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Georg Britting
Sämtliche Werke  - Prosa -
Herausgegeben von Walter Schmitz
Band 1 - Frühe Werke - Seite 9

Anmerkungen
 

Die Dult

Es liegt ein seltsamer Zauber in dem Wort. Heller leuchten die Augen der Kinder, wenn sie es hören und ihre leicht beschwingte Phantasie läßt ihnen eine Welt erstehen voll dunkelgeahnter, geheimnisvoller Schönheit und märchenhafter bunter Pracht. Ihnen erscheint die flitterhaft aufgeputzte Budenstadt ein Ort, der Köstliches und Wunderbares birgt. Sie sehen nicht Elend, Not und Laster, das hinter dem billigen, verlogenen Prunk fratzenhaft graut, wie das Gesicht einer alten Kokotte, unter der Schminke. Den Kindern ist der Herkules mit den dicken Muskelwülsten, der mit den schwersten Eisenkugeln hantiert, als wären sie Spielzeug, ein gewaltiger Held, der Furcht und Bewunderung einflößt. Und der Zauberer, der im weiten roten Kaftan mit der spitzen Mütze auf dem Kopfe die ungeheuerlichsten Dinge vollbringt, Kaninchen verschluckt und wieder aus dem Rockärmel zieht, und die blanken Taler nur so aus der flachen Hand holt, er ist ihnen ein mächtiger Mann, vor dessen funkelndem Blick sie Angst haben. Aber selbst der Erwachsene kann sich dem eigenartigen Reiz nicht entziehen, der von der Welt der fahrenden Leute ausgeht. Man lächelt überlegen, wenn man das Wort Jahrmarkt hört, zitiert wohl gar seinen Goethe: das Lärmen, Schreien, Kegelschieben, ist mir ein gar verhaßter Klang, sie toben wie vom bösen Geist getrieben, und nennens Freude, nennen es Gesang - und wenn dann die bunte Gesellschaft wieder einmal den Protzenweiher in Stadtamhof in Beschlag gelegt hat, so wandert man doch hinaus, um den Rummel mitzumachen. Schon wenn man die Steinerne Brücke zur Hälfte passiert hat, klingt einem das Gedudel und Lärmen entgegen, das bei jedem Schritte wächst. Auf der schmalen Straße zwischen den Verkaufsbuden schiebt sich ein dicker Menschenstrom langsam vorwärts. Die Luft ist mit Staub gesättigt, aber alle die vielen Gesichter blicken fröhlich - äußerlich schadet der Staub ja wenig und was sich in der Kehle ansetzt, wird hinuntergeschwemmt - aber beileibe nicht mit Wasser. Auf dem Protzenweiher, wo die Schaubuden aufgeschlagen sind, entwickelt sich das eigentliche Dultleben. Das ist ein Stoßen und Drücken, Lachen und Scherzen, Flirten und Kokettieren! Heiser tönt die Stimme des Ausrufers, der »für nur zehn Pfennig, Kinder und Militär auf allen Plätzen die Hälfte«  die größten Herrlichkeiten verspricht. Das gellende Gebimmel einer Glocke versucht die Aufmerksamkeit auf einen Grand-Zirkus zu lenken, während das Schichtl‘sche Künstler - und Zaubertheater eine eigene Kapelle dazu verwendet, mit mehr Lärmaufwand als künstlerischer Eigenart das Publikum anzulocken. Der Erfolg zeigt, daß Buschs Wort »Musik wird störend oft empfunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden« nicht überall Geltung besitzt. Anhänger der Antilärmbewegung dürfen sich überhaupt nicht auf den Dultplatz wagen, denn der disharmonische Vielklang von Geräuschen, der bis in den späten Abend hinein nicht verstummt, gehört nun einmal zu dem Rummel, und das Publikum trägt das seine nach Kräften bei, den Lärm zu steigern. Je größer das Gedudel und Gebrüll, desto größer die Gaudi. Die Aviatik, die ihre praktische Verwendbarkeit schon auf so vielen Gebieten erprobt hat, hat sich nun auch die Dult erobert. In einer Ecke sausen die Luftschiffe aller Konstruktionen im Kreise in der Luft herum - zum Unterschied von ihren Schwestern sind sie allerdings durch lange Eisenstangen an einem gemeinsamen Mittelpunkt befestigt. Kreischend und vor Vergnügen johlend sitzen die Passagiere in den Gondeln und genießen den Zauber einer Luftfahrt, die allerdings von nur sehr kurzer Dauer ist.
Phantastisch angelegte Gemüter starten dem »Verrückten Haus« einen Besuch ab, das sich von Zeit zu Zeit plötzlich in den Angeln hebt und in aller Gemütsruhe den Kopfstand ausführt. Ein grotesker Anblick. Der Clou der ganzen Dult ist diesmal aber unstreitig das Freudenrad. Es ist aber auch eine gar ergötzliche Geschichte: Die Gescheiten schauen lachend zu wie sich die - Minderklugen strampelnd und brüllend auf den Boden wälzen. Die tückische große Scheibe schleudert ganze Reihen kreischender Menschen gegen die ledergepolsterten Barrieren, mit jeder Umdrehung leert sie sich mehr, bis zuletzt nur noch ein Schlaucherl sitzen bleibt, der sich auf den Mittelpunkt niedergelassen hat und von da, gesichert und in nicht zu erschütternder Position, schmunzelnd die Kollegen betrachtet, die sich mühsam wieder vom Boden aufrappeln. Und erst wenn die Damen an die Reihe kommen! Zwar wagen sie sich nur in spärlicher Zahl auf die rotierende Scheibe, aber desto größer ist dann die »Hetz« für die zuschauende Männerwelt, wenn das Ewig-Weibliche in tollem Durcheinander auf dem Boden kollert.--
Wenn abends die elektrischen Birnen aufglühen und die Budenstadt in magisches Licht hüllen, wenn die Schatten an den Zeltwänden dunkeln, dann ist es ein eigenes Wandern im Reiche der fahrenden Leute. Leicht vergißt man seine Umgebung, gerät ins Träumen, - bis ein scharfer Trompetenstoß in die Wirklichkeit zurückführt, in den tollen Wirrwarr, voll Unsinn und Lust, Dult genannt.

[I911]