zurück zum Inhaltsverzeichnnis |
Georg Britting
Sämtliche
Werke - Prosa -
Herausgegeben von Wilhelm Haefs
Band 3-2
Seite 239
Kommentar Seite
487
Aus: »Der bekränzte
Weiher«
Die Rettung
Man hatte sich in den letzten
Jahren daran gewöhnt gehabt, daß einem auf Schritt und Tritt
französische Soldaten begegneten, und es war ja auch so, wenn man
seinem gewöhnlichen Tun nachging, und dieses Tun bestand darin, für
sich und die Seinen Kleidung und Brot herbeizuschaffen, so wurde man durch
die Besatzung nicht gestört. Wenn nun beim Anblick eines Franzosen,
und das waren meist gutmütige und höfliche Menschen, gar nichts
zu sagen gegen den einzelnen, wenn dann doch irgend etwas in einem sich
verdunkelte, einen trüb machte, so war es nicht, weil sie einem den
alltäglichen Ablauf des Lebens schwer machten, es war, daß ein
paar Laute der fremden Sprache, im Straßengewühl aufklingend,
zarte und mächtige Gefühle in einem verletzten, die, wenn man
auch vermied sie mit volltönenden und hochtrabenden Namen zu benennen
- hochtrabenden Worten zu mißtrauen hatte man gelernt - doch lebendig
in jedem waren.
Als es dann aber feststand,
daß die Besatzung abziehen würde, und als es dann endlich soweit
war, daß die fremden Truppen sich nach Westen in Marsch setzten,
ergriff Freude jedes Herz, und als die großen Feiern begannen, spürte
man, daß gemeinsame Freude doppelte Freude ist, ja, daß, wenn
Tausende sich mitfreuen, die Freude in einer beglückenden Weise sich
vertausendfacht.
Alexander, ein vierzigjähriger
Bankangestellter, hatte nicht geglaubt, daß er noch eines solchen
Aufschwungs fähig sei, wie er ihn erlebte, als von einer tausendköpfigen
Menge das Deutschlandlied angestimmt wurde. Er sang zuerst zögernd
mit, dann merkte er, daß er merkwürdig unsicher auf seinen Beinen
stand, als sei er betrunken, und dann drang mit großer Süßigkeit
eine mächtige Woge von Liebe in sein Herz. Er sah mit Augen, in die
er nur mit Aufbietung aller Kraft Tränen nicht eindringen ließ,
von Gesicht zu Gesicht. Alle hatten rührend den Mund singend offen,
vielen, die weniger Kraft hatten als er, vielen liefen die Tränen
über die Wangen, und er sah, auch seine Frau, die neben ihm stand
und die fünfjährige Tochter an der Hand hielt, weinte, und zum
erstenmal wieder seit einem halben Jahr schob er seinen Arm in ihren Arm,
und während sie den Kopf drehte und ihn ansah und zugleich sang, stürzten
ihr die Tränen heftiger aus den Augen, ihre Augen strahlten, und fast
tat's ihm weh, zu sehen, wie Glück und Hoffnung auf ihren Zügen
lag.
Sie hatte ihn, seine Frau,
und sie hatte es nach anfänglichem Verstummen nicht geleugnet, sie
hatte ihn, seine Ehefrau, die Mutter seiner zwei Kinder, sie hatte ihn
hintergangen, sie hatte ihn betrogen, sie hatte, wie klang das biblische
Wort hart und grausam, sie hatte die Ehe gebrochen, war eine Ehebrecherin
geworden. Und war das geworden nicht einmal aus großer, alles niederwerfender
Leidenschaft für den anderen Mann, einer Aufwallung nur hatte sie
nachgegeben, einer raschen Verlockung hatte sie nicht widerstanden, aus
unbeherrschter Neugier nur, halb spielend, hatte sie es so getrieben, ihr
selber jetzt unbegreiflich, hatte sie gesagt, und er hatte sie nach diesem
Geständnis nicht auf die Straße gejagt, wie ihr das wohl gebührt
hätte und wie er das im ersten zornigen Schmerz hatte tun wollen.
Aber da war das kleine fünfjährige Mädchen, das jetzt singend
neben ihm stand, und da war zu Hause noch ein dreijähriger Knabe,
und denen wollte er die Mutter nicht nehmen, hatte er sich eingeredet,
und vielleicht war es nur die Gewohnheit, die ihn bannte urid lähmte,
eine unedle Angst vor Veränderung, schimpfliche Trägheit, und,
er konnte es nicht hindern, auch Mitleid mit ihr, und vielleicht auch das
Gefühl, daß er oft nicht zärtlich und süß spielend
genug mit ihr gewesen war, zu nüchtern fand er sich von je und ohne
Schwung, und sie hatte das bißchen flittrigen Glanz, das Frauen wohl
auch brauchen, und das er ihr nicht hatte gegeben, bei dem andern gesucht
- und kurz und gut, sie waren zusammengeblieben, aber sie waren ohne Herzlichkeit
zusammen, ohne Versöhnung.
Sie besorgte den Haushalt,
und er lief in die Bank, um Geld zu verdienen und damit Wohnung und Kleidung
und Nahrung für sich, für die Frau und die zwei Kinder sicherzustellen.
So war sein Leben seit einem halben Jahr, freudlos des Tags und freudlos
in der Nacht, und jetzt, in dieser Stunde, während das Deutschlandlied
scholl, und er zum ersten Male wieder Arm in Arm mit seiner weinenden und
singenden Frau stand, war es ihm, als sei es möglich, nicht, daß
alles wieder wie früher wurde, das wohl nicht, aber daß alles
wieder leidlich und erträglich werden könnte, und, wenn die Zeit
verging, wenn Jahre dahingingen, alles ganz gut sogar wieder werden würde,
und sie ihr Auskommen miteinander fänden, sich duldend in einer sanften
und ruhigen Art. Es mischte sich in seinem Herzen jetzt in den Überschwall
von Liebe, der in ihm wogte, auch ein wenig Liebe zu der Frau neben ihm,
gespeist aus dem gekränkten, aber nicht erloschenen Gefühl zu
ihr, und so sang er, taumelnd fast, das Lied mit den Tausenden um ihn zu
Ende.
Auf dem Heimweg nahmen
sie die fünfjährige Tochter in die Mitte und manchmal, wenn der
Trubel zu arg wurde, hob Alexander das Mädchen auf seine Schulter.
Es war vielleicht ein wenig unvorsichtig gewesen, das Kind mitzunehmen
in das zu erwartende Gezerre und Gedrücke, in dem es gefährdet
war, aber es hatte so sehr darum gebettelt, und dann, würde es nicht
eine Erinnerung sein für das Kind, eine große Erinnerung, eine
Erinnerung »für ewig« - er lächelte und verbesserte
sich: »bis in seine alten Tage«, er lächelte wieder, das
kleine Mädchen hier und sollte einmal eine alte Frau sein, es war
nicht auszudenken! - aber würde es sich nicht noch als alte Frau an
diesen Abend erinnern?
Sie kamen an die Brücke,
es war eine Notbrücke, auf Booten schwimmend, und die Brücke
war schmal, und so verstärkte sich das Gedränge. Alexander hatte
die Tochter wieder auf die Schulter genommen, er spürte die kindlich
mageren Arme um seinen Hals, er ging wieder Arm in Arm mit seiner Frau,
die sich scheu an ihn drückte, nein, das nicht, das hätte sie
nicht gewagt, die aber, wenn sie von den lachenden, erregten, freudigen
Leuten gegen ihren Mann gepreßt wurde, nicht versuchte Abstand zu
halten, die sich gern gegen ihn pressen ließ. Was sie nicht so bald
getan hätten, was wenigstens sehr schwer gewesen wäre, sich wieder
einander körperlich so nahe zu bringen, das besorgte die kupplerische
Menge, und wie ein verschämtes Liebespaar spürten sie sich Hüfte
an Hüfte, und oft auch Brust an Brust, wenn das Geschiebe sich staute
und sie wie im Wirbel drehte.
Die Frau trug eine rote
Mütze, die ihren Kopf eng umschloß, und sah jung und knabenhaft
aus, und als sie wieder einmal stehenbleiben mußten, drückte
er sanft seine Wange an das rauhe Mützentuch. Sie waren fast am Ende
der Brücke angelangt, es war ganz finster, es brannte kein Licht auf
der Brücke, nur von drüben funkelten die erleuchteten Fenster
der Stadt, der Fluß rauschte herauf, da geschah etwas Unvermutetes,
wie ein Schlag aus dem Dunkel herauf, wie es Alexander seit dem Krieg nicht
mehr widerfahren war. Der Boden wankte, ein vielstimmiger Schrei erscholl,
Alexander taumelte, aus dem Arm entglitt ihm die Frau, er stürzte,
das Kind hielt er fest, und eisig brauste das Wasser um ihn zusammen. Aber
er blieb klar in seinem Kopf, er tauchte auf, spürte seine Tochter
umklammernd an seinem Hals, und er ließ sich abtreiben von dem brüllenden
Knäuel um ihn, nahm schwimmend die Richtung zum Ufer, sah andere Schwimmer
neben sich, und erreichte das Ufer. Er brachte das zitternde Mädchen,
das, totenbleich, zu weinen vergaß, abseits und setzte es neben einem
Strauch in das Gras.
Dann legte er den Rock
ab, er war ein guter Schwimmer,
und seine Frau konnte auch schwimmen,
das gab ihm Zuversicht. Er warf sich wieder ins Wasser, noch immer gellten
die Schreie. Er schwamm ein paar Stöße flußabwärts,
spähte umher, da schimmerte etwas wie ein Fliegenpilz vor ihm, eine
rote Mütze! Das ist sie! jubelte er, und sie war es, seine Frau. Sie
war bewußtlos, schien es, aber er war noch rechtzeitig gekommen,
sie zu retten, nur undeutlich sah er im Dunkel ihr bleiches Gesicht. Wie
gut, dachte er, daß sie nicht blau und nicht grün ist, die Mütze,
nur Rot leuchtet so. Er schob den linken Arm unter die Frau, sie rührte
sich nicht, so brachte er sie ans Land, atemlos keuchend.
Er war am Ufer mit ihr,
wo war sein Kind? Dort war es, er sah die schmale Gestalt, aufrecht sitzend,
seltsam steif, dort saß sein Kind, gerettet, und zu Haus war ihm
sein Knabe, und hier hielt er im Arm seine Frau. So trug er sie zusammen,
die Seinen, es war ihm fast störend, daß sein Knabe nicht auch
hier war, daß er daheim in der Wohnung war. Er hatte den Wunsch,
sie alle hier beieinander zu haben, daß er jede Unbill fernhaften
könne von ihnen, den dreien, und wie einem Tier fast war ihm zumute,
das, wenn Gefahr ist, das Häuflein der Seinen knurrend und zähneweisend
umkreist.
Er stand vor seiner Tochter
jetzt, legte seine Frau neben sie, seine immer noch bewußtlose Frau,
und das Kind griff mit der Hand nach dem Gesicht der Mutter, und neigte
sich zu dem Gesicht der Mutter, und hielt sein Gesicht dicht über
das Gesicht der Mutter, und dann richtete es sich wieder auf und sagte
mit zarter Stimme: »Warum hast du nicht unsere Mutter gebracht? Hol'
sie doch auch!«
Der Mann stürzte
im Finstern auf die Knie, sah in das Gesicht der Frau unter der roten Mütze,
sah im Dunkeln ein bleiches Gesicht, das aber nicht das Gesicht seiner
Frau war, und eben jetzt schlug die Fremde die Augen auf und sah ihn mit
einem langen verwirrten Blick an. Was in seinem, des Mannes Gesicht, alles
sich abspiegelte, wer weiß das? Der Blick der fremden Geretteten
wurde furchtsam, dann trat helles Entsetzen in ihre Augen, und dann schloß
sie die Augen wieder und zitterte und seufzte und fiel wieder in ihre Bewußtlosigkeit
zurück, zurück in das schützende Dunkel, in dem sie der
wilde Blick ihres Retters nicht erreichen konnte.
Meine Frau ist noch im
Fluß, sagte Alexander, und er stand wieder auf und ging langsam zum
Fluß hin, und ein Zittern überlief ihn in den nassen Kleidern,
und er sagte leise vor sich hin: Meine ehebrecherische Frau ist noch im
Wasser, und wieder ein Schauer schüttelte ihn, und er sagte zornig:
Warum verbirgt sie sich, die Ehebrecherin? Und die Überlegung kam
ihm und erfüllte ihn mit wilder Wut, daß sie sich vielleicht
nicht genug wehrte gegen die Gewalt des Wassers und sich davon machen wollte
auf billige Weise, ehe alles zwischen ihnen geregelt war. Aber sie soll
mir nicht entkommen! sagte er, und da stand er schon am Fluß, und
so kann das Ende nicht sein! sagte er - und alles war ihm wie im Traum,
und wie träumend sprang er wieder ins Wasser, das sich kalt um ihn
schloß.
Als eine halbe Stunde
später die ersten Rettungsmannschaften mit Lichtern und Tragbahren
und Verbandzeug an der Unglücksstätte erschienen und mit ihrem
Hilfsdienst begannen, fanden sie am Ufer sitzend auch ein zitterndes, frierendes
Mädchen neben seiner bewußtlosen Mutter, und schafften beide,
Mutter und Kind, ins Krankenhaus, wo man sie in zwei nebeneinanderstehende
Betten legte. Die Krankenhausschwester glaubte, das Kind fiebere, als es
sagte, die Frau im Nebenbett sei gar nicht seine Mutter, und der Vater
sei gegangen, die Mutter aus dem Wasser zu holen. Aber das Kind fieberte
gar nicht, das Kind hatte recht, und die Frau erwachte dann aus ihrer Bewußtlosigkeit
und sagte auch, das Kind da neben ihr sei nicht ihr Kind. Ihre Kinder seien
bei ihrem kranken Mann zu Hause, sagte sie, die Gerettete, und richtete
sich stolz im Bett auf, die habe sie klüglicherweise gar nicht mitgenommen
zur Befreiungsfeier, gegen den Willen ihres unbesonnenen Mannes habe sie
das durchgesetzt, und nun sehe man, wie richtig planend das von ihr gewesen
sei, und sie danke dem Schicksal, das sie vor bösem Leichtsinn bewahrt
habe. Das hätte sie sich nie verziehen, sagte sie befriedigt, die
vermessen Hochmütige, und atmete tief und glücklich, wenn sie
eins der süßen Dinger hätte verlieren müssen beim
Brückeneinsturz, unter so schrecklichen Umständen, und nur, weil
sie nicht mutterschlau vorsehend genug gewesen wäre. Wie sie ans Land
gekommen sei, wisse sie nicht, sagte sie, und legte sich wieder in die
Kissen zurück: sie hatte vergessen, daß sie schon einmal aus
ihrer Ohnmacht erwacht gewesen war, und daß nur der wilde Blick eines
fremden Mannes sie wieder in die bergende Tiefe zurückgejagt hatte.
In einem Manne und einer
Frau, die nebeneinander aufgebahrt lagen, und die, wie die Rettungsmannschaft
berichtete, eng umschlungen und tot aus dem Fluß gezogen worden waren,
erkannte das Kind Vater und Mutter. Die Mutter trug eine rote Mütze
und hatte einen zufriedenen Ausdruck um den Mund. Die Ehebrecherin hatte
sich vielleicht doch gefreut, ihrem Mann noch wert genug gewesen zu sein,
daß er sie mit Gefahr seines Lebens zu retten versucht hatte. Und
sie hatte sich wohl zu zärtlich und zu eng und zu verliebt an ihn
geschmiegt, als sein Arm im Wasser sie herrisch umfaßte, ungestüm
und zornig fordernd, voll einer leidenschaftlich verlangenden Heftigkeit,
die sie nie zuvor an ihm gespürt zu haben vermeinte, und so waren
sie ertrunken in einer letzten Umarmung. Daher kam vielleicht ihr freudvolles
Gesicht, vielleicht war es aber auch nur, daß ihre Züge sich,
wie die der meisten Menschen, im Tod wohlig entspannt hatten, weil jeder
und jede, so scheint's, zuletzt doch gern von dieser unbegreiflichen Erde
sich fortmacht.
So also lag die Frau,
verliebt und zufrieden lächelnd, und neben ihr der Mann, ihr Ehemann,
der Vater ihrer Kinder, zeigte ein freundlich-gleichgültiges Gesicht,
das Feierabendgesicht eines Menschen, der das Seine und genug und mehr
als genug getan hat, und für den Ausgang ist er nicht verantwortlich.
Der Kinder, Doppelwaisen
waren sie ja nun, wartete das Waisenhaus oder sie kamen zu Verwandten,
der Knabe und das Mädchen, aber gleichviel, ihr Leben begann, sie
hatten es vor sich, im Guten und im Schlechten, sie hatten es vor sich
und hatten es zu Ende zu bringen, so oder so, wie alle Menschen ihr Leben
zu Ende bringen müssen, wie es ihre Eltern schon zu Ende gebracht
hatten - wer wollte da wohl überflüssiges Mitleid mit ihnen haben?
Drucknachweise und Anmerkungen:
S.239 Die Rettung
Zuerst erschienen in: Europäische Revue, 13,1937, S.393-397 [Mai].
Darin fehlen gegenüber der Buchfassung einige kurze Passagen.
Eine erste, stärker abweichende Fassung in: Velhagen & Klasings
Monatshefte, 45, 1931, S.302ff. [Mai]. [E] - Danach u.a. in: Stadtanzeiger
für Köln und Umgebung, Nr.37o, 26.7.1931; darin nur der erste
Abschnitt erweitert und bereits identisch mit der späteren Fassung.
Die erste Fassung enthält neben einer Reihe von kürzeren
Auslassungen folgende gravierende Abweichungen:
S.239, Z.18f.: Als es [...] würde, und E: Als es endlich feststand,
daß die Besatzung am 1.Juli i93o abziehen würde, für immer-solche
Worte wie »immer« und »ewig« nahm man ungern in
den Mund, die Welt drehte sich, hatte man erfahren, was heißt »immer«,
dachte man unwillig -
S. 240, Z.18-22: einer Aufwallung [...] hatte sie gesagt E: aus Spielerei
nur, aus unbeherrschter Neugier hatte sie es so getrieben
S.241, Z.4: Haushalt E: Haushalt, und mit dem Liebhaber hatte sie auch
gebrochen, das fiel ihr nicht schwer
S.242, Z.27f.: Aber er blieb [...] Kopf, er E: Aber wie ein Soldat
im Feld ließ er sich nicht betäuben. Es war klar in seinem Kopf.
Das Wort »Brückeneinsturz« war in seinem Kopf. Er
S.243, Z.3-5: Schreie. Er schwamm [...] wie ein Fliegenpilz E: Schreie.
»Wie im Feld!« schoß es ihm wieder durch den Kopf, »Volltreffer
in ein Lager. Rettungsarbeiten! Meine Frau« dachte er. »Rote
Mütze«, dachte er. Die Bruchstelle der Brücke war keine
zehn Meter vom Ufer entfernt. Verknäuelte, zappelnde Paare trieben
flußabwärts. Seine Frau würde auch flußabwärts
schwimmen oder flußabwärts getrieben werden. Rot wie ein Fliegenpilz
schimmerte da was
S.243, Z.11f.: so brachte er sie ans Land, atemlos keuchend. E: »So
ist's« dachte er, »heut hab' ich zum zweitenmal den Arm um
sie, zum zweitenmal seit einem halben Jahr.«
S.243, Z.24: Der Absatz beginnt in E: Immer noch kamen Schreie von
der zusammengebrochenen Brücke her. Triefend nasse Leute, die wie
er ans Ufer geschwommen waren, liefen durcheinander. Er aber stand
S.244, Z.8-21: Der Absatz lautet in E: »Meine Frau ist noch im
Wasser«, sagte Alexander. Er sagte: »Meine Frau«, und
sagte nicht: »Anna ist noch im Wasser«, er sagte: »Meine
Frau ist noch im Wasser«, und er stand wieder auf und ging langsam
auf die Unglücksstelle zu und sagte leise vor sich hin: »Meine
ehebrecherische Frau ist noch im Wasser«, und sagte leise vor sich
hin: »Ich muß meine ehebrecherische Frau doch aus dem Wasser
holen, und eine rote Mütze trägt sie, daran werde ich sie erkennen
und«, dachte er, »es wird doch nicht noch eine Frau eine rote
Baskenmütze tragen. Und dann schwoll ein solcher Wirbel in seinen
Gedanken auf, daß ihm alles wie im Traum war, und wie träumend
sprang er wieder ins Wasser, in den kalten, strömenden Fluß.
Den für B.s Erzählung konstitutiven zeitgeschichtlichen Zusammenhang
verdeutlicht der redaktionelle Vorspann zum Abdruck des Textes im Stadtanzeiger
für Köln und Umgebung (Nr. 370, 26.7.1931):
Man wird sich erinnern, daß der Besuch Hindenburgs im befreiten
Rheinland von dem Einsturz der Koblenzer Brücke - es ist gerade ein
Jahr her - dunkel überschattet wurde. Der Münchner Dichter Georg
Britting hat versucht, dieses allgemeine Schicksal mit einem persönlichen
in dieser hier gedruckten Novelle zu verbinden.
Das am 1.November 1923 von französischen und belgischen Truppen
besetzte Ruhrgebiet, war am 31 Juli 1925 wieder geräumt worden, die
Kölner Zone erst am 1.Februar 1926, doch die endgültige Räumung
des gesamten Rheinlandes erfolgte erst am 30 Juni 1930.