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Georg Britting
Sämtliche
Werke - Prosa -
Herausgegeben von Wilhelm Haefs
Aus: »Die Kleine Welt am
Strom« Neu
erschienen bei Rimbaud ! [Okt.2006]
Fischfrevel an der Donau
Mein Vater,
ich erinnere mich gut, war eine Zeitlang Angler, später ließ
er es, ich weiß nicht warum, war also eine Zeitlang Angler, sogar
leidenschaftlicher Angler, und viele seiner freien Abende und die meisten
seiner Sonntage verbrachte er damals am Wasser, an der Donau, der grün
und mächtig strömenden, auch am bräunlichen, traurigen,
stillen Regen, an der schwarzen, funkelnden Naab und der bläulich
schillernden Laaber. Er hatte es gern, wenn ich ihn begleitete, in den
Uferstauden saß, zu seinen Füßen, mit ihm den Korkschwimmer
belauerte, mit ihm hoffte, daß ein Fisch den Köder nähme,
aber an schlechten Tagen drehte sich der Schwimmer nur höhnisch um
sich, und oft gingen wir mit leeren Händen heim, und dann schämte
sich mein Vater, und es war da doch gar nichts zu schämen, wenn die
Fische eben keine Lust hatten, zu beißen.
Am liebsten begleitete
ich ihn, wenn er sich zu den Altwässern an der Donau aufmachte, einer
grünen Wildnis von Weiden und verfilztem Gestrüpp. Da saßen
wir auf dem lehmigen Boden, eine Weide, krumm, hing über dem schwarzen
Spiegel, und all die vielen Blätter spiegelten sich im Wasser. Wasserjungfern,
grün, mit Glasflügeln, schwebten, surrten, seltsam starr, als
seien sie nicht aus Fleisch, wie Maschinen waren sie. Schilf stand am Ufer,
stach aus dem Wasser, gelbes und grünes, und es roch schlammig.
Wenns mir zu heiß
wurde an dem moorigen Tümpel, schlich ich mich weg durchs rauschende
Gebüsch, bis zum steinernen Damm, der die Altwässer von der Donau
trennt. Da wehte es auch schon kühl her, das war der Strom, da floß
er, grün, breit, wallend, strudelnd manchmal. Ich hängte die
Beine ins Wasser, die Schuhe hatte ich bei meinem Vater gelassen, und sah
lange auf das Strömende hinaus, und so unruhig ich sonst war, hier
konnte ich eine halbe Stunde lang sitzen und schauen, nur schauen. Vom
Dorf gegenüber krähte verloren, verschollen ein Hahn, die Turmuhr
schlug ihren Schlag, die Sonne lag auf den roten Dächern, alles war
wie träumend, der große Strom floß, und weiße, dicke
Wolken schwammen am blauen Himmel.
Abends gingen wir dann
heim, im Fischnetz trug ich die Beute, zwei, drei Fische, vom Vater totgeschlagen,
mit glasigen Augen und Blut vorm Maul, und die Fische gabs dann meistens
als Abendessen, aber ich machte mir nicht viel daraus, hatte Angst vor
den Gräten, kostete nur gerade und hielt mich lieber an ein Butterbrot.
Mein Vater hatte sich
eine Angelkarte gelöst, was sage ich, zwei, drei Angelkarten, die
ihn zum Fischen in verschiedenen Flüssen berechtigten. Ich hatte keine
Karte, sie wurden ja auch nur an Erwachsene abgegeben, aber manchmal hieß
mich mein Vater die Gerte halten, damit er sich etwas Bewegung machen könne,
und ich hoffte und fürchtete dann in einem, daß ein Fisch anbeißen
könnte, denn ich traute es mir nicht recht zu, so ein zappelndes Tier
aus dem Wasser zu schleudern, hoch im Bogen, kunstgerecht, wie ichs beim
Vater oft gesehen hatte. Aber als es mir einmal gelang, schrie ich vor
Begeisterung, als der silberblitzende Befloßte am Ufer im Sand sprang,
auf und nieder sprang, am Haken noch hing. Mein Vater kam herbeigeeilt,
löste vorsichtig den Haken aus dem gemarterten Schlund, hielt den
Fisch fest in der Hand, bis ich das Netz öffnete, der Fisch hineinplumpste.
Das Netz wurde dann ins Wasser gehängt mit dem lebenden Tier.
Das hatte mich stolz gemacht,
Jägerfreude war in mir, daß ich abends wie ein Alter neben meinem
Vater heimging, das Fischnetz trug wie immer, und hin und wieder hinsah
auf meinen Fisch, den ich aus der Flut geschleudert hatte, und der nun
tot und verkrümmt in den Maschen hing, neben den beiden, die Vater
sich noch geholt hatte, aber meiner war der größte von heute.
Das war in den großen
Sommerferien. Und als ich zu Bett ging, immer noch stolzgeschwellt über
mein Jagdglück, überfiel es mich, morgen allein zum Fischen zu
gehen, in aller Frühe schon mich aus der Wohnung zu schleichen und
unbemerkt wieder zurückzukommen, ehe alles aufgestanden war. Es war
zwar polizeilich verboten, ohne Karte zu fischen, »schwarz«
angeln hieß man das, und man mußte vor jedem Schutzmann achtgeben,
aber ich wußte auch, dort hinaus, in das Gestrüpp vor der Stadt,
geriet so leicht kein Wächter, wir hatten noch nie einen gesehen und
waren schon dutzendmal dort gewesen. Ich schlief schlecht, fuhr immer wieder
im Bett hoch, aber immer wieder und immer noch sah die Nacht schwarz zum
Fenster herein. Als es etwas nach drei Uhr war, ich war zum Fenster getreten,
hatte in die tiefe Stille hinausgeblickt, glaubte ich im Osten einen schwachen
Lichtschimmer zu sehen, und da kleidete ich mich kurzentschlossen an, schlüpfte
auf Strümpfen zur Tür, zog im Hausflur die Schuhe an, ging die
hallenden Straßen zur Donau hinab. Es fröstelte mich, Nachtkühle
schauerte, die Donau rauschte und trug kleine Nebelfetzen auf ihrem Rücken
dahin. Die Dämmerung kam, noch waren die Sterne am Himmel, keine Wolke.
Ich war wohl noch nie in meinem Leben so früh auf den Beinen gewesen,
alles sah merkwürdig und anders aus, die bekannten Umrisse von Häusern
und Bäumen verschwammen undeutlich im Grau, die Ufersteine waren naß
vom Tau, wenn ich mich umsah, rötete sich der Himmel, das Grau über
der Donau lichtete sich, ein hellerer Schein legte sich über die Hänge
am jenseitigen Ufer.
Der Damm begann, die Sträucher
rechts und links wischten mir feucht ins Gesicht, warfen mir Tropfenketten
über die Ärmel, das nasse Gras, das kümmerlich zwischen
den Dammsteinen wucherte, machte mir die Stiefel glänzend schwarz.
Da war die Stelle, wo wir gestern die Angelgerte versteckt hatten, ich
bog die Weiden auseinander, da stand sie, ich nahm sie, nun brauchte ich
noch Köder. Ich wußte einen Platz, wo es Würmer gab, grub
mit einem Stück Holz in der weichen Erde, um diese Stunde waren sie
am leichtesten zu erwischen, bald auch hatte ich genug bläulichrot
schimmernde Regenwürmer, nur solche mittlerer Größe nahm
ich, die waren die besten, die schmeckten den Fischen am besten. Ich tat
die Schlängeltiere in eine Tüte, die ich mir aus einem großen,
feuchten Blatt drehte, und ging zu dem Weiher, wo ich gestern meinen ersten
Fisch geangelt hatte.
Die Würmer auf den
Haken zu spießen, das tat ich ungern, es trat ein weißlicher
Saft aus den Ringelleibern, wenn das scharfe Eisen hineindrang, und es
war mir unangenehm, daß ein Wurm gleich dreimal oder viermal durchbohrt
werden mußte, bis er wie ein zuckendes Geflecht am Haken hing, aber
es mußte sein, und ich meinte mich zusammennehmen zu müssen,
und die Schwäche kam mir knabenhaft und unmännlich vor.
Dann schleuderte ich den
Köder klatschend auf das Wasser, er sank unter, und der Korkschwimmer
lag unbeweglich auf dem schwärzlichen Glanz. Nie war es hier sonst
so ruhig gewesen. Keine Wasserjungfer surrte, Mücken tanzten nicht
wie sonst, auf den Sträuchern blitzten die Tautropfen, das Schilf
stach feindselig in die Luft, kein Wind ging. Der Schwimmer rührte
sich nicht, ich warf den Köder an eine andere Stelle, geschickt genug,
daß er in eine Art von Bucht niederfiel, wo Fische gern stehen, aber
keiner machte sich an den Wurm . . . . Mit einem Ruck holte ich den Köder
heraus, der Wurm drehte sich immer noch am Haken, und ich ging auf dem
Damm eine Strecke zurück und hinüber zur Donau.
Hier war das Licht schon
mächtiger geworden, der Himmel glänzte grünsilbrig und war
bestrebt, blau zu werden. Das Dorf drüben lag noch im Grau, wie immer
krähte ein Hahn herüber, kalt wars und immer noch dämmerungsfrüh.
Es war kein sehr hoher
Wasserstand in diesem Sommer, große Steine, vom Uferbau übriggeblieben,
ragten aus der Flut, still rauschte das Wasser um sie, die bemoost waren,
und ich zog meine Schuhe aus, um auf einen dieser Klötze zu steigen.
Kalt schlug der taufeuchte Stein gegen meine fröstelnden Fußsohlen,
mit der Angelgerte das Gleichgewicht suchend stand ich schaukelnd, trat
auf einen anderen Block hinüber, der wie ein Tierrücken aus dem
Wasser sich wölbte.
Neben diesem Stein ging
das Wasser tief hinunter, es war ein Baggerloch vielleicht, deutlich sah
ich am Boden des Kessels die flachen, grünlichen Donaukiesel und sah
noch etwas, etwas so Erschreckendes und Erstaunliches, daß ich den
Atem anhielt, unwillkürlich. Ich kniete auf dem Stein nieder und brachte
mein Gesicht dicht über das Wasser, daß ich die Kühle spürte,
die aus der Tiefe aufstieg, und geheimnisvoll und seltsam lautlos, ja,
die Lautlosigkeit fiel mir besonders auf, obwohl sie doch ganz und gar
natürlich war, lautlos und wie schwebend glitten viele Fische in dem
Kessel hin und her, schwammen schräg nach oben, wendeten, ließen
sich nach unten sinken, standen kurz, rührten ein wenig die Schwanzflossen,
strichen umeinander her. Es waren dickköpfige Barben darunter, Eiteln,
Brachsen mit breitgequetschten Leibern, Weißfische blitzten, wenn
sie sich auf die Seite legten, wie sie es gerne tun. Es war ein verwirrender
Anblick, es war wohl ein Dutzend Fische, vielleicht mehr, vielleicht weniger,
ich konnte sie nicht zählen, weil sie sich unaufhörlich bewegten.
Ich wäre auch zu aufgeregt gewesen, sie kaltblütig zu zählen.
Ich sah weg von dem geschmeidigen
Gegleite: da war die Donau, mächtig, wie in Stößen schien
sie manchmal schneller zu fließen, drüben waren die Wiesen,
das Dorf war da, die Hügel jenseits, der Himmel über mir, ein
paar Schwalben schossen dicht überm Wasser hin, die Sonne war schon
heraufgekommen, wärmte noch nicht, leuchtete noch bloß, und
als ich wieder hinabsah in den Fischkessel, da schwamm und stieg und glitt
und blitzte immer noch das Fischdutzend.
Sie sahen sehr groß
aus, die Fische, das Wasser war trügerisch, wußte ich, ließ
die Dinge größer und verzerrt erscheinen, aber auch wenn ich
das abrechnete, mußten es immer noch stattliche Tiere sein, die sich
hier versammelt hatten.
Sie mit der Hand zu fangen,
wie es fast möglich schien, wollte ich doch nicht versuchen, aber
hier konnte man angeln auf die einfachste Art, ohne Gebrauch des Schwimmers,
hier konnte man dem Fisch den Köder dicht vors Maul halten und zusehen,
wie er schnappte. Ich ließ also den Haken mit dem sich noch immer
drehenden Wurmknäuel in das Loch gleiten, mitten zwischen die Fische.
Ich sah die dünne Angelschnur schräg im Wasser wie eine grüne
Wasserpflanzenfaser schwimmen, aber zuerst beachteten die Fische den Köder
nicht, streiften die Schnur, daß sie sich bog, und ich zog den Köder
hin und her, um einen der Fische zu verlocken, ihm nachzuschwimmen, um
ihre Neugier zu reizen, aber die blauschwarzschimmernden Tiere waren gar
nicht neugierig, lautlos, immer wieder erregte es mich, daß sie lautlos
waren, stumm und geheimnisreich zogen sie ihre Bahn.
Eine große Brachse
stand fast am Boden des Lochs, und da ließ ich den Köder noch
tiefer sinken, bis er dicht vorm Maul des scheibenflachen Tiers hing. Der
Fisch stieß ein paarmal mit dem Maul gegen den Köder, schwamm
rückwärts, als nehme er einen Anlauf, schoß vor, schnappte
zu, ich riß die Angelgerte entgegen der Richtung des Stoßes
der Brachse, damit der Haken fest in ihren Gaumen dringe, schon straffte
sich die Schnur, ich spürte den Ruck, ich sah den Fisch sich winden
und krümmen, sah, wie blitzend, silberne Perlen werfend, die anderen
Fische nach oben schossen, aus dem Loch herauszukommen, dicht aneinander,
eine flüchtende Schar, drängend ins offene Wasser, sah das Loch
leer, nur eine zappelnde Brachse schlug Wellen, und dann schleuderte ich
sie heraus ans Licht und ans Ufer.
Ich sprang über die
Rücken der großen Steine ans Land, zog den schlagenden Fisch
an der Schnur heran, um ihn vom Haken zu holen. Ich schauderte, als ich
das Tier, zweimal handlang, naß, in die linke Hand nahm, spürte,
wie seine Muskeln sich spannten, mußte fest zugreifen, daß
es mir nicht entschlüpfte, und versuchte nun, wie ich das oft bei
meinem Vater gesehen hatte, den Haken aus dem Gaumen herauszudrehen.
Aber es gelang mir nicht.
Ich zitterte, als das Eisen sich nicht löste, als hellrotes Blut dem
Tier aus dem Maul drang, und so wollte ich den Fisch zuerst töten
und ihn dann vom Haken nehmen, um ihm Schmerzen zu sparen. Ich schlug seinen
Kopf ein paarmal fest gegen einen Stein, aber meine bebende Hand hatte
keine Stärke, der Fisch lebte, rutschte mir aus den Fingern, zappelte
und sprang am Boden.
Ich stürzte mich
von neuem auf ihn, klatschte den Kopf wieder gegen einen Stein, und weil
der Fisch nicht sterben wollte, schmetterte ich ihn in meiner Verzweiflung
gegen, den gepflasterten Damm, immer wieder, tobend, Tränen der Wut
und des Mitleids und der Beschämung im Auge, immer wieder, fünfmal,
sechsmal. Aber der Fisch lebte, seine Sprünge wurden kleiner zwar,
matter, aber tot, tot war der Fisch nicht.
Es war schrecklich, am
liebsten wäre ich davongelaufen, ich hatte noch nie in meinem Leben
ein Tier getötet, ja, einen Käfer vielleicht einmal zertreten,
eine Spinne, aber das Tier hier war halb so lang wie mein Unterarm, und
starb nicht. Seine Schuppen hingen schon am Damm, es war mit Erde beschmiert,
daß es nun wüst und schwärzlich aussah, sein silberner
Glanz war weg, den scharfen, blauen Eisenhaken hatte es im Maul, wieder
warf ich es zu Boden, aber es lebte.
Ich setzte mich zu Boden,
den Rücken gegen den Fisch, sah auf die Donau hinaus, saß mit
schlagendem Herzen, der Fisch mußte doch von selber sterben, das
war jetzt meine wahnwitzige Hoffnung, er mußte doch ersticken, aber
ich wollte ihm dabei nicht zusehen, das wenigstens wollte ich nicht. Jetzt
gerade kam ein kleiner Flußdampfer ratternd gegen die Strömung
gekeucht, in der Strommitte, ich war selbst mit dem Dampfer schon manchmal
gefahren, er arbeitete sich nur langsam voran, er war nur mäßig
besetzt, sah ich, bei dieser Morgenfahrt. Jemand auf dem Schiff hatte mich
Frühaufsteher sitzen sehen, winkte mit einem weißen Tuch einen
Gruß herüber, wie betäubt zog ich auch mein Taschentuch,
winkte zurück, war entschlossen, nicht umzusehen nach dem lautlosen
Todeskampf hinter mir, bis der kleine Dampfer um die Strombiegung verschwunden
sein würde. Die ersten Wellen, die das Schiff warf, kamen gegen das
Ufer gerannt, klatschten gegen den Damm, schäumend, das Schiff war
nun nicht mehr zu sehen, sein Keuchen noch schwach zu hören, die Wellen
verliefen sich, die Donau strömte wie immer.
Ich drehte mich um, der
Fisch zuckte immer noch, ich glaubte, es nicht mehr ertragen zu können,
der blaue Himmel über mir sah unbarmherzig zu, in den Weiden ging
ein leichter Wind, die Morgenstille war friedlich, freundlich sah das Dorf
herüber, und der Fisch, der Fisch lebte.
Da tötete ich ihn,
wie die Tiere, die ich schon je getötet hatte, die Spinnen und die
Käfer: die hatte ich zertreten! Ich zog meine Schuhe an, sprang auf
den Fisch und sah ganz geradeaus dabei, sah nicht auf meine Füße
hin, rutschte, trat wieder zu, drückte und stampfte, hämmerte
mit den Absätzen, zerquetschte und zermalmte ihn, bis ein schmutziges,
blutverklebtes, unförmiges, geschupptes Stück Fischfleisch auf
den Steinen lag. Dann zog ich den Haken heraus, jetzt ging es leicht, warf
den Fisch weit ins Wasser, reinigte, rieb und schabte die Schuhe im Gras,
reinigte mir die Hände in
der Donau, wusch sie lange und
gut und unermüdlich, ließ sie im Wasser hängen, wohlig,
ließ sie von dem grünen Donauwasser umspülen, konnte mir
nicht genug tun mit dem Waschen, als müßte ich Vieles und Schlimmes
und Ekelhaftes abwaschen. Die Angelgerte versteckte ich wieder am alten
Platz und machte mich dann auf den Heimweg und fing plötzlich zu laufen
an, lief lange, bis ich atemlos war.
Es gelang mir, unauffällig
in die Wohnung zu kommen, es war mir den ganzen Tag, als sei der Boden
unter mir nicht fest, und als ich nachmittags, es waren ja Ferien, im Gras
lag und ein Butterbrot aß, fand ich an meinem Schuh, zwischen Oberleder
und Sohle, eine Schuppe, eine getrocknete, spröd gewordene, undurchsichtige,
stumpfweiße Schuppe. Die rieb ich zwischen den Fingern, legte sie
auf das Brot, biß kräftig ab und aß die Schuppe mit dem
Brot hinunter. Warum ich das tat, weiß ich nicht.
S.31 Fischfrevel an der Donau Zuerst erschienen in: Kölnische Zeitung, Nr.363, 6.7. 193o [E], mit folgenden Abweichungen: S.31, Z.12: höhnisch E: freundlich S.31, Z.16: begleitete ich ihn E: begleitete ich meinen angelnden VaterDrucknachweise und Anmerkungen
S.47 Lästerliche Tat
Zuerst erschienen in: Frankfurter Zeitung, Nr.848, 10.5.1928. [E] Auch
in: Der Spiegel, hg. v. H.F.S. Bachmair (Erinnerungsgabe zum hundertjährigen
Bestehen der G.Franzschen Hofbuchdruckerei), München 1929,
S.17-23.
Der Erstdruck weist folgende Abweichungen auf S.41, Z.1: In der Stadt
E: In meiner Stadt
S.43, Z.4: als ich schon fünfzehnjährig war E: als ich schonfünfzehnjährig
war, in die Realschule ging
S.43, Z.6: Hosen. E: Hosen. Schulferien hatten wir.
S.43, Z.28-34: Der Absatz lautet in E: Hinterm großen Dom ist
ein grüner Domgarten. Dort ist's schattig kühl, wenn der steinerne
Domplatz vor Hitze kracht, und das Grün der Bäume und der Blätterschatten
auf dem Pflaster, der grüne, wie ist er wohltuend gegen die lähmende
Glut vorn. In diesem grünen Domgarten steht eine kleine Domkapelle,
uralt, und der dunkle Eingang in die Kapelle düstert unheimlich. Hier
brannte vor dem Goldaltar das ewige Licht, schwamm in einer roten mit Öl
gefüllten Glasschale ein winziger Docht. Rötlich schimmerte das
Lichtlein, zum Zeichen, daß der Herr leibhaftig im Altarschrein zugegen
war.
S.44, Z.20: Folgt in E ein kurzer Absatz: Und morgen kam Hans, mein
Freund, daran, das ewige Licht kirchenschänderisch auszublasen.
S.44, Z.21: Anlagen E: Allee
S.44, Z.34: kirchenschänderisch Fehlt in E.
S.45, Z.73f.: Es war dunkel in der Kapelle E: Es war kühl in der
Kapelle, dunkel
S.45, Z.19f.: Aufpasser E: Spion
S.43, Z.9: Gemeint ist B.s Jugendfreund Hans Soelch; vgl. Komm. in
Bd.I.
S.46, Z.12-14 und 25-28: Schön ist die Jugend: B. zitiert, leicht
abgewandelt, den Refrain des Liedes Aus dem Seulingswalde (vgl. Der Zupfgeigenhansl,
I0.Aufl. 1913, S.120).
S.47 Die Kapelle
Zuerst erschienen in: Orplid (hg.v. Martin Rockenbach), 2, 1925/1926,
H.9, S.329f. Dann aufgenommen in: Gedichte, S.79.
In beiden Drucken steht statt »Maria« (S.47, Z.I): Madonna.
Die » wohl reinste und schönste Legende« B.s (Bode,
S.46) fand die besondere Beachtung Rudolf Alexander Schröders, der
über das Gedicht 194o folgendes notierte: »An der Grenze dieser
Welt, fraglos unter Rilkeschem Einfluss steht das Gedicht Die Kapelle,
das ich vorläufig als das Meisterstück Georg Brittings ansprechen
möchte. Spricht es doch am deutlichsten aus, was manche hinter den
Versen der Dichter mehr vermuten als deutlich spüren lassen u. das
doch allen Vers und Reim erst zum Gedicht werden lässt, das Hindurchschimmern
eines „ewigen" Augenblicks durch den bloß erlebten.« (o. T.
Sammelbesprechung u. a. über Paul Appel, Georg Britting, Josef Weinheber,
1940, Fragment, ungedruckt, DLA, Nachlaß R.A. Schröder).