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Georg Britting
Sämtliche Werke  - Prosa -
Herausgegeben von Walter Schmitz
Band 1  Seite 213
Kommentar Seite 641
Aus: »Erzählungen, Bilder, Skizzen«


Ariel

Bei seiner Geburt bog die Mutter den weißen Hals zurück und starb mit einem lauten Schrei. Man mußte das Kind vor dem Vater verstecken, der es ermorden wollte. Man gab Ariel zu ländlichen Verwandten. Wälder, Wiesen, Brunnen und ein immer riesiger Himmel waren spiegelnd um ihn. Man holte ihn zurück, als er fünf Jahre alt war und sein Vater Hochzeit machte mit der rundschultrigen Sängerin. Der Husarenoberst glänzte wie eine große überreife Himbeere am Ärmel seiner Frau. Der Senatspräsident wippte wie eine schwarze Schwalbe über der kristallnen Schale, in der Pfirsiche und Äpfel lagen, flaumig, rot und duftend. Sekt, aus einem winzigen Glas, trieb ihm viele Nadeln in das Fleisch. Später kam Ariel zu den Kadetten. Die eisernen Bettstellen zuckten unter der ersten Qual seines wilden Blutes. An den kalten Februarmorgen, im dünnen, schrägen Regen, übten sie mit Gewehr und Säbel. Mit zwanzig Jahren trat er ins Regiment ein und war wie durchschnittlich der Offizier. In tiefen Nächten trank er gemessen und immer unerschüttert Wein. Der Feldzug brachte ihm Auszeichnung. Er fing bei jenem Vorstoß, der in allen Zeitungen ausschweifend beschrieben ward, das feindliche Panzerautomobil, den Major und wichtige Pläne. Er wurde daraufhin dem König vorgestellt. Wieder in der Garnison sah man ihm vieles nach. Er las dicke Bücher, auch solche von den deutschen Mystikern, von Schopenhauer, indische Sagen. Er lernte Illa kennen. Ihr gelbes Gesicht stand kühl über dem Pelz. Sie verachtete das holprige Pflaster der kleinen Stadt und verließ selten das Haus. Sie brannte schneeweiße, betäubende Lampen im Zimmer und saß wie ein heller Vogel auf der Lehne des Ledersessels. Der Rittmeister hatte Ariel bei ihr eingeführt. Sie rauchte starke Zigaretten, schlief wenig und spielte bis zum Morgengrauen mit Ariel. Er machte sich zu ihrem Geschöpf. Sie hatte keine Launen und war zu ihm wie zu einem edlen Pferd. Er verbrachte den Winter nur in ihrer Gesellschaft. Er kam ihr nicht näher und wußte nicht mehr von ihrem Eigentlichen, als von dem blonden Fräulein, das ihm die Fingernägel glänzend erhielt. Sehr spät erst merkte er, daß sie die Geliebte des Rittmeisters war. Ariel fuhr nach Berlin, erbat und bekam den Abschied von soldatischen Diensten. Er besuchte Vorlesungen an der Hochschule, verschaffte sich Theaterkarten und war ein regelmäßiger Besucher aller nächtlichen Vergnügungstätten. Die kleine Schauspielerin Eva und die Gräfin Gagern teilten im Wechsel das Bett mit ihm. So konnte er dem Arzt auch keine sichere Auskunft geben auf die Frage, von wem er die Krankheit sich geholt habe. Nach einer kurzen und unvollständigen Kur mietete er sich in einem Ostseedorf ein. Er war ein großer und schlanker Mensch von blühendem Aussehen und die Weiber gierten nach ihm. Er hatte vielen Zulauf und es war bald kein Mädchen mehr im Dorf, das nicht von ihm angesteckt gewesen wäre. Er wüstete entsetzlich im unschuldigen Fleisch. Bald war es weit und breit bekannt, daß alle Frauen von Sandelmaar vergiftete Pfeile im Schoß trügen. Die Männer von Sandelmaar stürmten eines Nachts Ariels Haus und schlugen ihn halbtot. Er ließ sich später in einer kleinen süddeutschen Stadt nieder. Er führte ein sehr zurückgezogenes Leben. Rosenzucht füllte seine Tage aus. Er legte die Kleider seiner Jugend nicht mehr ab. Er ging noch in engen Hosen und weiten Röcken, da alles um ihn schon weite Hosen und enge Röcke trug. So wurde der alte Ariel eine allgemein bekannte und den Kindern ein wenig komische Figur. Grauhaarig machte er noch eine Reise nach Berlin. Er stieg im besten Hotel ab, bestellte Schneider, Schuster, Friseur und verwandelte sich binnen vierundzwanzig Stunden in einen modisch gekleideten alten Herrn. Sein weißer Schnurrbart, sorgfältig gedreht, übersteilte die geschminkten Lippen. Abends steckte er sich eine Blume ins Knopfloch und besuchte das feinste Kaffee des Westens. Einen jungen Burschen winkte er zu sich, behandelte ihn mit vollendeter Höflichkeit und nahm ihn mit ins Hotel. Als der Knabe am Morgen den Greis tot neben sich im Bett liegen sah, plünderte er noch dessen Brieftasche aus und verschwand. Weil er Ritter des Sankt Georgsordens war, wurde Ariel mit militärischen Ehren zu Grabe getragen. Die Presse berichtete ausführlich über den feierlichen Akt und erinnerte auch noch einmal an die kühne Tat, mit der er die hohe Auszeichnung sich erworben.

[1920]