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Georg Britting
Sämtliche Werke - Prosa -
Herausgegeben von Walter Schmitz
Band 1 Seite 205
Kommentar Seite 640
Aus: »Erzählungen, Bilder, Skizzen«
Journalist Franz BärJournalist Franz Bär trieb versunken über den Platz. Die Nadeln des Doms stachen den Himmel blutig. Rosa Wolken vertropften über den Dächern. Schmale Schuhe einer Verkäuferin glitten geschmeidige Eidechsen über das nasse Pflaster. Spielende Tiere. Flink züngelten sie über die blanke Steinschwelle. Die weiße Bluse blühte wie fernher aus dem Dunkel und versank im schwarzen See Finsternis. Franz Bär vermochte den Gifttropfen kleiner Enttäuschung nicht auszuspucken. Erl ieß ihn ins Blut rollen und von ihm jede Lust dieses Abends sich zersetzen. Ranziges Fett im Gasthaus verklebte den Gaumen. Der Herr am Nebentisch, Schauspieler oder gepflegter Postsekretär, Augen seiner Begleiterin tief entzündend, zwang ihn zu aufreizendem Vergleich. Scham, Trauer und Wut jagten ihn zwischen weißen Tischen zur Tür auf die Straße. Ein brennender Trambahnwagen knatterte steil in den Himmel. Menschen kreisten. Woge trug ihn und warf ihn in die enge Stube. Das Tischtuch glänzte fleckig. Das Bett stand drohend in der Ecke. Die Polster blähten sich lüstern ihn zu erdrücken. Er zog die Stiefel aus. Den Kragen besah er und beschloß zähneknirschend ihn auch morgen noch um zu binden. Die Hose legte sich geduldig in gewohnte Falten. Nackt trat er vor den Spiegel. Die Füße, verrunzelt, mit gekrümmten Zehen, fraßen sich bösartig in den schäbigen Teppich. Waden, mager wie bei Kindern, verdickten sich zu den häßlichen Knollen der Kniee. Das Fleisch der Schenkel, faltig, prüfte er mit grausamen Fingern. Trommel des Bauchs hing an den Rippenstäben, schwankend. Dünner Stengel über den Teller der Brust hob sich der Hals und trug behaarte Riesennuß des Kopfs. Er flüchtete ins Bett. Das Messer des Monds fuhr durchs Fenster und zerschnitt ihm die Leber. Er ertrank im Blut und entschlief zu schwerem Traum.
Er lag im Trommelfeuer der Morgenpost. Die Kanonade der Briefe schlug wirbelnd auf ihn ein. Ziffern der Handelsberichte peitschten wie Gewehrfeuer. Schwere Minen versiegelter Schreiben dröhnten. Der Galoppsprung der Pferde scholl hart aus Rennotizen: Fußballspieler wogten über den Rasen. – Mordschrei gellte. Minister sprachen zum Volk. Scheiben klirrten bei Plünderungen. Spiele der Dichter entzündeten ihn. Brüllender Atem der Versammlungen wehte ihn an. Züge stürzten von Brücken. Der Tango der Operetten tanzte durch sein Fenster. Das Telefon riß ihn in fremde Städte. Stimmen drangen auf ihn ein, vertrauter Tonfall, sprudelnd von nie gesehenen Lippen. Auf feuchten Bögen glänzte die Flucht schwarzer Zeichen, Abdruck noch glühenden Metalls. Mit roten Strichen fetzte er, riß tiefe Wunden. Besuche kamen. Von Erfolgen träumte der junge Sänger. Politiker, Schrei und Empörung, zerbarsten. Turnvereinler prahlten mit Muskelwülsten. Boten brachten Telegramme. Der Tisch schnaubte wie ein Pferd. Türen flogen. Das Fenster zitterte. Berg des Papiers neigte sich gegen ihn und zertrümmerte seine Stirn. Zur Lawine schwoll der Lärm der Maschinen. In die plötzliche Stille knisterte die fertige Zeitung.
Den Frieden des Nachmittags trug er an den Strom. Die sanften Flanken des Bergs atmeten wie schlafende Tiere. Der Wind sprang in die Weiden, die mit bebenden Gerten auf ihn einschlugen. Franz Bär warf sich ins Gras. Der Bogen des Himmels spannte sich gewaltig über ihn. Er maß ihn mit blinzelnden Augen aus. Er drehte langsam den Kopf und ließ den geblendeten Blick über die funkelnde Bläue tanzen. Die grünen Halme schrägten sich wie Balken über sein Kinn. Eine brüllende Hummel erschütterte die Luft. Ein Schmetterling schwankte seinem Auge vorüber. Bäume brausten. Durch Schluchten jagte das Blut der Erde. Das Wasser brodelte. Die Bäume standen wie Riesen. Der Berg wälzte sich zu Tal. Der Fluß stieg über die Ufer. Der Weg jagte in wütenden Sprüngen in die Stadt. Ein gläsernes Licht glänzte. Ihn riß es hoch. Seine Beine begannen zu laufen. Der Wind klirrte im Schilf. Vögel schrien. Seine Flucht endete im Cafe. Der Marmortisch kühlte seine Hände. Der Samt der Polster streichelte sie. Er redete mit der Kellnerin. Sein Blick umstrich die Wölbung ihrer Hüften, verbiß sich im Ausschnitt ihrer Bluse. Die gelbe Haut ihres Halses machte seine Knie zittern. Freunde kamen. Gespräche dampften. Durch den grauen Dunst züngelten gellende Worte. Grün klatschend tropften Witze. Weiber wurden entkleidet. Brüste von Stallmägden überschwemmten den Tisch. Huren knallten mit breiten Schenkeln. Bär zahlte. Durch die Straßen raste der Abend. Ein Herr im Frack küßte der Dame die Hand. Ihre dünnen Lippen entblößten ein trauriges Lächeln. Der Diener meldete den Polizeibeamten. Sein schwarzer Spitzbart zündete steil. Sein Gehrock saß schlecht. Der Herr im Frack sprang durchs Fenster. Es wurde hell. Programme rauschten: Henny Porten. Dunkel. Der Herr im Frack stand auf der Wiese. Die weißen Ärmel seines Hemdes blitzten. Langsam hob er die Pistole. Sein Gegner sank ins Gras. Ärzte flatterten mit Binden. Ein Wagen fuhr im grünen Schatten des Waldweges.
Im Cafe zahlten die letzten Gäste. Stühle kletterten auf die Tische und verbauten sich zu Burgen. Der Wirt feilschte mit den Kellnerinnen. Centa raschelte im gelben Gummimantel. Auf dem Pflaster klapperten ihre Absätze. Er küßte ihren Hals. Aus ihren Kleidern strömte ein Geruch von Speisen. Von Wein. Qualm von Zigaretten. Ihre kleinen Hände trafen sich in seinem Haar. Die Treppe knarrte einen Trauermarsch. Aus Messingrahmen stachen die Schnurrbärte von Vizefeldwebeln. Als es dämmerte und er erwachte lag sie schlafend neben ihm. Ihre dünnen Beine bogen sich fremd und feindselig. Ihr Gesicht war zerflossen. Das Waschgeschirr klimperte unfreundlich. Das Handtuch kratzte ihn. Der Kamm riß an seinen Haaren. Die staubigen Schuhe drückten. Er floh. Die Spirale des Treppengeländers wirbelte ihn in den Hausflur. Mit nasser Hand klatschte ihm der Morgen ins Gesicht.
Am Teetisch blühte das Porzellan. Der Freund entzündete ihm die Zigarre. Die Frau, weiß, blumenhaft, schenkte ihm ihr Lächeln. Sie rissen die Türen vor ihm auf, aber er kam nicht über die Schwelle. Er klammerte sich am Tisch fest. Sie entschwebten und die Hände, die sie nach ihm streckten, zergingen zu Dunst in seiner Faust. Er saß allein am Tisch. Auf einem Felsen. Die Glut seiner Zigarre leuchtete wie ein Notfeuer. Der Nebel fraß sich in seine Kleider. Meervögel klatschten. Ein Schiff mit Musik zog am Horizont. Ihre weiße Hand goß ihm Tee ein. Er ging bald.
Die Klinge des Friseurs tanzte auf seinem Kinn. Puder wölkte ihn ein. Das Grau seiner vierzig Jahre sah ihn aus dem Spiegel an. Am Abend traf er sie im Stadtpark. Sie erzählte von der Schule. Von den Kindern. Der fußfreie Rock wippte fröhlich um die Waden. Ihr festes Gesicht ruckte entschlossen voran. Die Schwäne glitten weiß und lautlos wie ausgestopft. Die Enten schrien. Der Kies knirschte Worte, die er nicht verstand. Die Lehne der Bank schlug ihm hart den Rücken. Er erreichte mit den Füßen den Boden nicht. Das machte ihn unsicher. Sie wurzelte mit spielenden Knöcheln im Gras. Er tastete sich an sie heran. Sie wich aus. Er griff immer ins Leere. Er zielte mit Worten. Sie trafen nicht. Sie brach seinen Pfeilen die Spitzen ab und spielte kindlich mit den gefiederten Schäften. Wenn er sie von den Seilen seiner Sätze umschnürt glaubte, wendete sie sich leicht und die hanfene Schlange lag zu ihren Füßen. Sie rannte davon. Er faßte zu und hielt ihr Schultertuch. Er lockte sie auf Wolfsgruben. Aber ihrem leichten Gang hielt die trügerische Decke. Er führte sie in Sackgassen, aber verborgene Türen taten sich vor ihr auf. Er warf sich an ihre Brust und fiel taumelnd ins Leere. Er stellte die brüske Frage. Sie hörte nicht und bat zu gehen. Für den nächsten Abend bestellte sie ihn in den Zirkus.
Das Bett schrie unter seiner Last. Das Gas brannte schlecht. Das Fenster wehte auf. Der fremde Abend atmete ihn an. Er warf sich zu Boden und lief auf allen vieren wie ein Hund. Wütend bellte er die Lehne des Sessels an. Er legte den Kopf auf die Vorderpfoten und heulte laut. Die Kastenwand lockte ihn, sein Wasser ab zu schlagen. Das ging nicht auf hündische Art und erinnerte ihn, daß er Mensch sei. Er trommelte sich mit den Fäusten auf den Kopf und befahl sich es zu vergessen. Die Wände des Käfigs marschierten auf ihn los. Plötzlich zerfielen sie. Er ragte einsam in die kalte Unendlichkeit, ausgesetzt auf der Spitze eines riesigen Turms. Jäh fielen die Wände ab in schwarze Stille. Winselnd rannte er um den Rand des Turms. Eine ungeheure Kälte stach ihn. Der Himmel war tief und grenzenlos und ohne Sterne. Sein Brüllen verscholl in Nichts. Er schluchzte unendlich in den Mond hinaus.[1920]