Anhang Band 4
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LITERARISCHE BEZIEHUNGEN
 

Um 1951/52 erreichte die Wirkung Brittings mit der neuen, allgemeinen Welle der Naturlyrik einen zweiten Höhepunkt. Das Werk, das nach einer Neuauflage des Irdischen Tags (1948) in gewisser Weise präsent war, wurde von jüngeren Autoren als Grundlage für die eigene Arbeit anerkannt. (Bode, S. 122)
Zum 6o. Geburtstag von Britting schrieb Walter Höllerer im März 1952 in den Weltstimmen:

[...] Georg Britting gehört zu den wenigen Dichtern, die von den zwanzigerfahren über die dreißiger Jahre hin bis in unsere Zeit nach der Niederlage sich, äußeren Bedingungen zuliebe, niemals änderten. Seine Dichtung ist ein Kontinuum. [...] Es ist kein Wunder, daß Britting gerade von unserer jungen Generation verehrt wird, Er hat dieser Generation nichts abzubitten, sie jemals, und sei es auch nur durch »Nebensätze«, ins Wirre verwiesen zu haben.
Walter Höllerer, Jahrgang 1922, aus der Oberpfalz stammend, wie Brittings mütterliche Vorfahren, war einer der jungen Lyriker der Nachkriegszeit, die mit einem Manuskript in der Tasche zu Britting gekommen waren, um sich seinem Urteil zu stellen. Durch die Vermittlung Brittings erschien bei Hanser 1952 Höllerers erster Gedichtband Der andere Gast. Es gibt darin:
nicht wenige Sprach- und Motivanschlüsse, vor allem enthält die Lyriksammlung auch antike Strophen, die »das Vorbild Brittings nicht verleugnen können«, wie Holthusen bemerkt. Am Beispiel Höllerers zeigt es sich, wie für einige, in dieser geschichtlichen Phase neu einsetzende Bewegungen das Brittingsche Bilderzeigen der »sinnvolle« Ausgangspunkt ist. Auch in Pionteks Gedichtbänden Die Furt (1952) und Die Rauchfahne (1953), meint Holthusen, klänge manches »wie Eich«, »wie Britting«. (Bode, S. 122)
Einige Jahre später wurde Heinz Piontek als jüngstes Mitglied der Abteilung Schrifttum in die Bayerische Akademie aufgenommen (vgl. Brittings Bibliothek, Bd. 2, S. 245).
Im Jahr 1956 schließlich hat einer der jüngsten Autoren, der 1935 in Regensburg geborene Albert von Schirnding, seinen ersten Lyrikband Falterzug Georg Britting gewidmet.
 
Die gemeinsame Herkunft verschaffte mir, seit ich vom Herbst 1953 in München Altphilologie studierte, Zutritt zur Dachwohnung am Sankt Anna Platz, wo ich mich in den folgenden Jahren regelmäßig einfand. Je länger ich Britting kannte, um so mehr schwand das Geharnischte, verwandelte sich der Berg in einen Baum, einen einsam stehenden, von Blitz oder Axt bedrohten. Ich pflegte eine Flasche sauren, bei Donaustauf wachsenden... »Kruckenberger« mitzubringen - freilich auch das unvermeidliche Gedichte-Manuskript [...]. Im Herbst 1955 rief Britting mich
noch spät abends an: Er habe sich beim Hanser-Verlag für mich verwendet, die wichtigste Hürde, der Lektor Dr. Göpfert, sei bereits genommen [...]. So sah ich mich denn, ein Märchenprinz, dem es ob seines Glückes ein wenig graute, mit einundzwanzig bei Hanser gedruckt.
(Albert von Schirnding: »Kein Bild ist Betrug«, Porträt des Dichters Georg Britting, Bayer. Rundfunk, 17. 2. 1991.)
Walter Höllerer wandte sich am 13. 6. 1953, damals bereits Privatdozent an der Universität Frankfurt, an Britting mit einem Plan, über den er wiederum sein Urteil erbat. Es handelte sich um seine mögliche Mitarbeit an einer neuen Zeitschrift, die im Hanser-Verlag erscheinen sollte und später den Namen Akzente trug.
Carl Hanser war ein alter Freund Brittings, Mitglied des »Stammtisches unter den Fischen«. Seinem seit 1929 bestehenden Fachverlag hatte er 1946 einen schöngeistigen Verlag angeschlossen. »Von den Klassiker-Ausgaben, die schon in der Nachkriegszeit erschienen, hatte Britting die MörikeAuswahl betreut, vor allem aber die große Anthologie Lyrik des Abendlands herausgegeben. Britting bedeutete für den neuen literarischen Hanser-Verlag als - freilich - immer sich zurückhaltender - Berater und Vermittler nicht wenig.« (Göpfert: Festschrift für Walter Höllerer, Hanser 1987, S. 100.)
Im Sommer oder Herbst 1952 hatte Herbert G. Göpfert dem Verleger erste Überlegungen zur Gründung einer literarischen Zeitschrift unterbreitet. Höllerer an Britting, 13. 6. 1953:
Ich schreibe Ihnen heute von einem Plan, von dem es gegen alle meine Erwartungen den Anschein hat, als ob er etwas würde. Herr Eich und ich hatten, aus Ärger über die vorhandenen deutschen literarischen Zss (oder besser, über die nichtvorhandenen) die Utopie einer wirklich bejahbaren Zs für Dichtung heraufbeschworen, und als ich dies Herrn Hanser gegenüber andeutete, sprang er erstaunlich rasch und positiv darauf an. Es sieht nun wirklich so aus, als ob dies Unternehmen zustande käme, mit der ersten Nummer im Februar 1954 [...] mit Originalbeiträgen, deutschen, auch mit Aufsätzen zur Dichtung (aber nur Dichtung, nichts anderem), auch mit einem kritischen Teil.
Die wirtschaftlichen Voraussetzungen sind günstig, die Zs soll auf alle Fälle drei Jahre herauskommen, wie sehr sie sich auch als Zuschußunternehmen erweisen wird (und das wird sie), der »gute Wille« ist auch da, und, wenn ich es recht übersehe, es wären auch Kräfte da, ältere wie jüngere, die in einer im guten Sinne zugleich »modernen« wie »bewahrenden« Zs erscheinen können.
Ich weiß ganz genau, welche Belastungen mir dieser Plan auferlegen wird, und zwar zusätzlich zu meiner Dozententätigkeit. Andererseits habe ich ideelle und realistische Gründe genug, die mich zu diesem Plan hinziehen. Ideelle: weil ich es in diesem Zeitpunkt wirklich für notwendig halte, daß es eine solche Zs gibt, die eine Mitte werden kann für konstruktive, nicht irgendwelchen konfessionellen oder politischen Formeln frönende Geister. Realistische, weil mich dieser Plan München näher bringt, wenn auch in nächster Zeit die Redaktion für Frankfurt vorgesehen ist.
Aber: ich möchte mich in keiner Weise festlegen, bevor ich nicht Ihre Meinung gehört habe, bevor ich nicht weiß, ob Sie zu dieser Sache positiv stehen, ob Sie ihr einige Aussichten zubilligen, vor allem aber, ob Sie selber in dieser Zs erscheinen werden. Sie wissen, daß Ihre Dichtung für mich maßgebend ist, und so will ich Ihnen ehrlich sagen, daß ich wenig Lust habe, die Arbeit (deren ganzer Umfang mir mehr und mehr bewußt wird) auf mich zu nehmen, oder wenigstens den größten Teil davon mitzuübernehmen, bevor ich nicht weiß, ob auch Sie zu dem Plan positiv stehen. Es ist keine einfache Sache, und wenn diejenigen, die ich vor allem verehre, nichts davon halten und nichts damit zu tun haben wollen, werde ich sie nicht machen. Von Eich weiß Ich, daß er ähnlich denkt.
So weit ich absehen kann, wären für die ersten Hefte der Zs als Mitarbeiter an bekannten Geistern zu interessieren, u.a. Heidegger, Hesse, Staiger, Lehmann, Böll u.a. Unbekanntere Jüngere, die nicht schlecht sind, aber die zur Zeit nicht zum Zuge kommen, gibts eine Reihe. Die ersten Hefte werden sehr entscheidend sein. Im ersten Heft schon sollte etwas von Ihnen sein. Meinen Sie, daß dies ginge? Und wen sollte man, nach Ihrem Wissen und Ihrer Erfahrung, die ja weit größer sind als die meine, vor allein gewinnen?
Ich will hier nicht einen uferlosen Brief schreiben, am liebsten würde ich mich recht bald mit Ihnen über die Geschichte mündlich unterhalten. Nur, vielleicht können Sie mir in einer Zeile andeuten, was Sie grundsätzlich dazu meinen, dann weiß ich, in welcher Stimmung ich zu Ihnen fahren kann.
[Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg]
Am 16.6. 1953 antwortet Britting:
am vorigen dienstag-stammtisch [...] sprach mir hanser von ihrem und eichs plan einer literarischen zeitschrift. er tats etwas verlegen. vor einem jahr schon, oder etwas länger, verhandelten wir, hohoff und ich, wegen der herausgabe einer zeitschrift mit ihm.[ ...] hanser sprach ihnen nicht davon, daß wir auch eine zeitschrift vorhatten? eine gute literarische zeitschrift zu machen, finde ich immer noch schön und nützlich. eich und ihnen könnts gelingen [...].wenn sie nur mut und lust und elan haben, das ding zu drehen, kann ich ihnen nur ehrlich und überzeugt zureden, es zu tun! was meine eventuelle mitarbeit betrifft-ich möchte nicht grad in nummer 1 vertreten sein [...]. später läßts sich ja sehen, und ein paar gedichte von mir sind für ihr blatt, schon räumlich, nicht so arg wichtig!
Im Herbst 1953 erklärte dann Günter Eich seinen Rücktritt von dem geplanten Projekt; Hans Bender trat an seine Stelle. Auf einer Postkarte an Höllerer nach Frankfurt vom 15. z. 1954 gibt Britting sein Urteil ab über Heft 1 der Zeitschrift Akzente:
das schönste [...] scheint mir die »kinderdiebin« [von gertrud kolmar]. wär forestier kein verschollener legionär - krähten wenige hähne nach ihm. der büchner-aufsatz [von hermann van dam] ist kein heldenstück. gerlitz und scherfelt matt. brambach ist besser. [geno] hartlaub eine raffinierte vorspeise. aber woher sollten sie die genies nehmen? lassen sie sich nicht auffressen von der redaktor-arbeit! das lohnt sich nicht! kräftiges, saftiges rindfleisch hoff ich für die nächsten hefte! ein bißchen viel hors d'ceuvre im 1. heft!
Brittings Reserve gegen die neue Zeitschrift löste sich erst allmählich. Die Zeitschrift Akzente hätte ihm, schrieb Hans Bender am 28. 5. 1964 nach Brittings Tod an Ingeborg Britting, »am Anfang nicht sehr gefallen«. Doch überließ er ihr mehrmals Arbeiten, die ihm wichtig waren. Mit der Veröffentlichung der Erzählung »Mohn« demonstrierte er seine Herkunft vom Expressionismus - und den inzwischen gewonnenen Abstand dazu.
 
 


398 ANHANG
 

BRITTINGS STELLUNG IN DER ÖFFENTLICHKEIT

Im September 1951 nahm Britting an einem Treffen europäischer Poeten - »ni congres d'ecrivains, ni poesie engagee - poesie pure« - im belgischen Seebad Knokke teil; die Einladung ging über das Auswärtige Amt. Neben Britting waren von deutscher Seite Holthusen, Hagelstange, Benn und Friedrich Georg Jünger geladen, die beiden letzteren hatten, zu Brittings Bedauern, abgesagt. Britting genießt seine »fürstliche« Unterkunft, das Bad im Meer und den Ausflug nach Brügge, der gemeinsam unternommen wurde. Was dabei herauskam, fragt er sich und Jung, dem er nach seiner Rückkehr von dieser Tagung berichtet (13.9.51):

nicht mehr als dabei herauskommen konnte: fühlungnahme! ein paar gute gespräche, und mehr sollte ja nicht herauskommen. der österreichische gesandte war da, ebenso der deutsche gesandte, ein paar schweizer, aus frankreich jean cassou, claudel wars zu mühsam zu kommen. cläre goll war da, ein paar portugiesen, holländer, viel belgier, die ich nicht kannte, felix braun, der mir viel von hofmannsthal erzählte, ein buntes gewimmel von zusammen 5o leuten ... ich sah flandern gern und mit rührung wieder, mein linker ringfinger liegt in flandrischer erde begraben, und die vertraute landschaft sprach mich an ... es war doch schön, wieder fremde luft zu schmecken, aber jetzt bin ich wieder froh, daheim zu sein.
Das literarische Produkt dieser »kleinen gentlemanliken ferienreise« war das Gedicht »Flandern, wiedergesehen« - im Zug von Brügge nach München bereits konzipiert.
Auf das nach dem Krieg wiedererstehende Münchner literarische und kulturelle Leben übte Britting durch die Zusammenarbeit mit Clemens Graf Podewils, dem langjährigen Generalsekretär der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, nicht unbeträchtlichen Einfluß aus. Britting wirkte, neben seiner Mitgliedschaft, über viele Jahre hin, ohne nach außen hin aufzutreten, als Lektor der Abteilung Schrifttum; diese Arbeit brachte ihm ein bescheidenes festes Honorar und die Möglichkeit, sich anhand der wichtigsten Zeitschriften, zu deren Durchsicht ihn seine Lektorentätigkeit verpflichtete, über literarische Neuerscheinungen und Zeittendenzen zu informieren. Alle zwei Wochen kam Podewils mit den neuesten Periodica von der nahe gelegenen Akademie herüber an den Sankt-Anna-Platz. Lektor und Generalsekretär besprachen auch kommende Vortragsreihen der Akademie, bevor jeweils die offizielle Mitgliedersitzung einberufen wurde. Die von Britting mitorganisierten Aktivitäten - vor allem die Vortragsreihe vom 16. bis 2o. November 1953 - sind teilweise dokumentiert in dem Band Die Künste im technischen Zeitalter (hg. von der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, München: Oldenbourg,1956).
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Bei der Zuwahl von Mitgliedern, die geheim mit Zweidrittelmehrheit erfolgte, gelang es Britting meist, seine Favoriten durchzusetzen. Für die Aufnahme von Wilhelm Lehmann waren zwei Wahlgänge nötig. Aus dem Jahr 950 findet sich in den Akten der Akademie folgende Stellungnahme Britrings:
Ich wiederhole meinen Antrag, Wilhelm Lehmann zum ordentlichen Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste zu wählen. Dr. phil.Wilhelm Lehmann wurde am 4. Mai 1882 in Puerto Caballo in Südamerika von deutschen Eltern geboren, kam als Kind nach Deutschland, und lebt heute in Eckernförde in Schleswig.
In der Dichtung unserer Tage hat seine Stimme einen eigenen Klang: ihr gleicht keine zweite, und sie tönt ganz aus sich selbst. Wen dieser Gesang erreicht, der wird ihn nicht vergessen. Lehmann teilt das nicht seltene Schicksal großer Begabungen: nur in einem verhältnismäßig kleinen Kreis in seiner vollen Bedeutung erkannt worden zu sein, wie, um ein Beispiel zu nennen, es auch Konrad Weiss erging. Früh schon, vor dreißig Jahren erhielt er den Kleistpreis, und seine Bücher sind in großen Verlagen erschienen, bei S. Fischer in Berlin zuerst, jetzt bei Lambert Schneider in Heidelberg. Er ist ein sprachmächtiger Lyriker, verzaubernd durch die Fülle seiner Bilder, und von einer erregenden Musikalität. Ich nenne seine Gedichtbände Antwort des Schweigens, Dergrüne Gott und Entzückter Staub. Es gibt Romane von ihm, Die Hochzeit der Aufrührer und Die Schmetterlingspuppe und den Band von Erzählungen Verführerin-Trösterin. Seine Prosa, gedrungen und scharf zielend, steht seiner Lyrik nicht nach. Seine Aufsätze in dem Buch Bewegliche Ordnung erweisen ihn als Essayisten hohen Ranges. Ich meine,Wilhelm Lehmann gehört zu den Figuren, die bleiben werden.
Einige Jahre später empfahl Britting die Aufnahme von Marie-Luise Fleisser, deren Schaffen er seit langem ermutigt hatte.
Das Britting gewidmete Exemplar ihres Erzählbandes Avantgarde trägt die Widmung: »Dem Dichter Georg Britting, der mich gespeist hat in den Jahren der Dürre, herzlich.«
Marieluise Fleisser, in Ingolstadt geboren, und noch heute dort lebend, ist früh schon bekannt geworden durch ihr Volksstück Pioniere in Ingolstadt, das in einer Sprache voll Saft und Kraft, Derbheiten nicht scheuend, lebensechte Figuren auf die Bühne bringt.
Von ihren Büchern seien genannt der Novellenband Ein Pfund Orangen und ein Reisebuch AndorranischeAbenteuer.
Marieluise Fleisser ist eine Erzählerin von hohem Rang. Ihre Prosa ist kräftig und geschmeidig zugleich, gelassen hinströmend, wild ausbrechend manchmal, und von einem hintergründigen Humor durchwärmt. Ihre neuesten Erzählungen glänzen in der schönen Reife der Meisterschaft.


400 ANHANG

Der Dichterin wurde 1953 der Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste zuerkannt. [So Britting.]
Brittings Beziehung zu einer Reihe von Akademie-Kollegen wie Rudolf Alexander Schröder, dem Doyen der »Abteilung Schrifttum«, den Münchner Bildhauern Karl Knappe, Hans Wimmer und Josef Henselmann, beruhte auf langer persönlicher Bekanntschaft mit Person und Werk. Die Begegnungen mit Werner Bergengruen, »dem Genie des Erzählens« (von Wiese) schätzte er, wenn dieser aus Baden-Baden zu den Jahressitzungen angereist kam. Ein anderer Balte, der zurückhaltende Otto von Taube, schrieb nach Brittings Tod an Ingeborg Britting:
Georg Britting und ich - wir hatten nie viel miteinander gesprochen, aber es war ein stilles Einvernehmen zwischen uns. Wir wußten voneinander; und wir wußten, daß wir voneinander wußten. Deshalb war mir jedes Zusammentreffen mit ihm wert.
Durch Jung, einen Verehrer Carossas, kommt im brieflichen Dialog immer wieder die Rede auf dessen Gedichte, so Britting an Jung (25. 4. 1947)
ich liebe sie, trotz ihres goethischen klangs, wegen ihres goethischen klangs, und es ist bewundernswert, wie er dabei ein eigener bleibt. freilich, wenn ich dann an trakl, heym, rimbaud denke, unverwechselbar eigene stimmen, schwanke ich, wie carossas gedichte einzuschätzen sind. er ist ein sonderfall, ein klassizist, der selbständig ist, und wie sehr ist gegen ihn weinheber nur klassizist. da ließe sich stundenlang darüber reden, besonders seit ich selber mich antiker verse bediene, worüber ich früher spottete, und >bin nun selbst der sünde bloß<.
Am 1. 3. 1947 empfiehlt Britting, Jung möge sich Carossas eben erschienenes Buch Winterliches Rom verschaffen:
es ist immer wieder zauberhaft, wie carossa aus kleinen vorkommnissen eine fülle von betrachtungen heraus spinnt.
»Vring hab ich gern, es gibt wunderschöne Verse von ihm«, schreibt Britting am Aschermittwoch 1953 an Jung. Georg von der Vring und Britting kannten sich seit den dreißiger Jahren; die Beziehung wurde enger, alsVring 1951 von Stuttgart nach München zog, nicht ohne sich vorher mit Britting darüber verständigt zu haben, daß in dieser Stadt für seinesgleichen gut zu leben sei. Britting empfahl ihn der Akademie, deren Mitglied er wurde. Es kam zu regelmäßigen Verabredungen, mitunter zu einem Austauch von Gedichten. Der Kassette mit handgeschriebenen Widmungsgedichten und Prosatexten zu Vrings 65. Geburtstag 1954 steuerte Britting neben Carossa, Günter Eich und Ilse Aichinger, Jürgen Eggebrecht, Karl Krolow, Oda Schaefer und Horst Lange, Ina Seidel, Marta Saalfeld, Georg Schneider und Otto von Taube, das handgeschriebene Gedicht »Die singenden Männer« bei. Als Vring bei einem seiner Besuche am Annaplatz einen alten ledernen Würfelbecher mitbringt, wird dies Anlaß für Brittings Gedicht »Einsames Würfelspiel«.

       Die Würfel alt, aus gelblichem Bein
       Wer mag sie schon geschüttelt haben am Wirtshaustisch. 

Am 2.3.1954 schreibt Britting an Jung:

über das beiliegende gedicht brauch ich ein urteil von ihnen. ich habe tagelang blut geschwitzt bei der verfertigung. obs ganz und gar blöde ist? vring schenkte mir die alten würfet und den lederbecher. und ich schüttle sie fast täglich, aus spass, aus aberglauben.
Als Britting starb, war von der Vring auf Reisen. Am 29. April 1964 kam ein Brief.
Liebe Frau Britting,
Wie sollen wir Worte finden, die Sie trösten? Er braucht keinen Trost mehr.Trost für Sie? Daß Sie einen echten Dichter durch das schwere Leben begleitet haben. Das ist doch Trost!
Jetzt wird sein Werk Sie weiterhin begleiten. Dies Werk haben Sie und können Sie nicht verlieren. Er hat Sie reich gemacht -
Mehr wissen wir in dieser Stunde nicht zu sagen. 
Ihre Georg und Wilma von derVring
Durch Podewils lernte Britting die Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger kennen. Die Gedichtbücher von E G. Jünger standen in seiner Bibliothek, lang bevor es zur persönlichen Bekanntschaft kam. Auf seinen Vorschlag hin bekam E G. Jünger 1950 den Hauptpreis der Akademie. An Jung, am 30.1.1948:
den >taurus< von f.g. jünger, und andere gedichtbücher von ihm, besitze ich. er ist eine interessante figur, sehr antikisch gefärbt, kalt, glühend-kalt sozusagen, von hohem niveau.
Über Ernst Jünger urteilt er ähnlich respektvoll im Briefwechsel mit Jung (4.6.1948):
die marmorklippen: es sind wunderbare stellen drin einer geschliffenen prosa, ich lese ernst jünger mit einem genuss, wie selten bücher, aber mißtrauen mischt sich immer hinein. als kunstwerk, als ganzes, ist das buch mißlungen, zu dürr allegorisch, aber einzelne beschreibungen, die bluthunde, die schinderhütte - ersten ranges. jünger ist ein essayist, aber kein dichter. im gegensatz zu seinem bruder. aber es sind zwei erstaunliche und bedeutende köpfe.
Mit Podewils und E G. Jünger fuhr Britting im Oktober 1952 zu einer Veranstaltung im Kurhaus auf der Bühler Höhe, bei der er und Friedrich Georg Jünger fünf Minuten Gedichte von Trakl lasen. Heidegger hatte tags zuvor über Trakl gesprochen. Britting schrieb darüber an Jung:
heidegger nahm trakl ganz unphilosophisch. nein, ich habe außer eigenen arbeiten nie etwas vorgelesen. und es kostete mir anfangs viel überwindung, es zu tun [...] aber trakl zu lesen, aus dem stegreif, machte mir spaß. ich glaube, ich las ihn gut.
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Einen Monat zuvor hatte der französische Botschafter in Deutschland, Francois-Poncet, »einen omnibus voll intellektueller, schriftsteller, professoren« (den Britting gegenüber Alex Wetzlar respektlos »die fuhre« nennt), in der Absicht, einen Kulturaustausch herbeizuführen, nach Frankreich eingeladen. Die Fahrt ging zu den Loire-Schlössern, in die burgundische Schlemmergegend von Bourg-en-Bresse und endete in Paris, wo der erste Präsident der Akademie, Wilhelm Hausenstein, der inzwischen Generalkonsul in Paris geworden war, seinen Landsleuten einen offiziellen Empfang gab. Brittings Begleiter waren Hohoff, Hanns Braun, Ernst Penzoldt. Das Gedicht »Fahrt durch Burgund« stand einige Wochen darauf in der Süddeutschen Zeitung. In der Gesamtausgabe ordnete es Britting dem Band Lob des Weines zu.
1953 wurde Britting der Immermann-Preis zuerkannt. Der Jury gehörte neben Benno von Wiese auch Rudolf Alexander Schröder an. Zur Übergabe des mit 3000 Mark dotierten Preises fuhr Britting nach Düsseldorf. Acht Jahre später, 1961, verlieh ihm die Landesregierung von NordrheinWestfalen den großen Literatur-Preis, der mit 8ooo Mark dotiert war.
Benno von Wiese beschreibt seine Mitwirkung an den genannten Entscheidungsgremien in seinen Erinnerungen Ich erzähle mein Leben (Frankfurt, Insel, 1982, S. 251-53):

[...] Eine weitere Ausdehnung des kulturellen Wirkens brachte mir meine häufige Teilnahme bei der in den fünfziger und sechziger Jahren geradezu wuchernden Verleihung von Preisen für Schriftsteller und Dichter. Der große Landespreis von Nordrhein-Westfalen für alle Sparten der Kunst ging im Bereich der Literatur unter anderem an Stefan Andres, Max Frisch und, noch am Tage seines Todes, an Gottfried Benn. Die Jury riskierte nicht sehr viel; sie wich dem Wagnis aus und bevorzugte die bereits arrivierten, ja sogar berühmten Autoren. Nur im Fall Benn gab es noch eine erregte Diskussion, in der seine politische Vergangenheit erneut unter die Lupe genommen wurde. Doch überwog die Faszination durch das bedeutende lyrische Werk.
Interessanter, lebendiger, geistig-beweglicher erlebte ich meine Mitwirkung beim Immermann-Preis der Stadt Düsseldorf in den Jahren 1948-1967.
Benno von Wiese betrachtet die Auswahl der damaligen Preisträger, von Emil Barth über Niebelschütz bis Ernst Penzoldt und Friedrich Georg Jünger, aus der Distanz der Jahre:
 
[...] Friedrich Georg Jünger gehörte zu den Verächtern des Zeitalters und war kein Freund der parlamentarischen Demokratie. Aber er besaß eine Eigenschaft, die heute eben so selten ist wie das Wort dafür; er besaß >Anmut<. Er lebte und wirkte in einer Atmosphäre des Generösen, das gewähren läßt. Er verfügte über den Überfluß, der aus Wohlwollen entspringt.[ ...] Über die Entscheidung für Niebelschütz und Friedrich
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Georg Jünger läßt sich vom heutigen Blickpunkt aus streiten. Die für Georg Britting und Ernst Penzoldt möchte ich hingegen weiter verteidigen. Brittings Roman Lebenslauf eines dicken Mannes, der Hamlet hieß und seine fantasievoll groteske Erzählung »Das Märchen vom dicken Liebhaber« gehören für mich zu den hinreißendsten Stücken aus der deutschen Prosa eines verspäteten Expressionismus. Es lohnt, seine Lyrik mit panhafter Fülle der Naturgestaltung und ausschweifender Liebe zu allen unermeßlich sich wandelnden Formen des Lebens so bald wie möglich wieder zu entdecken. Wie hier ein Berauschter sowohl in der Prosa als auch im Vers niemals die strenge Zucht der Sprache preisgibt, wie hier die Fantasie sich selbst diszipliniert und das Sprechen zu verknappender Prägnanz verdichtet wird, das macht ihm heute so leicht kein anderer nach.
1958 ließ sich Britting zum ordentlichen Mitglied der Berliner Akademie der Künste wählen; der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung mit Sitz in Darmstadt beizutreten, hatte er abgelehnt.
Vom B. bis zum io. September 1958 fand in Trier die Jahrestagung des Kulturkreises im Bundesverband der deutschen Industrie statt. Den Festvortrag hielt Eugen Gerstenmaier: »Vom Sinn und Schicksal der Elite in der Demokratie«, unter den Ehrengästen befand sich Theodor Heuss. Im Simeonsstift gab es eine »ars viva«-Ausstellung; zum »literarischen Förderungswerk« war im Veranstaltungskatalog zu lesen:
So wie wir in unserer Museumsspende in erster Linie Werke der Meister unter den Lebenden erwerben, so gelten unsere Ehrengaben zunächst den Dichtern, Denkern, Kritikern und Übersetzern, die bereits auf ein reifes Lebenswerk zurückblicken [...]. Seit aus Anlaß seines 65. Geburtstages die Gesamtausgabe der Schriften Georg Brittings zu erscheinen begann, stand es für den Kulturkreis fest [...] der Lebensleistung dieses Mannes zu gedenken, der uns ein dichterisches und erzählerisches Werk hoher Prägung geschenkt hat. Da die Ehrung Brittings in Trier erfolgt, liegt es nahe, sich daran zu erinnern, daß Georg Britting in einer alten Römerstadt geboren wurde; in Regensburg an der Donau, mit ihrer alten Stadtmauer, der Porta Praetoria, ihrem spätgotischen Dom und ihren barocken Kirchenräumen. Es ist die Heimat Albrecht Altdorfers und Wolf Hubers, die auch in den Werken Brittings für uns lebendig wird. Die Kraft, die ihm in dieser alten Kulturlandschaft zugewachsen ist, verbindet sich in seinem Werk mit den Ausdrucksformen, die der Expressionismus geboren hat: Brittings dichterisches Schaffen begann in dieser Zeit eines neuen literarischen Aufbruchs der zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts, und hat seitdem alle Richtungen überdauert.
Weitere Preisträger waren Erich Heller für Essayistik, Friedhelni Kemp als Übersetzer namentlich französischer Literatur. Zu den vierjüngeren Künstlern, die mit einer Ehrengabe ausgezeichnet wurden, gehörte Günter Grass.
 

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Britting lernte in Trier den Komponisten Karl-Michael Komma kennen, der ihn bat, ihm seine Vertonung von Lob des Weines schicken zu dürfen. 
Am 26. 11. 59 bedankt sich Britting:

ich habe mich gefreut, als absender des dicken briefes ihren namen zu lesen. schön waren die trierer tage und der in reims, und die nacht in reims, in der ich zwei stunden lang um die kathedrale wandelte, aus der ihre musik klang. und nun haben sie mich vertont, und wollen mir die noten schicken - ich kann aber noten nicht lesen! ich glaube, ich bin nicht ganz »unmusikalisch«, wie man so sagt, und höre alte musik gerne und mit ergriffenheit, gluck z.b., und frühe italiener, lasse mich eher und leichter durch rhythmus verzaubern als durch melodie. ihren schönen aufsatz »probleme der hölderlin-vertonung« habe ich mit lust und gewinn gelesen. seit einigen jahren, seit einem jahrdutzend, habe ich gedichte in antiken maßen geschrieben, alkäische und sapphische strophen, und erfuhr wie ein wunder, wie die deutsche Sprache diesen antiken mustern ungezwungen und lebendig sich fügt.
1959 wurde Britting mit dem Großen Bundesverdienstkreuz geehrt und im Jahr 1961 bekam er den Bayerischen Verdienstorden verliehen.
 
 
 
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