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Georg Britting
Sämtliche Werke  - Prosa -
Herausgegeben von Walter Schmitz
Band 1  Seite 332 - 343
Kommentar Seite 649

Aus: »Erzählungen, Bilder, Skizzen«


Ambros
Auf einem Hügel über Aichach
Der Ledergepanzerte


Ambros

Ambros war Holzfäller, und während des Sommers kam er nur selten hinunter ins Tal und ins Dorf. Jeden zweiten oder dritten Sonntag vielleicht, mochte der Pfarrer auch schimpfen über den messeversäumenden Heiden. Die Hütte lag eine Stunde über dem Dorf, und der Weg zu ihr, der durch dicke, feuchte Wälder lief, war steil und voll Geröll. In der Hütte schlief Ambros mit noch zwei Kameraden. Nach der Arbeit kochten sie sich selber das Essen, Mehlschmarren zumeist, mit viel Fett und tranken mitunter ein Glas Enzianschnaps. Aber das war das Seltenere. Auf dem Laublager schnarchten sie, dröhnend wie ein Holzerfuhrwerk.
 An einem Sonntag saß Ambros auf der Bank vor der Hütte. Er hatte sich den Wochenbart wegrasiert, die bessere Joppe angezogen, lehnte den Kopf gegen die warme Holzwand, die kochte wie ein Suppentopf. Ihm gegenüber stieg das Kuhhorn in das heiße Blau des Nachmittags. Der graue Stein glänzte und die Wälder sahen aus wie Schorf. Es war zwei Uhr und um vier Uhr erwartete ihn Maria unten am Kreuzeck. Das war eine Waldwiese, eine kleine halbe Stunde über dem Dorf. Ambros verschloß sorgfältig die Hüttentür und rüttelte an Schloß und Riegel. Den Revolver hatte er in der Tasche. Es war eine lumpige Zeit, immer wieder hörte man von Hütteneinbrüchen. Er war im Krieg gewesen, wußte mit Waffen umzugehen, und den Revolver hatte er sich aus dem Feld mitgebracht. Er schoß nicht schlecht, er schoß sogar gut. Aber die Munition war zu teuer, so knallte er nur hier und da nach einem Eichhörnchen, nur hier und da nach einem Raben.
 Er stieg bergab. Der Wald nahm ihn auf, es wurde kalt wie im Keller, das Grün umschauerte ihn, ein Häherruf scholl. Löste sich ein Stein unter seinen genagelten Stiefeln und kollerte vor ihm, dachte er: Spräng er einem Reh an den

Kopf, leicht wärs tot! Der Wald wurde lichter, gleich kam das Kreuzeck. Das war der Platz, wo die Bauernmädchen mit den Burschen sich trafen. Es war nicht weit herauf vom Dorf, weit genug, daß die Alten die Mühe scheuten. Manches Paar wäre an schönen Sommertagen aus dem heißen Gras aufzuscheuchen gewesen. Maria war noch nicht da. Sie kam schon noch. Er war zu früh daran. Er sah ein paar Erdbeeren rot aus dem Grün funkeln. Er aß, ging den roten Kugeln nach, es wuchsen mehr. Er hörte Stimmen, lugte um einen Strauch, und sah nichts als vier Füße. Zwei steckten in festen, genagelten Männerschuhen, zwei in neuen, hochschäftigen Damenstiefeln, wie sie selten ein Bauernmädchen trägt. Die Mädchenstiefel sollte Ambros kennen. Er hatte sie in der Stadt gekauft und seiner Braut geschenkt. Ambros vernahm, wie die beiden Küsse tauschten, und es überlief ihn eiskalt. Gebückt wie er war, blieb er stehen, rührte sich nicht, sah den Ansatz der Strümpfe, das runde Bein, und das Girren klang ihm ins Ohr. Er zog seinen Revolver. Die Mündung suchte nach dem Platz, wo die Köpfe des Paares liegen mußten, schwankte, schwankte irr. Dann senkte Ambros den Lauf, er zielte, zielte gut auf die rotbestrümpfte Mädchenwade, zauderte nicht mehr und Schoß. Eine Stimme kreischte, es rauschte im Gebüsch, und wie ein Narr floh Ambros in den Wald. Niemand verfolgte ihn. Der hatte genug zu tun, die verwundete Magd ins Dorf zu schaffen. Ambros Schoß noch ein paarmal, blindlings, auf die Bäume, bis er keinen Schuß mehr in der Waffe hatte. Dieses Frauenzimmer! Ihr Leben lang sollte sie auf Krücken laufen! Und wenn sie runzlig und verdorrt als altes Bettelweib durchs Dorf humpelte, sollten ihr Kinder die Krücke stehlen, daß sie greinend im Straßengraben zappelte, wie ein Frosch, dem man ein Bein ausgerissen hat! Dieses Frauenzimmer! Ließ sich vom Nebenbuhler zum Stelldichein begleiten und kürzte sich die Zeit des Wartens mit Verrat.
 Im Bogen stieg Ambro's zur Hütte empor. Er reinigte derl Revolver, lud ihn von neuem. Er war allein, die beiden Kameraden schon seit dem frühen Morgen im Dorf. Wer sollte wissen, daß er der Täter war? Dieses Frauenzimmer, sagte er wieder. Er klopfte mit der Faust auf die Bank, schnell; immer schneller, einen Wirbel, pfiff dazu, grell, immer greller, und Pfiff und Wirbel dröhnten in seinen Ohren zusammen höllisch wie Trommelfeuer, und nun fielen ihm ein paar Tränen aus den Augen. Er hörte jemand rufen, hörte deutlich seinen Namen Ambros. Kam man schon? Aber es war Maria. Er starrte sie an. War es ihr Gespenst? Aber es war Maria, erhitzt vom Steigen. Er sah auf ihre Füße. Sie trug ihre Arbeitsschuhe. Warum bist du nicht gekommen? fragte sie vorwurfsvoll. Da hockst du auf der Bank und ich warte auf dich. Sie stampfte mit dem Fuß auf, in dem doch eine Kugel sitzen mußte, stampfte auf und fragte: Warum bist du nicht gekommen? Sie küßte ihn, drückte ihn an sich: Lieber Ambros! Er sah nur immer auf ihre Füße. Sie errötete. Ich muß es dir erzählen. Die schönen Stiefel, die du mir geschenkt hast! Sei nicht bös.
 Wo sind die Stiefel? fragte er. Anna bat mich so drum. Sie wollte sich mit einem Burschen treffen, zum erstenmal, und wollte ihm gefallen, und bat mich, ihr die Stiefel zu leihen. Nur dieses eine Mal. Und sie wollte sehr achtgeben darauf. Nun liegt sie drunten und der Stiefel hat zwei große Löcher im Schaft. Zum Glück ging der Schuß nur durchs Fleisch. Ambros hielt den Atem an. Er legte den Arm um Maria, fühlte ihre volle Brust, drückte den Kopf gegen ihre Schulter, nun sah sie sein Gesicht nicht, und er fragte: Schüsse? Ist auf sie geschossen worden? Von weit her hörte er: Man trug sie an mir vorbei, als ich zu dir ging. Der junge Doktor, der Sommerfrischler, sagte, es sei gut ausgegangen. Der Knochen sei nicht getroffen. Maria sagte noch leise: Und das mit meinen schönen Stiefeln an den Füßen! Ambros fragte: Man weiß nicht, wer geschossen hat, und warum? Sie

antwortete: Es treibt sich jetzt viel Gesindel herum. Der Gendarm wirds schon herausbringen. Meinst du? murmelte Ambros. Aber die Stiefel schenkst du der Anna. Ich will dir ein Paar neue kaufen. Bis der Herbst kommt, hab ich mir so viel erspart. Es war dämmerig geworden und Ambros begleitete Maria noch ein Stück des Heimwegs.
 Als er wieder aufwärts stieg, saß die Freude in seiner Brust so schwer, daß er oft stehen blieb, an einen Baum gelehnt, um tiefer zu atmen. Es saß die Freude in seiner Brust so schwer; daß es ihm fast die Rippen sprengte. Er war wie der heilige Christophorus, der das Knäblein trug, das schwer wurde wie ein Klumpen Gold und noch schwerer. Wie der Heilige schleppte er keuchend sein Glück durch den Mondwald, und als er vor seiner Holzhütte stand, war es, daß er das Beil nehmen mußte, das unter der Bank lag, und es im Mond mußte spiegeln lassen. Drunten im Dorf lag die Anna, das Bein zerschossen, und ihn zermalmte fast das Glück. Er konnte nicht traurig sein. Ein Lachen gluckste und gluckerte in seinem Hals, er schluckte es schnell hinunter, bei dem Gedanken, daß er traurig sein sollte, weil die Anna unten, die wildfremde Person, ein zerschossenes Bein in Binden hatte. Aber, o ja, Blut um Blut, Aug um Aug, Zahn um Zahn, er trällerte es wie ein Lied, vergnügt wie ein junger Star, aber, o ja, er konnte sich den kleinen Finger abhacken. Oder nicht den ganzen kleinen Finger, so vorn nur die Kappe, daß der Anna genug geschehe, denn mit dem schweren Glück, das er trug, geschah ihr nicht genug. Er nahm das blinkende Beil, legte die linke Hand auf die Bank, aber da brach das verschluckte Lachen zutiefst aus ihm heraus. Lachend warf er das Beil fort, lachend kroch er auf seine Pritsche, und als seine beiden Schlafkameraden bald darauf eintraten, sahen sie im Mondlicht Ambros liegen, der mit beiden Fäusten das Glück von seiner Brust wegstemmte, hochstemmte,, das ihn fast erdrücken wollte.
 Am andern Morgen, sie hatten schon zwei bis drei Arbeitsstunden hinter sich, blinzelten in einer Pause träg und genießerisch in die Sonne, die auf dem Wipfel einer hohen Föhre schaukelte, am andern Morgen gegen acht Uhr früh war es, daß Michael, des Ambros Kamerad, ansetzte zu einer Erzählung, die ihn bedrückte, um die er sich erleichtern mußte. Und er erzählte auch, während der dritte fünfzig Meter tiefer schallend werkte, er erzählte etwas, was Ambros nicht fremd war. Stockend erzählte er, fluchte dazwischen, und hoffte, daß Ambros ein Einsehen hätte und das Nichtzuerklärende, das Sonderbare des gestrigen Sonntagnachmittags ihm aufhellen werde. Davon wußte Michael nichts, daß das Mädchen, das in seinen Armen erdbeerumblüht gelegen war, die Stiefel an den rotbestrümpften Beinen trug, die Ambros in der Stadt gekauft hatte. Damit hatte doch das lüsterne Ding als mit ihren eigenen geprahlt. Fluchend sagte er und mit einem Lachen voll Scham: Ich lag bei Arras in Feuerüberfällen, aber so überraschend ist mir noch kein Schuß gekommen, als der gestern. Er hätte uns beide auf einmal totschießen können, mit einem Schuß. Er erblaßte. In diesem Augenblick, sagte er, bedenk, in diesem Augenblick, da erwartet man keinen Schuß. Der Strolch, Hasen gibts und Rehböcke, darauf zu schießen, aber ein Liebespaar in den Erdbeeren! Ambros gab zu bedenken: Ein Närrischer vielleicht. Närrisch oder nicht, schrie Michael verstört, und schlug mit der Axt auf den Stamm los, von dem sie die Rinde lösten. So möchte ich ihn daliegen haben, so schlüg ich drauf! Er schlug so mächtig zu, daß ein handgroßes Stück lossprang, kerzengerade Ambros an die Stirn, so scharf, daß es ihm eine Wunde riß und Blut floß. Immer trifft man den Falschen, sagte Michael, als sich Ambros das Blut abwischte, und sah wild um sich, als suche er den Richtigen. Ambros band sich das Taschentuch um die Stirn und war froh, daß er sich gestern nicht die Kleinfingerkappe abgehackt hatte, und lachte, weil ihm Blut von der Stirn

träufelte, und fühlte es als einen Ausgleich, und fand sich nun ganz und gar von Schuld gereinigt, und weil nun die Sonne wieder höher gestiegen war und der Tag vorrückte, schlugen sie schallend auf den Stamm los, der zur Hälfte rindenlos und blank im Licht glänzte.

[1927]





 

Auf einem Hügel über Aichach

Wir hatten zwei Tage Wanderung hinter uns, waren von Dachau aus nach Indersdorf gegangen, über viele grüne Hügel hinweg, hatten in Indersdorf die Nacht verbracht. Am andern Morgen wieder ging's weiter, es ging über Altomünster, mitten durch altes bayrisches Land, es ging nach Aichach, Indersdorf, oh, das lag schön, und das Schönste war das Kloster dort, ein riesiger Bau, mit mächtigen Türmen, und Altomünster, oh, das war noch schöner, still und einsam, und da war die schönste Wirtsstube, die ich jemals sah, weißgedielter Fußboden, weiße Tische, weiße Bänke, aber weiter gingen wir, vorwärts, wir gingen nach Aichach. Aichach nun, so schön wie Indersdorf, so schön wie Altomünster ist es nicht, es ist behäbig, fett sogar, bürgerlich, bäurisch, bayrisch, aber wir blieben dort noch zwei Tage, und nicht in Indersdorf und nicht in Altomünster.
 Und am Nachmittag des zweiten Tages gingen wir auf einen Hügel vor dem Ort, auf einen Wiesenhügel, der unvermittelt aus der Ebene aufsteigt und sahen weit in die Ebene hinein. Wir sahen über welliges Land dahin, am Horizont waren Wälder, grüne Wiesen unter uns, von einem Fluß bewässert, der tiefeingegraben, krumm, schwarzglänzend dahinzieht. Ecknach heißt er.
 Und da kam eine Spielzeugfigur daher, ein Mann, ein Angler, trug einen Rucksack, hatte eine Angelgerte unterm Arm, ging die Ecknach entlang, suchte nach einem guten Fischplatz. Er schien einen gefunden zu haben, unter einer Gruppe hellgrünbeflaumter Birken. Aber er hatte keine Geduld, der Mann, angelte nur fünf Minuten, dann zog er die Schnur wieder aus dem Wasser und ging weiter, dem Ufer entlang, nach einem noch besseren zu spähen.
 Die Uferränder der Ecknach sind schwarzerdig. Moorboden ist hier immer noch, und das sieht gut aus gegen das Grün der Wiesen. Der kleine Angelmann ging immer weiter, er wurde kleiner. Ganz fern nun, hielt er, angelte wieder. Aber wir betrachteten ihn nun nicht mehr. Wir sahen etwas anderes von unserem Hügel aus. Es kamen zwei Bauern über die Wiesen daher, in schwarzen Röhrenstiefeln, in enganliegenden schwarzen Lederhosen, Westen mit Silberknöpfen und kurzen Jacken und runden, schwarzen Hüten, schwarz von oben bis unten, die Männer, bis auf die Silberknöpfe, und diese Tracht sieht lustig und verwegen aus, ein bißchen spanisch, nach Stierkämpfern.
 Die beiden Bauern waren betrunken, so schien's, hielten sich bei der Hand wie Kinder, gingen über die Wiesen, einem Dorf zu, das rechterhand unter uns lag, auf Wiesenpfaden strebten sie diesem Dorf zu, dem Dorfwirtshaus zu, Hand in Hand, leicht wackelnd. Über einen Holzsteg gingen sie über die Ecknach, und die lustigen Bauern warfen die Holzstange, die das Geländer des Stegs bildete, ins Wasser und freuten sich ihrer bösen Tat. Dann kam wieder eine große, grüne Wiese, die überquerten sie, klein sahen sie aus, zierlich, wie Spielzeug, und plötzlich kam ihnen unser Angler entgegen, der auch mit seinem letzten Angelplatz nicht zufrieden gewesen war, und gerade in der Mitte der grünen Wiese trafen sich die drei, die sich anscheinend kannten und begannen ein Gespräch. Der Angler stand ruhig, aber die beiden Bauern konnten nicht ruhig stehen, traten von einem Bein auf das andere, lachten, man sah es, daß sie lachten, sie lachten mit dem ganzen Körper, mit Armen und Beinen.
 Dann nahmen sie Abschied voneinander, die drei, der Angler ging nach Aichach zu, die Bauern in der Richtung des Dorfes, und fingen mit einemmal an, zu tanzen und zu hüpfen wie Buben, ungelenk, komisch, voll Lebensfreude, die beiden schwarzen Bauern. Sie verschwanden dann im Dorf, der Angler war wohl schon in Aichach, die grünen Wiesen lagen unter uns, die Birken standen weißrindig, grünbeflaumt, Hühner liefen über die Wiese und ein Hahn krähte frech.
 Das war ein Aprilsonntagnachmittag auf einem Hügel über dem oberbayrischen Marktflecken Aichach.

[1928]
 



 
 


Der Ledergepanzerte

An jenem Märztag 19 18 - wer gesund war und ein Mann war, und auch mancher Mann, der nicht gesund war, befand sich im Krieg, (es waren aber auch Gesunde zu Haus, in der Heimat, aber das waren vielleicht doch keine rechten Männer), an jenem Märztag 19 18 lagen wir bei Bapaume, und es wollte nicht recht voran, wie es doch sollte, und wir lagen untätig in verlassenen, verfallenen Schützengräben herum, nicht mit gutem Gewissen, wie die Jahre vorher, denn jetzt und hier hatte es doch »Angriff« und »Vorwärts« geheißen,-an jenem Märztag r9i 8 also hatte sich mit vielen anderen Soldaten, weißen und farbigen, auch ein englischer Motorradfahrer zu den Toten aufgemacht. Es mußte an eben diesem Märztag gewesen sein, denn als wir ihn fanden, wies er alle Merkmale eines eben Gestorbenen auf, und was wir waren, wir hatten schon einen Blick dafür, ob einer seit zwölf Stunden tot war, oder seit sechsunddreißig.
 Ich hatte da in meinem Loch und Kompagnieführerunterstand neben mir einen Reiterleutnant liegen, der hatte sich freiwillig zu uns, zu einer Fußtruppe, gemeldet. Die Kompagnie war in Gräben dreißig Meter weiter rückwärts untergebracht, und die Kompagnie wartete, und wir warteten, und Warten ist langweilig, so erzählten sich die Leute Geschichten und der ehemalige Reiter erzählte mir - was sollte er schon erzählen?-eben Pferdegeschichten. Tja, was war der Mann traurig, daß der Krieg eine solche Wendung genommen hatte, daß nun Reiter, die nichts taugten, hinten, irgendwo hinten Schnickschnack trieben und es Dienst nannten, und solche, die was taugten, gezwungen waren, aus dem Sattel zu steigen und zu Fuß sich umzutun!
 Tja, darüber war der Mann neben mir nun sehr traurig und wurde ganz wehmütig, wenn er gar der alten Ritter dachte, und fing an, mir von denen was vorzuschwärmen, des Langen und des Breiten. Ritter, sagte er, gepanzerte Ritter, gibt es nicht mehr! Nein!, sagte ich, gibt es nicht mehr! Solche Burschen, sagte er, hätte er gern einmal gesehen!
 Wir duckten uns tiefer in das Loch, weil gerade ein Flieger über uns kreiste, ein englischer, wir hörten es am Motorgebrumm, es war schon gegen Abend, das war die Fliegerzeit.
 Dann kam rasch die Dämmerung. Vor uns lag ein Hügel, den erklomm eine Straße und wir kletterten aus unserem Loch, jetzt in der Dämmerung, und gingen die Straße hügelhinan, feindzu. Es war alles durcheinander damals, wir wußten nicht recht, wo die feindliche Linie lief, hatten nur zu warten, bis wir irgendwo eingesetzt werden würden, wahrscheinlich wußte niemand genau, wo der Feind saß - und gestern hätten sie uns hald ein paar Essenträger geschnappt, die in der Dunkelheit bis zu einer englischen Grabenstückbesatzung gestolpert waren, um in übertriebener Nächstenliebe den Engländern, die doch mehr und besseres wie wir zu essen hatten als wir, Büchsenstampf zu bringen. Die Engländer hatten unfreundlich abgelehnt, auch ein bißchen geschossen, nichts getroffen, nur einen Feldkessel durchlöchert, aus dem nun alles Flüssige auslief, und als der Kesselträger zurückkam, war nur noch ein kleines bißchen Fleischbrei in dem Blechgehäuse, weil eben das Flüssige sich davongemacht hatte, und das Flüssige war das mehrere gewesen.
 So stands also damals mit der Front, und so wagten wir es in der Dämmerung die Straße hügelan zu gehen, dem Feind zu, ich und der Reiter und Ritterschwärmer. Der Weg machte eine Krümmung, ich blieb etwas zurück, brachte an meiner Wickelgamasche etwas in Ordnung, (an einer Wikkelgamasche ist immer etwas in Ordnung zu bringen) folgte um die Ecke nach und da sah ich meinen Mann in zusammengeraffter Haltung, stramm stehend, ernsten Gesichts, die Hand am Mützenschirm, als salutiere er einem General.
Nun, er salutierte einem toten englischen Motorradfahrer, der da am Straßengrabenrand neben seinem Rad lag. Der Tote war ganz in Leder eingewickelt, Leder unten und oben, nur vom Gesicht waren Augen und Nase und Mund und Kinn frei. Er lag da, in Leder gepanzert, eine lederne Sturmhaube über den Kopf gezogen, die Hände in großen ledernen Stulphandschuhen, es war Dämmerung, und der Tote sah wie ein Ritter aus, neben ihm lag das Pferd, lag das Rad, metallisch blinkend, auch gepanzert-und ich verstand schon meinen Begleiter, der ein bißchen verträumt war und romantischen Sinns und ein bißchen gefühlsübertrieben, und um ihm auszudrücken, daß er so unrecht nicht hatte, daß ich seine Meinung ein wenig teilte, seine Herzenswallung begriff, salutierte ich auch. Wenn ich allein gewesen wäre, hätt' ich's nicht getan, wahrscheinlich nicht, sicher nicht.
 Mein Gott, wir konnten doch nicht vor jedem Toten salutieren, da wären wir weit gekommen, aber an jenem Märzabend i9r8 salutierten zwei bayerische Offiziere einem toten englischen Motorradfahrer, bloß weil er einem gepanzerten Ritter glich.
 Wir blieben vielleicht eine halbe Minute so stehen, ein bißchen erschüttert wohl, und ein bißchen spielerisch, dann nahmen wir gleichzeitig und schnell die Hände von den Mützen, wir waren doch keine Kinder, die Märchen spielten, wir waren doch keine Komödianten, und nahmen dem Toten die Meldetasche vom Gürtel und schickten sie nach hinten zum Stab, es konnte doch was Wichtiges drin zu finden sein, möglicherweise.

[1928]
 



 
 

Anhang

S.341 Der Ledergepanzerte
In: Der Tag (Berlin), 7.10.1928. - Auch in: Kriegsdichter erzählen, hg.v.
August Friedrich Velmede, München: Langen-Müller 1937, S.49-52.
U.d.T. Die Ehrenbezeigung in: Der namenlose Soldat, hg.v. Sigmund Graff,
Berlin: Scherl 1943, S.66-7o.
Mitte 1928 berichtete B. Hermann Seyboth:

Eine neue Scherl Zeitschrift [vgl. S.6o9] bat mich um Mitarbeit und zahlte gleich bei Annahme 5o Mark für ein achtzeiliges Gedicht und 100 für eine kleine Prosaarbeit von zwei Schreibmaschinenseiten! Das sind Honorare, da ist die Frankf[urter Zeitung] schofel dagegen. Simpelwitze mach ich wenig mehr. Ich hab zuviel Geld. Und da werd ich faul. Die Zeitschrift kam nicht zustande; die Prosaarbeit wurde dann im Tag, dem großen älteren Blatt des Medienkonzerns, abgedruckt.
Die Klagen über den Untergang des Rittertums entsprechen denjenigen, die
Alfred de Vigny (Nr. 12) erhoben hatte.

S.344 Hinterhauser und sein Fräulein
In: Berliner Illustrirte Zeitung, Nr. 51, 16.12.1928, S.2209-2210. -
Vgl. die überarbeitete Fassung Das betrogene Fräulein (Bd.III, 2).
B. schrieb die Erzählung für das Novellenpreisausschreiben der Berliner Illustrirten im Sommer 1928, vgl. deren Bericht am 3o.November 1928; neben den fünf Preisen von je 3000,- Mark (vgl. S.61o zu den Gewinnern) wurden noch zwölf Sonderpreise von je 5oo,- Mark vergeben, u.a. an Oskar Maria Graf, Robert Neumann, Willi Reindl, Otto Soyka, Ernst Weiss und Otto Zoff:

S.349 Die Könige
In: Jugend, 33, 1928, S.826f: [22.Dezember] mit den beiden Zeichnungen von Otto Nückel, einem regelmäßigen Mitarbeiter von Jugend wie Simplicissimus.
Zum Stoff vgl. S.58.

S.356 Ein Pferd überm Fluß
In: Vossische Zeitung, Nr.101,  1.5.1929.

Dramen

B. hatte sich schon in der Vorkriegszeit als Dramatiker versucht. Der verschollene Einakter-Zyklus An der Schwelle wurde unter der Regie von Wilhelm Benthien am
27. März 1913 vom Stadttheater Regensburg uraufgeführt und am 7. April 1913 wiederholt.
 Den ersten, in Wien spielenden Einakter hatte B. mit Erwin Weill zusammen verfaßt, einem jungen Wiener, der sich während des Jahres 1912 in Regensburg aufhielt.
 Neben den motivischen und thematischen Anregungen Schnitzlers (vgl. Anm. zu S.44) soll ihm auch »eine Dame der besten Regensburger Gesellschaft, deren Amouren mit sehr jungen Männern damals Tagesgespräch waren, [...] den Stoff« geliefert haben. (Färber; vgl. S.570f.)
 In den Regensburger Neuesten Nachrichten erschien am 28. März anonym eine Besprechung der Uraufführung, die wohl der bei diesem Blatt allein für die Theaterkritiken zuständige B. verfaßt hatte:

 ....An der Schwelle. Einakter-Zyklus von Georg J. Britting
.....Regensburg. 28.März

In jeder Stadt ist die Uraufführung eines Werkes gewissermaßen ein Ereignis, dem man mit Spannung entgegenzusehen pflegt. Aber in Regensburg vermag nicht einmal eine Premiere den lethargischen Schauspielschlaf gewisser Kreise zu stören. Sie dösen ruhig weiter und überlassen es dem kleinen Häuflein wirklicher Kunstfreunde, Premierentiger zu spielen.
Gestern lieferte sich ein junger Regensburger, Herr Georg J. Britting, der sich schon seit längerer Zeit die ersten literarischen Sporen verdient hat, dem Seziermesser seiner Zeitgenossen aus. Er erzielte mit seinem Einakterzyklus einen überaus warmen, unbestrittenen Erfolg, der ihm wohl Ansporn sein wird, auf der beschrittenen Bahn in stetiger Vervollkommnung weiterzuwandeln.
Der beste der gebotenen Einakter schien uns
......................................................Madame
..............................von Erwin Weill und G J.Britting zu sein.
In straffer und fein geschliffener Dialogführung ersteht vor uns ein Dichter, der das Leben noch rosenrot sieht, dem die hohen und herrlichen Ideale noch nicht verloren gegangen sind. Die von ihm heimlich geliebte Frau erhebt er in seiner Illusion zum Wundergefäß voll Reinheit, Heiligkeit und Tugend, und empört und bis ins Mark getroffen fährt er auf, als ihm sein Freund Frauenart und Frauenwesen im Bilde entblättert bis auf den kahlen Stengel. Er würde es nicht ertragen, sein Idol beschmutzt und zertrümmert zu sehen, er fürchtet, von der Geliebten selbst in den ihm furchtbar drohenden Abgrund der Enttäuschung und Ernüchterung hinabgestoßen zu werden und-verzichtet darauf, sie überhaupt kennen zu lernen. Sein Ideal bleibt ihm dadurch rein und unberührt erhalten.
Wie gesagt, der Dialog bewegt sich auf einer recht achtbaren Höhe und

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