng umschloß, und sah jung und knabenhaft aus, und als sie wieder einmal stehenbleiben mußten, drückte er sanft seine Wange an das rauhe Mützentuch. Sie waren fast am Ende der Brücke angelangt, es war ganz finster, es brannte kein Licht auf der Brücke, nur von drüben funkelten die erleuchteten Fenster der Stadt, der Fluß rauschte herauf, da geschah etwas Unvermutetes, wie ein Schlag aus dem Dunkel herauf, wie es Alexander seit dem Krieg nicht mehr widerfahren war. Der Boden wankte, ein vielstimmiger Schrei erscholl, Alexander taumelte, aus dem Arm entglitt ihm die Frau, er stürzte, das Kind hielt er fest, und eisig brauste das Wasser um ihn zusammen. Aber er blieb klar in seinem Kopf, er tauchte auf, spürte seine Tochter umklammernd an seinem Hals, und er ließ sich abtreiben von dem brüllenden Knäuel um ihn, nahm schwimmend die Richtung zum Ufer, sah andere Schwimmer neben sich, und erreichte das Ufer. Er brachte das zitternde Mädchen, das, totenbleich, zu weinen vergaß, abseits und setzte es neben einem Strauch in das Gras.

Dann legte er den Rock ab, er war ein guter Schwimmer, und seine Frau konnte auch schwimmen, das gab ihm Zuversicht. Er warf sich wieder ins Wasser, noch immer gellten die Schreie. Er schwamm ein paar Stöße flußabwärts, spähte umher, da schimmerte etwas wie ein Fliegenpilz vor ihm, eine rote Mütze! Das ist sie! jubelte er, und sie war es, seine Frau. Sie war bewußtlos, schien es, aber er war noch rechtzeitig gekommen, sie zu retten, nur undeutlich sah er im Dunkel ihr bleiches Gesicht. Wie gut, dachte er, daß sie nicht blau und nicht grün ist, die Mütze, nur Rot leuchtet so. Er schob den linken Arm unter die Frau, sie rührte sich nicht, so brachte er sie ans Land, atemlos keuchend.

Er war am Ufer mit ihr, wo war sein Kind? Dort war es, er sah die schmale Gestalt, aufrecht sitzend, seltsam steif, dort saß sein Kind, gerettet, und zu Haus war ihm sein Knabe, und hier hielt er im Arm seine Frau. So trug er sie zusammen, die Seinen, es war ihm fast störend, daß sein Knabe nicht auch hier war, daß er daheim in der Wohnung war. Er hatte den Wunsch, sie alle hier beieinander zu haben, daß er jede Unbill fernhalten könne von ihnen, den dreien, und wie einem Tier fast war ihm zumute, das, wenn Gefahr ist, das Häuflein der Seinen knurrend und zähneweisend umkreist.

Er stand vor seiner Tochter jetzt, legte seine Frau neben sie, seine immer noch bewußtlose Frau, und das Kind griff mit der Hand nach dem Gesicht der Mutter, und neigte sich zu dem Gesicht der Mutter, und hielt sein Gesicht dicht über das Gesicht der Mutter, und dann richtete es sich wieder auf und sagte mit zarter Stimme: »Warum hast du nicht unsere Mutter gebracht? Hol' sie doch auch!«

Der Mann stürzte im Finstern auf die Knie, sah in das Gesicht der Frau unter der roten Mütze, sah im Dunkeln ein bleiches Gesicht, das aber nicht das Gesicht seiner Frau war, und eben jetzt schlug die Fremde die Augen auf und sah ihn mit einem langen verwirrten Blick an. Was in seinem, des Mannes Gesicht, alles sich abspiegelte, wer weiß das? Der Blick der fremden Geretteten wurde furchtsam, dann trat helles Entsetzen in ihre Augen, und dann schloß sie die Augen wieder und zitterte und seufzte und fiel wieder in ihre Bewußtlosigkeit zurück, zurück in das schützende Dunkel, in dem sie der wilde Blick ihres Retters nicht erreichen konnte.

Meine Frau ist noch im Fluß, sagte Alexander, und er stand wieder auf und ging langsam zum Fluß hin, und ein Zittern überlief ihn in den nassen Kleidern, und er sagte leise vor sich hin: Meine ehebrecherische Frau ist noch im Wasser, und wieder ein Schauer schüttelte ihn, und er sagte zornig: Warum verbirgt sie sich, die Ehebrecherin? Und die Überlegung kam ihm und erfüllte ihn mit wilder Wut, daß sie sich vielleicht nicht genug wehrte gegen die Gewalt des Wassers und sich davon machen wollte auf billige Weise, ehe alles zwischen ihnen geregelt war. Aber sie soll mir nicht entkommen! sagte er, und da stand er schon am Fluß, und so kann das Ende nicht sein! sagte er – und alles war ihm wie im Traum, und wie träumend sprang er wieder ins Wasser, das sich kalt um ihn schloß.

Als eine halbe Stunde später die ersten Rettungsmannschaften mit Lichtern und Tragbahren und Verbandzeug an der Unglücksstätte erschienen und mit ihrem Hilfsdienst begannen, fanden sie am Ufer sitzend auch ein zitterndes, frierendes Mädchen neben seiner bewußtlosen Mutter, und schafften beide, Mutter und Kind, ins Krankenhaus, wo man sie in zwei nebeneinanderstehende Betten legte. Die Krankenhausschwester glaubte, das Kind fiebere, als es sagte, die Frau im Nebenbett sei gar nicht seine Mutter, und der Vater sei gegangen, die Mutter aus dem Wasser zu holen. Aber das Kind fieberte gar nicht, das Kind hatte recht, und die Frau erwachte dann aus ihrer Bewußtlosigkeit und sagte auch, das Kind da neben ihr sei nicht ihr Kind. Ihre Kinder seien bei ihrem kranken Mann zu Hause, sagte sie, die Gerettete, und richtete sich stolz im Bett auf, die habe sie klüglicherweise gar nicht mitgenommen zur Befreiungsfeier, gegen den Willen ihres unbesonnenen Mannes habe sie das durchgesetzt, und nun sehe man, wie richtig planend das von ihr gewesen sei, und sie danke dem Schicksal, das sie vor bösem Leichtsinn bewahrt habe. Das hätte sie sich nie verziehen, sagte sie befriedigt, die vermessen Hochmütige, und atmete tief und glücklich, wenn sie eins der süßen Dinger hätte verlieren müssen beim Brückeneinsturz, unter so schrecklichen Umständen, und nur, weil sie nicht mutterschlau vorsehend genug gewesen wäre. Wie sie ans Land gekommen sei, wisse sie nicht, sagte sie, und legte sich wieder in die Kissen zurück: sie hatte vergessen, daß sie schon einmal aus ihrer Ohnmacht erwacht gewesen war, und daß nur der wilde Blick eines fremden Mannes sie wieder in die bergende Tiefe zurückgejagt hatte.

In einem Manne und einer Frau, die nebeneinander aufgebahrt lagen, und die, wie die Rettungsmannschaft berichtete, eng umschlungen und tot aus dem Fluß gezogen worden waren, erkannte das Kind Vater und Mutter. Die Mutter trug eine rote Mütze und hatte einen zufriedenen Ausdruck um den Mund. Die Ehebrecherin hatte sich vielleicht doch gefreut, ihrem Mann noch wert genug gewesen zu sein, daß er sie mit Gefahr seines Lebens zu retten versucht hatte. Und sie hatte sich wohl zu zärtlich und zu eng und zu verliebt an ihn geschmiegt, als sein Arm im Wasser sie herrisch umfaßte, ungestüm und zornig fordernd, voll einer leidenschaftlich verlangenden Heftigkeit, die sie nie zuvor an ihm gespürt zu haben vermeinte, und so waren sie ertrunken in einer letzten Umarmung. Daher kam vielleicht ihr freudvolles Gesicht, vielleicht war es aber auch nur, daß ihre Züge sich, wie die der meisten Menschen, im Tod wohlig entspannt hatten, weil jeder und jede, so scheint's, zuletzt doch gern von dieser unbegreiflichen Erde sich fortmacht.

So also lag die Frau, verliebt und zufrieden lächelnd, und neben ihr der Mann, ihr Ehemann, der Vater ihrer Kinder, zeigte ein freundlich-gleichgültiges Gesicht, das Feierabendgesicht eines Menschen, der das Seine und genug und mehr als genug getan hat, und für den Ausgang ist er nicht verantwortlich.

Der Kinder, Doppelwaisen waren sie ja nun, wartete das Waisenhaus oder sie kamen zu Verwandten, der Knabe und das Mädchen, aber gleichviel, ihr Leben begann, sie hatten es vor sich, im Guten und im Schlechten, sie hatten es vor sich und hatten es zu Ende zu bringen, so oder so, wie alle Menschen ihr Leben zu Ende bringen müssen, wie es ihre Eltern schon zu Ende gebracht hatten – wer wollte da wohl überflüssiges Mitleid mit ihnen haben?

Die Wallfahrt

Frau Klara Mutschlechner, die Frau des Doktors Josef Mutschlechner, der Bezirksarzt war in einem Marktflecken Tirols, nicht weit von Innsbruck, nahm am zweiten Tag die Wallfahrt schon sehr zeitig wieder auf. Vor dem Dorfwirtshaus, in dem sie übernachtet hatte, trank sie in der dunstig-hellen Frühe stehend ein Glas warmer Milch, von einer unausgeschlafenen Magd mürrisch dargereicht, und aß ein Stück Schwarzbrot dazu, und während sie langsam aß und trank, und die getigerte Hauskatze, die auf lautlosen Pfoten herangekommen war, schmeichelnd um ihre Füße spielte, ging ihr Blick prüfend über den Himmel, an dem das Licht schon mächtig und mächtiger wurde. Dann zahlte sie und stellte das leere Glas auf das Fensterbrett. Das frühe Mahl würde nun vorhalten müssen bis zum Abend, bedachte sie; denn bis zum Abend, an dem sie in Altenweh, dem Ziel ihrer hilfesuchenden Wanderung eingetroffen sein würde, wollte sie ein freiwilliges Fasten auf sich nehmen, wollte bis zum Abend nur mehr gehen und beten.

Doch während des Gehens und Betens, mit dem sie nun sogleich begann, nachdem sie sich noch einmal zu dem schnurrenden Tier gebückt hatte, schweiften die Gedanken immer wieder ab von dem frommen Sinn der Worte, die ihre Lippen sagten, und wandten sich in schwerer Sorge den beiden Töchtern zu, sich mit ihnen zu beschäftigen, mit ihnen, derentwegen sie die Wallfahrt unternommen hatte.

Ehe Frau Klara die Zustimmung ihres Eheherrn erhalten hatte zu dem Vorhaben, ihren Kummer vor die wundertätige Mutter Gottes von Altenweil zu tragen, hatte sie ihm lang mit hartnäckigen Bitten im Ohr liegen müssen. Der fröhliche, gutherzige Mann, allzeit zu Späßen aufgelegt, war nicht so bekümmert gewesen über die abermalige, die zweite Heimkehr seiner Töchter, wie sie, seine schwersinnige Frau, die ihn drängte, zu tun, was er gar nicht gern tat, zum mindesten nicht gleich und auf der Stelle zu tun entschlossen war: die Töchter nämlich, leidenschaftliche, zärtliche Mädchen, die wiederzuhaben er sich unsäglich freute, dorthin zurückzuschicken, woher sie nun schon zum zweitenmal und ungerufen gekommen waren. Zurück nach Brixen sollten sie! wollte die Mutter mit Strenge, sofort zurück nach Brixen! in das elterliche Haus ihrer künftigen Männer, wohin sie eingeladen worden waren, um einen Vorgeschmack zu bekommen von dem Leben, in das sie sich später einmal, und das hieß: bald schon, zu finden hatten.

Die beiden Mädchen, Zwillingsschwestern, Angelika und Agnes, schöngesichtig und von hohem Wuchs wie die Mutter – wie hatten sie gejubelt in Stolz und Glück, dagegen der Abschiedsschmerz sich nicht durchsetzte, daß es den Eltern wehgetan hatte fast, als sie, von den künftigen Männern geleitet, zur Fahrt über das Gebirge sich aufmachten, über die Grenze, in das Land, das ihre neue Heimat werden sollte, das fremder Herrschaft unterstand seit kurzem, nach unglücklich verlaufenem Krieg, dessen Menschen aber nicht andere geworden waren, weil die Fahnen, die über ihnen flatterten, die Farben gewechselt hatten. Traurig waren die Eltern zurückgeblieben im töchterleeren Haus, kein Frauenlachen tönte mehr und Röckerauschen und Tuscheln und Tirilieren. Aber dann, nach vierzehn Tagen schon, war die Tür aufgeflogen und die beiden Mädchen, Angelika und Agnes, waren hereingestürmt und hatten gejauchzt und geschluchzt, und der Vater hatte schallend dazwischen gelacht, wie schon lang nicht mehr, im fröhlichen Baß, der grauhaarige Unbedachte.

Als es ans Erzählen ging dann, und die Mädchen zu berichten wußten, wie gut sie es gehabt hatten dort in der Fremde, die so fremd doch nicht war, die gleichen Berge standen hier wie dort, und rühmen mußten, wie die künftigen Schwiegereltern sie verwöhnt hatten, nachsichtig und geduldig, und errötend priesen, daß ihre Verlobten gar, die Guten, sie auf Händen getragen, begriffen sie selber nicht mehr recht, warum denn sie geflohen waren, kopflos wie scheugewordene junge Pferde, und schämten sich, dem Heimweh so kleinmütig nachgegeben zu haben. Und sie waren ja voll Liebe für die erwählten Männer, und bessere wußten sie nicht zu denken, und so waren sie denn nach einer Woche schon wieder abgereist, nach Süden, über das Gebirge, ins fremd-vertraute Land, zu den Geliebten, die ihnen Briefe geschickt hatten, nicht voll von Vorwürfen, so berechtigt die gewesen wären, nur voll von zärtlichen Bitten und lustigen Verspottungen, und auch manch kräftiges Wort stand in den Briefen, das sie an Liebesschwur und Treuebeteuerung mahnte.

Die Ruhe im Doktorhaus hatte nicht allzulang gedauert. Denn einige Wochen später waren die Mädchen schon wieder und zum zweitenmal, von Heimweh getrieben, zurückgekehrt, und diesmal, sagten sie, wollten sie für immer im Vaterhaus bleiben, dessen Luft zu atmen sie nicht entbehren konnten, und Vater und Mutter wollten sie nicht missen, erklärten sie, und den Verlobten in der Ferne, denen ihr Herz immer noch gehörte, wollten sie bis zum Tode liebend ergeben sein, die Treue ihnen halten bis ans Ende der Tage, aber zu leben, vermeinten sie, zu leben vermochten sie nicht da unten. Sie hingen am Hals des Vaters und sahen ihn mit nassen Augen bittend an, und der hatte nicht die Stärke, sie von sich abzuwehren mit strengem Wort und auf den Weg zu weisen, der zu der Töchter Glück führte, vielleicht, nach menschlichem Ermessen, wenn es denn schon wahr sein soll, daß es der Frauen Glück ist, Vater und Mutter zu verlassen, um dem Manne anzuhangen.

Von den Verlobten waren wieder Briefe gekommen, zwei Briefe nur diesmal, an Angelika einer und einer an Agnes, und in jedem stand mit verschiedenen Worten das gleiche. Die Männer verlangten beide mit leidenschaftlicher Strenge, was sie verlangen durften, die sofortige Rückkehr der Bräute und baldige Hochzeit, die bei ihnen, im fremden Land, ausgerichtet werden sollte, und die Mädchen würden nun nichts mehr von ihnen hören, so schrieben sie, die Erbitterten und Gekränkten, es sei denn, daß sie sich die Verzeihung bei ihnen selber holten.

Fröhlicher war es nicht geworden im Doktorhaus, seit die Töchter dorthin zurückgekehrt waren. Die Mutter ging mit ernsthaftem Gesicht herum und sprach wenig, die Mädchen waren scheu und hatten verweinte Augen und schrieben Briefe, auf die sie keine Antwort bekamen, und hatten Sehnsucht, die Wankelmütigen, in der liebenden Verwirrung ihrer zwiespältigen Herzen. Und wenn sie das Haus verließen, zu einem Spaziergang oder einer Besorgung oder um nach der Post auszuschauen, gleich kam Frau Klara zu ihrem Mann in die Stube, groß und schön, daß es ihn immer noch verlegen machte wie seit jeher schon, kam herein, leicht vor ihm errötend, denn das wieder war es, was sie sich nicht hatte abgewöhnen können in all den Jahren ihrer Ehe, und bat ihn, sie eine Wallfahrt tun zu lassen zum Gnadenbild nach Altenweil, daß mit Gottes Hilfe das Herz der Mädchen stark genug würde, sich zu entscheiden. Er hatte ihr es bisher immer abgeschlagen und hatte sorgend gemeint, daß den Plan auszuführen zu anstrengend sei für sie, die, wenn sie auch hochgewachsen und stattlich anzusehen, doch von leicht zu erschütternder Gesundheit war, zarter und anfälliger, als sie es sich selber gern eingestand. Aber dann hatte er ihrem Drängen doch nachgegeben, der gutmütige Spötter, der nach der Art der Männer seines Berufs nicht recht an Außerirdisches zu glauben vermochte, und hatte es ihr erlaubt, und hatte vom Zweck ihrer Reise gesagt: nützt es nicht, so schadet es nicht, und dergleichen Redensarten mehr getan, und hatte die Brille abgenommen, mit unbewehrten Augen lustig sie anzuzwinkern, der alte Fuchs, überlegen und besserwissend.

Und auch die Töchter, in allem dem Vater ja mehr nachgeraten als der Mutter, so ähnlich sie der sahen, daß man sie alle drei für Schwestern halten mochte, auch die Töchter hatten nur ein gerührtes Lächeln für die wohlmeinende Absicht der frommen Frau. Aber die weißen, faltenlosen Stirnen, hinter denen die Gedanken kraus liefen, hatten sie doch nach alter Sitte, wie sie es gewohnt waren aus der Kinderzeit, der Mutter beim Abschied hingehalten, daß die ein Kreuz darauf zeichne. Das hatte sie getan, und war dann aufgebrochen zu dem Bittgang, und war nun schon den zweiten Tag unterwegs.

Die Morgenstunden dieses zweiten Tages waren dunstfrei und glasklar. Weiß glänzte im Licht die Straße, die neben dem Gebirgsfluß dahinlief, grau färbten sich Schuhe und Rocksaum der Wallfahrerin, und die Sonne, obwohl es schon September war, brannte heiß herab wie im Hochsommer. Die Weiden hingen ihre silbergrauen Fahnen schleppend ins Wasser, und als es Mittag geworden war, stand der blaue Himmel wie zitternd über dem Land. Kein Wasservogel warf sich hoch aus dem niedern Ufergestrüpp, kein Singvogel aus dem Wald jenseits des Flusses und kein weißer Wolkenball stieg vom Gebirge hoch, im Blauen lustig zu treiben. Er blieb leer, der sonneflirrende Himmel, über dem Fluß und den Wäldern und Hügeln und der betenden, wandernden Frau.

Der Weg verließ dann den Fluß, der wildschäumend durch eine Felsschlucht sich wühlte, der sanftere Weg machte lieber eine ausbiegende Schleife, senkte sich in ein breites Tal hinab, in dem Kühe weideten, tieftönend klangen ihre Halsglocken her. In halber Höhe dann lief er auf einem Hang dahin, und weil eine grüne Wiesenmulde, wie eine Schüssel gewölbt, zum Bleiben lockte, setzte sich die müde Frau, eine kurze Rast im Schatten zu halten nach dem langen Marsch, den sie nun schon hinter sich hatte, und sich zu stärken für die Mühe des Wegs, der noch vor ihr lag.

Sie war wohl ein wenig eingeschlummert, kein richtiger Schlaf war es, der sie umfing, nur so ein träumendes Dahindämmern, aber als sie daraus auffuhr, war die Sonne ein Stück weiter gerückt, oben am Himmel, und die grüne Grasschüssel war mit ihrem Licht randvoll angefüllt. Die Kuhglocken klangen sanft und vertraut her zu ihr, ganz wie im Heimattal, in dem das Doktorhaus stand. Die Füße taten ihr weh von den beiden Marschtagen, und ein wenig matt fühlte sie sich, das kam vom Fasten, denn gestern und heute hatte sie zu Mittag nichts gegessen, das gehörte zu ihrem Wallfahrtsgelübde. Und die Jüngste war sie doch auch nicht mehr, kam ihr plötzlich in den Sinn, zwei erwachsene Töchter hatte sie schon, sollte man sich da nicht alt fühlen dürfen? Sie bedachte, wie das wohl sein mußte, wenn man einst greisenhaft war, verrunzelt das Gesicht und krumm der Rücken! In der Sonne dann sitzen und ihre Stärke spüren, das wird man auch im Alter noch können, überlegte sie, und wenn man taub wird für das Menschenwort, daß es gleichgültig ist, in welcher Sprache man zu einem redet, man versteht keine mehr, der Schall der Glocken wird dann noch zu einem dringen! Und wenn die Augen auch schwach werden, so weit wird es immer noch reichen, daß man über ein Stück Wiese hinsehen kann, wie das so groß, das da vor ihr lag! Und dieses Wenige, dessen man im Alter noch bedurfte, war es nicht so, daß es überall zu haben war, diesseits und jenseits des Gebirges? Und es sollten die Töchter, die flattersinnigen, doch nicht in die Wüste gehen, wo kein Gras wächst, und nicht in die Türkei, wo keine Glocken läuten, inmitten der Berge sollten sie bleiben, wie je und eh.

Frau Klara hatte sich erhoben und sah zu dem blauen Gebirge hin, das gezackt und großmächtig aufgetürmt zu ihrer Rechten sich hinzog, mit weißen Schneehäuptern und grauglänzenden Wänden. Was alles das Leben einem auferlegte! sann sie, das unbegreifliche Leben, das einen dazu brachte, zu erbitten, was Schmerz zufügte! Und fast wär' ein wenig Bitternis aufgestiegen gegen ihren bubenhaften, graubärtigen Mann, den immer Unbedenklichen, nur in der Gegenwart Lebenden, der sich's auch jetzt und hier wieder leicht machen wollte und gerne noch lange seine Töchter um sich gehabt hätte, ungedenk, wie es enden mochte für die. Aber die Anhänglichkeit der Mädchen an die Eltern mußte niederbrennen zu einer sanften Glut, sollte anders stark auffahren in ihnen das Feuer der beständigen Liebe zu ihren künftigen Männern. Und nun war schon wieder verebbt ihr weniger Groll gegen den herzensguten Mann, da sie zurückdachte an die Zeit, da sie ihm gefolgt war, dem damals Schlanken und Bartlosen, und wie sie ein Leben gelebt hatte neben ihm, mit manchem Glück und manchem Schmerz, und manchem frierend Alleinsein, denn auch daran hatte es nicht gefehlt, aber es war doch schön und richtig und gut gewesen, nehmt alles nur in allem, und auch der Kummer hatte dazu gehört, wie der Schatten zum Licht. Nun mußten sie, die beiden Altgewordenen, zurückbleiben im leeren Haus, sie mußten sich abfinden damit, die Ergrauenden, andern Eltern erging es nicht anders, so war das nun schon, und wie von einem mächtigen Glanz erfüllt war sie plötzlich von der Zuversicht, daß ihre Wallfahrt alles zu einem guten Ende bringen werde, und betend machte sie sich wieder auf den Weg.

Die Straße zog sich langsam wieder zur Höhe und erreichte einen mit spärlichem Grün bewachsenen Buckel, und da lag wieder der Fluß vor ihr, noch tief unter ihr, und die Straße, die zu ihm strebte, mußte zuerst einen Wald durchqueren, der hangabwärts sich breitete, ehe sie auf den Fluß dann stieß und die Brücke. Die Wallfahrerin begann den leichten Abstieg und freute sich der Kühle, die der Wald herhauchte, und eine Zeitlang noch überblickte sie den Fluß, der in seinem zu großen Bett grün und milchig schäumend daherkam, und sah die Holzbrücke silbergrau glänzen, eine schmale Holzbrücke, die wie auf hohen Storchenbeinen durchs seichte Wasser watete, jetzt im Spätsommer, wo überall aus dem Strömenden die weißen Kiesinseln aufblitzten – im Herbst wohl, wenn die Regen einsetzten, mochte es anders aussehen.

Bald nahm der Wald die wandernde Frau auf, in seiner grünen Dämmerung schritt sie dahin, braungemorschte Nadeln bedeckten den Weg, geschuppte Zapfen lagen herum, und Tannen und Fichten ragten neben feierlich sich breitenden Buchen, und eine kühle Stille schwebte bis zu den hohen Blattgewölben hinauf. Und da war auch schon wieder der Fluß! Er war da, obwohl man ihn nicht sah, aber man vernahm sein leises Rauschen, das in die Ruhe des Waldes hereinschwätzte, und auch die Brücke war da, so wenig zu sehen wie der Fluß zu sehen war, aber es war zu hören, wie sie ächzte und trocken stöhnte unter einem Wagen, der dumpf über sie polterte.

Nun blieb sie, zusammenfahrend, plötzlich stehen, die Wallfahrerin, und sah sich erschreckt um im Wald, und drehte sich ganz um sich selber und spähte und horchte mit angehaltenem Atem: was da mit gefährlich klingendem Schmettern soeben gebrochen war, das mußte wohl der Ast eines mächtigen Baumes gewesen sein, mit Donnern herabfahrend aus seiner Höhe, prasselnd durch niedriges Gezweig. Aber nichts war zu sehen, kein Wipfel schwankte und kein Farnkraut wippte, und wieder stumm lag der Wald. Jetzt schlugen Stimmen an das Ohr der Lauschenden, eine fluchende Männerstimme und die jammernde einer Frau, und das Räderrollen des Wagens auf der Brücke war nicht mehr zu hören, und da fiel ihr ein, daß auf der Brücke vielleicht ein Unglück geschehen sein mochte, auf der alten Brücke aus grauem Holz, die sie von der Höhe aus gesehen hatte, und im morschen Gebälk bricht eher etwas als am grünen Baum. Und nun fing sie zu laufen an, mit wehenden Röcken, und ihre Schuhe rutschten auf den Nadeln, daß sie bald gefallen wäre, und war am Waldrand, und sah den Fluß herblitzen, und sah in der Helle draußen die hochbeinig watende Brücke, die stand also noch.

Das Befahren der Brücke war schon vor Wochen verboten worden, eine Tafel zeigte es an, und der Mann, der die Pferde am Zügel hielt, auf die Brücke einschimpfte, mit zorngerötetem Gesicht sie einen unbrauchbaren, wackligen Kasten schalt, der an allem die Schuld trage, der hatte Zeit sparen wollen und den Umweg über die neue Brücke gescheut, die weiter oben über den Fluß führte, und hatte es noch einmal gewagt mit der alten. Es war auch soweit alles gut gegangen, und die Pferde hatten schon den Uferboden unter sich gehabt, als der äußerste der hölzernen Pfeiler in die Knie brach, und der Brückenboden hatte sich einseitig etwas gesenkt, und der Wagen hatte an der Deichsel zu tanzen begonnen und dann wuchtig gegen das Geländer ausgeschlagen, das hellkrachend gesplittert war. Das Mädchen neben ihm am Wagensitz, seine Begleiterin, war ins Taumeln gekommen, hatte vergeblich sich noch anzuklammern versucht, und er hatte nicht auf sie geachtet, weil er mit den unruhig tretenden Pferden, die am Zügel rissen, zu tun hatte, und so war sie gestürzt und ins Wasser gefallen. Und sie hätte nicht so jammernd dazustehen brauchen im niederen Wasser, das kaum kniehoch, und dessen Strömung hier so gering war, daß ihre Füße den Boden nicht verlieren konnten, wenn auch der weite Rock um ihre Hüften sich blähte, und sie nicht sehen konnte, wohin sie trat, und das Ufer winkte kaum zwei Armlängen von ihr entfernt. Nun war die Wallfahrerin schon herangekommen und tat, was der sinnlos scheltende Mann, dessen silberne Westenknöpfe blitzten, nicht tat: sie streckte dem Mädchen am Fluß eine Hand entgegen, ihr zu helfen.

Die Gestürzte tat zwei, drei zögernde Schritte, mit ängstlichen Augen blickend, griff hastig nach der rettenden Hand, klammerte sich fest daran, mit ihrem ganzen Gewicht, und mit den Füßen gab sie, unbesonnen wie sie war, den Boden auf und wollte aus dem Nassen gezogen sein wie ein Fisch, der am Haken hängt. Aber der Ruck war zu mächtig gewesen, jetzt verlor die Retterin selber den Halt, und dem eigenen Fall geschickt zuvorkommend, sprang sie freiwillig ins Wasser und stand auf sicheren Beinen und richtete das Mädchen auf, das nun einen Augenblick lang ganz und gar untergetaucht gewesen war, das Wasser troff ihr über das entsetzte Gesicht, und sie lachte, die Retterin, ermunternd, und das Mädchen stützend und führend, erreichte sie mit ihr das Ufer.

Der Mann mit den Silberknöpfen an der Weste schien nicht übel Lust zu haben, seine Verdrossenheit, der er zuerst einmal mit Schimpfen über den baufälligen Zustand der Brücke Luft gemacht hatte, nun das Mädchen entgelten zu lassen, denn er funkelte es mit seinen schwarzen Augen an und knurrte: Wie kann man sich so dumm anstellen? und er drehte den Kopf voll Verachtung, die Augenbrauen hochziehend. Dein Sonntagsstaat ist verdorben! sagte er, und faßte heftig den nassen Rock des Mädchens, und schüttelte ihn, daß die Tropfen flogen, und: Die Weiberleut! wunderte er sich mit Geringschätzung. Steig' auf! sagte er dann böse zu dem Mädchen, und das senkte das hübsche, kindliche Gesicht demütig und kletterte gehorsam auf den Bock, und das feuchte Gewand glänzte.

Sie seien in der Stadt gewesen, erzählte der Mann der Frau und wurde auf einmal ganz höflich, und nahm den runden grünen Hut ab, der mit einer Spielhahnfeder geschmückt war, und hielt ihn vor die Brust, wegen ihrer Hochzeit, sagte er, die in drei Tagen stattfinde, und sie hätten alles zur Zufriedenheit erledigt so weit, und jetzt führen sie heim, und in einer halben Stunde seien sie zu Haus, wenn nicht die da oben, und er wies mit dem Daumen auf das Mädchen am Bock, ohne hinzusehen, wenn nicht die da oben vorher nochmal ins Wasser fiele, denn sie müßten über noch eine Brücke. Dann setzte er den Hut auf und zwirbelte das schwarze Schnurrbärtchen, nahm seinen Platz neben dem Mädchen ein, das sich ganz schmal machte. Grüß Gott! sagte er, und sah zur Brücke hin, und: So ein Glump! sagte er, und schnalzte mit der Zunge, und die Feder auf seinem Hut wehte, und die Pferde zogen an und der Wagen rollte davon. Der Silberbeknöpfte sah sich nicht mehr um, eigensinnig steifte er das Genick, das Mädchen doch wendete sich noch einmal und winkte dankbar mit der Hand zurück, aber mit einem Stoß der Schulter gab ihr der Bräutigam zu verstehen, daß sie das zu unterlassen habe.

Frau Klara stand noch eine Weile, bis der Wagen hinter einem Wäldchen verschwunden war, und ein scharfer Peitschenknall drang noch einmal zu ihr her. Dann setzte sie sich an der Flußböschung nieder, neben einem üppig wuchernden Brennesselbusch, dessen grau bestaubte Blätter dunkel gesprenkelt waren von dem zornigen Tropfenregen aus den geschüttelten Röcken der Braut. Sie zog die nassen Strümpfe aus und wand sie aus, und auch aus dem Rocksaum, den sie auspreßte, troff das Wasser, und schlüpfte barfuß wieder in die Schuhe und setzte ihren Weg fort, und die Strümpfe schwang sie durch die Luft, sie zu trocknen. Sie ging im nun schon matten Schein der Sonne dahin, ein Frösteln überlief sie, sie schritt rascher aus und kam bald an die neue Brücke, auf der sie den Fluß überquerte. Sie hatte noch fast drei Stunden zu gehen nach Altenweil, las sie an einer Wegtafel, und so würde es wohl fast finster geworden sein, bis sie dort ankam.

Wieder stieg der Weg in behaglichen Windungen einen Hügel empor und über den schon abendschwarzen Wald hinweg sah sie den mattglänzenden Fluß ruhig dahinziehen. Sie war nun schon recht müde und fror auch, und ein paarmal kam sie in Versuchung zu rasten, aber das erlaubte sie sich nicht, zu spät sonst würde sie in Altenweil eintreffen, und sie mußte doch heute noch ihre Knie vor dem Gnadenbild beugen. Immer neue Schleifen zog der Weg und stieg auf und stieg ab, der es so eilig nicht hatte wie die wandernde Frau, und mit Kummer sah sie ihn immer wieder weit vor ihr sich krümmen und lustig laufen, den ruhelos Übermütigen. Sie fror sehr, und dabei glühte ihr Gesicht, und ihre Hände flogen, und sie ging wie im Traum, und zu beten hatte sie längst aufgehört, die ganze Inbrunst ihrer Bitten wollte sie aufspeichern bis sie der Gnadenmutter ins Gesicht sehen konnte.

Durch einige Ortschaften war sie gekommen. Es war schon abendlich still geworden, und die Leute saßen auf den Bänken vor den Häusern, friedlich nebeneinander, Männer und Frauen, ihr Tagwerk war getan, ihre Hände feierten, und manche der Sitzenden grüßten freundlich die Gehende, die noch nicht Ruhe gefunden hatte. Und als einmal eine Bäuerin im Kopftuch sich erhob, gerade als die späte Bestaubte an ihr vorbeischritt, da hatte es der Erschöpften geschienen, die Frau sei aufgestanden, ihr Platz zu machen, und mit einer einladenden Handbewegung habe sie auf die Lücke gedeutet, die zwischen den Sitzenden jetzt war, und die Wandermüde hatte schon einen raschen und freudigen Schritt zur Bank hin getan, aber trotz des Fiebers, das sie heftig schüttelte, war noch so viel Besinnung in ihr, im letzten Augenblick zu erkennen, daß es nur eine Täuschung war, mit deren Hilfe ihr ermatteter Körper sich eine Rast erlisten wollte. Und so war sie weitergegangen, immer weiter, mit schon wankenden Beinen, auf dem Weg, der nach Altenweil führte, und wenn sie ihm nur tapfer folgte, mußte sie bald nun dort sein, endlich. Und unter einem Lächeln fast mußte sie ihres Mannes gedenken, des so leicht Nachgebenden, der, sähe er sie jetzt, sie würde getadelt haben, daß sie die Wallfahrt nicht längst schon hatte abgebrochen, aber sie wußte, nur wer unter Mühsal ausharrt, wird belohnt werden von ihr, die im Dämmrigen thronte, der Mutter mit den sieben Schwertern im Herzen. Ihr Ohr würde sie neigen, die in Schmerzen Schimmernde, die Gnädige, ihrem Flehen, und erbitten und erflehen wollte sie doch nicht Gutes und Angenehmes für sich und ihren Mann, wollte erbitten und erflehen nur, daß ihr und ihrem Mann das Leid nicht erspart bleibe, die geliebten Töchter an die fremde Welt zu verlieren. So ging sie, und ging, und es wollte nun schon fast Nacht werden, und da, als der Weg sich wieder einmal senkte, da sah sie fern Lichter blitzen, das war Altenweil, und dort harrte ihrer die strahlend Bekrönte. Sie fing, die Taumelnde, zu laufen an, daß der Staub um sie stieg, aber sie lief nicht lange, lange leisteten es die zitternden Beine nicht, sie ging wieder im Schritt, und der Kopf tat ihr weh, und vor ihren Augen zuckte es unruhig wie Feuer. Endlich! sagte sie mit trockenen Lippen, endlich! und blickte zufrieden auf den Weg, der nicht mehr so mit Schleifen und Biegungen herumtat und sich wichtig machte, wie so oft schon heut', der pfeilgerade auf die Ortschaft losging. Sie begann zu beten, betend wollte sie vor die Gewaltige hintreten, und sie roch schon den süßen Weihrauch und sah in weißen Wolken ihn schweben, aber das war der Staub, der sich um sie erhob, und sah die Kerzen brennen vor dem Altar, viele rote Kerzen waren es, und die Flämmchen zuckten, und in ihrem Schein sah sie die steinbesetzten Griffe der Schwerter funkeln, die der Himmlischen ins Herz drangen. Sie vermeinte die Schmerzen zu spüren, in der eigenen Brust, und griff an die eigene Brust, die weh tat, so weh, und dann sah sie zwischen den Kerzen das Gesicht der Gnadentäterin, das lächelte, trotz der sieben Wunden, sah ihr weißes, süßes Gesicht mit den roten Wangen und dem runden, vollen Kinn, und sah die schwarzen Augen, die waren sanft und brennend zugleich, und das Gesicht neigte sich gegen sie, fragend, und da fiel die Wallfahrerin nieder auf die Knie, mitten auf der Straße, daß der Staub aufflog um sie, wirbelnd, und stammelte ihre Bitte und redete von ihren Töchtern, von Agnes und Angelika, den guten Kindern, und von den wankelmütigen Herzen, die sie in der Brust trugen beide. Das Gesicht zwischen den Kerzen schien sich streng zu straffen, und wurde dann wieder milder, und dann war es nur mehr undeutlich zu sehen, der Weihrauch wallte in silbernen Ringen, nur die Kerzen schimmerten noch hindurch, gelb leuchtend. Die Flammen begannen zu schwirren, wie flügelnde Bienen, und summten auch, und flogen in goldenen Schleifen, und von dem holden Antlitz war nun fast nichts mehr zu erkennen, nur die Schwertgriffe blitzten grausam, und die Beterin auf den Knien streckte flehend die Arme und sagte: Hilf! und fiel mit vorgestreckten Armen, fiel auf die Straße hin, fiel aufs Gesicht, und lag mit Gesicht und Händen im Staub, und blieb so liegen.

Es war wirklich Altenweil gewesen, der Marktflecken und Gnadenort, den die Wallfahrerin vor sich erblickt hatte mit glänzenden Lichtern, das ersehnte Ziel ihrer frommen Reise, in das gehend und betend einzuziehen ihr nicht mehr hatte vergönnt sein sollen. Man hatte die Ohnmächtige noch am Abend gefunden, auf der Straße lang hingestreckt, grau beschmiert Hände und Gesicht und die Kleider beschmutzt, und hatte sie in das Krankenhaus des Ortes geschafft, schwer fiebernd, und im Fieber wirr betend und redend. Die Nacht und den folgenden Tag hindurch lag sie ohne Bewußtsein im Bett, in einem freundlichen, hellen Zimmer, dessen Boden spiegelte vor Sauberkeit, und ein Schrank glänzte leuchtend braun, und blühweiß war der Vorhang am Fenster. Aber das alles sah sie nicht, weil sie die Augen nicht ein einzigesmal auftat, und daß man die alte Kuckucksuhr, die an der Wand hing, abgestellt hatte, damit der Schlag des hölzernen Vogels die Ruhe nicht störe der Hingesunkenen, war wohl überflüssig, ihr Schlaf war so fest, daß auch der schmetterndste Ruf nicht an ihr Ohr gedrungen wäre. Und die schwarze, schweigende Nonne war gekommen, in raschelnder, weißer Haube, und hatte eine Schüssel warmen Wassers gebracht und auf den Stuhl neben das Bett gestellt. Dann hatte sie ein wenig die Decke am unteren Ende des Bettes aufgeschlagen und einen Lappen in das Wasser getaucht und begonnen, die Füße der Kranken zu säubern, die staubig waren von dem langen Wallfahrerweg, und sie war ja barfüßig in den Schuhen gewesen, die besinnungslose Frau. Mit Bedacht und gründlich tat die Krankenschwester ihre Arbeit, wusch und rieb leise, mit beflissener Hingabe, Zehe nach Zehe, und mit einem wollenen Tuch trocknete sie die erfrischten und hüllte sie wieder in die Decke. Sie holte, lautlos gehend, frisches Wasser, und reinigte die Hände der Schlummernden, und zum drittenmal füllte sie die Schüssel und wusch das Gesicht vom Staube frei, Stirn und Nase und Wangen und Kinn, und die Bewußtlose lächelte im tiefen Traume dankbar und drehte bereitwillig nachgebend den Kopf, das Werk der Säuberung zu erleichtern.

In der Handtasche der Fiebernden hatten sich Briefe gefunden, mit Hilfe derer man ihren Namen und ihren Wohnort und ihre Umstände hatte feststellen können, und man hatte unverzüglich ihren Mann verständigt, und als der, einen Tag später, gegen Abend, zu der Stunde, da man die Wallfahrerin aus dem Staub aufgerichtet hatte, mit den beiden Töchtern bei ihr eintraf, war sie schon tot, und zu Häupten der Toten brannten lautlos die weißen Kerzen, von den frommen Schwestern entzündet.

Sie waren, der Vater und die Töchter, unter der Tür des Krankenzimmers stehengeblieben und hatten die schimmernd Bleiche angestaunt, die groß und unbeweglich dalag, das alterslos glänzende Gesicht in den Kissen ein wenig erhoben, wie lauschend in der tiefen Stille, und hatten zuerst fast keinen Schmerz aufgebracht bei ihrem Anblick: wie sollte man Leid empfinden können beim Anblick solch strahlend Entrücktseins?

Aber dann warfen sich die beiden Töchter, Agnes und Angelika, am Bett der Mutter nieder, und herzten sie, und küßten sie, und weinten und schluchzten laut, und klagten sich an, mit hilflos jammernden Worten. Der Vater doch, der Ehemann, der Graubart, blieb noch eine Weile an seinem Platz unter der Tür stehen, und die Knie zitterten ihm, blieb stehen, ohne weinen zu können, mit trocken brennenden Augen, und wollte es sich nicht verzeihen, daß er ihren Bitten nachgegeben, und sie die todbringende Reise hatte tun lassen, und voll scheuer Trauer sah er auf die Hingestreckte, die Unberührbare, so schien es ihm, und so schien ihm in seinem Schmerz, auch die Lebendige, auch als sie noch atmete, sein sei sie nie gewesen, nie ganz sein, die schöne Frau, und immer im tiefsten für sich geblieben und abgesondert und allein. Da stiegen auch in ihm die Tränen hoch, unaufhaltsam, und rannen, und rannen ihm über die Backen, weiß niederströmend.

Ins Doktorhaus schaffte man die Tote dann, die Wallfahrerin. Dort lag sie noch einen Tag lang aufgebahrt, und dann begrub man sie, im schönen Friedhof des Ortes. Und als die Trauerglocke scholl über das Dorf hin, und der Sarg in die Tiefe sank, da stand vielleicht schon, und freudige Glocken schlugen, die Braut neben dem mürrischen Bräutigam vorm Altar, die Ringe zu wechseln, die Verschüchterte, der die Tote aus dem Fluß geholfen hatte.

Zur Beerdigung waren auch die beiden Männer aus Brixen gekommen, die wieder abfuhren nach fünf Tagen und die Mädchen mit sich nahmen, Agnes und Angelika. Und als der Zug den Brennerpaß hinabrollte, und das Tal sich weit öffnete, in fruchtbarer Fülle, und von allen Höhen die Rebstöcke herabstiegen, tief gestaffelt, in unabsehbaren Reihen, hölzerne, traubenbeladene Träger der Lust, und das Land in der Sonne leuchtete mit Kürbis und Äpfel und jeglichem Obst, da legten die Mädchen den Arm um den Nacken der Geliebten und erneuerten ein Versprechen, das sie in Altenweil stumm der stummen Mutter gegeben hatten – und oft hält man einem Toten mit mehr Treue ein Versprechen als einem Lebendigen. Sie warteten nicht das Trauerjahr ab, wie das üblich ist sonst, nach acht Wochen schon traten sie, im schwarzen Kleid, am Arm der Männer vor den Priester, der sie zusammengab, und sahen so schön drin aus, wie sie auch im weißen nur je hätten aussehen können, und es waren die Mädchen gewesen, die sonst Zaudernden, die auf so beschleunigte Trauung gedrängt hatten, voll leidenschaftlicher Ungeduld. Zu erreichen, daß der Vater, der Witwer, zur Hochzeit gekommen wäre, sie hatten ihn bestürmt darum, mündlich und schriftlich, hatten sie nicht vermocht.

Es ließ sich alles so weit recht glücklich an, vorläufig, es schien vortrefflich gehen zu wollen, einstweilen, und vielleicht blieb es auch so, es gefiel ihnen der Ehestand ausnehmend, bis jetzt – wer wollte mehr voraussehen und voraussagen? Der Toten mußten sie oft gedenken, in endlosen Gesprächen und Betrachtungen, und sorgenvoll forschten sie, hin und her überlegend, tausendmal erwägend jedes Wenn und Aber, ob sie Schuld wohl trügen, mehr oder weniger, an dem Schicksal der Mutter, die, für sie bittend, fortgemußt hatte, und es war nie ein Ausweg zu finden und eine feste Antwort. So saßen sie in Tränen oft da, und wurden wieder froh erst, wenn die Männer sie ihnen fortküßten. Sie waren auch, die jungen Frauen, sonst geistlichen Beistand selten suchend, zu dem Pfarrer gegangen, der sie getraut hatte, und hatten ihm von dem gesprochen, was sie schwer bedrückte, aber der verwies es ihnen, solchen Gedanken nachzuhängen, als vorwitzig und vermessen tadelte er es, am Ratschluß des Ewigen drehen und deuteln zu wollen.

Und was den Vater betraf, der zur Hochzeit nicht kommen wollte und auch nicht gekommen war und der allein mit einer Wirtschafterin nun hauste, so hatte der, als die Töchter ihm vor ihrer Abreise schmeichelnd das Versprechen zu entlocken suchten, sich später, und bald schon, zur Ruhe zu setzen und zu ihnen zu ziehen, abwechselnd bei ihnen zu wohnen, so hatte der vereinsamte Graubart nur ausweichend geantwortet, mit manchem Vielleicht und Kann-sein. Er arbeitete viel im Garten, was früher nicht seine Gewohnheit gewesen war. Als mit dem Frühling die Schwalben kamen, nistete, wie alljährlich, ein Paar im Hausflur und erfüllte ihn mit Gezwitscher und blitzendem Sausen. Bald war die junge Brut da, weitaufgerissene Schnäbel streckten sich über den Nestrand, futtergierig, und im unermüdlichen Hin und Her hatten die Eltern zu tun, die Hungrigen zu sättigen, und blau wogte es im weißen Flur, voll stürmischen Lebens.

Einmal, an einem strahlenden Tag, als mächtige Wolken hoch im Blau sich ballten, holte sich der alte Mann aus dem Schuppen eine Leiter, schaffte sie in den Flur, stieg hinauf zum Nest und löste es vorsichtig ab. Aufgeregt schnappten die jungen Vögel und hackten mit den Schnäbeln nach seinen Fingern. Er brachte seine Beute in den Garten, ging dorthin, wo in der Ecke, beim Zaun, die Regentonne stand. Auf dem schwarzen Wasserspiegel schwamm in langen, grünen Fäden das Moos. Mit einer plötzlichen Bewegung warf der Alte den Raub in die Tonne, das Wasser spritzte, die grauflaumigen Vögel gingen gleich unter, das Wasser trug sie nicht, aber das Nest blieb oben, drehend und schaukelnd.

Noch tagelang und immer wieder kamen die Schwalben in den Hausflur, wild flatternd, und suchten jammernd vergeblich ihre Brut. Da befahl der zornige Alte, die Haustür immer fest geschlossen zu halten und sah streng darauf, daß man ihm gehorchte, und da blieben die Vögel endlich weg.

Die Schwestern

Dem Herrn von Mockern, der im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts ein Gut in Pommern bewirtschaftete, schenkte seine Frau, sie war einen Kopf kleiner als er, und ihr Gewicht mochte nicht viel mehr als die Hälfte von dem betragen, dessen er sich rühmen durfte, diese zarte Frau also schenkte ihm in den Jahren ihrer Ehe fünf Kinder, die alle an Stattlichkeit nach dem Vater gerieten: Knaben waren es, immer nur und immer wieder Knaben, daß er sich prahlerisch groß tat damit und sich's laut verschwor, bei manchem Jagdessen und ländlichem Mahl im Kreis der Freunde, daß er es auf sieben Knaben noch bringen werde, sieben müßten es sein, die heilige Zahl. Aber dann trat ein Stillstand ein im Kindersegen, weitere Nachkommenschaft blieb aus, vorläufig wenigstens, und es fehlte ja auch so nicht an Lärm im Hause, widerhallend in Zimmern und auf Fluren, fanden die Besucher, die fünf Söhne besorgten es zur Genüge. Nach manchem Jahr erst wieder bedurfte man der Berufskünste der weisen Frau aus der benachbarten Kleinstadt, die schon die Geburt der fünf Söhne betreut hatte, zweimal bedurfte man ihrer noch, aber nun war es jedesmal ein Mädchen, dem sie ans Licht half, zwei Töchter erhielt der Herrn von Mockern noch zu seinen fünf Söhnen hinzu, Eva und Klementine, und sieben, die heilige Zahl, war erreicht, wenn nur der zuerst enttäuschte Vater sich entschließen konnte, die zwei zuletzt gekommenen schwarzen Lämmlein an Wert mit den weißen gleich zu rechnen: was ihm anfangs schwer fiel, später aber nicht mehr. Schwarze Lämmlein nannte er scherzhafterweise und ein wenig gekränkt doch die beiden Mädchen, und nicht nur, weil sie die lichte Reihe der fünf Knaben, die sich auf sieben hatte fortsetzen sollen, unerwartet und unerwünscht abgebrochen hatten – sie beide besaßen, während die Knaben alle das helle Haar des Vaters zeigten, die schwarzen Augen und Haare der Mutter.

Sie wuchsen heran, zwei zartgliedrige Geschöpfe, immer auf sich angewiesen im kindlichen Tun, denn teilzunehmen an den lauten, kriegerischen Spielen der Brüder, die ihnen an Jahren weit voraus waren, verschmähten sie, und sie wären wohl auch nicht zugelassen worden, die beiden Nachgeborenen, und wenn sie es gewollt hätten. Und als sie anfingen lange Röcke zu tragen und das schnürende Mieder, und das Haar zum Knoten gewunden im Netz, als sie junge Damen schon waren mit ihren siebzehn und achtzehn Jahren, da war es langsam still um sie geworden und sie die einzigen Kinder im Haus, weil die Brüder schon alle fortgezogen waren. Offiziere waren sie geworden, alle fünf, und taten Dienst, zu Pferd und zu Fuß, da und dort, in kleinen Landstädten meist, und nur für einen kurzen Besuch tauchte hie und da einer der mächtigen Hellhaarigen auf, breitschultrig, und braungebrannt die einst rosigen Wangen, mit langem, wehenden Schnurrbart über den Lippen, und die schon verheiratet waren unter ihnen, die beiden ältesten, die auch schon wieder Kinder besaßen, hatten gar einen Vollbart um das junge Gesicht stehen.

So war er doppelt froh der beiden Mädchen, der graugewordene Vater im söhneleeren Haus, und freute sich verspätet, daß seine vorwitzig eitle Hoffnung auf sieben Knaben sich nicht erfüllt hatte. Er, von dem das lästerliche Wort von den schwarzen Lämmern stammte, hatte eine tiefe Angst davor, daß auch sie ihn bald verlassen würden, die zwei schönen Töchter, die ihm bis jetzt noch geblieben waren und seine Einsamkeit teilten. Seine Frau war ihm früh gestorben, nach einer kurzen, hitzigen Krankheit, die sie niedergebrannt hatte wie das Feuer das Steppengras, und eine Haushälterin tat nun ihre Arbeit, mit Genauigkeit, streng und ohne Tadel, aber wie Frost war es immer um sie, die Unermüdliche, die sie alle ein wenig fürchteten fast, der Vater und die Töchter und das Gesinde.

Sie hingen, die beiden Schwestern, mit wunderlicher, wie es manchem und mancher schien, mit fast schon übertrieben zu nennender Zärtlichkeit aneinander. Ihre Zimmer hatten sie im ersten Stock des Hauses, am gleichen Gang nebeneinander liegend, und sie waren bis aufs letzte gleich eingerichtet mit hellroten Kirschbaummöbeln. Am gleichen Platz befand sich der weiße, säulenförmige Kachelofen, stand Stuhl und Schrank hier wie dort, über dem gleichen kleinen Schreibtisch mit den zierlich geschweiften Beinen hing an der hell geblumten Wand der gleiche, ein wenig matte Spiegel im goldenen Rahmen, in der gleichen Ecke jedes der Zimmer war das Bett, hinterm weißen, lang wallenden Vorhang verborgen, ein Strauß derselben Blumen, gemeinsam gepflückt, stand im selben bläulichen Glas auf dem Tisch in der Mitte, den dieselbe gehäkelte Decke schmückte, die sie wechselseitig füreinander gearbeitet hatten. Zum Fenster herein sahen die gleichen Bäume, grünbuschig im Sommer und kahlästig im Winter, und es war fast zu verwundern, daß wenigstens sie selber imstande waren, ihre Zimmer voneinander zu unterscheiden.

Sie trugen auch, wie das Zwillinge oft zu tun pflegen, die sie aber doch nicht waren, die Kleider aus gleichem Stoff und im gleichen Schnitt, und auch das Haar hatten sie auf die gleiche Weise zurückgekämmt über die Stirn und schön gescheitelt, und ein großer, schwarzer Knoten saß jeder im Nacken. Sah man sie von fern, konnte man sie verwechseln, die zierlichen, gleichgewandeten Gestalten, aber kamen sie näher und blickte man ihnen ins dunkelhäutige Antlitz, war das nicht mehr möglich. Eva, die ältere, hatte die volleren Lippen, und ihr Kinn war fester und ihre Nase derber, und Entschlossenheit, ja Starrköpfigkeit war in ihren Zügen, während Klementine, die jüngere, das stillere Gesicht hatte, und sie war auch die nachgiebigere der beiden und ließ sich von der älteren gern lenken. Sie waren gar nicht so beruhigter Gemütsart, wie es leicht den Anschein hatte, aber sie wußten sich zu beherrschen und verbargen ihr Feuer. Auf eine seltsame Weise zeigten sie die gleichen Neigungen, lasen die gleichen Bücher, und wenn der Vater der einen zum Geburtstag ein Buch geschenkt hatte, wünschte sich die andere das gleiche Buch, wenn die Reihe beschenkt zu werden an ihr war, daß es ihn oft ärgerte. Nie sah man eine allein und ohne die andere, fast schon lächerlich war es, und Freundinnen hatten sie nicht. Eva besaß eine schöne, dunkle Stimme, und wenn Klementine sie am Spinett begleitete, sang sie mit Ausdruck und Glut, und oft brach dann eine Wildheit aus ihr heraus, die sich sonst nicht hervorwagte.

In einer Laube des großen Gartens, hinten, im grünen Dämmern, saßen sie oft. Bank und Tisch waren alt, das Holz vermorscht, aber es hielt noch, grob zusammengenagelt, und sie saßen lang und schwiegen und horchten auf das Brummen von Hummel und Biene und das feine Getön dünnflügeliger Mücken, und draußen in der Sonne blitzte der heiße Weg. Dumpf stand die Luft in der Laube, und das zerrissene Holz roch bitter, und wenn sie sich rührten, krachte die Bank und schwankte. Dann stand Eva auf und sagte: Los! und sie liefen mit wehenden Röcken, daß der Staub flog, und im Lauf plötzlich hielt Eva inne und stand und riß die Schwester an sich und hielt sie, die keuchte, und bog sie zurück und sah ihr in die Augen und gab ihr einen Kuß und ließ die Schwester wieder los dann und schämte sich und rannte davon und Klementine hinterdrein.

Daß sie sich je trennen würden, glaubten sie nicht. Einmal hatte einer der Brüder, den der Auftrag, Pferde für seine Truppe zu kaufen, in die Nähe geführt hatte, auf einige Tage sich freigemacht für einen Besuch im Vaterhaus, und er hatte einen guten Freund sich mitgebracht, einen angenehmen jungen Menschen von heiterer Sinnesart. Der hatte jeder der beiden Schwestern schön getan, auf die scherzhaft übertreibende Weise, wie man in der mutigeren Stadt, aus der er kam, das liebte. Als beflissener Ritter benahm er sich, der ein zu Boden gefallenes Schultertuch rasch aufhob und es der Trägerin überreichte mit Verbeugung und feurigem Blick, der herbeisprang, schnell wie der Hirsch, den Damen in den Mantel zu helfen, überaus artig in allem und jedem, und ganz in den Grenzen des Erlaubten, nur höflicher, gewinnender in Wort und Tat, als die Schwestern es von den rauheren Brüdern gewohnt waren. Und als der junge Herr bei einem abendlichen Spaziergang im Garten, der ihn zuerst an Evas Seite eine Weile allein ließ und später zu Klementine gesellte, als der junge Herr da im Mondschein unter den rauschenden Bäumen, gefühlvolle Worte zu einer jeden gesagt hatte, da fand er am andern Morgen zwei Briefe auf seinem Tisch, von Eva einen und einen von Klementine, und die Handschriften waren einander sehr ähnlich, und in jedem der Briefe mußte der zu höchst Betroffene das ungefähr gleiche lesen. Jedes der Mädchen schrieb ihm, daß er keine Hoffnungen sich machen dürfe und er hatte sich doch gar keine gemacht – daß es nicht willens sei, sich fester zu binden – und nichts und gar nichts hatte er von einem Band oder Strick gesagt – und dergleichen mehr stand in jedem der Briefe geschrieben, und der Unselige wußte nicht, wie ihm war, und ob er nicht doch in seinen Schönredereien zu weit gegangen war gestern abend im gelben Mond. Er war froh, daß die Abreise schon für morgen angesetzt war, und wagte bei der gemeinsamen Mahlzeit kaum den Blick vom Teller zu heben und ein Wort zu sprechen, und Eva und Klementine vermerkten das für sich im Stillen und mit Befriedigung, und jede nahm es für die gewollte Wirkung ihres Briefes.

Es war ihnen beiden gar nicht in den Sinn gekommen, welcher Eigendünkel darin lag, daß sie, nur weil ein junger Mann ihnen ein paar billige Freundlichkeiten gesagt hatte, gleich annahmen, er meine es ernst mit seinen Scherzen, und gar so ernst! Aber die Furcht davor, daß jemand ihr gemeinsames Leben bedrohen könnte, hatte alle anderen Gefühle in ihnen zum Schweigen gebracht. Wochen waren vergangen, da erst erzählten sich die beiden, als das Gespräch ganz zufällig auf den Bruder und seinen Freund gekommen war, von dem Korb, den jede, auf eigene Faust handelnd, dem vermeintlichen Freier gegeben hatte. Es war im Herbst, und die roten Fruchtbüschel des Vogelbeerbaums hingen tief herab und streiften kühl ihre Gesichter, als sie, am Zaun stehend, ihre Beichte geendet hatten, und sie wurden brennend rot wie die Baumfrucht, und rissen volle Hände davon ab, und bewarfen sich damit, und lachten wie die Tollen, und die kalten Kugeln rieselten ihnen übers Gesicht und Hals.

Sie waren von schwankender Gesundheit, die beiden Mädchen, das hatte sich schon früh gezeigt. Es war nicht herauszufinden, was ihnen fehlte, es war wohl auch nichts Bestimmtes, es waren Anfälle einer Art von zarter Müdigkeit, einer lieblichen Schwäche, und auch der Arzt konnte nichts Genaueres feststellen, und hatte den bekümmerten Vater getröstet und gesagt, das habe nichts zu bedeuten, und hatte von Blutarmut und Bleichsucht geredet, und ein paar stärkende Mittel verschrieben, und mit den Jahren würde sich das bessern, hatte er gesagt, aber das tat es nicht, eher das Gegenteil war der Fall. Sie lagen oft tagelang im Bett, sie müßten sich schonen, sagten sie, und sahen den Vater mit leisem, wissendem Lächeln an, und sie schonten sich, und der hatte es längst aufgegeben, auf seine Weise helfen zu wollen, mit Ratschlägen, die auf »Abhärtung« und »Sich zusammennehmen« und »Sich nicht so gehen lassen« und dergleichen hinausliefen, was, wie er bald einsah, für seine Söhne das Richtige gewesen sein mochte, die Wölfe, wie er jetzt von ihnen sprach, und nicht für seine schwarzen Lämmlein, die Töchter.

Die Zustände stellten sich fast immer gleichzeitig bei ihnen ein, oder es war auch, daß, wenn die eine sich am Mittag gelegt hatte, die andere am gleichen Abend auch schon fröstelte, und das Tuch fester um die Schultern zog, und Fliederblütentee trank, und am andern Morgen mußte auch sie das Bett hüten. Sie lagen dann in den weißen Kissen, sorgsam zugedeckt, und die Fenster mußten fest geschlossen sein. Die Luft täte ihnen weh, sagten sie, sie schneide wie ein Schwert, sagten sie, sie spürten auch den leisesten Lufthauch schmerzlich, beteuerten sie, und wer ihr Zimmer betrat, die Magd, das Essen zu bringen, oder der Vater, zu einem Besuch, dem riefen sie, wenn er nur ein wenig unter der geöffneten Tür verweilte, im ängstlichen Ton zu: »Die Tür zu, bitte!« und verkrochen sich tiefer in die Decken.

In diesen Krankheitstagen, wenn sie so einsiedlerisch in ihren Zimmern hausten, und sich sehr vermißten, führten sie einen lebhaften Briefwechsel miteinander, und die Magd war der Briefbote. Sie gaben sich von ihrem Zustand Kunde, sparten nicht mit liebevollen und versteckt doch spöttischen Ermahnungen, die vom Arzt verordneten braunen und grünen Tropfen in den vorgeschriebenen Zeitabständen zu schlucken, und wenn sie noch so abscheulich schmeckten, setzten sie hinzu, je gallenbitterer, desto hilfreicher! Sie erkundigten sich, immer mit einem halben Scherz, wie denn die verflossene Nacht gewesen sei, schrieben wohl auch ein Gedicht ab, das ihnen, als sie es lasen, besonders schön oder tröstend oder Furcht erregend erschienen war, und schickten es der Schwester, daß die sich auch tröste oder sich fürchte. Und dann kam wohl auch auf einem Zettel die Frage geflattert, fast wie mit leisem Hohn, wann denn die Schwester wieder vom Krankenlager sich zu erheben gedenke? Und am verabredeten Morgen schlüpften sie dann beide aus dem Bett, liefen im langen Nachthemd zum Fenster, stießen es auf, atmeten die frische Luft, und fühlten, daß sie nicht mehr schneidend war und bös, sondern lau und bekömmlich, und eine Stunde später saßen sie sich am Frühstückstisch gegenüber, ein wenig blaß noch, und lachten sich an, die beiden schönen Törinnen, und alles war wie zuvor.

Im Garten war ein alter Ziehbrunnen. Seine steinerne Einfassung, die, wie sie so dalag, wie ein Riesenmühlrad war, wie vom Himmel herabgefallen, war vom Regen ausgewaschen und gekerbt, und da, wo der eisenbeschlagene Holzeimer aufgesetzt wurde, war eine flache Mulde ausgeschabt worden im Laufe der Jahre. Der Brunnen war von einem Brennesselbusch üppig grün umwuchert, und ein Holunderbaum stand in seiner Nähe und gab ihm ein wenig Schatten, dem doch selber kühlen. An einer rostigen eisernen Kette ging der Eimer rasch zur Tiefe und stieg, langsam gezogen, tropfentriefend wieder hoch, und die Kette knarrte widerwillig dazu, die faule Dienerin.

Auf dem Brunnenrand saßen die Schwestern gern an heißen Tagen, wenn der Holunderschatten wie ein schwarzer Teller nebenan im Gras lag, und der Stein, backofenfeurig, gab von seinem warmen Überfluß ab an sie. Den weißen Giebel des Gutshauses sahen sie durchs Grün her leuchten, und die gezackten Blätter der Nesselstaude stachen, Böses wollend, vergeblich gegen das Leder ihrer Schuhe, unschädliche Schlangenbisse. Vom Hof her sang ein anderer Brunnen sein Kettenlied, Tauben flatterten auf, eine Vogelwolke, die hoch stieg und kreiste und sank, die Rotfüßigen hatten sich wieder niedergelassen, von hier aus war nicht zu sehen wo, am First der Scheune vielleicht oder vor der Stalltür, wo sie gern landeten.

Oft auch neigten die Mädchen ihre Gesichter über das Brunnenrund, da kniend, wo die brennende Nessel nicht hinloderte, und sahen in die Tiefe hinab. Sie sahen die rundgemauerten Wände hinabgehen, feucht beschlagen, mit Flecken dunkelgrünen Mooses da und dort besetzt, und in einem Riß im Stein in halber Höhe des Schachtes erblickten sie eine Kletterpflanze, die dort Wurzel gefaßt hatte, ein Gewächs mit vielen runden kleinen Blättern, die wie Münzen waren, flach übereinander gehäuft. Ein verborgener Schatz schien dort aus dem Riß zu quellen, in stürzender Fülle, gelb und hellgrün, und dunkel von unten herauf blitzte der schwärzliche Spiegel des Wassers.

Und manchmal sahen sie auch den Fisch. Da stand er, aus der Tiefe gestiegen, unbeweglich, der geschuppte Wächter, der Herr des Brunnens. Er stand dicht unter der Oberfläche und rührte sich nicht. Sie sahen seinen dicken Kopf, den gewölbten Nacken und glaubten seine Augen zu erkennen, und seine rötliche Schwanzflosse leuchtete. Scheu blickten sie hinab auf den Einsiedler in seinem kühlen Reich, ewig stumm, der lautlose, wie die stumme Flut, die er beherrschte. Dann redeten sie ihn an, mit sanften, zögernden Worten, und fragten ihn, wie es da unten denn sei, auf immer allein, im tiefen Schacht? Sie beklagten sein Schicksal und riefen ihm leise Liebesnamen zu und bedauerten ihn, daß er nicht mit seinesgleichen in den grünen, schnell strömenden Flüssen jagen dürfe oder sein Leben habe im blattbesetzten Teich unter Wasserrosen und im Binsengesträuch. So sagten sie vielerlei zu ihm, tröstend und schmeichelnd. Er hörte es und rührte sich nicht und gab keine Antwort. Dann plötzlich ließ er sich sinken, ganz langsam, seine Umrisse wurden undeutlich, silbern blinkte es noch herauf, Blasen stiegen, und unbeweglich lag das Wasser wieder.

Erhoben sie sich wieder dann von den Knien, die Schwestern, sahen sie verwirrt um sich in dem grellen Licht, das ihre Augen blendete. Sie sahen den Holunderbaum, der seine Äste streckte, üppigen Laubes voll, den Brennesselbusch, schwellend im Glanz, den blauen Himmel, hoch und wolkenlos. Der Fisch halte das Wasser rein, hatte der Vater gesagt, er säubere es von Gewürm und schmarotzendem Zeug, der uralte Geschuppte. Aber das tröstete sie nicht hinweg über sein Schicksal.

Viel später zeigte es sich dann deutlich, daß der Grund, warum der Mann damals, der Freund des Bruders, der Schönredner, zu seiner peinlichen Überraschung zwei Absagebriefe auf eine gar nicht erfolgte Werbung hin erhalten hatte, nicht nur darin lag, daß die schönen schwarzen Schwestern glaubten, nicht voneinander lassen zu können. Denn als sich rasch hintereinander ihnen wohlgefällige Freier einstellten, da waren sie nicht mehr so voreilig, schon Nein! zu sagen, ehe sie überhaupt noch gefragt worden waren, demütig warteten sie diesmal, und lagen des Nachts mit offenen Augen im Bett, voll Furcht, daß man sie nicht fragen würde, und als es dann endlich doch geschah, da zitterten sie und sagten Ja! mit strahlendem Gesicht.

Ihre künftigen Männer waren Landwirte beide, und ihre Besitzungen lagen in einer Entfernung voneinander, die ein Reisewagen in sechs Stunden bewältigen konnte. Das war nicht sehr weit, sagten sich die Schwestern hoffnungsvoll, das würde ein lustiges Kutschieren geben, hin und her, meinten sie, und fragten ihre Verlobten, ob sie denn einen tüchtigen Schmied hätten, der werde immerzu Hufeisen machen müssen, und sagten zu den lachenden Männern, sie möchten nur im Pferdestall nicht mit dem Haber sparen, die Gäule würden zu tun bekommen, genug und übergenug. Denn nicht nur einander besuchen würden sie wollen, auch das Elternhaus würden sie wiedersehen wollen, oft und oft, und dahin konnte Eva von ihrem künftigen Heim aus in vier Stunden gelangen, und Klementine hatte es sogar noch ein wenig näher.

Dann war der Tag der Doppelhochzeit gekommen, und an Gästen fehlte es nicht. Die fünf Brüder der Bräute hatten die Reise nicht gescheut, und die Verheirateten unter ihnen hatten auch ihre Frauen mitgebracht, nur der älteste Bruder erschien allein, obwohl er verheiratet war, aber seine Frau war guter Hoffnung und hatte die lange Fahrt nicht wagen dürfen und ließ nur grüßen. Und die zukünftigen Schwiegereltern der Bräute waren herbeigeeilt, und Basen und Tanten von weit her, und es ging stürmisch zu in dem sonst so ruhigen Haus des Herrn von Mockern.

Die Trauung in der Dorfkirche war vorbei, und man setzte sich zum Mahl und aß und trank, und die Reden wurden gehalten, die gehalten werden mußten, und es umarmte und küßte sich und ließ sich umarmen und küssen, wer es für nötig hielt. Und im Trubel der Feier, als es schon laut wogte an der Tafel, mit Geschrei und Gläserklirren, verstanden es die Eheleute, unbemerkt den Saal zu verlassen. An der Rückseite des Hauses waren inzwischen schon die zwei Wagen vorgefahren, die, jeder nach einer anderen Richtung, die Schwestern an den Ort bringen sollten, den sie von jetzt an »zu Hause« zu nennen haben würden, und die Abfahrt sollte ganz still und unauffällig vor sich gehen, daß sie die allgemeine Lust nicht störe. Und die Sorge, die sie am meisten gequält hatte die letzten Wochen, den Vater allein zurücklassen zu müssen unter der Hut der strengen Haushälterin, war auch von ihnen genommen worden, weil der älteste Bruder eben heut dem Vater versprochen hatte, nun bald zu tun, was zu tun er ja immer schon gewillt gewesen war, und der genaue Zeitpunkt dafür war nun festgesetzt worden: den Soldatendienst nämlich aufzugeben und das elterliche Gut zu übernehmen.

Noch einmal rasch in den Garten gehen zu dürfen, baten die Frauen ihre Männer, gleich kämen sie wieder zurück. In die Laube eilten sie und setzten sich auf die morsche Bank, die schwankte wie stets. Sie gingen zum Brunnen und schauten in die Tiefe, und der münzenblättrige Strauch quoll wie immer hellgrün aus dem Riß, aber der Fisch war nicht zu sehen. Schwarz und stumm blinkte das Wasser herauf und spiegelte ihre Gesichter, bleich und undeutlich. Wir wollen hier auseinandergehen! sagte Eva und ließ nicht ab, in den Brunnen zu schauen, und tappte nach der Schwester Hand und faßte sie, die kalt war und zitterte. Vergiß mich nicht, sagte sie, und bald auf Wiedersehen! Tränen stürzten aus ihren Augen und fielen in den Brunnen, und sie waren so leicht, daß sie sein Wasser nicht bewegten. Geh jetzt! sagte sie und küßte der Schwester Hand, und gab die Hand dann frei, und sah immer noch in die Tiefe, und: fahrt gleich ab! sagte sie, und sage meinem Mann, ich käme gleich auch!

Klementine ging, der Kies knirschte unter ihren Tritten, sie sah sich nicht um, aber Eva sah ihr nach, die bald hinter den Bäumen verschwunden war.

Eva beugte sich wieder über den Brunnen und weinte nicht mehr. Fisch, sagte sie, dummer Fisch, steig herauf und laß dich sehen. Er tat es nicht. Da ging sie auch.

An der Rückseite des Hauses stand nur mehr ein Wagen. Sie stieg ein, ihr Mann half ihr dabei und setzte sich dann neben sie, und der Wagen fuhr ab. Als er die offne Landstraße erreicht hatte, sah Eva von fern noch den Wagen, der die Schwester davontrug und der eben nach links abbog. Sie hielten sich nach rechts.

Den Vater sollten die Töchter nicht mehr wiedersehen. Seit der Doppelhochzeit waren fünf Jahre vergangen, und in all der vielen Zeit war es ihnen nicht geglückt, einmal die alte Heimat aufzusuchen. Es war mit dem Reisen nicht so glatt gegangen, wie sie sich das vorgestellt gehabt hatten, es war eine schwierige Sache damit, hatte es sich gezeigt, und immer wieder, und oft in letzter Stunde noch hatte sich ein Hindernis dazwischen geschoben. Sie waren krank gewesen, die Luft hatte ihnen weh getan, oder auf dem Gut traten gerade dann, wenn die Koffer zur Abreise schon gepackt waren, Umstände ein, welche die Hausfrau unentbehrlich machten. Geschrieben hatten sie dem Vater oft, zärtliche Briefe, und in jedem versichert, wie sehr sie sich danach sehnten, ihn endlich wiederzusehen, und in jedem Brief versprochen, nun bald zu kommen, aber gekommen waren sie nicht. Er war nun auch der Jüngste nicht mehr, der Herr von Mockern, konnte nur auf den Stock gestützt sich noch fortbewegen, wenn er gute Tage hatte, und an schlechten mußte er im Rollstuhl gefahren werden, und so war es ihm verwehrt, selbst die Töchter aufzusuchen, wie er das gerne gewollt hätte.

Und dann kam die Nachricht, daß er gestorben war, und nicht einmal dem Toten konnten sie Abschied nehmend ins Gesicht schauen. Eva nicht, weil sie an dem Tag, an dem ihr Vater starb, ihrem Mann als zweites Kind einen Sohn schenkte. Und Klementine hatte die Fahrt zu dem Dahingegangenen nicht antreten können, weil ihre kleine Tochter, es war ihr drittes Kind, gerade schwer fieberte und sie am Bett der Lebenden notwendiger war als am Sarg des Toten. So waren nur die beiden Schwiegersöhne zur Beerdigung gekommen.

Immer öfter war es nun, daß den beiden Schwestern die Luft weh tat und sie sich zu Bett legen mußten. Die beiden Männer hatten zuerst gescherzt über die empfindlichen Pflanzen, die sie seien, die in jedem Lüftchen frören, und hatten sie geneckt und verspottet wegen ihrer Verzärtelung, die Landwirtsfrauen nicht gut anstünde. Aber sie ließen die Männer reden und sagten, davon verstünden sie nichts, und die Ärzte, sagten sie, verstünden noch weniger, und sie weigerten sich bald, sie auch nur zu empfangen.

Immer seltener verließen sie das Haus und verbrachten lange Wochen, auch wenn sie nicht bettlägrig waren, in ihren Zimmern. Es war eine Wunderlichkeit, mit der man sich bald abfand, um so mehr, als sie von ihrem Schreibtisch aus dem Hauswesen mit Umsicht vorstanden, die Zügel nicht im geringsten schleifen ließen und sich Achtung und Gehorsam zu verschaffen wußten bei Knecht und Magd.

Die Jahre gingen dahin, ihre Kinder wuchsen heran, ihre Kinder wurden große Leute, überragten sie schon um Kopfeslänge, die kleinen Mütter, und sie faßten es nicht, wie schnell das alles gekommen war, und die Buben trugen schon Bärte, und den Mädchen rundete sich schon die Brust, und ihre eigenen Haare wurden grau, und ihre Männer waren ihnen gestorben, obwohl sie stark und kernig gewesen waren und Kälte und Wind und Sonne nie gescheut hatten, aber sie lebten noch, die beiden Stubenpflanzen und herrschten über Haus und Hof und Kinder von ihrem Zimmer aus, mit Güte und mit Strenge, je nachdem.

Mehr als fünfundzwanzig Jahre waren vergangen, seit sich die Schwestern zuletzt gesehen hatten, im väterlichen Garten, am Brunnen, in dessen Tiefe der Fisch noch immer hauste und manchmal aufstieg bis dicht unter die Oberfläche des Wassers, daß man ihn glänzen sah, sie wußten es, daß er noch lebte, sie hatten sich bei dem ältesten Bruder immer wieder nach ihm erkundigt. In sechs Stunden konnte sie der Reisewagen zueinander tragen, und sie hatten die Pferde, und sie hatten den Wagen, aber gefahren waren sie nie. Wie wenig waren sie ihnen damals erschienen, die sechs Reisestunden, die sie trennten, ein Hindernis, hatten sie geglaubt, leicht zu nehmen, und doch waren sie nie dazu gekommen, es zu überwinden. Während der mehr als fünfundzwanzig Jahre war kaum eine Woche gewesen, in der sie sich nicht geschrieben hätten, Eva und Klementine, zärtliche und liebevoll besorgte Briefe, mit leisem Spott gemischt, Briefe wie jene, die sie sich geschrieben hatten damals, im Vaterhaus, von Zimmer zu Zimmer, wenn ihnen die Luft weh tat und sie krank im Bett lagen, aber damals waren die Zimmer Wand an Wand gewesen, und die Magd hatte den Botendienst getan, den jetzt Postwagen und Briefträger leisten mußten. Und immer noch hatten sie, so schrieben sie es sich wenigstens in ihren Briefen, die Hoffnung auf ein Wiedersehen nicht aufgegeben, denn konnte sich ihr Zustand nicht noch einmal bessern, so fragten sie sich, und ob sie wohl selber daran glaubten, die Spöttischen, wer weiß es?

Aber es sah gar nicht so aus, von einer Besserung konnte keine Rede sein, es waren nun schon Jahre her, seit sie zuletzt im Freien gewesen waren, und auch an den schönsten Sommertagen hatten sie es nicht mehr gewagt, wenn auch für eine Stunde nur, das Haus zu verlassen. In den Dörfern und Gütern ringsumher, in Herrschaftshäusern und Dienstbotenstuben wußte man von den beiden seltsamen Frauen, und mancher Witz wurde über sie gemacht, und auch manch mitfühlendes Wort über sie gesprochen, aber sie erfuhren wenig oder gar nichts davon, und wenn ihnen etwas davon zugetragen wurde, so kümmerte es sie nicht.

Und eines Tages kam von Klementine, die schon seit Wochen von der zunehmenden Verschlechterung ihres Zustandes berichtet hatte, der Brief, in dem sie schrieb, nun sei es so weit, sie fühle, es gehe mit ihr zu Ende, und sie bitte die Schwester flehentlich und feierlich, sich sogleich aufzuraffen und zu ihr zu fahren, denn es verlange sie heftig, vor ihrem Tode noch das geliebte Gesicht der Schwester zu sehen und die Hände darumzulegen und es zu küssen und mit ihr zu weinen und ein Wort noch mit ihr zu sprechen, daß ihr der Abschied von der Erde leichter falle. Als Eva den Brief gelesen hatte, ging sie zum Fenster und legte die Hände an die Scheiben, und legte ihr altes Gesicht an die Scheiben, und dann schabte und kratzte sie mit den Nägeln am Glas, daß es tönte und klirrte, und klopfte mit gebogenem Zeigefinger dagegen, wie ein Vogel wohl mit dem Schnabel es tut, der im Glashaus gefangen sitzt. Und dann traf sie ihre Reisevorbereitungen sogleich.

Die alte, geräumige, gut gefederte Kutsche mußte auf dem Hof vorfahren, und die besten und ruhigsten Pferde, die sie im Stall hatte, wurden davorgespannt, und es wurde alles Notwendige hineingepackt, und mehr als das Notwendige, viele Decken und Kissen, und im Wagen von Bank zu Bank eine Liegestatt hergerichtet, eine Art von Bett, damit sie ausgestreckt liegend die Reise sollte machen können. Sie stand in ihrem Zimmer hinterm Fenster und sah zu, ob ihre Anordnungen auch genau befolgt wurden. Die vertraute Magd, in der Pflege der Herrin wohl erfahren, sollte mitfahren. Dann zog sie einen dick gefütterten Mantel an, wand sich ein wollenes Tuch um den Hals, und ein anderes Tuch band sie sich vor den Mund, sich vor der schneidenden Luft zu schützen, und von der Dienerin gestützt, verließ sie die Wohnung. Langsam, Fuß vor Fuß vorsichtig setzend, sich an den Arm der Magd klammernd, stieg sie die Stufen der Treppe hinab. Sie trat vor die Haustüre, in den grellen Sonnenschein, und taumelte ein wenig, und setzte sich in den Wagen und die Dienerin setzte sich neben sie. Die Wagenfenster waren hochgezogen, der Wagen fuhr ab, und staunend sah ihm das Gesinde nach, wie er zum Hoftor hinausbog.

Eva, die alte Frau im Wagen, lag auf dem für sie bereiteten Ruhebett, und durchs Fenster konnte sie in die sommerlich prangende Landschaft hinaussehen. Bäume glitten vorbei, Dörfer, ein Kirchturm, dessen Uhrzeiger wie Gold funkelten, ein Fluß blitzte her, und einmal ging es durch einen Wald, und sie fröstelte vor dem Anblick der schwarzhängenden Äste und der moosfeuchten Steinblöcke, die sich türmten, und obwohl Fenster und Türen geschlossen waren, drang die grün dämmernde Kühle herein, und die Magd mußte noch eine Decke über die schon fest Verhüllte breiten. Um neun Uhr morgens waren sie aufgebrochen, um drei Uhr nachmittags also konnten sie am Ziele sein. Einmal legte der Kutscher eine kurze Rast ein, die Pferde zu versorgen. Das war vor einem Bauernwirtshaus, und gerade vorm Wagenfenster stand mit blauer Blüte eine stachlig behaarte, silbergraue Distel, hochaufgerichtet, unbeweglich und lichtüberronnen. Sie fuhren dann weiter, die Distel blieb zurück, und dann sah Eva, die alte Frau im Wagen, draußen die Sonne nicht mehr auf den Feldern liegen. Es erklang ein leises Donnern, dann fiel der Regen, heftig und trommelnd, eine Viertelstunde lang, und es roch nach nassem Leder im Wagen. Es war ein leichtes Sommergewitter, das rasch vorüberzog, und bald glänzte alles draußen wieder neu erfrischt. Der Wagen hatte nicht angehalten während des Gewitters, Eva, auf der Reise zur Schwester, hatte sich nur wieder das Tuch vor den Mund gebunden, gegen die regenfeuchte Luft, und sie sah erschöpft aus, fand die Magd.

Kurz nach drei Uhr nachmittags fuhr Eva, die eine lange, beschwerliche Reise durch Staub und Regen und Blitz nicht gescheut hatte, nur um nach mehr als fünfundzwanzig Jahren ihre alte kranke Schwester noch einmal zu sehen, auf einem sandbestreuten Hof vor, und der Wagen hielt vor dem nicht hohen, langgestreckten, vielfenstrigen Haus, in dessen erstem Stock Klementine sterbend darniederlag, und die Reisende war selber zu Tod ermattet, fühlte sie, und hatte das Äußerste geleistet, das ihr möglich war. Ich kann den Wagen nicht verlassen, sagte sie zur Magd, es wäre mein Ende, und den Kutscher, der abgestiegen war, winkte sie ans Fenster heran, und durchs geschlossene Fenster befahl sie ihm, ins Haus zu gehen und ihre Ankunft zu melden und der Schwester zu sagen, sie solle sich herunterführen lassen zu ihr, zum letzten Abschied, und sie mußte laut reden, damit der Kutscher trotz der trennenden Scheibe sie verstand.

Der ging und kam wieder und meldete, die gnädige Frau liege im Bett, und aufzustehen sei ihr unmöglich, sie sei viel zu schwach, und sie bitte von ganzem Herzen die Schwester, zu ihr ins Haus und ans Bett zu kommen. Eva schüttelte den Kopf. Und der Bote ging hin und her mit seinen Nachrichten, lange und immer wieder, und als letztes ließ Eva der Schwester sagen, sie möge doch mit Aufbietung aller Kraft ans Fenster sich schleppen, das wenigstens solle sie versuchen zu tun, und sie solle herabschauen auf den Hof, daß sie ihre Gesichter noch einmal sähen, wenn es ihnen schon verwehrt war, sich noch einmal zu sprechen.

Der Sand des Hofes brannte strohgelb in der Nachmittagsglut. Einen großen, langhaarigen, schwarzen Hund sah die Reisende auf der Steintreppe liegen, die mit ein paar Stufen zur Haustür führte. Er lag auf der Seite, sah sie, den Kopf eine Stufe höher als den Körper, und sein Bauch hob und senkte sich, und eine lange, blutrote Zunge hing ihm aus dem Maul und zuckte stoßweise, so wie sein Atem ging.

Und dann erblickte Eva hinter einem Fenster des Hauses im ersten Stock eine weiße Gestalt, und sah, undeutlich zuerst, ein Gesicht, und es war das Gesicht ihrer Schwester Klementine, erkannte sie dann. Sie hatte sich im Wagen aufgesetzt und spähte durch die Scheibe zu der Gestalt hinauf, die nun den Besuch erkannt hatte, denn sie hob jetzt winkend die Hand und senkte sie dann wieder. So blieben sie eine Weile und betrachteten ihre alt und müde gewordenen Gesichter, die einst so schön gewesen waren, so blieben sie und sahen sich an, jede hinter der schützenden Glasscheibe, Eva und Klementine, die Schwestern, die sich so geliebt hatten. Und die Luft war feindlich zwischen ihnen, und sie konnten nicht zueinander, sie beide wußten es selber am besten, kannte jede der anderen Herz, mochte es sonst keiner begreifen der groben Leute um sie her, zwischen denen sie hatten gelebt alle Tage. Und ob sie nun um einander weinten, wußte die eine von der andern nicht, so deutlich konnten sie sich nicht sehen, es fühlte nur jede, wie es ihr warm und naß übers Gesicht lief, und darum sahen sie einander noch schlechter.

Der Hund auf der Treppe war aufgestanden und streckte sich und gähnte, und nahm seine Feuerzunge ins Maul zurück, und ging langsam ins Haus. Eva sah es, als ihr Auge einmal trüb abschweifte von der Gestalt im ersten Stock, und als sie den Blick wieder hob zum Fenster hinauf, stand niemand mehr dahinter, sie mochte noch so scharf spähen.

Fiebrig zur Eile antreibend befahl Eva dem Kutscher, die Pferde zu tauschen gegen ausgeruhte aus dem Stall der Schwester und dann sogleich die Rückfahrt anzutreten. Sie müsse raschestens wieder nach Haus, sagte sie zur Magd, und in ihr gewohntes Zimmer und in ihr Bett, ihr sei sterbenselend, und nirgendwo anders als dort würde sie vielleicht wieder ein wenig zu Kräften kommen.

Sie lag schweigend im Wagen während der Rückfahrt, schwer atmend, und war totenbleich, und als einmal die Magd versuchen wollte zum Sprechen anzusetzen, gab sie bloß mit den Augen zu verstehen, daß sie das nicht solle. Wieder vor dem Wirtshaus auf halber Strecke rastete der Kutscher, und die Distel stand wieder neben dem Fenster, auf der anderen Seite des Wagens diesmal, aufrecht, dürftig und hochmütig. Das Licht war schon dünner geworden, es war schon gegen sieben Uhr des Abends, und als der Wagen wieder abfuhr, blieb die Stachlige gleichmütig zurück, ein Silberspeer, auch so blitzend.

Nach Einbruch der Dunkelheit trafen die Reisenden wieder daheim ein. In Decken gänzlich eingewickelt ließ sich Eva auf ihr Zimmer tragen und von der Magd zu Bett bringen, das sie dann monatelang nicht mehr verließ. Nach drei Tagen schon kam die Nachricht, daß Klementine gestorben sei. Die Kranke nahm die Mitteilung so gelassen auf, daß es ihre Umgebung erschreckte, ließ sich an die Hemden und Jacken, die sie im Bett trug, breite schwarze Spitzenbesätze nähen, und sagte nur: nun käme sie auch bald daran. Sie überlebte die Schwester aber noch um fast ein Jahr.

Einige Wochen bevor sie starb, hatte sie noch einen Brief von ihrem ältesten Bruder erhalten, der, nachdem er einiges von sich und den Seinen berichtet hatte, schrieb, nun sei auch der Fisch nicht mehr im Brunnen, nach dessen Befinden sie sich so oft erkundigt habe. Eines Morgens habe ein Knecht, als er eben den Schöpfeimer hinunter lassen wollte, das Tier, mit dem aufgetriebenen, gelben Bauch nach oben, im Wasser liegen sehen. Mit einem Netz habe man es heraufgeholt. Er sei von stattlichem Gewicht gewesen, mit großem Maul und einem fleischernen Schnurrbart, der Greis, der solange allein da unten im Finstern gehaust hatte. Er sei sich nicht klar, schrieb der Bruder weiter, ob der Geschuppte, der Jahrzehnte lang, sich nährend, das Wasser rein gehalten, es nicht zuletzt vielleicht mit seinem verwesenden Fleisch verdorben habe. Er habe einen Brunnenbauer bestellt, der werde da wohl Bescheid wissen, und der solle auch bestimmen, ob man einen anderen Fisch einsetzen, oder mit der alten Sitte brechen solle. Und was sie dazu meine? fragte der Bruder noch, aber er bekam keine Antwort mehr.

Das gerettete Bild

Der schwarze Weiher glänzte, aus den Baumwipfeln herab drang ein Vogelton, sie waren im Schatten gelagert hier, die zwei Freunde, der schlafende und der wachende. Hinter ihnen dunkelte der Wald und rauschte tief auf manchmal, und vor ihnen breitete es sich zu einem sanft gemuldeten Wiesental, an das weiterhin Kornfelder sich heranschoben, von Obstbäumen gesäumt. Eine Wasserjungfer, grün schillernd, mit Flügeln wie aus Goldglas, sauste in geradem Flug über den Weiher daher, hielt auf den Wald zu, und wer weiß, was sie dort locken mochte im Dämmern? In blindem Eifer streifte sie dabei des Schlafenden Gesicht, daß der, erwachend, nach ihr griff, sie aber nicht zu fassen bekam, die Flinke, die schlank wendete und wieder auf das Wasser hinausflog, und sie hatte wohl schon wieder vergessen, was im Wald sie gewollt hatte.

Der so geweckt worden war, Leonhard, richtete sich auf und gähnte und sah zu dem Freund hinüber, der mit dem Rücken an einen Baum gelehnt saß und ihn nicht beachtete, und so sagte er schläfrig-zornig, und mehr wie zu sich selber denn zu ihm: »So ein Sonntag! Gibts etwas Langweiligeres?« Der andere wandte den Kopf nicht, er hatte zu tun mit seinem Versuch, eine Ameise von ihrem Weg abzubringen, indem er Rindenstückchen und kleine Steine vor ihr niederwarf, für sie waren es Balken und Felstrümmer, schwindelnd und mühsam zu überklettern, aber aus der Richtung drängen ließ sie sich nicht, die Schwarze, Unscheinbare, anders als die leichtsinnige Wasserjungfer, aber dafür glänzte die auch goldgeflügelt. Nun überschüttete der Gewaltige, der zornig über ihr tobte, die Wandernde mit einem Sturzregen von Tannennadeln, daß sie begraben war eine Zeitlang im Finstern, aber dann kam sie wieder ans Licht, und während sie den Weg fortsetzte, von dem nicht abzuweichen sie sich vorgenommen hatte, sagte der so mit ihr spielte: Wir können ja auch in die Stadt gehen. Leonhard schüttelte ablehnend den Kopf, der ein wenig zu groß fast auf seinen schmalen Schultern saß, und sagte: Nein! und sagte: Ich will nicht schon wieder den Mädchen in die Arme laufen! Franz, von der Ameise nun ablassend, die das nützte und im Gewirr eines Grasbüschels verschwand, lachte laut auf, fast zornig, und lachte dann nicht mehr, und machte ein ernstes Gesicht, und fragte vorwurfsvoll, und ein wenig wohl war auch Neid in seiner Stimme: Warum hast du es immer mit so vielen? Leonhard war selber unzufrieden mit sich, und so wiederholte er die Frage und fragte: Ja, warum? Aber Antwort kam von nirgend her, und so schwiegen sie beide wieder und sahen in das Tal hinaus und horchten auf das taumelnde Summen der Bienen, aber zu sehen war nicht eine, zwischen den Gräsern mochten sie geschäftig sein.

Nach einer Weile sagte Franz von seinem Baum her: Du, man spricht davon, die Hanna Wagenpfeil soll wieder da sein. So? tat Leonhard wenig neugierig. Er lag wieder lang ausgestreckt, den Kopf erhöht ins Moos gebettet, daß er auf den Weiher hinaus sehen konnte, und er hatte nicht recht hingehört, aber dann fand der Sinn der Worte zu ihm, und ihm fiel ein, wer diese Hanna Wagenpfeil war, und plötzlich, und während eine weiße Wolke über den Wald hinzog, stand lebendig vor seinen Augen, als wärs nicht vor drei Jahren, als wärs gestern gewesen, was er einmal erlebt hatte mit ihr, wenn man schon so ein Geringes ein Erlebnis nennen wollte.

Er war mit Freunden an einem Sonntagmorgen auf dem Platz vor der Kirche gestanden, und sie hatten ihre Bemerkungen gemacht über die zur Messe Wandelnden, die das wußten, und die sich alle bemühten, nicht unsicher zu werden vor den dreisten Gaffern. Die Kirchenfenster hatten in der Sonne geblitzt, wie sie das nur an Sonntagen tun, Tauben flogen ums Turmdach, und ein kühler Wind hatte geweht. Da war das Brautpaar gekommen, der Kaufmann Jobst und an seinem Arm die Hanna Wagenpfeil, die eben erst achtzehn geworden war, und die wie immer wie von weit her aussah, die Dunkelhäutige mit dem Katzengesicht, wie aus fremdem Lande stammend, und sie war doch auch nur aus der kleinen Donaustadt Peinting, wie sie alle.

Und da hatte die Hanna, als sie an ihm vorbei mußte, und so nah, daß sie ihn streifte, da hatte sie ihn angesehen mit einem langen Blick, und das Blut war ihr in die Wangen geschossen, und hatte sich losgemacht vom Arm des Verlobten, und war zur Kirchentür gelaufen mit wehenden Röcken, verfolgt von dem lauten Gelächter der jungen Männer, in das Leonhard schallend mit eingestimmt hatte. Er schämte sich dessen, noch jetzt und hier, am Weiher, wenn er daran dachte, und wie er dessen schon damals sich geschämt hatte, aber in seiner Verwirrung hatte er nichts Besseres zu tun gewußt, und Jobst, der Verlassene, hatte verlegen und gutmütig und seinen Ärger verbergend mitgelacht.

Kurz darauf mußte dann geschehen sein, von dem niemand genau wußte, wie es sich damit verhielt, aber einiges sickerte dann doch durch, wie das immer ist. Manches Mädchen wohl will sich einen ungeliebten Bräutigam vom Hals schaffen und scheut, das zu erreichen, auch vor Ungewöhnlichem nicht zurück, aber so aufs Ganze wie die Hanna Wagenpfeil geht doch so leicht nicht eins. An dem Kaufmann Jobst, der sie liebte und der sie heiraten wollte, obwohl sie arm war und er reich, und es gibt kaum einen größeren Beweis der Liebe als das, in Peinting nicht und nirgendwo sonst, an ihm hätte sie fast sehr übel getan. Drei Tage vor der Hochzeit, als man schon alles vorbereitete für die Feier, ging die Braut, die doch jetzt Wichtigeres zu tun hatte, nachmittags in den Wald, ließ sich nicht zurückhalten, obwohl die Mutter schalt, ging in den nahen großen Wald, noch einmal zu überdenken, was nun vor ihr lag, ein langes Leben nämlich neben einem ungeliebten Mann.

Sie hätte dem Bräutigam doch auch sagen können: Ich mag nicht, oder es geht nicht, ich liebe dich nun einmal nicht, oder dergleichen, oder hätte in die große Nachbarstadt fliehen können, zu einer verheirateten Freundin, und von dort dem Jobst schreiben können; so etwas schreibt sich leichter, als es sich sagt, Gesicht gegen Gesicht. Aber so handelte sie nicht. Sie sah nur: da ist der Mann, den ich in drei Tagen heiraten muß, nach dem Willen meiner Eltern, und wenn der nicht lebte, so müßte es nicht sein. Ihr war wohl zumut, wie schon manchmal einem verängstigten Knaben, dem seine Verzweiflung nichts Besseres zu raten weiß, als das Schulhaus in Brand zu stecken, um dem verhaßten Unterricht zu entkommen, und der mit Keulen also, man hat es erlebt, nach Mücken schlägt, belustigend und entsetzlich zugleich in seiner heillosen Verwirrung. Hanna, die Braut, trieb sich den langen Nachmittag im schwarzen Wald herum, mit schweren Gedanken, und kam abends heim, nicht mit leeren Händen, sollte es sich zeigen, sie brachte Pilze mit, viele Pilze. Und sagte dem Bräutigam, die habe sie für ihn gesucht, für ihn sich hundertmal gebückt, und nur für ihn seien sie bestimmt, für ihn ganz allein.

In der Laube im Garten ihrer Eltern stellte sie den dampfenden, Teller auf den grünen Tisch, und der so zärtlich Überraschte begann zu essen, und sie schmeckten ihm gut, so gut wie lange nichts, die von seiner Braut gesammelten und zubereiteten Pilze des schwarzen Waldes. Er schmauste, und sie sah ihm zu, und was dabei in ihr vorging, wer wollte das ergründen? Und ob sie es gedrängt hatte zu rufen: Hör auf! Wirf den Löffel weg! wer weiß das? Aber man weiß, daß sie es nicht rief, wenn es ihr auch auf der Zunge geschwebt haben mochte, sie rief nicht, sie saß mit brennenden Augen und brennendem Herzen neben dem Esser und sah, wie er den Teller leerte.

Sie blieben eine Stunde in der Laube noch, in der sie allein saßen, die Mutter nur kam ab und zu vorbei, der Schicklichkeit halber, und warf ein Wort herein und freute sich der Liebenden. Und der Glückliche küßte Hanna wieder und wieder, die sich nicht wehrte, und das war während der ganzen Brautzeit nicht allzuoft vorgekommen; sie war seinen Liebkosungen immer gern ausgewichen, und wenn er sich auch oft deswegen gegrämt hatte, er hatte es sich dann immer und schnell mit der mädchenhaften Scheu der Geliebten erklärt. So freute er sich um so mehr jetzt, weil er zu spüren glaubte, daß sie in seinem Arm zitterte, und meinte zu merken, daß ihre Lippen bebten, wenn er seine darauf legte, und meinte, daß ein Feuer in ihr zu erwachen beginne, das er zu schüren gedachte und das seine Nächte erhellen sollte: bald, in drei Tagen ja schon, sollte die Hochzeit sein.

Später, als es für ihn Zeit wurde zu gehen, ließ sie es sich nicht nehmen, ihn nach Hause zu begleiten, obwohl er fand, daß sich das nicht gehöre, aber sie bestand darauf, und da duldete er es, innerlich jubelnd. Sie ging neben ihm her durch die Straßen und spähte, ob er stolpere, ob ein Schwanken ihn ankomme, und beim Abschied unter der Haustüre sah sie ihn noch einmal forschend an, als er sie küßte, zum letztenmal küßte in diesem Leben, aber das wußte er nicht.

Er erwachte in der Nacht, und fand sich naß von Schweiß am ganzen Körper, und der Magen schmerzte, und die Eingeweide brannten, und er erbrach sich, und das war gut für ihn. Er ließ den Arzt holen, und glaubte sterben zu müssen, und krümmte sich und schrie. Was er gegessen habe? fragte der Arzt, und als er hörte: Pilze! sagte er: Da müssen giftige darunter gewesen sein! Und woher er die Pilze gehabt habe? Von seiner Braut, sagte der Kranke.

Der Arzt tat, was in solchem Fall zu tun ist, und fragte so nebenbei, ob seine Braut denn so wenig von Pilzen verstehe, da müßten die giftigen die mehreren gewesen sein! Er sah den Kranken so merkwürdig dabei an und sagte, er ginge nun heim, und weil das Haus der Braut auf seinem Wege liege, wolle er sie von dem Vorgefallenen unterrichten, und morgen in aller Frühe komme er wieder, und er ging, und da war es zwei Uhr in der Nacht, und der Himmel war mondlos und voller Sterne.

Er kam zu dem Haus der Braut und blieb stehen am Gartenzaun und sah eine helle Gestalt im Dunkel der Büsche schimmern, und rief die Gestalt an, die näherkam, es war ein junges Mädchen, es war Hanna Wagenpfeil, erkannte der Arzt, in einer kleinen Stadt kennt einer den andern. Und als er ihr sagte, er käme von ihrem Verlobten, dem Kaufmann Jobst, fragte sie schnell und erwartend, indem sie sich fest gegen das eiserne Gitter preßte, daß er im Sternenlicht ihr gieriges Gesicht sehen konnte: Ist er tot?

Das war eine Frage, die dem Arzt zu schaffen machte, und er bestand darauf, ihre Mutter sprechen zu müssen, und sprach mit der Mutter, die ein bleiches Gesicht bekam, und der Vater kam dazu, der es nicht glauben und nicht fassen konnte, aber vielleicht glaubte und faßte es die Mutter, wenn sie es auch nicht zeigte, sie war ja eine Frau. Hanna, herbeigerufen, widersprach nicht, wenn sie auch nichts zugab, sie schwieg, sie schwieg verstockt, und als der erregte Vater sie da schallend mitten ins Gesicht schlug, daß sie taumelte, weinte sie nicht, schrie sie nicht, sank sie auf einen Stuhl, deckte das brennende Gesicht nicht mit den Händen, behielt die Hände auf dem Schoß, und der rote Fleck in ihrem Gesicht leuchtete mit dem Rot des Fliegenpilzes.

Es wurde dann alles im stillen abgemacht. Dem dicken Kaufmann Jobst war, ihm sinke der Boden unter den Füßen hinweg, die Welt, er hatte sie immer vergnüglich und gut gefunden, war ein drachenmäuliges Ungeheuer geworden, weit aufgesperrt das Glühmaul, und er schon zwischen den Zähnen des Untiers. Aber er schwieg, der Arzt und die Eltern schwiegen, und das Mädchen wurde zu Verwandten in einer anderen Stadt geschickt, und aus der Hochzeit wurde natürlich nichts.

Ein Geraune erhob sich daraufhin in der kleinen Stadt. Man erzählte sich merkwürdige Dinge, warum die vielbesprochene Hochzeit nun niemals stattfinden würde, man munkelte dies und das und immer Böses und traf annähernd das Richtige, aber laut und anklägerisch sagte es niemand. Der Kaufmann Jobst gesundete rasch wieder, und die Behörde hatte keinen Anlaß, sich einzumischen, denn wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter. Man weiß ja, was böse Zungen alles daherreden, sagten die vernünftigen und bedächtigen Leute, so etwas Unerhörtes tut ein junges, unbescholtenes Mädchen nicht, beschwichtigten sich selbst, der eigenen Tochter dürfte man ja sonst nicht mehr trauen, so redeten sie, die Guten. Nur die jungen Mädchen zischelten und wisperten aufgeregt und hielten es in ihrem Herzen für durchaus möglich, und wünschten heimlich, und nicht ohne ein kleines Entsetzen, daß es gewesen sein möge, und die jungen Männer fanden, wenn sie unter sich davon sprachen, daß es eigentlich nicht ohne Schwung gewesen wäre, wie die Hanna getan, und nannten es großartig, und die leidenschaftliche Tat fand ihren Beifall zwar nicht gerade, aber die Haltung und die wilde Entschlossenheit der widerspenstigen Braut forderte doch ihre Achtung heraus und ihren schaudernden Beifall.

Das alles hatte sich vor drei Jahren zugetragen, lang war das her, besann sich Leonhard, und das Gerede hatte sich gelegt, und der Kaufmann Jobst saß glücklich verheiratet in der Nachbarstadt, warum sollte Hanna da nicht zu ihren Eltern zurückgekehrt sein, wie Franz das gesagt hatte? Vor Leonhard bildete der Weiher eine kleine Bucht, und in der Bucht schwammen, grünleuchtend, die flach aufliegenden großen Blätter der Seerose, und dazwischen hoben einige der dicken, weißen Blüten ihr wächsernes Haupt, und Wasserläufer schossen wie schnelle Botengänger zwischen ihnen hin und her. Es war ein schönes und fremdartiges Gewächs, die Seerose, fand Leonhard, in ihrem bleichen, kühlen Wachsglanz, und ganz anders als die gesunden und bunten Bauernblumen, die an allen Wegrändern stehen in ihrer derben Gewöhnlichkeit. Es hielt ihn nun auf einmal nicht mehr hier am Weiher, eine sonderbare Ungeduld hatte ihn erfaßt, die er selbst nicht recht zu deuten wußte, und er stand auf und sah, daß auch Franz sich erhoben hatte, und so sagte er zu ihm mit gespielter Gleichgültigkeit: Wenn du also meinst, können wir jetzt in die Stadt gehen. Sie gingen, und stiegen über einen Baum, der vermorscht über den Weg lag, und aus seiner zerrissenen Brust trieb wehendes, hellgrünes Strauchwerk empor und schlug nach ihnen.

Anderthalb Stunden später, es war jetzt sechs Uhr des Nachmittags geworden, saßen sie nebeneinander in einem Wirtsgarten der Stadt, und von der Kegelbahn her hörten sie das harte Aufschlagen der Kugel, den langhinrollenden Donner, der ihren Weg begleitete, das Zusammenpoltern der Kegel und die übermütigen Schreie der Spieler. Das wollte eine Sommernacht werden, mit Mond und vielen Sternen und leisem Windrauschen im Gebüsch. Hier und dort scholl ein Mädchenlachen auf, und während die Eltern fest und behaglich hinter ihren Steinkrügen saßen, schwärmte die Jugend aus, aufgetrieben von der Verlockung des zauberischen Dunkels. Vorm Zaun standen Arm in Arm die Mädchen, und Kühnere drangen in den Garten vor, von Zurufen angefeuert, bekamen Bier angeboten und tranken und wehten wieder davon, es war ein ewiges Hin und Her zwischen Garten und Straße, und immer wieder donnerte dazwischen der Klang der Kugeln und der Kegel.

Die Kreszenz, sagte Franz plötzlich, da steht sie! Wo? fragte Leonhard. Schau nicht um, sagte Franz, hinter dir, am Zaun! Leonhard trank, und mit der Schulter machte er eine abwehrende Bewegung. Die geht nicht, die wartet auf dich, sagte Franz und sah in seinen Krug hinein.

Leonhard sah sich nicht um, wie ihm der Freund das geraten hatte, was hätte er sich auch umsehen sollen? Er sah das Gesicht des Mädchens deutlich vor sich, und er kannte den entschlossenen Zug um den Mund, den es hatte, wenn es etwas erreichen wollte. Er wußte auch, was es erreichen wollte, und wenn es auch nur ein kleiner Gang mit ihm war, den er ihm versprochen hatte gestern, so wollte er den doch jetzt noch nicht tun, vielleicht später, der Abend war ja noch lang, das hatte noch Zeit, fand er ein wenig verdrossen, dem es die Frauen zu leicht machten.

Der Wirt, der eifrige und kluge, hatte Papierlaternen in den Bäumen entzündet, und da rissen nun die roten Lichtkugeln im Geäst ihre Feueraugen auf und warfen einen schwankenden Schein auf die Tische. Glühkäfer waren aufgeschwirrt aus allen Büschen und scheuten auch den Wirtsgarten nicht und nicht die schwatzenden und trinkenden Menschen, und zogen ihre kurvenreiche Bahn. Die wartende Kreszenz sah einen Käfer herantaumeln und holte sich ihn mit raschem Griff und betrachtete ihn, der wie ein Irrlicht erglänzte oder wie vermorschtes Holz, das in heißen Nächten faulig glüht. Und fast hätte sie geweint, obwohl ihr doch auch freudig zumut war, das kam von der Sommernacht, die keine Trauer recht aufkommen ließ und noch das Leid versüßte und wie unwirklich machte. Und weil der Glühkäfer noch viele heranschwirrten, fing sie sich noch einige und sammelte die Gefangenen in der hohlen Linken.

Länger könne er das Mädchen nun doch nicht mehr warten lassen, sagte Leonhard, mit leisem Groll in der Stimme, und du hasts gut, sagte er zu Franz, du kannst bleiben, aber in einer Stunde komme ich auch wieder zurück, und er trank seinen Krug leer und stand auf und ging, und den Kopf, der größer war, als es zu ihm paßte, legte er unwillig zurück in den Nacken. Kreszenz sah den geliebten Mann nur glücklich an mit ihren grauen, ein wenig schräg gestellten Augen, und dann schob sie ihren Arm unter den seinen, und sie schlenderten stadteinwärts. Die Straßen waren noch unruhig belebt, Kinder spielten um die Laternenpfähle, und unter den Haustüren standen die Erwachsenen, niemand, so schien es, wollte schlafen gehen in dieser Nacht. Der Mond war nun schon über die Dächer heraufgestiegen und hing dunkelgelb im schwindenden Abendlicht. Daß er das Mädchen an der Seite hatte, erfüllte Leonhard mit launischer Ungeduld, die er nur mühsam verbarg. Er wäre lieber allein gewesen, frei und abenteuernd durch die Straßen zu streichen, voll drängender Erwartung, Unbekanntem entgegen. Und da, als sie eben um eine Ecke bogen, sah er eine weibliche Gestalt aus einem Haus schlüpfen, und sein Herz tat einen so lauten Schlag, daß er erschrak, und fürchtete, Kreszenz könne ihn gehört haben: er hatte im Dunkel die Heimgekehrte erkannt, Hanna. Nach einigen Schritten stand die Gestalt still und blickte zum Mond hinauf, wie gebannt, und atmete tief, und wie sie nun langsam wieder weiterging, vor dem Paar her, war es zu merken, daß auch sie kein festes Ziel hatte, nur auch vom Mond verführt unruhig durch die Nacht wandelte.

Da schüttelte Leonhard den Arm des Mädchens Kreszenz ab, und stampfte mit dem Fuß zornig auf, der Unbeherrschte und Schlaue, und sagte, er habe etwas vergessen zu Hause, das log er, und das müsse er holen, und sie solle auf ihn warten, und überhaupt, und seine leise Stimme klang böse und drohend, er müsse nun allein etwas herumlaufen, sie wisse ja, das komme ihn manchmal so an, und jetzt sei es neun Uhr, und um zehn Uhr solle sie ihn am Jakobitor erwarten. Kreszenz sah ihn geduldig an, und wagte keinen Widerspruch, und sagte gehorsam: ja! und: um zehn Uhr! und: am Jakobitor! und sagte: Auf Wiedersehen! und warf plötzlich mit einer wilden Bewegung die Käfer, die sie noch immer gefangen trug, in die Luft, daß es wie ein Funkenregen aufglänzte, weil die Tiere ihren Flug fortsetzten, als hätten sie nur kurze Zeit im Schatten eines großen Blattes gerastet, und das Blatt war die Hand des bebenden Mädchens gewesen, das nun davonging.

Als es elf Uhr schlug vom Turm, leuchtete im Schatten des Jakobitors ein helles Kleid, ein Mädchenkleid. Bis elf Uhr auf Leonhard zu warten, hatte Kreszenz beschlossen, und als es jetzt elf Uhr schlug und er nicht gekommen war, ging sie, ging aufrecht und mit schnellen Schritten, und wer ihr begegnete, und es begegneten ihr nicht viele mehr um diese Stunde, dem fiel nichts auf an dem Mädchen, denn wenn der Mond auch hell schien, so hell schien er nicht, daß man die Tränen gesehen hätte, die ihr übers Gesicht liefen, und die sie nicht einmal wegwischte.

Als es elf Uhr schlug vom Jakobiturm, waren im Wirtshausgarten die Papierlaternen alle schon erloschen, nur das Mondlicht fiel durch die Bäume, und nur wenige Gäste saßen noch und tranken, und ihre Krüge warfen schwarze Schatten auf die Tische. Und Franz stand auf und betrachtete seinen Schatten, der vor ihm auf dem bleichen Kies sich abzeichnete, groß und schwarz, und er lächelte ein wenig traurig, und von seinem Schatten nur treu begleitet ging er nach Hause, und wie er das gewohnt war, allein und ohne Mädchen.

Als es elf Uhr schlug vom Jakobiturm und den anderen Türmen der Stadt, saß auf einer Bank in den Anlagen ein Paar, Leonhard und Hanna, im Baumschatten, wo der Mond nicht hin kam, und Leonhard legte den Arm um die Hüften des Mädchens, das erschauerte, und sich nicht wehrte, und mit einem Seufzer sich schmiegte an seine Brust und ihn küßte, den es noch nie geküßt hatte, und der es auch noch nicht gewagt hatte bisher, sie zu küssen, und er war doch so scheu sonst nicht, das gar nicht, der Mann Leonhard.

Und der Mond, hoch am Himmel, ging seine Bahn und spiegelte sich in der Donau und in den Altwässern der Donau. Still lag die Flut in der Weidenbucht. Aber dann rührte es sich silbern, blasenwerfend, weiße Fischleiber blitzten auf, ein Hecht jagte den Mindern, und der entrann ihm nicht, und er zog ihn zur Tiefe. Und die Blätter der Weide wurden genäßt von den Tropfen, die unter den schlagenden Fischschwänzen sprangen, silbernes Blut.

So war das gekommen, wie es kommen mußte, und Hannas Vater hatte nicht »nein« gesagt, als Leonhard um die Hand der Tochter bei ihm angehalten hatte. Er mußte ja froh sein, daß überhaupt es noch ein Mann mit ihr wagen wollte, nach all dem, was man in Peinting über sie flüsterte. Und wenn Leonhard auch in seinen Augen als Ehemann nicht so viele Vorzüge aufzuweisen hatte wie der Kaufmann Jobst, so war seine Stellung an der Gewerbebank doch sicher und auch nicht schlecht bezahlt, und von seiner Mutter, mit der er zusammen lebte, hatte er noch eine kleine Erbschaft zu erwarten. Und dann war Hanna auch wie vernarrt in den Mann, und ihr in einem solchen Fall zu widersprechen, davor hatte der gewitzte Vater Angst. Wie sie es mit dem Kaufmann Jobst getrieben, hatte er noch nicht verwunden, und er sah sie oft forschend an: wie hatte sie das nur planen können, damals! und sie war ihm tief unheimlich geworden, mit schwarzen Hexenaugen blickte sie in die Welt, dünkte ihm manchmal, und es war nur gut, daß sie nun selbständig war, und er nicht mehr um sie sorgen mußte, das mochte sie selbst nun tun, sie und ihr Mann Leonhard.

Dessen Mutter konnte sich an des Sohnes Frau nicht recht gewöhnen. Daß sie den Sohn liebte, das sah sie, wer hätte das nicht sehen sollen? der müßte blind gewesen sein, der, und das gefiel ihr, ganz natürlich. Aber es schien der frommen alten Frau, Hanna übersteige das den Menschen gesetzte Maß in ihrer Liebe, und wenn die Junge gar zu eng und drängend sich hing an den Mann und wie anbetend und heilig hingerissen zu ihm aufsah, als sei er der König aller Könige und nichts über ihm, regte es sich in ihr wie beleidigter Frauenstolz, und fast unwürdig schien es ihr und wie sündhaft, sich so mächtig einer Leidenschaft hinzugeben, und dergleichen war nie gut gegangen, sagte traurig ihr altes Herz.

Sie versuchte wohl auch, mit warnenden Andeutungen hin und wieder, der Schwiegertochter das merken zu lassen, aber wann hätten je die Worte der Alten das Ohr der Jungen erreicht? Und als die alte Frau nach zwei Jahren an einer raschen Krankheit starb, von Leonhard aufrichtig betrauert, sah er gekränkt die Teilnahmslosigkeit Hannas, die keine Träne zeigte, am Sterbebette nicht der Alten, und nicht an ihrem Grab. Und er erkannte, und konnte sich eines geheimen und stolzen Schauderns nicht erwehren, daß sie so viel Liebe trug für ihn, daß für andre nichts mehr übrig blieb, und so wurde ihm auch klar, warum sie gar nicht darunter litt, daß ihre Ehe kinderlos war, daß sie im Gegenteil sich freute darüber und ihn lachend küßte, wenn er sich beklagte, und herausfordernd sagte: Ich habe dich! Du hast mich! Was brauchen wir Kinder?

Sie waren nun schon bald vier Jahre verheiratet, im schattenlosen Glück, und wie am heißen Sommertag am blauen Himmel schwarzes Gewölk sich sammelt, das Sturm und Hagel und Donnerschlag bringt, so zog ein Unwetter dräuend über ihre Ehe herauf, Blitze schickend. Aber wie der Hase zu tun, der sich dann duckt in der Furche, oder wie das Reh im Gesträuch sich zu bergen und zu warten, bis das Grollen sich ausgetobt hat, das vermochte Hanna nicht. Und vier Jahre, das war viel zu lang für Leonhard, als daß er es fertig gebracht hätte, während dieser ganzen Zeit mit Herz und Sinnen nur an Hanna zu hängen. Seine Liebe zu ihr war nicht etwa vergangen, aber das schloß nicht aus, wenigstens nicht bei einem Mann seiner Art, und viele Männer sind dieser Art, daß auch andre Frauen ihn mächtig anzogen, und solcher Lockung zu widerstehen, war er, der Schwache, nicht gemacht. Das ist nicht gut zu heißen, er tat es selber nicht, und soll nicht billig verteidigt werden, aber dennoch, nicht bei jedem rächt es sich so und endet in Gram und Bitternis, bei manch einem und einer glättet das Aufgewühlte sich bald und leicht wieder und ist alles wie zuvor und als seis nie gewesen. Es war ja erstaunlich genug, daß ihm ein Abenteuer geriet in der kleinen Stadt, wo einer den anderen bewacht, aber verbotene Leidenschaft gedeiht auf jedem Boden und ist nicht auszurotten, wie das unbändige Unkraut immer wieder aufschießt zwischen den nützlichen Halmen. Da war nun seit kurzem eine junge Witwe in der Nachbarschaft, die war des Alleinseins müde und des zärtlichen Trostes bedürftig, und Leonhard versagte ihn ihr nicht, und wenn es auch bei Nacht und Nebel nur sein konnte, in abgesparten Stunden, heimlich tuend, das Schlimme war und geschah, und vor Hanna verbarg er sein Treiben so gut er konnte, aber auf die Dauer mußte das natürlich mißlingen.

Sie spürte es aus, was war, bald schon, und war ungläubig zuerst, und mußte es dann doch glauben, und daß ihrer Liebe so angetan werden konnte, verwirrte sie im Tiefsten, und daß Treue nicht Treue erzwang, machte sie irre an jeglichem festen Bestand. Wenn sie an den langen, leeren Abenden allein war, und sie ihn bei ihr wußte, der liederlichen Witwe, wie sie die Feindin bei sich nannte, dann litt sie es nicht mehr, stillzusitzen, ruhelos rannte sie durch alle Zimmer des Hauses. Es trieb sie umher, vom Keller zum Dach, treppauf und treppab, als suche sie etwas, und ihr war, als sei jemand hinter ihr, aber wenn sie sich umsah, war niemand hinter ihr, und dann setzte sie ihren Gang fort, Jägerin zugleich und Gejagte. Auf dem Tisch im Wohnzimmer stand in einem Goldrahmen des Ungetreuen Bild, und sie blieb oft stehen davor und besah es lange, und gab dem Bild einen Stoß, daß es umfiel leise klirrend, und stellte es wieder auf dann, und trieb es lange so mit Umwerfen und Aufstellen, bis ihre Augen sich verdunkelten und dann mit hilflosen Tränen sich füllten. Hörte sie dann, oft spät in der Nacht erst, die Haustüre gehen, und er kam, so wusch sie sich die heißen Augen mit kaltem Wasser, ihm unbefangen entgegentreten zu können, und nie sprach sie ein Wort über ihren Kummer. Selbst wenn er, selten genug in dieser Zeit, ihre Umarmung suchte, brachte sie es nicht fertig, sich ihm zu verweigern. Und als eine Freundin, oder was sich so nannte, ihr einmal halb scherzend sagte, sie solle die Schmach, die ihr zugefügt wurde, und von der nachgerade die ganze Stadt wußte, dadurch rächen, daß sie ihrem Mann Hörner aufsetze, wie du mir, so ich dir! riet die Freundin und lachte, schüttelte sie nur entsetzt den Kopf und vermied die Leichtherzige künftig, so gut sie es einrichten konnte.

Einmal in dieser Zeit ihres Unglücks, an einem wolkenverhangenen Tag, begleitete sie Leonhard nach dem Mittagessen auf seinem Weg in die Bank, wie sie das früher oft getan hatte, und als ihnen da eine Frau begegnete, irgendeine Frau, gar nicht besonders hübsch oder sonst auffallend in Wesen und Haltung, irgendeine Dutzendfrau, bemerkte Hanna, wie die fremde Frau ihrem Mann Leonhard einen raschen Blick zuwarf, oh, einen abscheulichen Blick, einen ehebrecherischen Blick, alle Sünde lag in diesem Blick, und eine freche, schamlose Aufforderung. Vielleicht war sie sich dessen selber nicht bewußt, die schamlose Dutzendfrau, aber Hanna sah den Blick und deutete ihn, und sie sah auch, daß Leonhard einen Blick des Einverständnisses zurückgab, und obwohl sie merkte, daß die beiden sich gar nicht kannten, sich noch nie gesehen hatten, sich vielleicht nie mehr würden wiedersehen, begriff sie mit einem Schlag, wie Leonhard war und immer sein würde. Es war nicht die Witwe bloß, auf wollüstigem Bett sich räkelnd, die ihrer spottete. Einen Schwarm von Frauen sah sie von überallher sich erheben, gierige, goldene Vögel, die schwirrten im Glanz und waren nicht zu verscheuchen, die lüsternen, die sich anboten, mit Brust und Herz und Schoß, und sie wurden genommen, und das wollte sie nicht leiden, nimmermehr leiden. Und lieber, wenn sie ihn nicht allein haben sollte, dem sie gehörte mit Ausschließlichkeit, lieber sollte er nicht mehr sein.

Und zu tun, was sie schon einmal getan hatte, trat ungeheuer und verführend vor sie hin. Und wer da der Meinung sein sollte, unwahrscheinlich sei es und nicht zu glauben, daß eine zum zweitenmal so zu handeln sich entschließe, der kennt den Menschen nicht, und nicht einen Menschen wie diese Frau. Hanna war nicht dumm, aber sie war zu kühn und zu großherzig, um listig zu sein auf gewöhnliche Weise, und einen rettenden Ausweg zu finden da und dort, wenn sie umstellt war, und immer wieder einen andern. Ihr Gesicht war das einer Katze, oft hatte Leonhard sie deswegen geneckt. Nun: nur der Fuchs ist schlau und wendig, der Löwe kennt keine List und nur den geraden Sprung.

Sie ging heim, es hatte zu regnen begonnen, aber sie beachtete es nicht. An der Rückseite ihres Hauses hatten sie einen kleinen Garten, und im Garten stand ein zierliches Gartenhäuschen, in das setzte hörte ihn auf das Holzdach trommeln. Stundenlang blieb sie in dem kleinen Holzhaus sitzen, gleichmäßig strömte der Regen hernieder und wusch das Gras, und die Blumen senkten ihre Köpfe. Hanna fröstelte, aber sie blieb auf der Bank sitzen, im Trocknen immerhin, und hielt den Kopf gesenkt, wie die Blumen draußen im Regenguß. Eine Schnecke sah sie über den Kiesweg daher kommen, langsam, ganz langsam, und ihr war, die Schnecke bringe ihr vielleicht eine Botschaft, und so wartete sie, bis sie bei ihr sein würde. Der Boden des kleinen Gartenhauses war mit Brettern belegt, die waren stellenweise schon ein wenig morsch, und zwischen den Fugen sah das Gras hervor, und in der Ecke, im Dunkeln, wuchsen gebüschelt kleine, röhrenhalsige Pilze, auf dünnen Stielen, totenfarben und blaß. Sie sah sie lange und unverwandt an, und ein entschlossenes Feuer trat in ihre Augen, und dann sah sie wieder zur Schnecke hin, die hatte ihr Haus schon an die Türschwelle herangetragen, aber sie machte nicht halt davor und setzte ihren Weg fort, an der Hütte vorbei, ohne um Hanna sich zu kümmern. Da stand sie auf, es war ihr wie im Traum, und ging in den Regen hinaus und in den Wald, der auch voll Regen war.

Sie hatte keinen Schirm mitgenommen, keinen Hut, auch kein Tuch, die Schultern zu schützen, und so war es ein elender Anblick, als man sie fand, vier Tage später: unordentlich die Haare in die Stirn hängend, schmutzig das Gesicht, mit Erde verschmiert die Hände, man sieht sehr bald struppig und ungepflegt aus, wenn man viermal vierundzwanzig Stunden im Wald haust, Tag und Nacht, und es waren auch zwei Regentage dabei und eine Regennacht. Und wenn sie vielleicht auch vor dem Regen einen überhängenden Felsen gefunden hatte, sauberer wird man doch nicht von solchem Leben. Zwar für die Pilze war der Regen gut gewesen, die schossen aus der Erde, geil und jäh, und schimmerten durch die Farnkräuter, und sie mußte unermüdlich gesammelt haben, es waren deren eine Menge, sie hatte sie zu einem Kreis gelegt, mit großem Fleiß und sehr kunstvoll, immer die zusammengehörenden zusammen, und giftige, nur giftige hatte sie herbeigetragen.

Und wie sie so bei der Arbeit war, und die Bäume rauschten gewaltig, und die Kröte saß glotzend auf dem feuchten Stein, und der Bach gluckste schwarz geschwätzig, und jenseits des Baches ein Fliegenpilz grinste hämisch her und sprach: Ich bin es, der dir helfen kann – da hatte sie vielleicht ein lautes, wüstes Lachen überfallen, und sie war lachend in den Bach gestiegen, ihn zu durchwaten, und war stehengeblieben im Bach, während sie den Fliegenpilz ausgrub. Und sie war aus dem Bach nicht wieder herausgestiegen und war ihres Weges weitergegangen in der Strömung, den Fliegenpilz tragend, hoch in der Rechten, auf den schlüpfrigen Steinen rutschend und schwankend, und das kalte Wasser seufzte um ihre Knöchel. Und wo der Bach sich etwas verbreiterte, zu einer stillen Gumpe, um die Binsen standen, hatte sie sich gebückt vielleicht und hatte sich gesehen im Wasser, wie sie den Pilz hielt, den rotköpfigen, und hatte ihr Gesicht widergespiegelt gesehen daneben, und daß sie so aussah, hatte sie nicht gewußt, und hatte den Pilz von sich geschleudert und dann mit der Faust sich selber mitten ins Gesicht geschlagen, ins Wassergesicht, zertrümmernd die höllische Spiegelung, aber immer kam sie wieder. Und da mochte ihr Herz, flatternd wie der Vogel, den der Marder verfolgt, mit grausamem Aug, der blutgierige, da mochte ihr preisgegebenes Herz ein paar verzweifelte Flügelschläge getan haben, und das rohe Lachen eines Hähers war das letzte vielleicht, was sie noch hörte, und dann geschah es an ihr, erbarmend, und sie wurde getragen hoch und weit und süß rauschend hinweg, in die sternlosen Räume des Geborgenseins in der Verdüsterung. Und wie sie sich dann noch herumtrieb im finsteren Wald, mit leeren Augen, die nichts mehr sahen, das konnte den nächtlich schweifenden Fuchs erschreckt haben, und das still äsende Reh, oder vielleicht hatten die sie nicht beachtet und für ihresgleichen gehalten. Inmitten des kreisrunden Pilzwalls saß sie, als man sie fand, die Verlorene, hochaufgerichtet und stumm, und ihr Mund war blutrot, wie mit Blut beschmiert, als habe sie eine blutige Wunde mitten im Gesicht, aber es waren nur die Spuren von Brombeeren und Himbeeren, die sie reichlich mußte gegessen haben, und hatte sich nicht die Mühe genommen, sich den Mund zu wischen, wozu auch? Wenn man lebt wie die Tiere des Waldes, Tag und Nacht, in Sonne und Regen, da wischt man sich den Mund nicht mehr.

So nahm es ein klägliches Ende mit ihr, wie es anders nicht sein konnte bei einer, die immer gleich zum Äußersten entschlossen war. Bei Königen und Helden preist man das, im großen Leben, das Taten fordert. Bei ihr, bei der es um Kleines ging, das ihr aber groß war, sah sich das alles wohl anders an, und Zuchthaus und Schafott hätten auf die Mörderin gewartet. Aber das auch nur zu erwägen, kam ihr nicht in den Sinn, die anderen Gesetzen gehorchte. Denn wenn auch eines kleinen Bürgers ehelich gezeugte Tochter, war sie wie eins jener verwunschenen Wesen, die in Felsgrotten und hohlen Bäumen sollen gewohnt haben, früher, darüber man spottet heut, und war unter die Menschen verschlagen worden, und nur treue Liebe hätte sie hier festhalten können, aber die ist so leicht nicht zu haben.

Sie mußte in eine Anstalt gebracht werden, Hanna, die katzengesichtige, eine Löwin sozusagen, wenn man es nicht lassen will, höhnisch Vergleiche zu ziehen, eine Löwin, auf närrischverzweifelte Weise, die zum verderblichen Sprung schon sich geduckt hatte, aber der Anblick ihres eigenen Gesichts, der sie sich erkennen ließ, im Bache gespiegelt, hatte sie ins Dunkel gejagt. Ihr Sinn erhellte sich nicht wieder, und das war gut so. Sie fiel immer tiefer ins Dämmern, und als sie bald der Tod in die gänzliche Schwärze hinüberholte, merkte sie es nicht, sie schritt ja nur vom Finstern ins Finstere, da ist kein Unterschied.

Am Tag, als man sie begrub, und genau zur Stunde, da man sie begrub, trat Leonhard, der Witwer, in die Stube des Kaufmanns Jobst, und besprach sich mit ihm, und der wurde noch einmal bleich bei dem Gedanken, welch eine wilde, zauberische Unholdin er da mit sich hatte verbinden wollen, und hatte es dann viel besser getroffen mit seiner zweiten Werbung, wie es anders nicht zu erwarten war, und er konnte sich freuen. Es saßen und redeten die beiden Männer, und es war die gleiche Frau, die einem von ihnen den goldschimmernden Todestrank bereitet hatte, und mit dem anderen hatte sie es auch so halten wollen – aber sie lebten, die Männer, lebten beide, und das Gift hatte sich gegen Hanna gewendet, die eine Pfuscherin nur gewesen war, in jedem Betracht, und wie der Pfeil, wenn es sein soll, auf die Brust des verfluchten Schützen zurückfliegt, so war es ihr ergangen, und sie lag nun, während sie saßen und aßen und tranken und atmeten, atemlos und weiß in der schwarzen Erde. Als sie beredet hatten, was zu bereden war, und es war immer nur das eine, und so waren sie bald fertig damit, verstummten sie, nachdenklich und unbegreifend, und dann schied Leonhard von dem Kaufmann, um noch den Abendzug nach Peinting zu erreichen.

Er saß im Zug dann, allein in seinem Abteil, und sah durchs offene Fenster hinaus, und die Wälder rauschten vorbei, es war viel Wald um Peinting herum, und einmal fuhr der Zug über die Donau. Hinter wehendem Weidengestrüpp lagen schwarz die Altwässer, ein Steindamm trennte sie vom mütterlichen Strom. Über ein Stück versumpften Landes führte ein morscher Holzsteg zu einer Hütte, die einem Fischer gehören mochte, denn es waren Netze davor aufgestellt zum Trocknen, und Ruder lehnten an der Wand. Im Westen hatte sich am Himmel viel Gewölk versammelt. Die Sonne war im Untergehen, noch hing die glühende Scheibe dunkelrot am Rand der Erde, und von ihrem Feuer waren die Wolken rötlich durchhaucht. Da schlug ein Kuckuck an im Wald, ganz nah, und Leonhard spähte, ihn zu sehen, der doch nie zu sehen war. Wieder und wieder schrie er, eine lebendige Uhr. In einem grünen Wipfel saß er, versteckt, ließ seinen frechen Schlag erschallen, eine Gefährtin für kurze Zeit sich zu locken, der Gauch, der sich nicht binden mochte und sich nicht festhalten ließ zu einem biederen Glück, pflichtvergessen und ewig unbehaust. Traurig lauschte ihm der Mann am Fenster, der seinen Kopf weit hinausbeugte, daß der Sturm sein Haar griff und dran rüttelte in strafendem Zorn, und voll Scham ließ er es geschehen. Und plötzlich legte er die hohlen Hände um den Mund, und das Tier im Walde höhnend, und wie ihm Antwort gebend, ahmte er es nach mit Kuckuck und Kuckuck, viele Male. Dann, sich besinnend, nahm er die Hände vom Mund und schwieg. Finsterer glühte der Abendhimmel. In die Wolken im Westen, zu Kissen und Polstern gebauscht, hingebreitet zu einem üppigen Lager, und rosig geschwellt, war ein Wind gestoßen, wild blasend, der sie durcheinanderwarf, hierhin und dorthin sie schleudernd, hinauf und hinab, in der Lust der Zerstörung. Der Zug fuhr schneller nun, ein Wiesental hinab. Der Kuckuck schrie immer noch, unverschämt und aufregend, über die Wälder her, und war dann nicht mehr zu hören.

Die liederliche Witwe, die sich nach Hannas Tod Hoffnung auf Leonhards Bett und Hand und Haus gemacht hatte, mußte bald erfahren, daß der zauderte und zögerte mit immer neuem Wenn und Aber, und nicht zu gewinnen war, und so wandte sie sich, gekränkt und dann rasch getröstet, einem andern zu, denn warten, lange zu warten und zu dulden und zu bangen, war nicht ihre Sache. Aber zu warten, lange zu warten war die Sache des Mädchens Kreszenz. Kreszenz, seit sie weinend in jener Mondnacht vor Jahren vom Jakobiturm heimgegangen war, hatte sie gewartet und hatte es noch getan, als sie selber nicht mehr recht wußte, worauf, und dann waren auf einmal die Torflügel des Lebens weit vor ihr aufgesprungen, und mit glänzendem Gesicht war sie Leonhard gegenübergetreten, dem sie nichts zu verzeihen hatte, weil sie nie anklägerisch gegen ihn gesinnt gewesen war. Und kann sein, der trug ihr seine Hand an, weil er sich in ihrer Schuld fühlte, wie er sich in Hannas Schuld wußte, und an der einen wollte er vielleicht gut machen, was an der anderen er gefehlt, als ob das möglich wäre.

Sie heirateten, und Kreszenz schenkte ihrem Mann drei Kinder, Zwillinge zuerst, Knaben, und ein Mädchen dann, und sie jubelten darüber, und Lärm aus den jungen Kehlen erfüllte das kleine Haus, darin eine glückliche Mutter waltete, und ihrem Mann Kinder zu geben, das hatte Hanna nicht vermocht, die nur zu lieben vermocht hatte auf ihre unbedingte und fürchterliche Weise. Und das, wie das gewöhnliche Leben schon ist, das solche Überspanntheiten nicht zu mögen scheint, und verlangt, daß man sich bücke und sich schicke und zu verzichten wisse, das trägt seine Strafe und seinen Untergang schon in sich. Und wer nur will, und es sich zubilligt, der werfe den ersten Stein auf sie.

Seinen alten Freund Franz hatte Leonhard lange nicht mehr gesehen. Es war Franz gewesen, der sich von ihm zurückzog damals, als der frevlerisch Unbeständige, der sein Glück nicht halten konnte, es mit Hanna so bös trieb. Und auch, so hatte es Leonhard geschienen, der darüber nachsichtig und ein wenig überlegen gelächelt hatte, war seinem entrüsteten Mitleid mit der Betrogenen ein anderes Gefühl beigesellt gewesen, schmerzlich und hoffnungslos, wenn er es auch zu verbergen bemüht war.

Nun gab es sich, daß sie wochenlang Bett an Bett schliefen, am weiß gehobelten Tisch nebeneinander aus Blechschüsseln das gleiche Essen aßen, nebeneinander auf glühenden Landstraßen marschierten, schwer bepackt, und in der Reihe marschierte mit und aß und trank mit ihnen der Kaufmann Jobst. Sie trugen graue Soldatenkleider, der große Krieg war aufgeflammt, ringsherum in der Welt, und Leonhard und Franz und Jobst, alle drei gediente Soldaten, waren zum gleichen Truppenteil eingezogen worden. Im September dann saßen sie im Zug, der nach Westen rollte, hatten Sträuße von Blumen am Helm und an der Brust, und sangen, und Leonhard ließ eine weinende Frau zu Haus und lachende Kinder, und Jobst ließ Frau und Kind zu Haus, nur Franz hatte sich noch immer kein Weib gewonnen. Er war ein geschickter und anstelliger und leidlich aussehender Mensch, bloß mit Frauen verstand er es nicht, so sehr ihn auch danach verlangte, aber in den Krieg zu ziehen fiel ihm dafür jetzt, dem Einsamen, leichter als manchem andern, so hatte das auch sein Gutes.

Der Zug fuhr drei Tage und drei Nächte, und dann stiegen sie im französischen Land aus. Im ersten Gefecht, das sie mitmachten, lagen sie in der Schützenkette nebeneinander. Der kleine Raufhandel, mehr war es nicht, verlief soweit glücklich, auf beiden Seiten hatte man nur geringe Verluste, aber als man sich erhob, blieben doch einige liegen, und unter ihnen war Leonhard. Er lag im Schatten eines Strauches, der seine Zweige zu ihm senkte, und ein gelber Schmetterling saß im Laub und bewegte die Flügel, ohne daß es ihn davontrug, und wie neugierig verharrte er, und Franz mußte ein paarmal nach ihm schlagen, ehe er sich gemächlichen Flugs zu einem andern Toten aufmachte. Dann nahm Franz dem Freund, der sich das mit still lächelndem Gesicht gefallen ließ, die kleinen Habseligkeiten ab, die der Soldat so mit sich führt, die Erkennungsmarke und die Uhr und die Geldbörse und die zerwetzte Brieftasche, um sie dem Feldwebel zu geben, daß der sie den Angehörigen in der Heimat schicke. Aus der Brieftasche, als Franz sie in der zitternden Hand hielt, fiel das Bild einer Frau, und als er es aufhob, sah er in Hannas Gesicht. Er erschrak und durchblätterte hastig den Inhalt der Brieftasche, aber er fand kein anderes Bild mehr, wie er es erwartet hatte, und schnell entschlossen, und mit einem scheuen Blick auf den Toten, steckte er Hannas Bild zu sich, und gedachte der armen Frau Kreszenz.

Das war klug gehandelt und rücksichtsvoll, aber es war doch eine überflüssige Zartheit, wenn man überlegt, daß Leonhard, bevor er ins Feld gerückt war, seinen letzten Willen niedergeschrieben und in einem verschlossenen Umschlag verwahrt seiner Frau Kreszenz übergeben hatte, und bestimmt hatte darin unter anderem, daß man, wenn er auf dem Feld der Ehre bleibe, seinen sterblichen Teil, wenn irgendmöglich, nach Deutschland schaffen und ihn in ein Grab neben seiner Frau Hanna betten solle. Aber das konnte Franz ja nicht wissen, als er den kleinen Diebstahl beging, und vielleicht lag ihm auch sonst, und aus einem geheimen Grund, daran, Hannas Bild zu besitzen.

Und was den Toten getrieben hatte, so zu wünschen, war das Gefühl vielleicht, auf diese Weise Hanna zu zeigen, daß er ihr nichts vorzuwerfen habe und billigen müsse, was zu tun sie geplant hatte im schwarzen Wald von Peinting, daß er dem Urteil zustimme, das sie über ihn gefällt, aber nicht vollstreckt hatte, und er keinen Grund finde, sich aufzulehnen gegen einen gerechten Spruch, und das sollte sie wissen. Und vielleicht auch meinte er, so unsinnig das auch erscheinen mag, daß man mit solchem Bekenntnis niemals zu spät kommt und immer das Ohr dessen erreicht, der es hören soll, und wie er damit Kreszenz treffen mußte, hatte er wohl nicht bedacht, unbedacht, wie er das sein Leben lang gewesen, oder auch er wußte, was Kreszenz ohne Groll zu tragen imstande war, er hatte es erprobt genug.

Als er begraben wurde, der Soldat Leonhard, am Tag nach dem Gefecht, der ein Rasttag war für die Truppe, begraben mit allen Ehren, in einem rasch angelegten Soldatenfriedhof, und der Feldgeistliche sprach am offenen Grabe, hörte man schon kein Gewehrfeuer mehr. Der Krieg tat noch einen letzten Sprung nach Frankreich hinein und blieb dann stehen, und Leonhard schlief unter seinem niedrigen Hügel wie im friedlichen Land, und das entfernte Murren der Geschütze machte die Stille nur noch tiefer.

Der Herbst kam und der Winter, die Truppen, Freund und Feind, suchten Schutz in der Erde, in Gräben, aus denen sie jahrelang nicht mehr heraussteigen sollten. Der Schnee lag auf Leonhards Grab und den anderen Gräbern, und taute weg im Frühjahr, und da war es so weit, daß es der Frau Kreszenz gelungen war, Schwierigkeiten vieler Art zäh überwindend, die Erlaubnis zu bekommen, Leonhards letzten Willen ausführen zu dürfen. Ob es sie sehr schmerzte, daß ihr toter Mann neben seiner ersten Frau zu liegen verlangte, verriet sie niemand. Sie hatte ja die drei Kinder von dem Gefallenen, und das war viel und genug, besonders für ein geduldiges Weib, wie es zu sein Kreszenz das Leben gelehrt hatte.

Aber als ihr Bruder in Frankreich eintraf, um dabei zu sein, wie man den toten Schwager ausgrub, ließ man ihn nicht vor zu dem kleinen Friedhof, denn gerade an diesem Tag, einem heißen und blauen Maitag, versuchte der ungeduldige Gegner einen Angriff. Seine weittragenden Geschütze begannen zu donnern, und auch der Friedhof lag im Feuerbereich, ja, fast mochte es scheinen, gerade gegen ihn richte sich die gesammelte Wut der Vernichtung. Die schweren Geschosse pflügten die Gräber um mit furchtbarer Gewalt, Rauch und Dampf lagerte in Schwaden über den Kreuzen, Erdsäulen stiegen, stürmisch emporgerissen, schwarze Bäume, die wehend standen und wieder zerfielen, ein Wald, sich immer erneuernd, von schwefligen Feuerstößen durchzuckt. Es war ein Anblick von erhabener Heiterkeit, wie die Lebenden hier auf die Toten schossen, die sich nicht mehr wehrten, und geduldig aus den Gräbern sich noch einmal ins Licht holen ließen, dessen sie sich schon entwöhnt hatten, und es war ja immer noch besser, sie boten ihre verwesenden Leiber dem splitternden Eisen, als wenn die Lebendigen getroffen worden wären. Ein Volltreffer setzte sich auf Leonhards Grab, ein tiefer, schwarzer Trichter blieb, von Löchern und Trichtern gähnte, als das Feuer endlich nachließ, der verwüstete Friedhof. Leonhards hölzernes Grabkreuz aber war fortgetragen worden, hoch über den Friedhof hinweg, weit hin wirbelnd, und war wie ein Speer niedergesaust dann, und steckte nun, ein wenig schief, aber ohne jede Beschädigung sonst, wieder im Boden, in einer Wiese, an einer Stelle, wo der gelbe Löwenzahn in dichten Scharen wuchs. Das war kein schlechter Platz für ein Grabkreuz, im grünen Rasen, blumengeschmückt, aber was die Inschrift auf der kleinen Blechtafel nun in unschuldiger Lüge meldete: daß hier der Soldat Leonhard ruhe, das stimmte nicht mehr.

Man sammelte, was von den mißhandelten Toten verstreut war, und beerdigte es in einem Massengrab, das man weiter rückwärts anlegte, und Kreszenzens Bruder mußte unverrichteter Dinge wieder nach Hause fahren, und hatte immerhin einen Stoß des Grauens verspürt, von dem die Männer der Heimat sonst nur in schweren Nächten träumten. Leonhard aber, der Umhergetriebene, der im Leben schon niemals neben einer Frau Ruhe gefunden hatte, das Lager treu mit ihr teilend, so war sein Herz nicht, war nun kläglich und lächerlich auch mit seinem letzten Versuch gescheitert, diesem Schicksal ein Schnippchen zu schlagen und es im Tode wenigstens zu erreichen.

Übrigens fiel dann später auch der Kaufmann Jobst, und auch Franz fiel, es fielen viele Männer aus dem waldumrauschten Peinting, da war gar nichts mehr Besonderes dabei, damals, und kein Anlaß, zu überlegen, was das zu bedeuten habe vielleicht, über den Tod hinausweisend, und was damit, Dunkles erhellend, könnte gemeint sein. Und bei dem totengelben Franz fand sich das Bild einer fremdartig aussehenden Frau mit einem Katzengesicht, und als es seine schon seit Jahren nicht mehr in Peinting wohnende Schwester mit der Hinterlassenschaft des Gefallenen erhielt, war sie bei aller Trauer doch auch ein wenig gekränkt über ihren heimlich tuenden Bruder, der ihr nie etwas erzählt oder geschrieben hatte von einer Frau, die ihm nahestand. Das Bild mußte oft und lange betrachtet worden sein, das merkte man ihm an. Nicht daß Fingerabdrücke darauf zurückgeblieben wären oder verbogene Ecken es anzeigten, es war, als ob auf geheimnisvolle Weise die Augen der Beschauenden ihre stillen Spuren darauf hinterlassen hätten – so ist es oft. Und die Schwester, eine Frau, die doch was verstand vom Leben und einen gesunden Blick hatte, sagte zu ihrem Mann, daß es nie hätte gut gehen können mit Franz und der Unbekannten, daß sie gar nicht zueinander gepaßt hätten, die zwei. Sie hatte recht damit, denn wenn auch Franz brav und treu liebend gewesen wäre und Vorzüge sonst noch gehabt hätte vielerlei, der stets ordentliche und zuverlässige – für wen Hannas wildes Herz sollte schlagen, der mußte von anderer Art sein, im guten und im Bösen, und auch wenn sie daran zugrunde ging.

Das Bild aber, Hannas Bild, lag dann bei anderen Andenken, bei silbernen Kreuzen und gilbenden Briefen und Ringen, in einem schwarzen Kästchen, verwahrt in einem Schrank, der selten geöffnet wurde, in dem alte Seidenkleider und verschlissene Tücher hingen, von stark riechenden Mottenkugeln beschützt, im Schatten der Vergessenheit, in dem zuletzt alles verdämmert.

Editionsnotiz

für die Prosabände 7 bis 16.

Als Druckvorlage diente diesen Bänden die Ausgabe »Georg Britting - Gesamtausgabe in Einzelbänden« der Nymphenburger Verlagshandlung, München.

Zu den Bänden 13, 14 und 16:

Diese Bände enthalten die Beiträge des Bandes „Anfang und Ende“ der zuvor genannten Ausgabe, der nach dem Tod von Britting im Jahr 1964 erschien und folgende Nachbemerkung enthält: Mit diesem Band ist die Gesamtausgabe der Werke Brittings abgeschlossen.

Sechs Bände sind vom Dichter in den Jahren 1957 bis 1961 noch selbst redigiert worden, sozusagen als Ausgabe letzter Hand. 1965 erschienen und dem Titel »Der unverstörte Kalender« [Band 6 unserer Ausgabe] zunächst die Gedichte aus dem Nachlaß. Nunmehr wird der erzählerische und dramatische Nachlaß Brittings in Buchform zusammengefaßt. Wie schon der letzte Gedichtband, enthält er Werke aus allen Schaffensperioden: zunächst Erzählungen, sodann Bilder, Skizzen und Feuilletons, [unser Band 13] die Britting bisher in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht hatte, das Fragment eines größeren erzählerischen Werkes aus der Spätzeit, »Eglseder« [unser Band 16] und schließlich drei dramatische Arbeiten aus den zwanziger Jahren. [Unser geplanter Band 14] Das dichterische Werk Georg Brittings liegt damit, abgesehen von einigen wenigen peripheren Arbeiten, in acht Bänden vollständig vor.

Ausführlichere Informationen unter: www.britting.de

Impressum

Band 9
Hrsg. von Ingeborg Schuldt-Britting

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.d-nb.de abrufbar. Informationen über den Dichter und sein Werk in www.britting.de.

Alle Rechte vorbehalten
© 2008 Georg-Britting-Stiftung
83101 Höhenmoos
Wendelsteinstraße 3
Satz u. Layout: Hans-Joachim Schuldt
Made in Germany
Gedruckte Taschenbuchausgabe:
ISBN 978-3-9812360-0-2 (Sämtliche Werke - Prosa)
ISBN 978-3-9812360-3-3 (Das gerettete Bild)

Georg Britting
Sämtliche Werke in 23 Bänden

 1 Der irdische Tag

 2 Rabe, Roß und Hahn

 3 Die Begegnung

 4 Lob des Weines

 5 Unter hohen Bäumen

 6 Der unverstörte Kalender

 7 Die Windhunde

 8 Das treue Eheweib

 9 Das gerettete Bild

10 Das Liebespaar und die Greisin

11 Der Schneckenweg

12 Die bestohlenen Äbte

13 Anfang und Ende

14 Dramatisches

15 Der Hamlet Roman

16 Eglseder - Ein Fragment

17 Regensburger Bilderbögen

18 Italienische Impressionen

19 Theaterkritiken

20 Briefe an Georg Jung

21 Briefe an Alex Wetzlar

22 Nachlese Gedichte

23 Nachlese Prosa

Kommentare und Anmerkungen zu den einzelnen Bänden und zu Werkgeschichte und Biographien, sowie ca. 800 Buchseiten »Rezensionen, Interpretationen und Sekundärliteratur«, erhalten Sie online unter www.britting.de.