Anhang Band 2 – S.267 bis 292


4. Das Bild des ›Dichters‹ Britting in der literarischen Öffentlichkeit der dreißiger Jahre

B.s seit der Wende des Jahrzehnts gefestigte Dichterrolle wird nun auch in einer Rezeption der Freunde anerkannt und bekanntgemacht (vgl. Bd. III, 2, S. 482 u. 491); allmählich werden dem Werk wie der Person literarische Porträts gewidmet, die vor allem den Naturlyriker ins Zentrum rücken, selbst B.s Prosa eine ›lyrische‹ Grundhaltung bescheinigen und damit - anschließend an eine traditionelle Hierarchie der Gattungen - den Rang B.s als )Dichter( im Gegensatz zum Prosa-›Schriftsteller‹ festigen. Fritz Knöller hält in seinem Essay Georg Britting (in: Literatur 35, 1933, S. 628-633; wenig veränderte Fassung: Georg Britting, in: Deutsches Volkstum 17 (1935), S. 216-223) fest: »Lyrik, gesteigerte Lebenserfassung, Lebensverkündung, ist der Anfang des Brittingschen Schaffens. « (S. 630). In all diesen Beiträgen wird B.s Werk in die Kategorien der zeigenössischen Literaturbetrachtung - mehr oder minder behutsam - eingeordnet und damit als besondere Erscheinung akzeptabel gemacht, ohne daß sich innerhalb des Rezeptionsraums krasse weltanschauliche Differenzen abzeichneten. Es konstituiert sich hier vielmehr die Rezeptionshaltung eines Kreises, der sich in der Wertschätzung )echter Dichtung‹ geeint weiß und sich nicht zuletzt in den Nuancen erkennt, um die gerade die Kennworte völkischer und nationalsozialistischer Schrifttumspoetik variiert werden. Damit wird auch eine Kontinuität zur konservativen Literatur der zwanziger und frühen dreißiger Jahre gewahrt, deren Konzept von ›Landschaft‹ und ›Natur‹ hingegen in der NS-Literatur zum ›Blut und Boden‹Kult vergröbert, deren ›Fronterlebnis‹ dort›heroisiert, deren regionaler Erfahrungsraum von Heimattümelei überdeckt wurde. Im Kontext dieser Rezeption ist auffällig, wie Wulf Dieter Müller (vgl. Nr. 168), der auch weiter nicht an dem Gespräch über B. teilnimmt, die Nuancen verfehlt, wenngleich in seinem Brief an einen Dichter (in: Deutsche Zeitung, 28. 12. 1934; zit. nach dem Exemplar in B.s Nachlaß, Bayerische Staatsbibliothek) die üblichen Leitkonzepte auftauchen, mit einem bezeichnenden Akzent auf dem ›Fronterlebnis‹, das generell zum Autoren-Image beim Langen-Müller Verlag gehörte; Müller wollte erklären, was B.s » Werk uns jungen Soldaten des Vaterlandes bedeutet und wie wir es in unserem Leben einsetzen«:

Es gibt Dichtung, die die Wogen der Sprache glättet. Ihr Werk möchte man zu jener anderen Dichtung stellen, die den Boden der Sprache aufreißt und umpflügt, so daß schwere satte Schollen glänzen. [...] Sie haben uns die Landschaft in der Dichtung gerettet. Es scheint so, wir müßten heute der elementaren Seite des Lebens recht nahe bleiben. Dazu gehört das Ertragen des Schmerzes - und Sie schonen uns wahrhaftig nicht mit Erinnerungen an diese Tatsache in der Natur. Nicht ein trostloses Schicksal des Individuums, sondern der Lauf der Natur bringt auch Schmerz und Not mit sich. Nur die Einordnung in dieses ewige Gesetz der Natur verleiht uns die Freiheit, deren wir als einzelne und als Nation im Daseinskampf auf der Erde bedürfen.
Zum Kriegserlebnis wird sich Hanns Braun in einem Beitrag, der als von B. autorisiert gelten darf (Das Haus im Engadin. Eine Wanderung mit Georg Britting, in: Die neue Rundschau 45, 1934, Bd. 1, S. 678-685; vgl. oben S. 259), distanzierend äußern:
Mag es der Krieg gewesen sein, der solch reine Schau und Freude des Lebens verdunkelt hat oder erst richtig geweckt - von dem, was der Kriegsfreiwillige und nachmalige Kompanieführer Britting »draußen« erfuhr und mit einbrachte in sein ferneres Leben, soll hier nicht, soll nur von ihm selber berichtet werden. Wer immer Dunkles und Heiteres aus ihm, wo es zuinnerst drauf wartete, mag heraufgeholt haben, ob der Krieg oder ein andres, - wir sehen bloß, daß selbst aus jener »kleinen Welt am Strom«, die ihm Jugend bedeutet und Heimat, die dunklen Erinnerungen heraufwallen, schreckenserfüllt, grimmig-humorig mehr denn lichte ohne Harm, wenn zwar diese nicht fehlen. Seinem düster-schönen Regensburg, dem silbernen Donaustrom, dem so liebenswerten Land Bavaria hat Britting wie nur irgendeiner mit Kunst und Liebe heimgezahlt.
Abgesetzt gegen jeglichen heroisierenden Gestus (vgl. jedoch zum besonderen Fall der Rezeption des Hamlet-Romans
Bd. III, 1, S. 373f.) konzentrierte sich in der kreisspezifischen Rezeption die Aufmerksamkeit auf das Besondere des ›echten Dichters‹ (vgl. zu diesem Leitbild der Epoche Ketelsen, S. 87), die landschaftliche Bindung von Literatur, das spezifisch
bayerisch Barocke.Ernst Wiechert, von B. wenig geschätzt (vgl. unten S. 295), hatte am 24. 1. 1933 in seiner Rede Georg Britting vor der Fichte-Gesellschaft eine Zuordnung von B.s Schaffen zu der - von den Nationalsozialisten bearg
wöhnten - ›stillen‹ Dichtung des Nachexpressionismus versucht:
Inzwischen aber sehen die Wenigen, die in Deutschland von der Dichtung der Zukunft wissen, daß hier in der Stille eine der größten und geschlossensten Begabungen heranreift und Früchte zu tragen beginnt, die wir besitzen, und die ausersehen ist, das zu verkünden, was not tut. [...] »Wir verteidigen ein kleines Reich gegen eine ganze wilde Welt«, hat Wilhelm Raabe gesagt. Und mir scheint, es würde uns allen gut sein und müßte uns nötig sein, uns um die Wenigen zu scharen, die in unsrer stürzenden und aufbrechenden Zeit das kleine Reich verteidigen, das Reich der adligen Stille und der Weisheit, der Güte und des tapferen Lächelns, der großen Furchtlosigkeit und der großen Demut. (Sämtliche Werke, Bd. 10, München: Desch 1957 S. 863-870, hier S. 864, 870).
»Eine große Stille hängt über den meisten seiner Dichtungen«, heißt es auch in dem von B. begrüßten Aufsatz Friedrich Märkers (Georg Britting, in: Die neue Literatur 40, 1939, S. 119-126 [Bibliographie von Ernst
Metelmann, S. 126], hier S. 122; dazu B.s Brief an Märker, 13. 8.[1939]).Märker führt zudem den Begriff der ›Schau‹ ein, der zum selben semantischen Feld literarischer Kritik an der ›Modernisierung‹ gehört:
Man merkt in seinen Dichtungen wenig von dem Drang des Verstandes, das Leben und seine Geschöpfe zu zerlegen, um ihren Charakter und ihren Sinn zu finden; aber sie sind auch kein bloßer Abklatsch der Natur, wie ihn der photographenhafte, von der kalten Beobachtung getragene Naturalismus gab. Man spürt bei Britting, daß er die Menschen und das Leben tief durchschaut - durchschaut nicht mit dem verstandlich-detektivischen Sinn, der dem Wort im Lauf eines intellektuellen Jahrhunderts gegeben wurde - durchschaut mit der hellseherischen Kraft des tiefen Erlebens. Sein Auge sieht den Sinn. (Märker, S. 120)
Ähnlich zentriert - und doch die ideologische Lesart von der sinnvermit
telnden ›Dichtung‹ korrigierend - ist wiederum das Dichterbild bei Hanns Braun:
Es ist das Vorrecht der Dichter, zu schauen und, wenn es sie bedrängt, zu fragen, der Antwort aber sich zu enthalten. Fragen selber kann freilich Antwort werden: eine Absage an alle Antworten. Dahinter starrt die Verzweiflung. Würdig ist die Welt der Frage, wer möchte es leugnen; frag-würdig ist sie, und auch Britting macht es auf seine Weise dringlich: nicht wehleidig etwa oder mokant, sondern indem er zu dem tollen Tatbestand ja sagt, dessen er sich gleichwohl aufs tiefste, ja bis zum Grausen verwundert. Wer nur den Lyriker Britting kennt, wird den Frager nicht oder nur wie im Schatten wahrnehmen. Eingefangen ist da die Welt, die wunderreiche.
Hier setzt der Vergleich mit Alverdes an, um den sich Friedrich Ludwig Barthel (Dichterköpfe der Gegenwart: Georg Britting, in: Völkische Kultur 3, 1935, S. 260-264; vgl. unten S. 269f.) bemüht:
Wie für Paul Alverdes als den Dichter des »Kilian«, der »Pfeiferstube«, des »Reinhold« Gut und Bös, Leid und Jubel in verwirrender Nähe beisammenliegen, so im Grunde genommen auch für Georg Britting. Die Rollen zu vertauschen, daß die Toten lachen und die Lebenden heulen, die Toten den Glanz und die Lebenden die Mühe haben, das ist ihm, Britting, durch und durch eigen. Wenn jedoch Alverdes die Gegensätze ineinanderspielt, bis jedes Ding im andern und alles Lebende und alles Tote in einem göttlichen Ur-Grund beruhigt erscheint, wenn er also in Übergängen von oft ergreifender Schönheit und Verklärung malt, dann reißt Georg Britting die Gegensätze bis zur Unerträglichkeit auf, setzt die Farben grell und spukhaft nebeneinander, daß sie sich anschreien und aufheben, überspannt, um ein anderes Bild zu gebrauchen, den Bogen, bis er bricht. Er soll brechen, die Gegensätze sollen sich unmöglich machen, einer den andern: das ist seine, Brittings, Art zu befriedigen und zu erlösen. Dem Humor oder vielmehr der tragisch-heiteren Fassung von Alverdes steht bei Britting Ironie oder vielmehr tragisch-heitere Übersteigerung der Welt gegenüber. Kaum weil Britting derber, herzhafter, männlicher wäre, vielleicht ist er, dem Dissonanzen nicht blechern und hölzern genug, meint man, aufkreischen können, sogar der Empfindsamere, vom Leben härter Berührte und Erschreckte, aber sein Weltbild und seine Weltbildnerei sind von anderer Beschaffenheit, als suche er, und er sucht ja wohl auch auf anderem Wege,' die gleiche, endliche Ruhe in Gott.
Der jüngere Curt Hohoff zeigt sich hingegen in einem von B. geförderten Essay (Über Georg Britting, in: Das Innere Reich 2, 1935, S. 507-517) über die internationale Wendung zu einer konservativen ›klassischen
Moderne‹ informiert; für ihn ist B. »Nur-Künstler« (S. 508), dessen Werk vom »Zurücktreten des Ich« geprägt (ebd.) »nirgends ein Wollen, ein Sollen, eine Absicht oder eine Tendenz« (S. 507) verrät:
Wenn es auch überflüssig erscheinen mag, so ist es in der Tat äußerst nützlich, gleich zu Anfang darauf hinzuweisen, daß hier nicht die menschliche, sondern lediglich die dichterische, künstlerische Persönlichkeit Brittings behandelt werden soll; der Leser wird kein Wort über das Leben Georg Brittings erfahren, sondern nur einiges über seine Dichtung, insofern nämlich hier beabsichtigt ist, aus den Gedichten, den Novellen, dem einzigen »Roman« einige Erkenntnisse über gewisse Grundantriebe des Künstlers Britting zu finden und aus diesen wieder die Dichtungen zu deuten und erklären. Das Geschaffene soll also aus dem verstanden werden, was seinerseits erst aus dem Geschaffenen heraus verstanden werden kann. [...] Aufs Ganze gesehen, scheinen sich in der Kunst Georg Brittings der Dichtung ganz neue Möglichkeiten zu erschließen, es ist der Aufbruch einer ganz wesenhaft neuen Art, Wirklichkeit zu verdichten, Dinge auszudrücken, Natur zu geben. Britting ist es weitgehend gelungen in seiner Dichtung, der vielfach in Formen der Vergangenheit lebenden Dichtkunst unserer Tage zu entkommen und vielleicht Wegweiser zu neuen Mitteln und Zielen zu sein und damit den neuen Zeitstil auch in der Dichtung zu begründen.
Nietzscheanisch heroisierend und auch damit nicht fern von Meinungen B.s und seines Kreises (vgl. unten S. 287, außerdem auf S. 278f.) führt Hohoff 1939 diese Deutungslinie in seinem Essay Der Dichter und das Gefühl (ausgehend von der Sammlung Der Schneckenweg, vgl. Bd. III, 2, S 491) fort. »Georg Britting«, so kontrastiert er dessen Schaffen einer »bürgerliche[n] Empfindsamkeit«, »schmecken die Dinge so wie sie wirklich sind. « Jene aber gründe »auf der falschen Annahme [...], das Holde sei rührend, das Zarte mitleidswert und das Wilde sei zu verdammen«:
Dieser Aberglaube beherrscht unser Schrifttum bis zu seinen stärksten Vertretern; gesundes Empfinden ist von Kräften gebracht, und der Dichtung haftet ein fader Geschmack verweichlichter Gefühle und verdrehter Moral an. Dichtung ist nicht Gefühlskundgabe, sondern Formung, aber soweit kommen die meisten heute nicht. Kleist durchbohrte den wattigen Panzer der Rührung und Stifter erhob sich darüber durch sein erstaunliches Zartgefühl, aber schon Keller verfing sich oft und Rilke trieb Kult damit. Die »edlen« Schriftsteller verderben gründlich den Geschmack des Volkes, das für seinen Teil das Bürgertum überwunden hat und ein neues, hartes und darum wahres Verhältnis zur Wirklichkeit bekommt. [...] Denn die Wirklichkeit enthält nie »Moral« in sich, sondern gewisse im Sein liegende Gesetze, denen alles folgt, die unverletzlich sind, an denen sich, da sie von metaphysischer Geltung sind, Schuld und Ausgleich entzünden. [...] Brittings Moral aber ist in der berichteten Welt mitgegeben, so wie Stifter von dem unausweichlichen »sanften Gesetz« redet.
Fortgeführt wird nicht diese, sondern Hohoffs ästhetisierende Variante, die sich - verstärkt etwa durch den wichtigen, wiederum von B. geförderten Aufsatz von Lily Gädke über den ›bildzeigenden Lyriker‹ (vgl. Alma-nach, S. 73-'79; 118), dann auch durch erste werkimmanente Forschungsbeiträge - nach 1945 durchsetzen wird. Vorerst zeigt allerdings eine weitere Bemerkung Hanns Brauns, wie in den dreißiger Jahren B.s Texte auszulegen waren:
Poesie ist zuzeiten verstanden worden als etwas Ätherisch-Schwebendes, das behütet werden müsse vom Anhauch dieser Erdenwelt - solches Davonfliegen und meiden ist nicht Brittings Weg, sondern ein hartnäckiges Dableiben und Ergreifen, ein Wahr-haben-wollen dieser verwunderlichen Erde [...] Freilich, einen Heimatdichter wird man Britting nie heißen; diesem Rang ist er durch ein Mehr an Gnade entrückt und unheimelig ist, wer Dunkles anrührt.
Entspricht die Einschränkung gewiß B.s eigenem Wunsch (vgl. Bd. 1, S.611), so wird die Betonung landschaftlicher Bindung zu einem Gemeinplatz der Rezeption. Mit der Kleinen Welt am Strom hatte sich B. als der »neue bayrische Erzähler« - so die Vossische Zeitung (Bd. III, 2, S. 444) - bekannt gemacht: »Welche Kraft ruht doch in den deutschen Landschaften!«, pries Bruno Brehm, ein »Dichter« von »sudetendeutsche[m]
Wesen« (Nadler, S. 5o6), dieses Büchlein B.s:
Und wie wundersam berührt es einen, wenn ein Bajuvare, einer aus jenem Stamme, der so lange im Schatten stehend geschwiegen hat, während alle anderen deutschen Stämme sprachen, nun einmal das Wort ergreift. Da werden die Jahrhunderte zu einem Tage, der erst gestern hinter den Vorbergen versunken ist und sich heute wieder in dem Lichte seines neuen Anbruchs erhebt.
(Die literarische Welt, Nr. 24, 16. 6. 1933, S. 5; vgl. Bd. III, 2, S. 444)
Rolf Meckler erklärte 1933 in einem Werküberblick Dichter der Nation. Georg Britting (Zeitungsausschnitt; Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Sammlung Rehse; wiederholt als: Junge deutsche Dichtung, in: Kritische Gänge. Literaturblatt der Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 13, 1. 4. 1934):
Die gegenwärtige Zeit wird erneut der alten Wahrheit inne, daß durch
die landschaftliche Eigenart Charakter und Wesen aller künstlerischen
Schöpfung entscheidend bestimmt wird.
Daher sei B. »durchaus süddeutsch und verrät in seiner Sonderlichkeit schon auf den ersten Blick die bayrische Herkunft«:
Das bewegte Barock, das sich in allen Dingen äußert und das seinen natürlichen Reiz gewinnt durch die unnachahmliche musikalische und malerische Plastik, spricht in Brittings Werk eine überaus lebendige Sprache.
Britting zählt nicht zu den Dichtern, die sich mit anmaßlicher Eitelkeit in Szene zu setzen wissen. So zu handeln, erschiene ihm verächtlich angesichts der künstlerischen und menschlichen Bedeutung seines Werkes. Ein Berufener, wie nur wenige andere, vertraut er in ruhiger Bescheidenheit denen, die ihn suchen um seiner wirklichen Werte willen und die zu glauben vermögen an die immer reifere und vollkommenere Entfaltung seiner ungewöhnlichen dichterischen Begabung.
Barthel nähert das Stereotyp weiter den völkischen Werten an - also der Verachtung des ›Ästhetentums‹, dem ›bluthaft‹ Unbewußten, Sinnlichen:
Immer quält und beseligt ihn die Allgegenwart der Dinge, und alle Dinge und Menschen, sind ihm recht, so wie sie sind. Idealisieren ist nicht seines Wesens. Lieber macht er sie noch um ein weniges dicker, fäuler, langsamer, unentschlossener wie jenen Hamlet, oder unflätiger, viehischer wie den einfaltigen Hirten Hoi. Sind die Dinge und Menschen bloß und irdisch - allzu irdisch nicht doch auch schön oder wenigstens stark, daß sie ein Herz bestechen können? In Bayern frohlockte das Barock, das formsprengende, übermütige, ganz gewiß dem Leben mit tausendfacher Bereitschaft zugewandte. In allen Werken Brittings schweigt eine barocke Macht sich hinzugeben, zu bilden, Gegensätzliches herauszutreiben. (Barock nennen wir gemeinhin, was die Augen der Ästheten beleidigt). »Aber da kommt nun doch ein Käfer, rennt eilig, mit vielen Beinen, und mit was für Beinen, mit vielen eifrigen Zitterbeinen, mit einem Büffelkopf, mit einem dicken Büffelkopf'« Britting ist ein Barbar, ein Anfänger im guten Sinne, einer, der wie jeder von uns Grammatik lernte, der auch weiß, was Subjekt, Objekt und Prädikat ist, der sich aber dennoch kein Deutsch in einer krausen Freude und Dichtigkeit, ohne sich um das übliche zu bekümmern, vom Munde wegredet. Beiläufig also Blut gegen Geist. Irgendwie gewiß.
»Ihre Liebe zum Barock«, so wird B. am 7.8.1946 ironisch an Georg Jung schreiben, »habe ich schon gespürt«: »Ich bin öfter als mir lieb war barock genannt worden. Das gibt so ein bequemes Schlagwort ab. Übrigens bin ich es ziemlich. «
Die »Barockisierung des Expressionistischen aus süddeutschem Vermögen« (Bode, S. 49), die kulturkonservative Entdeckung des Barock im Kreis Hofmannsthals, dem auch der frühe Richard Billinger zuzuordnen ist, wurde in der Rezeption der dreißiger Jahre nicht mehr kulturhistorisch
erörtert, sondern entweder stammesgeschichtlich oder stiltypologisch gedeutet. Um eine am Stil orientierte Deutung geht es wiederum Hohoff, der das ›Barocke‹ und das ›Bayerische‹, einen »gesunden Realismus,
ähnlich wie [bei] Stifter«, schließlich in einem »Stil seelischer Kühle« aufgehoben findet (Hohoff S. 515).
Vor allem aber ist in dem Essay Bayrisches Sprachbarock. Ein stilistischer Versuch statt einer Buchbesprechung (Das literarische Echo, 44, 1941, S. III-113) von Wilhelm Emanuel Süskind (1901-1970) der Rezeptionstopos des ›Barocken‹ stilkritisch pointiert, zugleich mit einer Spitze gegen »die geistreiche, aber zu rasch zum System geronnene literaturwissenschaftliche Methode, die sich auf die
stammhafte Zugehörigkeit der Dichter stützt« (S. iii). Süskind, 1933 bis 1943 Herausgeber der Zeitschrift Die Literatur, dann bei der Krakauer Zeitung für die Literaturkritik zuständig, seit 1949 leitender Redakteur der
Süddeutschen Zeitung, gehörte zum Starnberger Kreis um Binding (vgl. unten S. 295f, außerdem die Polemik von Kurt Ziesel, Das verlorene Gewissen, München: J. F Lehmanns Verlag 1958, S. 71ff.) und damit zu
B.s Bekanntenkreis. Anläßlich des Erzählungsbandes Der Schneckenweg macht er bei B. auf »Stammeseigentümlichkeiten seines Stils« (S. iii) aufmerksam, »das durch und durch Albayrische in seiner Sprache, seiner Komposition, seiner Weltsicht« (ebd.). B. habe freilich, so erklärt Süskind
in einer graziösen Wendung, »gar nichts bewußt Bayrisches«:
Er erzählt Geschichten, meist recht grausame, ungezähmte Seelen- und Körperkatastrophen, wie sie sich unter Menschen von starken Leidenschaften überall auf der Welt zutragen. Seine Umwelt mag häufig bayrisch sein; aber seine Welt ist weder bayrisch noch überhaupt der menschlichen Gesellschaft eingeordnet: sie ist kreatürlich naturhaft [...]. Auf Herz und Nieren gefragt, würde Britting sich nie als einen bayrischen Dichter bezeichnen, sondern als einen Mann, der halt seine Geschichten und Gedichte aufschreibt. In die Sprache übersetzt, in der man von sich selber nicht reden kann: als einen deutschen Dichter. (Süskind, S. 112)
In dem Geburtstagsartikel Georg Britting. Fünfzig Jahre (Münchner Mosaik, 4, 1941, S. 64-65, hier S. 64) replizierte dann B.s Freund aus Regensburger Tagen Hermann Seyboth:
Gelehrte haben Britting einen Wiederentdecker des bayerischen Barock in der Dichtung genannt. Es ist fraglich, ob Britting das Barock wiedererweckt hat. Uns dünkt es, als ob es sich umgekehrt verhalte. Was barock in Bayern war und noch ist, das ist sein Lebensgefühl, und das hat kein Ende gefunden wie der Barockstil selber. Das Lebensgefühl ist geblieben. Er ist sehr bayerisch, dieser Dichter Georg Britting, und sehr bayerisch ist das, was er geschaffen hat. Wäre er aber nur bayerisch, nun, dann hätte unser Landstrich einen Heimatdichter mehr, der sich von den anderen nur dadurch unterscheidet, daß er hochdeutsch schreibt. Er ist ein deutscher Dichter!
In extremer Konsequenz des stammesgeschichtlichen Ansatzes nahm Karl Winkler in seine Literaturgeschichte des oberpfälzisch-egerländischen Stammes B.s Erzählung Fischfrevel an der Donau (2. Bd.: Nordgaulesebuch, Kallmünz: Laßleben 1940, S. 150-157) und die Gedichte Die kleine Welt in Bayern, Laubfall, Die Sonnenblume, Nacht der Erinnerung (S. 125-127), sowie Der Strom, Abend an der Donau (S. 142f.) und Grüne Donauebene (S. 145) auf (vgl. in Band 1 seines Werkes S. 354-357)•
Insgesamt verlief die Kanonisierung von B.s Werk in den Literaturgeschichten der dreißiger und beginnenden vierziger Jahre nur zögernd und uneinheitlich, dabei die im aktuellen Literaturgespräch skizzierten Linien vergröbernd.
In den Literaturgeschichten der Jahre um 1930 wurde noch nicht auf B. hingewiesen; auch in Werden und Wandlung. Eine Geschichte der deutschen Literatur von 1880 bis heute (Berlin: Kurt Wolff 1933) von Guido K. Brand, immerhin einer der Rezensenten des Verlachten Hiob (vgl. Bd. 1, S. 626), ist nicht einmal sein Name genannt.
Daß sich danach die dezidiert ›völkischen‹ Literarhistoriker in ihrem Urteil über B. keineswegs einig zeigten, verwundert nicht. In einer Sammlung wie der vom »Hochschulprofessor Dr. Heinz Kindermann«
1933 bei Reclam herausgegebenen Des deutschen Dichters Sendung in der Gegenwart finden sich Beiträge von Paul Alverdes, Richard Billinger, Edwin Erich Dwinger, Paul Ernst, Hans Grimm, Erwin Guido Kolbenheyer, Rudolf Alexander Schröder, Ernst Wiechert, Franz Schauwecker, die zwar zu B.s literarischem und persönlichem Umfeld gehören; doch war einerseits sein Unwille gegenüber politischen Bekenntnissen von ›Dichtem‹ wohl genügend strikt, seine Stellung andererseits wohl nicht repräsentativ genug, als daß es - mit einer Ausnahme (vgl. unten S. 363ff.) - zu solchen staatskonformen Deklarationen gekommen wäre. Jedenfalls ließ er sich aus der Sicht der Historiker der Gegenwartsliteratur vor allem anfangs den >volkhaften< Autoren der Zeit, die gegen die >Zivilisationsliteraten< der vergangenen Republik ausgespielt wurden, nicht ohne weiteres zuordnen. Zum engeren Kreis der wirklich kanonischen Autoren zählt er ohnedies nur den wenigsten: Hellmuth Langenbucher, dem Verlag B.s verbunden (vgl. Lokatis, S. 23), geht auf B. in seinem Abriß Volkhafte Dichtung der Zeit (2. erw. Aufl.; Berlin: Junker & Dünnhaupt 1937) noch nicht ein, nennt lediglich im Literaturverzeichnis die Bände Die kleine Welt am Strom, Der irdische Tag und Das treue Eheweib, bezeichnenderweise aber nicht den Hamlet-Roman (S. 185, 187). Auch Adolf Bartels (Geschichte der deutschen Literatur, 16. Aufl., Berlin u.a.: Westermann 1937 S. 749f.) schätzte B. nicht sonderlich (vgl. Bd. III, 2, S. 443): Er nennt ihn nur beiläufig einmal, weist dabei auch auf die Werke aus den zwanziger Jahren hin, übergeht aber ebenfalls den Hamlet-Roman; »an die Spitze der süddeutschen Dichter« stellt er hingegen Paul Berglar Schröer und Otto Gmelin. Ähnlich ist das Urteil von Franz Koch in der Geschichte der deutschen Dichtung (7. Aufl., Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt 1942): B. erscheint hier als Schriftsteller, »der [...] die Kunst der Erzählung pflegt, dazwischen schöne Geschichtsbände stellt« (S. 353; S. 277 beiläufiges Lob des Hamlet). Paul Fechter schließlich erwähnt in seiner Geschichte der deutschen Literatur. Von den Anfängen bis zur Gegenwart (Berlin: Knaur 1941) wohl die beiden ersten Herausgeber der Zeitschrift Das Innere Reich, Paul Alverdes und Karl Benno von Mechow, nicht aber den wichtigsten Autor der Zeitschrift, B. (vgl. ebd. S. 750).
Gelegentlich allerdings wird B. doch stärker beachtet, so in dem Band Die deutsche Dichtung seit dem Weltkrieg. Von Paul Ernst bis Hans Baumann (2.erg. Aufl., Karlsbad u. Leipzig: Adam Kraft o.J. [um 1939], S. 149f.) von Norbert Langer, der auch in Der Greif. Einjahrweiser des guten Buches 1938 B.s Gedicht Mondnacht auf dem Turm (oben S. 182) würdigte (S. 28), weiter in Langenbuchers erweiterter Literaturgeschichte Volkhafte Dichtung der Zeit (3. Aufl., Berlin: Junkers u. Dünnhaupt o. J., S. 217f.), und vor allem in Arno Mulots Die deutsche Dichtung unserer Zeit (2. erg. Aufl., Stuttgart: Metzler 1944, S. 399f, 431, 456ff.). Hier wird die »zuchtvolle Unerbittlichkeit und blutvolle Kraft seiner dichten Wortkunst« hervorgehoben (S. 431 zum Band Das treue Eheweib); Mulot lobt »die herrische Formkraft des Dichters«, die »in den besten Gedichten die Eindrücke zu einem rhythmusstarken Ganzen« balle (S. 457), und resümiert:
[B.] hat die mildernden und sänftigenden, traditionellen Geistlösungen abgewiesen und sich entschlossen dem in seiner Größe und Schönheit zugleich unheimlich-geheimnisvollen Naturleben entgegengeworfen. Er hat dabei auch dem Grauen und der Todeswollust der tierdumpfen Urwelt seinen reichen Tribut bezahlt, aber immer wieder in liebendem Ungestüm das Ganze der Schöpfung bejaht, der unbändigen, ungebändigten Gefahr zum Trotz seine bauernbunte Bilderwelt aufgebaut und aus den tausend im warmen Lichte um uns stehenden Dingen der sonnenüberflammten Landschaft die Schönheit des Kosmos emporgezaubert.
(Ebd. )
Ebenfalls vorgestellt wurde B. in Josef Nadlers ›stammesgeschichtlicher ‹Literaturgeschichte des deutschen Volkes. 4. Band: Reich (Berlin: Propyläen 1941, S. 239) - und zwar als eine ›Verheißung‹ neben Hans Carossa. Charakteristisch für eine Rezeption im Umkreis >völkischer< oder auch konservativ-nationaler Literaturwissenschaft ist dabei der Rückverweis auf das >Fronterlebnis<, und zwar mit ebenjenen Stereotypen, die B. selbst in seinem Lebenslauf Anfang der dreißiger Jahre fixiert hatte; so heißt es bei Nadler: »Als Kriegsfreiwilliger und durch den Schützengraben einem neuen Deutschland verschworen, von dem bairischen Stil Ludwig Thomas in die Schule genommen, hat der Dichter seinem Soldatenerlebnis und der bairischen Volksnatur einen sehr lebensechten Ausdruck gesucht. « Ähnlich verfuhr Franz Lennartz in seinem besonders einläßlichen Überblick über B. s Werk von den Anfängen - etwa den frühen Komödien - bis Ende der dreißiger Jahre; auch er übernimmt B.s selbstverfaßten und stilisierten Lebenslauf und fügte eine Äußerung des Autors aus biographischen Angaben, die B. im Anhang der Anthologie Rufe in das Reich (vgl. Anm. zu S. 26) drucken ließ, wörtlich hinzu: »Wer vier Jahre Schützengrabengemeinschaft erfuhr und erlebte, der konnte hinfort nichts anderes mehr sein als national und sozial zugleich« (Lennartz, S. 62ff., hier S. 63). Wenn auch nach solcher gelegentlichen Anbiederung B.s noch mehrfach Versuche unternommen werden, ihn für eine >völkisch-heroische( Literaturgeschichte zu reklamieren, so dokumentieren die literarhistorischen Stellungnahmen und Bewertungen insgesamt, kaum anders als das publizistische Echo, die Schwierigkeiten im Umgang mit B.s Schaffen. Denn letztlich ließ sich dieses Werk eben nicht in jene »volkhafte Dichtung« einpassen, »die im Werk eines Paul Ernst und Emil Strauß, eines Hermann Steht und Wilhelm Schäfer, eines Kolbenheyer und Hans Grimm und all der anderen [...] etwa von 1925 ab immer mehr zu einem festen Block zusammengewachsen ist« (Hellmuth Langenbucher: Literaturwissenschaft und Gegenwartsdichtung, in: Einsamkeit und Gemeinschaft. Zehn Vorträge der 5. Arbeitstagung des Amtes Schrifttumspflege beim Beauftragten des Führers für die gesamte geistige und weltanschauliche Erziehung der N.S.D.A.P, hg. v. Hans Hagemeyer, Stuttgart: Engelhoms Nachf. Adolf Spemann 1939, S. 64-84, hier S. 77).
So begegnen Werke B.s denn auch relativ selten in den empfehlenden Bücherverzeichnissen von Bibliotheken und Büchereien. Symptomatisch, zumindest für die Phase der fortgeschrittenen <Gleichschaltung< auch auf diesem Sektor, ist ihr Fehlen in einem Verzeichnis wie Volk im Buch.
Lebendige Dichtung aus Vergangenheit und Gegenwart. Ein besprechendes
Bücherverzeichnis (herausgegeben von der Zentrale für Nordmarkbüchereien und der Städtischen Öffentlichen Bücherei Flensburg, o.J. [um 1938], das u.a. Paul Alverdes, Stefan Andres, Werner Bergengruen, Friedrich Bischoff, Hans Caroassa und Horst Lange aufführt, oder auch in dem repräsentativen literaturpädagogischen Werk von Gustav Boyke
Erziehung durch das Schrifttum. Neue Wege der Jugendführung im Deutschunter
richt (Frankfurt a.M.: Moritz Diesterweg 1941; vgl. Bd. III, 2, S. 444 zu einer beiläufigen Empfehlung). Lediglich das 1933 von Karl Kerber ebenfalls bei Diesterweg herausgegebene Bändchen Wir bekennen. Deutscher Dichterglaube nimmt in die Abteilung »Neue Gläubigkeit« B.s Gedicht Die kleine Welt in Bayern als einen Beleg für das »Erstarken volk- und heimatverbundener Frömmigkeit« auf (S. 1o).