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Georg Britting
Sämtliche
Werke - Prosa -
Herausgegeben von Wilhelm Haefs
Aus: »Das
treue Eheweib« Besprechung
von Wilhelm Hausenstein zum Band
Das treue Eheweib
Der Esel
stieg langsam, obwohl er sehr eifrig stieg, mit eifrigen Beinen und eifrigem
Kopfnicken. Er kannte jede Biegung des Wegs, nahm die Wendungen von selber,
er setzte jedes Bein mit einem sonderbaren und schönen Nachdruck.
Sein Fell glänzte wie graues Silber, seine Ohren spielten. Maria,
die hinter ihm stieg, sah den Berg und manchmal auch das himmlische Blau
zwischen den Eselsohren schwanken. Sie hörte den Takt des Aufschlags
der zierlichen kleinen Hufe und hörte den eigenen Schritt nicht, weil
ihre Füße in weichen Lederschuhen staken. Manchmal blieb sie
stehen und dann blieb auch der Esel stehen, warf den lächerlich großen
Kopf hin und her, im Kampf gegen die fetten, schwarzen Fliegen, die nicht
abließen, ihn zu umsummen.
Der wolkenlos blaue Himmel
hatte noch einen Schimmer von kalter Klarheit und Feuchte, einen Rest von
Morgenfrische, obwohl der Vormittag schon weit vorgeschritten war. Wenn
Maria spähend voranblickte, schimmerten vor ihr die grauen Windungen
des Wegs, der sich an den Hängen des kahlen Karstberges hinaufarbeitete,
in immer neuen und überraschenden Drehungen, seltsamen Krümmungen
und Schleifen, daß es aussah, als sei er vor sich selber auf überstürzter
Flucht vom Tal zur Höhe. Wandte sie den Kopf, blitzte es grün
herauf von den Wiesen vor der kleinen Stadt, breiteten sich die flachen
Dächer, überragt von den weißen Minaretts, und sie konnte
den Platz erkennen zu Füßen des alten Türkenturms, wo sie
heut früh, am Mittwochmarkt, Zwiebeln und geräucherten Schafskäse
und selbstgemachten Zwetschgenschnaps verkauft hatte.
Maria klatschte in die
Hände, der Esel fing wieder zu steigen an, mit spielenden Ohren, den
Weg zum Paß empor, und Maria hinter ihm drein, und müd war sie
nicht, und wenn sie gerastet hatte und noch ein paarmal rasten würde,
so geschah das nicht, weil sie sich verschnaufen mußte, stark und
ruhig ging ihr Atem, auch nicht um den Esel zu schonen, dem diese Schonung
wohl auch nicht zugestanden worden wäre, wenn er sie gebraucht hätte
– wer bedenkt so etwas bei einem Esel? –, wenn Maria von Zeit zu Zeit stehenblieb,
so geschah das, um nachzudenken. Dieses Nachdenken war sehr schwierig,
nahm ihre ganze Kraft in Anspruch, bedingte so vollständige Sammlung,
daß sie, wenn sie dachte, nicht auch noch gleichzeitig gehen konnte.
Wenn sie wieder zu steigen
begann, dann sagte sie irgendeinen Satz, der das Ergebnis ihres Denkens
gewesen war, vor sich hin, und so sagte sie jetzt vor sich hin: Er hat
so schwarzes, glänzendes Haar, und daß die Locke nur so hält,
aber schön ist die schwarze Locke!
Sie hatte jetzt die Paßhöhe
erreicht. Das war eine große flache Steinmulde, wohin sie blickte,
war nur Blau und Grau, das wenige Grün der Wiesen unten war nicht
mehr zu sehen, die Stadt war schon lange hinter einer Wegbiegung zurückgesunken,
nur graue Berge glänzten, lauter runde, graue Kuppen, eine hinter
der anderen, und darüber der blaue Himmel. Die gelbe Sonne war da,
aber die konnte man nicht sehen, der ins flammende Auge zu sehen, hätte
das eigene geblendet, es tat schon weh genug, den unendlichen schwärzlichen
Stein flimmern zu sehen, da sah sie lieber auf den braunen Korb, den der
Esel trug, und die verschossene braune Decke auf seinem Rücken. Sie
blieb auf der Paßhöhe stehen, und der Esel blieb stehen, und
sie dachte wieder nach, sie holte sich wieder ein Bild herauf aus dem Dunkel,
ja, das Bild stieg selber herauf, sie brauchte es nicht zu holen, es wäre
vielleicht möglich gewesen, das Bild abzuwehren, aber sie wehrte es
nicht ab, und so sah sie einen schwarzen, kurzen, gekräuselten Bart,
der um zwei gelbliche Lippen war, und dachte: Eigentlich ist der Mund gar
nicht schön, und sagte das nun vor sich hin, als sie den Esel wieder
antrieb und hinter ihm herging den Weg, den der Esel schon kannte.
Der Weg ging nun eine
Zeitlang geradeaus und eben dahin, in das graue, steinerne Meer hinaus.
Daß es auf Erden Pflanzen gab, starke, hohe Bäume, wehende Sträucher,
daß es Äcker gab mit Weizen und Hafer, daß es grünes
Gras gab, oder auch nur das demütige Moos, von Blumen ganz zu schweigen,
das war hier nicht zu glauben, wo der Stein herrschte, streng und hart
herrschte. Nicht die armselige Distel wuchs hier, nur die Sonnenblöcke
glänzten, und manchmal huschte eine Eidechse, und die kleinen, dünnflügeligen
Mücken begleiteten die Frau, auf Blut gierig, das von ihr zu holen
war, denn der Stein gab kein Blut, wußten die Mücken wohl. So
waren sie jetzt eine flattrige Wolke um den Kopf der Frau, eine tanzende,
schwanke Wolke, und die Frau schlug manchmal mit der Hand durch die Wolke,
dann teilte sie sich, zwei Fahnen von Mücken waren es dann, aber die
Fahnen schlugen wirbelnd wieder zusammen und waren wieder eine Mückenwolke
und manchmal eine Mückenkugel um den Kopf der Frau. Jetzt hatte es
der Esel besser, ihn ließen diese kleinen Mücken in Ruhe, denen
die Eselshaut wohl zu dick war, und die fetten schwarzen Fliegen, die den
Esel umbrummt hatten, waren klüglich in halber Höhe des Berges
zurückgeblieben. Die Frau, Maria, hatte eine glatte, dünne, braune
Haut, die aber nur an den Händen zu sehen war und im Gesicht, mehr
von ihr ließ das weiße Gewand nicht frei, das bis zum Hals
hoch geschlossen war, und die enganliegenden Ärmel liefen bis zum
Handgelenk. Maria war mittelgroß, hatte einen starken, ruhigen Gang,
sie war nicht zu dick und nicht zu mager, sie hatte ein schönes, ruhiges
Gesicht und sehr große schwarze Augen.
So zog sie mit dem Esel
dahin, durch den ewigen, grauen Stein, im prallen Licht, das Gesicht im
Schatten eines Kopftuches zwar, aber das half nicht viel; denn die Sonne
schüttete ihre große Hitze über den Stein, und so von unten
her sprang die Glut der Frau röstend ins braune Antlitz.
Der Weg lief nicht immer
hier hoch oben so eben dahin, rechts schob sich jetzt ein Steinwall, langsam
anwachsend, heran, der Weg machte eine Biegung, neue Steinkuppen zeigten
sich, und in einiger Entfernung leckte einen Hang hinab eine grüne
Zunge, eine grüne Zunge mitten im höllischen Stein, mit scharfen
Rändern, das Grün verlief nicht allmählich im Grau, scharf
abgegrenzt war es, wunderbar genug war es. Auf dieses grüne Stück
nun hielt der Weg zu, und der Esel schritt rascher aus, und auch Maria
beschleunigte ihren Schritt. Man sah Bäume, Feldstücke, kleine
Gärten, weiße Mauern glänzten aus dem Grün, schimmernd
die Nadel eines Minaretts. Es war, als wär alles, was lebendig war
in der Steinwüste, eilig auf die grüne Insel zugelaufen, es drängte
sich fast zu viel zusammen auf dem einen Fleck, Sträucher und Hecken
und Häuser und Menschen und Schafe, und auch der blaue Himmel über
dem Dorf im Grünen war nicht so blendend blau wie hier über dem
Stein.
Der Mückenschwarm über
dem Kopf der Frau war verflattert, vielleicht war auch er von dem Strudel
ergriffen worden, der alles Lebendige zu der grünen Zunge riß.
Die ersten Felder breiteten sich, von niedrigen Steinmauern sorgfältig
eingefaßt, das erste niedrige Haus war da, das Dorf war da, und Maria
mußte durch das Dorf hindurch, ihr Haus lag am andern Ende. Sie ging
an der Dorfmoschee vorbei, die ganz aus Holz war, silbergrau gebrannt von
der Sonne, das Minarett schief und gebrechlich. Hühner liefen über
den Weg, Weiber begrüßten sie mit Zuruf, die von der Arbeit
aufsahen. Das Dorf blieb zurück, links am Hang lag das arme Steinhaus,
und unter der Haustür stand Peter, ihr Mann. Er sah ihr entgegen,
unbeweglich an der Tür lehnend, und als sie im Hof war, verschwand
er im Haus, ohne sie gegrüßt zu haben, ohne ihr einen Gruß
entgegengerufen zu haben, und Maria hatte wohl auch keinen Gruß erwartet,
gleichmütig nahm sie dem Esel die Decke ab und den Korb. Der Esel
trabte um das Haus herum in seinen niedrigen, türlosen Stall.
Maria trug die Decke und
den Korb in den Flur und ging dann in die Stube. Da saß Peter schweigend
am Tisch, schweigend nahm er die paar Münzen, die sie auf den Tisch
legte, den Erlös ihres Handels am Markt unten in der Stadt. Schweigend
nahm er die paar Münzen, und schweigend ging er aus der Stube.
Ja, das war Peter, ihr
Ehemann, mit dem kurzgeschornen Haar, mit der niederen Stirn unterm kurzgeschornen
Haar, da ging er weg, sie sah ihn durchs Fenster mit dem Beil weggehen,
zum Brückenbau in Jezero, einem Dorf in einem entfernten Tal. Wie
jeden Nachmittag ging er weg, das Beil in der Hand schwingend, aber die
Gedanken unter seiner niedern Stirn unterm kurzgeschornen Schwarzhaar waren
nicht bei den Pfosten und Balken der Brücke, seine Gedanken waren
anderswo, das wußte Maria, so dumm war er nicht, Peter, wenn er auch
nicht der Klügste war. Er sah wohl in Gedanken ein Gesicht vor sich,
und Maria wußte, das war das Gesicht, das auch sie in Gedanken immer
vor sich sah, ein braunes Gesicht mit einer hohen Stirn, und in diese hohe
Stirn fiel eine schwarze Locke. Aber Peters Haar war kurzgeschoren.
Peters Haar war kurzgeschoren,
und er war ein Christ, und hätte er sich auch das Haar lang wachsen
lassen, da wär doch nie eine Locke geworden.
Das Dorf war klein, in
dem Peters Haus lag, aber wär es auch groß gewesen, den Weibern
des Dorfes wär sie doch nicht verborgen geblieben, die Sache zwischen
Maria und Achmed, und wenn es einmal die Weiber wußten, dann wußten
es auch bald die Männer, warum sollten die Weiber hier in dem bosnischen
Dorf schweigen, wo sie es nie und nirgends und in aller Welt nicht tun?
Und als es das ganze Dorf wußte, schon lange wußte, da erfuhr
auch sehr spät Peter von der Sache zwischen seinem Weibe und dem Moslem,
und wenn er auch nicht sehr klug war, so gescheit war er doch, um zu verstehen,
was das für eine Sache war. Was gab es da auch viel Möglichkeiten?
Das konnte er sich zusammenreimen, Peter, der kurzgeschorne Christ.
Die Weiber im Dorf und
auch die Männer im Dorf mißbilligten natürlich die Sache
zwischen Achmed und Maria, besonders die Weiber mißbilligten sie,
wenn sie auch Verständnis dafür hatten, Verständnis dafür,
daß Maria der lockige Opankenschuster Achmed besser gefiel als der
kurzgeschorne Peter. Oh, das verstanden sie gut, das verstanden sie sogar
sehr gut, möglich, daß sie es sogar besser verstanden und begreiflicher
fanden als Maria, die sich sehr gesträubt hatte, die sich sehr gewehrt
hatte dagegen, daß ihr eine schwarze Locke das Herz verrückte,
so sehr das Herz verrückte, und die ihren Peter, ihren guten Peter
nicht leiden sehen mochte, und es war klar, daß er litt, wenn er
auch nichts gesagt hatte, nie etwas gesagt hatte, ihr nicht einmal einen
bösen Blick gegeben hatte, keinen schiefen, bösen, harten Blick,
der gute Peter, er vermied es nur, sie überhaupt anzusehen.
Maria sah immer noch zu
dem kleinen Fenster hinaus, sah nicht die Häuser und Dächer des
Dorfes, sah nicht Baum und Strauch und Fußweg und Feld, sah mit einem
leeren Blick zum kleinen Fenster hinaus, spürte nur innen, tief innen,
eine zehrende Erwartung, ein Reißen und Drängen, eine peinigende
Ungeduld. Sie lief, ja, sie lief, sie ging nicht, sie lief durch Stube
und Hausflur zur Haustür, scheuerte den Rücken am Türpfosten,
sah zum blauen Himmel auf, zum zitternden, blauen Himmel, dem wolkenlosen,
heißen Maihimmel, sah einen Falken, in großen, schönen
Schwüngen kreisend, dann wieder unbeweglich, flügelgespannt,
verharrend das Tier, sah es stürzen, Maria seufzte, das Weib, lächelte,
hatte Tränen auf einmal in den Augen, lächelte dann, unter Tränen,
wippte fröhlich auf den Fußspitzen, seufzte wieder, Maria, das
Weib, wischte sich die Tränen, schüttelte den Kopf, atmete tief,
einmal, zweimal, spannte die Brust, stampfte mit dem Fuß und ging
dann, ungern, sich losreißend, mit der Hand vor den Augen zum Dorf
hinspähend noch einmal, ging wieder ins Haus, Maria, das Weib des
kurzgeschornen Peter.
Ein Opankenschuster hat nicht
viel zu tun, sie sind sparsam, die bosnischen Bauern, laufen im Dorf vom
März bis Oktober mit bloßen Füßen, er könnte
verhungern, der Opankenschuster, wenn er nicht auch anderes triebe als
die Schusterei, seine kleine Bauernwirtschaft betriebe, seine sehr kleine.
Ohne Dienstboten, versteht sich, sich sogar selber kochte, aber was kocht
sich schon ein lediger Opankenschuster? Ist rasch gekocht, das bißchen,
und immer dasselbe.
Gegen den späten
Nachmittag bereitete sich Achmed Kaffee im langstieligen Messingkännchen,
rauchte eine selbstgedrehte Zigarette, saß mit gekreuzten Beinen
auf einer Matte, streichelte sich den kurzen, schwarzen, gekräuselten
Bart, zerrte an der schwarzen Stirnlocke, rückte den Fez hin und her.
Das Fenster stand offen in der kleinen Werkstatt, still war es in der kleinen
Werkstatt, er hatte wohl wieder nichts zu nähen und zu flicken, da
die Bauern alle barfuß liefen, jetzt im Mai, gleichviel, er stand
auf, gleichviel, er verließ Werkstatt und Haus.
Es verläßt
mancher Werkstatt und Haus, ohne zu bedenken, ob er je wieder zurückkehren
wird. Aber wer wäre auch so bedachtsam, so schwarzgallig, der Opankenschuster
Achmed jedenfalls nicht! Er stand zögernd vorm Haus und setzte sich
dann in Bewegung, und wer ihn gehen sah, konnte nicht etwa meinen, er ginge
zu Peters Haus, was man bei ihm leicht argwöhnte, er ging in die entgegengesetzte
Richtung, schlenderte langsam dahin, zum Dorfhinaus. Aber es gibt ja Feldwege,
die dorthin laufen und sich dann andersrum drehen, und auf einen zweiten
Pfad stoßen, und steigen und fallen und sich winden, wie verrückt
laufen ja alle Feldwege durcheinander. Es gibt kleine Hänge, die einen
decken, und Wege, von Steinmauern eingefaßt, die den Wanderer verbergen,
es gibt Baumgruppen, deren Schatten einen aufnimmt, Mulden, in denen man
untertaucht, und wenn man eine halbe Stunde so geht, wie ein Fuchs so schleicht,
der doch immer zum Hühnerstall findet - gleichviel, wie er geht, traut
keinem Fuchs! - wen wunderte es, daß des Opankenschusters Achmed
Weg wie zufällig, ganz wie von selber, auf Peters Haus stieß?
Und das war ja auch Marias Haus, und unversehens stand er in der Wohnküche
und verzog die gelblichen Lippen, unter dem kurzen, schwarzen, gekräuselten
Bart lächelnd, und lächelte Maria zu, und setzte sich und drehte
sich eine Zigarette und rauchte, stieß den Rauch in kurzen Stößen
von sich, Achmed, der Türke, der Opankenschuster.
Maria, das Weib Peters,
wie vergaß sie des kurzgeschornen Christen, wie trat sie Pflicht
und Treue mit Füßen, wie folgte sie dem wütenden Drängen
ihres Herzens, wie hielt sie das Lächeln nicht zurück, das um
ihren Mund sein wollte, wie wehrte sie dem Glanz nicht, der über ihr
Gesicht lief, wie preßte sie die Arme nicht an den Leib, die sich
nach dem Achmed streckten, wie wandte sie das Gesicht nicht ab, das nach
Achmeds Gesicht strebte! Wie benahm sie sich wie eine schamlose Geliebte,
wie girrte sie mit kurzen, heißen Worten, die ernste Maria, wie plapperte
sie zierlich und aufgeregt, das schweigsame Weib, wie hatten die Dorfweiber
unrecht, die Achmed einen Verführer hießen, wie hatten die Männer
unrecht, die Achmed einen Teufelskerl nannten, der es verstehe! Wie konnte
man sagen, Maria sei in die Schlingen des Türken gefallen, wie er
so dasaß und fast nichts sprach und nur ein wenig lächelte mit
den gelblichen Lippen und sich umarmen ließ und abküssen und
pressen und herzen und sich ruhig hielt unter der Flut von Liebkosungen,
unter den zärtlichen Worten der gurrenden Taube Maria, des ungetreuen
Weibes Peters, des kurzgeschornen Christen!
Es war noch der volle Tag draußen, aber es war nicht mehr die Lichtfülle der Mitttagsstunde und das Überschäumen des Nachmittags, es ging gegen den Abend, das Licht war klarer geworden, schärfer standen die Bäume gegen den immer noch blauen Himmel, und unter diesem blauen Himmel dahergegangen kam ein Mann, über einen steinigen Weg daher, bestaubt und barhäuptig, und er hatte einen stillen, langsamen Gang, aber er ging ohne je innezuhalten, und wer nie innehält, der kommt voran, auch wenn er langsam geht, wenn er nur sein Ziel weiß, und der Mann wußte sein Ziel und hielt sein Gesicht unter dem kurzgeschornen Haar dem Ziel entgegen und stieg einen Hügel hinan und stieg einen Hügel hinab, gleichmäßigen Fußes, ob es hinanging, ob es hinabging. Er trug Lederschuhe an den Füßen, Opanken des Opankenschusters Achmed, und er ging zum Dorf, wo Achmed wohnte, es war sogar so, daß er zu Achmed strebte, dem Schuster, aber doch wohl nicht um sich die Schuhe flicken zu lassen, deshalb wäre er nicht so früh von seiner Arbeitsstätte aufgebrochen, früher als sonst, und er war ja auch auf dem Weg zu seinem eigenen Haus im Dorf, der kurzgeschorne Christ, und nicht zu dem des Schusters, und er wünschte wohl nicht, daß er Achmed in seinem, des Christen, Haus anträfe, wie konnte er das wünschen? Er fürchtete es, und hoffte es doch auch, hoffte und fürchtete es in einem, so ist schon der Mensch.
Sie waren gesättigt, die
beiden in der Stube, und saßen wieder auf der Bank, und Maria spielte
mit der schwarzen Locke und der Opankenschuster spähte zum Fenster,
immer wieder, und den Mann, der eben jetzt von der letzten Höhe vor
dem Dorf zum Dorf herabstieg, den Mann konnte er nicht sehen, aber er war
doch unruhig, der Opankenschuster, und schob die Zigarette von dem einen
Mundwinkel in den andern, und schob mit dem Arm leicht Maria von sich und
drängte zum Aufbruch. Was sie ihm sagte, daß der Peter wie immer
nicht vor dem späten Abend kommen würde von seiner Halbtagsarbeit
an der hölzernen Brücke in Jezero, war richtig und war beruhigend.
Und wenn auch, wenn er auch käme, warum sollte nicht der Schuster
bei ihr sein in der Stube am hellen Tag und ihr ein paar Opanken für
den Sonntag anmessen? Die brauchte sie schon lange, und sie hielt ihm den
Fuß hin und lachte und sagte: Nimm mir das Maß!
Ja, das war wohl ein Grund,
daß ein Schuster am Nachmittag im Haus einer Frau sein konnte, da
hatte sie wohl recht, die listige Maria, und der Opankenschuster sah das
auch ein, aber sein unruhiges Herz war andrer Meinung, das drängte
zu gehen, und das Herz sollte recht behalten: Glaube jeder, was ihm sein
Herz sagt! Denn als jetzt der kurzgeschorne Mann unter der Stubentüre
stand, bestaubt vom Weg und mit Holzmehl am Gewand, das Arbeitsbeil in
der Hand, da fragte er erst gar nicht lang danach, was den Schuster hergetrieben
haben mochte, er sah den Schwarzlockigen bei seinem Weib sitzen, und da
atmete er tief und befriedigt auf, man hätte meinen können, er
freue sich, und er freute sich auch.
Es war das Reden und Fragen
nicht Peters Sache, er hatte nie viel geredet, hatte in seinen guten Zeiten
mit Maria nicht viel geredet, und er hatte lange gute Zeiten mit Maria
hinter sich, und seit er von der Sache zwischen Maria und dem Opankenschuster
wußte, hatte er mit Maria noch weniger geredet, hatte nichts mehr
mit ihr geredet, kein Wort, mit Reden war da nichts getan. Er stand unter
der Tür, mit dem Beil in der Hand, mit dem er gearbeitet hatte den
ganzen Nachmittag, und mancher Schlag, der auf einen Balken
gezielt gewesen war, hatte etwas
Lebendigem gegolten, und nun war das Lebendige vor ihm.
Hier vor ihm war das lebendige
Weib Maria, die eine Sache hatte mit dem Opankenschuster Achmed, hier saß
sie, atmend, und sah ihn an, ein wenig Trotz in den Augen und ein wenig
Trauer und Mitleid und ein wenig unbestimmte Hoffnung, und gar keine Furcht,
gar keine Furcht, obwohl sie das Beil sah in Peters Händen und seine
Kraft kannte, und aus blühendem Fleisch und rinnendem Blut war, Maria,
die Sünderin, und sich ihrer Sünden bewußt war, und wußte,
daß sie Strafe verdiente, und die Strafe lag und lauerte vielleicht
in dem Beil. Maria, die Sünderin, war ein richtiges Weib, und weil
sie ein Weib war, schaute sie vertrauend auf zum Mann, und glaubte zutiefst,
daß die Lösung dieser Sache wie jeder schwierigen Sache nur
von Männern zu erwarten war, in diesem Fall von diesen zwei Männern,
und welche Lösung ihr Weiberherz erhoffte, wie sollte sie das wissen?
Achmed aber hatte Furcht,
wenn er sie auch verbarg, und sollte doch weniger Furcht zu haben brauchen
als Maria. Nicht er hatte Peter Treue geschworen, das hatte Maria getan,
und hatte sie gebrochen, also war sie die Schuldigere von den zweien. Aber
Peter würde wohl nicht so fein unterscheiden, fühlte Achmed,
und so hatte er Furcht und berührte mit dem Bein den Hocker hinter
sich, spürte die Kante des Hockers in seiner Kniekehle, spürte
das wie tröstlich, denn man konnte sich bücken und den Hocker
heben und sich den Hocker über den Kopf halten, wenn über diesem
Kopf ein Beil schweben sollte. Denn immerhin, Achmed war ein Mann, wie
Peter ein Mann war, und Schuld hin, Schuld her, er billigte den Angriff,
wenn er ihn auch fürchtete.
Es wäre nun vielleicht
an der Zeit gewesen, dem Peter die Geschichte von dem Maßnehmen für
den Sonntagsschuh zu erzählen. Der Peter war nicht sehr klug, aber
ihm das zu erzählen, wagte Achmed nicht, und Maria, die doch noch
vorhin so siegessicher diesen Ausweg genannt hatte, sie machte auch keine
Miene, diese Geschichte zu erzählen, sondern schwieg, preßte
sogar die Lippen fest aufeinander, und wenn man das Gesicht Peters sah,
so begriff man, daß man ihm jetzt diese Geschichte nicht mehr erzählen
konnte.
Man hätte ihm jetzt
vieles erzählen können, er hätte doch nicht mehr darauf
gehorcht, er sprach jetzt in einer Weise, wie er den ganzen Nachmittag
gesprochen hatte, mit dem Beil, mit dem Holz, er sagte nichts, er knurrte
kurz und dann ging er mit langsamen Schritten auf Achmed los. Die Stube
war klein, so mußte er Achmed bald erreicht haben, besonders wenn
man bedenkt, daß er ja gar nicht so dicht an Achmed heranzugehen
hatte, weil sein Arm und das Beil an seinem Arm ihm erlaubten, immer einen
Schritt vor Achmed zu bleiben. Achmed bückte sich nach hinten, wo
er immer noch tröstend die Hockerkante spürte, und als Peters
Beil in der Luft war, hoch in der Luft war, war auch Achmeds Hocker in
der Luft, und das Beil traf das Holz, wie es schon den ganzen Nachmittag
Holz getroffen hatte, glitt ab, mit der breiten Fläche rutschte es
am Hockerbein entlang, und das war der erste Schlag.
Peter erhob das Beil zum
zweiten, aber Achmed kam ihm zuvor, traf Peter mit dem Hocker vor die Brust,
hatte nicht gewartet, bis der zweite Schlag sauste, war selber einen Schritt
nach vorn gesprungen, und Peter taumelte von dem Stoß, war aber damit
noch lange nicht aus einem Angreifer der Verteidiger geworden, denn das
Beil war stärker als das Holz, das wußte er und wußte
Achmed, war hart und scharf und blitzend, und das Holz war weich und stumpf
und schwach. Und der nächste Schlag schon bewies diese Überlegenheit,
denn das scharfe Eisen zerschmetterte eines der vier Hockerbeine und drang
dann in die Schulter Achmeds, aber die war wohl härter als Holz und
hielt, und wenn sie einen Sprung, einen Riß, einen Biß, eine
Wunde erhalten hatte, so sah man das nicht, das spürte höchstens
Achmed, an dem es nun war zu taumeln, aber taumelnd noch vergaß er
nicht, den dreibeinigen Hocker zu schwingen.
Der Esel war ins Freie
getrottet aus dem offenen Stall, in dem er sich vor der heißen Mittagssonne
verborgen gehalten hatte, aber jetzt, da es schon gegen Abend war, tat
ihm die Sonne gut, die ihm das Fell beschien. Langsam, ganz zärtlich,
genießerisch und wie spielend zupfte er an dem spärlichen Gras
des Hofes, riß mit vorgestülpten Lippen hartes, grünes,
stachliges Zeug ab, das zwischen den Steinen der niedrigen Hofmauer wucherte,
fraß, spie manches wieder aus, und wenn er auch aus dem Haus splitternde
Hiebe hörte, so scherte er sich nicht darum, was ging das ihn an!
Er hätte sich auch nicht darum geschert wahrscheinlich, wenn er gesehen
hätte, was er nicht sah, daß da zwei Männer, ungleich bewaffnet,
miteinander kämpften.
Maria in der Stube aber
hörte nicht nur die Schläge krachen, sie sah auch die kämpfenden
Männer, den angreifenden, eisenbewehrten Peter und den sich verteidigenden,
stuhlschwingenden Achmed, aber ihre Gleichgültigkeit, ob sie echt
war, ob sie gespielt war, war wie die des fressenden Tieres draußen,
und vielleicht, wenn ein Stück Brot auf dem Tisch gelegen wäre,
hätte sie das genommen und gekaut, langsam, mit weißen Zähnen,
so tat sie wenigstens, so teilnahmslos.
Auf die Dauer zwar mußte
wohl Peter der Sieger bleiben, Peter mit dem Beil, aber jetzt und augenblicklich
war er im Nachteil, war zurückgewichen gegen die immer noch offenstehende
Tür, und Achmed mit dem Stuhl war trotz seiner Schulterwunde im Vorwärtsdringen,
und vor ihm lockte der Ausgang, vor ihm war die Tür, die offene, weit
offene Tür, die zog ihn mächtig an, wenn er die erreichte und
hindurchschlüpfte und hinausschlüpfte und floh, dann war er gerettet
vor dem Beil. So versuchte er, Peter nicht mehr zum Schlag kommen zu lassen,
hieb ihm den schweren Hocker ein paarmal fest über den Unterarm, daß
Peter stöhnte, ob vor Schmerz, ob vor Wut, er stöhnte, und Achmed
war der Tür jetzt sehr nah und Peter hatte er jetzt etwas seitwärts
zur Tür gedrängt und vor ihm winkte die Freiheit.
Da geschahs, daß
Maria sich den Kämpfenden nahte, im Rücken Peters jetzt war,
sie wollte Peter in den Arm fallen wohl, dem geliebten Achmed zu helfen
wohl, dem Heißbedrängten, daß er entrinnen konnte wohl,
sie schlüpfte ganz nah zur Tür, stand unter der Öffnung
fast. Wollte sie selber fliehen, fürchtete sie, der Zorn Peters könnte
sich auch gegen sie richten, wenn erst Achmed erledigt war? Sie hatte keinerlei
Furcht gezeigt bisher, und sie hatte auch jetzt keine Furcht, sollte es
sich zeigen: sie warf die Tür ins Schloß, schallend, der lichte
Schein, der Achmed getröstet hatte bisher, konnte nicht mehr herein,
und sie schob den Riegel jetzt vor, klirrend.
Nun wurde es dunkel für
die Augen Achmeds, nun wurde es auch in seiner Seele dunkel, schwarz schattend
schlug die Verzweiflung über ihn zusammen. Aber er kämpfte weiter
den Kampf, wenn er auch aussichtslos geworden war, er kämpfte ihn
gut, den Endkampf, er schwang den Hocker und traf Peter vor den Kopf, daß
der starke Mann wankte. Aber seinen Rücken zu decken, daran dachte
er nicht, der Opankenschuster, und daß Maria, die Geliebte, ein Küchenmesser
nehmen könnte, daran hatte er nicht gedacht, und nicht daran, daß
sie es ihm in den unverteidigten Rücken stoßen würde. Er
spürte den Stich, er fühlte den Schmerz, er wandte sich um, das
Messer stak noch in seinem Rücken. Maria, die Geliebte, stand noch
mit erhobener Hand, und sah ihn an, sah ihm offen in die Augen, eine fremde
Frau sah ihn an. Der Stich war nicht tödlich gewesen, nein, er war
nicht sehr tief gegangen, so viel Kraft hatte sie nicht, Maria, die Frau,
mit einem Stich einen Mann zu töten. Aber Peter war stärker als
sie, sah sie stolz jetzt, sein Beil sauste nieder auf Achmed, hinter dem
er stand, zwischen dessen Schultern er das hilfreiche Messer sitzen sah,
und spaltete des Schwarzhaarigen Hinterkopf. Achmed taumelte, nun wurde
es ganz schwarz für ihn, innen und außen, die Schwärze
breitete sich aus, er fiel, der Opankenschuster, auf die Knie zuerst, dann
der ganzen Länge nach, mitten in das Finstere hinein.
Die Nacht war gekommen, Dämmerung,
grünes Licht und Abendröte, die Sonne war hinter den Karstbergen
untergegangen und der Mond war dafür über die Karstberge heraufgestiegen,
gelb und glänzend. Auf der Bank vor dem Haus saßen zwei Menschen,
ein Mann und eine Frau, saßen schon stundenlang und sprachen nichts,
Peter und Maria.
Ob Peter sich wunderte,
daß Maria Beistand geleistet hatte seiner Rachetat? Er fragte sie
nicht, er hatte sie nicht gefragt, er würde sie nicht fragen, es hatte
ihm wohl gut getan, daß sie ihm half, den Eindringling zu vertreiben,
wenn es auch wahr war, daß sie selber dem Eindringling die Tür
geöffnet hatte, aber das hatte sie wieder gutgemacht dadurch, daß
sie rechtzeitig die Tür schloß, als der in der Falle saß.
Ob Maria sich wunderte
über sich selber? Was sollte das Fragen unter dem gelben Licht des
Monds? Maria stellte sich keine Fragen, die sie nicht beantworten konnte.
Sie hatte sich von etwas befreit, was ein Zwang für sie gewesen war,
und so spürte sie wohl eine stille Genugtuung, sie atmete manchmal
wie erlöst und saß fromm neben ihrem Mann, den sie nun wieder
allein hatte, der sie nun wieder allein hatte. Jetzt war eine Sache wieder
in Ordnung, die sehr in Unordnung gewesen war, und Ordnung zu haben tat
gut, so oder so.
Sie saßen im gelben
Mondlicht und gingen gar nicht mehr in ihr Haus, als gehöre es jetzt
einem andern und sie wußten wem. Und der Mond beschien in der Stube
einen Mann, dem gehörte jetzt das Haus, er schlief, wie die meisten
Menschen jetzt schliefen tief in der Nacht, er schlief auf dem harten Boden
der Stube, aber wenn es sein Haus war, warum sollte er nicht auf dem Stubenboden
schlafen, wenn er nur gut und fest schlief, und das tat er!
Der Mond stand hoch über
dem Dorf und den Bergen und sah in viele Stuben und sah viele schlafende
Menschen und sah auch in Stuben, die leer waren, und sah in einer leeren
Stube Opanken von einer Stange baumeln, große und kleine, und sah
Schusterwerkzeug liegen, das rastete!
Der Mond steht hoch und
scheint über Gerechte und Ungerechte, nicht nur die Sonne tut das,
der man das nachsagt, auch der Mond tuts, so schien in dieser Nacht der
Mond in eine Stube, da lag im Bett ein Mann und schlief und wußte
nicht, daß morgen ein großer Tag für ihn sein würde,
an dem es galt, einem Mörderpaar Handschellen anzulegen.
Der Mond steht hoch, drum
sieht er so weit, und so sah er die nackten steinernen Karstflächen
kalt in seinem Licht liegen, wie erstarrt, ohne Leben, wer sollte jetzt
es wagen, durch die Öde zu gehen, die schaurig funkelnde?
Der Mond steht hoch, drum
sah er auch im Tal die kleine Stadt mit beglänzten Dächern, hoch
stachen die Minaretts in die Luft, hoch für menschliche Augen, vom
Mond aus betrachtet nicht so besonders hoch. Der Mond beschien die vielen
Kirchen, mohammedanische und römisch-katholische und griechisch-katholische
und Wirtshäuser und Ställe und Wälle und Türme und
auch das Gefängnis, und sah Sträflinge schlafen in den Zellen
und sah leere Zellen und manch eine Zelle würde morgen einen Bewohner
bekommen, täglich werden im Gefängnis Sträflinge eingeliefert
und täglich werden Sträflinge entlassen.
Aber das würde morgen
sein, am Tag, und noch war Nacht, und wenn zwei Menschen, ein Mann und
eine Frau, im Freien auf einer Bank vorm Haus sitzen und den Morgen erwarten,
wie fern ist er da noch, wie lange dauert das noch, das dauert sehr lange!
Drucknachweise und Anmerkungen:
S.S7 Das treue Eheweib
Zuerst erschienen in: Deutsche Zeitschrift 46, 1932/33, H.t2, S.766-776
[September 1933].
Erste Fassung in: Münchner Illustrierte Presse, Nr.34, 1934 S.109I-1094
[23.August] [E], mit folgenden Abweichungen:
S.57, Z.2-3: Er kannte jede Biegung E: er stieg pflichtgetreu, erkannte
jede Biegung
S.57, Z.2o: hinaufarbeitete E: hinaufschraubte
S.59, Z.4: Meer hinaus. E: Meer hinaus, das sich scharf vom blauen
Himmelsmeer abhob.
S.6o, Z.3o: Weiber begrüßten E: Weiber, die von der Arbeit
aufsahen, begrüßten
S.62, Z.2f: Sache zwischen seinem Weibe und dem Moslem E: Sache zwischen
Achmed und seinem Weibe
S. 64, Z. 18: der Türke Fehlt in E.
S.65, Z.2f: der gurrenden Taube Maria E: der gurrenden, kullernden
Taube Maria
S.67, Z.10: Beil. E: Beil. Wenn sie trotzdem keine Furcht hatte, kam
das wohl daher, daß sie ein Weib war,
S.68, Z..5f: gehorcht, er sprach jetzt in einer Weise, wie er E: gehorcht,
er ging jetzt zu einer anderen Überredung über, die den
S.69, Z.33f: daß Peter stöhnte E: daß Peter etwas
lahmte und stöhnte
S. 70, Z. 16-20: dunkel, schwarz schattend [...] Kopf E: dunkel, nun
kam der Verzweiflungskampf, und war der auch verloren, er kämpfte
ihn gut, er traf Peter mit dem Hocker vor den Kopf
S.70, Z.28- S.71, Z.5: Hand [...] hinein E: Mörderhand, Peters
Beil fiel noch klatschend gegen seinen Kopf, nun wurde es ganz schwarz,
innen und außen, er fiel, der Opankenschuster, auf das Knie zuerst,
dann der ganzen Länge nach
S.71, Z. 11f.: daß Maria [...] Rachetat E: daß Maria ihm
beistand bei seiner Rachetat
S.72, Z. 11f.: ein Mann und schlief und wußte nicht E: ein dicker
Mann mit einem großen Schnurrbart, und schlief, und das war der Wachtmeister
Jellicec, der friedlich schlief und nicht wußte
Der Text der Gesamtausgabe, E 1, S.147-164, enthält folgende Abweichungen:
S.65, Z.3f: des ungetreuen Weibes [...] Christen! Fehlt in E 1. S.71,
Z.17f: als der in der Falle saß. Fehlt in E 1.
S.57, Z.20: Karst: langgestreckter Gebirgszug von Nordostitalien bis
Bosnien.
S.59, Z. 12-2o: Vgl. den Text Mückenschlacht in Bd.I.
S.62, Z.11: Opanken: Ursprünglich nur in Albanien, Bosnien, Kroatien
etc. benutzte Bezeichnung für absatzlose Schuhe aus meist wollenen
Socken; über sie ist ein Stück Tierhaut mit dichter Riemenverschnürung
gelegt. Ab 193o/31 wurden Opanken als Flechtschuhe für Strand und
Promenade fabrikmäßig auch in Deutschland hergestellt (vgl.
Magdeburgische Zeitung, 13.7.1932).
Die Erzählung entstand unter dem Eindruck der ›Bosnienreise‹ B.s
vom Mai 1930 (vgl. Komm. S.505f. u. 509).
Das treue Eheweib (1933)
Erstausgabe: Das treue Eheweib. Erzählungen. München: Albert Langen/ Georg Müller 1934 (copyright 1933/erschienen im Oktober 1933). [1.-3.Tsd.] 21'7 S. Leinen. Mit gedruckter Widmung: »Für Paul Alverdes«. Auflagenentwicklung: 4.-5.Tsd. 1934; 6-10.Tsd. 1942; 11.-15.Tsd. 1943; 16.- 2o.Tsd. 1944.
Die Idee zu einem neuen Novellenband nach Michael und das Fräulein
lag schon weiter zurück . Darauf deutet ein Brief B.s an seinen Freund
Paul Alverdes hin. Am 24.Oktober 1933 sandte B. Alverdes ein Exemplar des
gerade erschienenen Treuen Eheweibs und schrieb dazu: » [...]
hier haben Sie das Buch, das Sie vor 3 Jahren dem Verlag mit zarter Gewalt
aufdrängten. Die Widmung nehmen Sie als kleinen Dank dafür.«
(Alverdes wiederum widmete B. seine Erzählung Das Zwiegesicht,
München: Langen/Müller 1937.) Der Hintergrund war vermutlich:
Der Novellenband Michael und das Fräulein hatte sich nach Erscheinen
nicht sonderlich gut verkauft; da aber der kleine Frankfurter Iris-Verlag
sich nicht behaupten konnte und den Rest der Leinenausgabe von Michael
und das Fräulein wohl um 1929 der Buchhandlung Severing &
Güldner in München zum Vertrieb überließ (vgl. GV,
Bd. 19, S.10; zu Severing & Güldner: Hohoff, S. 15), waren die
Rechte wieder frei. Bevor allerdings Alverdes den Weg zu Langen-Müller
ebnete, scheint zumindest noch ein anderer Verlag starkes Interesse an
einem Novellenband gehabt zu haben. Eugen Roth referiert in seinem nachgelasssenen
Tagebuch der vierziger Jahre folgenden Bericht B.s:
In der Frankfurter Zeitung war das Duell der Pferde erschienen.
Neumann (von Rütten und Loening) [d.i.: Adolf Neumann, Prokurist des
Verlages, seit 1922 Mitinhaber] empfing seinen Lektor zum Vortrag. Wir
müssen sofort an« - »Georg Britting schreiben!«
wie aus einem Munde. Inzwischen aber über Alverdes - Pezold zu Langen-Müller:
Treues
Eheweib.
(›Gespräche am Fluß‹, Nachlaß Eugen Roth, Privatbesitz)
Die Realisierung zog sich dann aber einige Jahre hin, wofür konzeptionelle
Gründe ausschlaggebend gewesen sein dürften. Noch Anfang 1933
ließ Langen-Müller eine Meldung verbreiten, in der das Erscheinen
eines Novellenbandes von Britting mit dem Titel Josef am See für
»demnächst« angekündigt wurde (nach: Fränkischer
Kurier, 1.3.1933, bei Gelegenheit des Abdrucks der Novelle Das Liebespaar
und die Greisin). Auch diese Novelle, als Titelnovelle vorgesehen und
1929 in der Neuen Rundschau erschienen, schied B. dann wieder aus der Sammlung
aus, überarbeitete sie später und veröffentlichte die Neufassung
Ulrich
unter der Weide 1941 in Der Schneckenweg.
Am 18. März 1933 schrieb B. an Heiseler:
Ich lege Ihnen ein vergriffenes Novellenbändchen von mir bei.
Ich bin heut in vielem doch schon anders. 2 Sachen daraus stehen, umgearbeitet,
in der Kleinen Welt, 2 oder 3 andere daraus sollen, umgebaut, in
dem Erzählungsband stehen, der im Herbst bei Müller kommt. (DLA)
Ende April 1933 fragte B. Knöller um Rat bei der Auswahl von Erzählungen
für sein neues »Novellen Manuskript«:
Wie finden Sie die Totenfeier? Mir gefällt sie jetzt wieder. Soll ich den Kronprinzen [...] hineinnehmen? Ich mißtrau ihm. (Expressionistisch?) Wie ist Ringe der Äbte? Wie das Bild, für das ich den i.Preis der Kölnischen Zeitung bekam [...] mir aber nicht recht paßt.B.s Unentschlossenheit zeigt, daß die Neuorientierung seines Stils noch in vollem Gange war, vom Spätexpressionismus hin zum ›klassischen‹ Duktus in den ausgehenden dreißiger Jahren; er tat sich schwer, einen in sich geschlossenen Novellenband zusammenzustellen. Schließlich entfielen sowohl Die Ringe der Äbte (die er aus Ungenügen an dieser Fassung später noch zweimal überarbeitete und die u.d.T. Der Verräter im Schneckenweg erschien) als auch Das Bild, das zum Themenspektrum des Novellenbandes nicht paßte (erschien ebenfalls im Schneckenweg, u.d.T. Der Flüchtling); auch Die Totenfeier stellte B. noch zurück - sie erschien 1938 in der Sammlung Das gerettete Bild.
(An Knöller, ohne Datum)
Vom Dichter des Dicken Mannes zwölf sehr bewegte Erzählungen von leidenschaftlich glutvoller, formal gebändigter, im besten Sinne männlicher Gestaltungskraft. Eine oft unheimliche, manchmal grausige Handlung führt an die Abgründe alles Menschlichen. Man fühlt den Frontsoldaten, dem alles Psychologisieren, jede spitzfindige Seelenzergliederung verhaßt ist, der dafür aber von der Handlung aus in die seelischen Vorgänge hineinleuchtet und dabei gefährliche Urkräfte und Triebe ahnen läßt.Das Spektrum der Rezensionen war ebenso breit gefächert wie nach Erscheinen des Hamlet-Romans 1932; nur war der Tenor diesmal einheitlich positiv mit nur ganz wenigen Abstrichen. Neue Erzählungen eines »großen und merkwürdigen Erzählertalents« (W E.Süskind in: Die Literatur, 36, 1933/34, S.291f.) wurden annonciert, von einem ›begnadeten‹, von einem ›geborenen‹, von einem der ›besten‹ Erzähler der Zeit war bereits die Rede, von einem »Buch für literarische Feinschmecker« und sogar von einem »deutschen Ereignis« (Heinrich Zillich, in: Klingsor, 10,1933, H.12, 5.503 [Dezember]; Ek [Edlef Köppen?] Der Tag [Berlin], 19.12.t933; Ludwig Baer, in: Fränkischer Kurier, 2.12.1934; Will Vesper, in: Der Buchberater, Leipzig: Avenarius 1934, S.7; Wilhelm Kunze, in: Hannoverscher Kurier, 21.1.1934); auch von »Vervollkommnung« wurde gesprochen (Rolf Meckler, Dichter der Nation. Georg Britting, in: Berliner Börsen-Zeitung, 1.4.1934). War der Hamlet-Roman für manchen Rezensenten noch eine Provokation gewesen-vornehmlich weil er die gewohnten Gattungsgrenzen sprengte -, so spürte man hier den originären Novellisten, der aus der Tradition heraus einerseits den Formgesetzen der Gattung genügte, andererseits einen ganz eigenen Ton anschlug, eine eigenwillige literarische Sprache entwickelte.
(Anzeige in: Buch und Volk, Buchberatungszeitschrift der Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums, 1933 [Anzeigenteil S.19])
Auch die vorliegenden Erzählungen sind beinah samt und sonders Untergänge, und zwar von der nachweisbaren, allerwirklichsten Sorte. Aber mir scheint, man sieht das Phänomen nur halb, wenn man es Lust am Grausigen, und falsch, wenn man es Härte nennt. [...] Steht es nicht vielmehr hinter jedem Wort, dieses Welt-Verwundern, dies furchtbare und freilich auch wieder lustvolle Staunen, das eine einzige große Frage an das Jenseits aller katastrophal bunten Wirklichkeit ist?In der Literarischen Welt meinte Rudolf Bach:
(Münchener Zeitung, 14.12.1933)
Es ist Brittings Geheimnis, wie er diesen Tonfall scheinbarer Improvisation zum Stil erhöht, worin alles, auch das Psychologische, Gedankliche sich in Bild, Bewegung und Anschauung verwandelt. Mit fast dramatischer Konsequenz setzen sich die Wellenschläge des seelischen Geschehens in Rede, Geste und Tat um.Eingehender mit B.s Stil befaßte sich der Rezensent des Berliner Tag:
(Die Literarische Welt, 9, Nr.47, 24.11.1933, S.3)
Es steckt in dieser gedrungenen und völlig natürlichen Prosa eine anmutige Leichtigkeit des anschaulichen Wortes, aber keine Phantasterei, es vollzieht sich alles auf dem festen Boden der Wirklichkeit und Gegenwart. [...] Die Kunst der Beherrschung der gehämmerten Form kleinen Formates ist heute selten, trotz der massenhaften Produktion. Georg Britting beherrscht diese Kunst von der Lyrik her, ohne daß er je die Grenzen überschritte und lyrische Prosa schriebe.In eine ähnliche Richtung, allerdings nur eingeschränkt positiv wertend, zielte die Beobachtung Hausensteins, B.s Geschichten seien eigentlich »Romane in einer Nuß« (wie oben).
(EK, in: Der Tag, 19.12.1933)
Die heidnischen Kräfte, von denen man heute so gerne spricht, sind hier auf eine viel unphilologischere Weise am Werke wie zum Beispiel bei Billinger. Sie wirken nicht bei Hinterweltsbauern auf eine überkommene Kalenderweise, sondern am Grunde unserer heutigen Welt und in differenzierten Gestalten, ja die Darstellung ihres Wirkens schließt bei Britting nicht psychologische Motivierung aus.Den Stil B.s kennzeichnete Raschke als »nervös«; seine Sprache ›tanze‹, und die »Unzufriedenheit des Schreibenden mit dem Geschriebenen scheint bisweilen in diesen suchenden Stil eingegangen zu sein, ein Stück des Schreibprozesses also, aber dies alles auf eine ganz unliterarische Weise und damit mehr eine barocke Spielfreude als einen Hang zum literarischen Experiment bezeugend.« In der Handlungsführung erweise sich B. »oft als ein Ironiker, der mit den kalten Teufeln seiner Welt ein ihn sicher belustigendes Bündnis geschlossen hat«. Raschke attestierte dem Süddeutschen Lust an der Verstellung - etwa in der Erzählung Der Sieger: »Und reitet Britting nicht auch in dem Sohne wie ein Kobold auf dem Dachfirste, nachdem er den Alten mit böser List aufs Altenteil des Gutes vertrieben hat?« Als »schönste Geschichte« im Treuen Eheweib galt Raschke Das Waldhorn, die »das Erbe Stifters« zeige, ohne daß B. in irgendeiner Form abhängig von der literarischen Tradition sei.
Gewiß, Brittings Novellen werden dem Normalbürgerbewußtsein oft pathologisch erscheinen, aber sie sind ohne Ausnahme ein Stück Leben für den Künstler, der die bauenden neben den zerstörenden Kräften jeden Augenblick in allen Erscheinungen wirksam sieht. Darum müssen auch oft gehörte Einwände, daß hier und in ähnlichen Gestaltungen das Leben nur als Zerfall erscheine, zurückgewiesen werden, denn Zerfall und Leben sind nicht zu trennen; nichts erscheint, das nicht vergeht im Erscheinen. Und man sollte sich vor der Oberflächlichkeit hüten, Zerfall und seine Darstellung mit Destruktion gleichzusetzen.
(Vossische Zeitung, 11.2.1934)
Es gab eine Zeit, da lasen die Deutschen Novellen noch gern. Es war nicht ihre schlechteste Zeit. Da wußten sie, was sie von ihren Heyse, Stifter und Keller zu halten hatten - Georg Britting ist ein ganz echter Nachfahre. Auch er liebt die stillen Winkel mehr als die Asphaltstraßen, und auch er fängt sich die skurrilen, abseitigen Menschen heraus, die es sich nicht leicht machen mit ihrem Schicksal; und auch er trägt Himmel und Luft der Heimat mit sich herum, wo er geht und steht.
(Bücher für den Sommer, in: Die Dame, 61, 1934, H.1, S.28)