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Georg Britting
Sämtliche
Werke - Prosa -
Herausgegeben von Wilhelm Haefs
Band 3-2
Seite 423
Kommentar Seite
512
Aus: »Verstreute Prosa«
Die gepeitschte Sünderin
Der junge
Baumeister Hans Breckerle, sein Name sagt's: ein Schwabe, ein Schwabe aus
der Gegend von Memmingen, hatte den Kopf glühend voll von Plänen
für Hallen und Kirchen und Türme; die er dereinst zu bauen gedachte,
und stand und saß aber vorläufig den lieben langen Tag hinter
dem Zeichentisch in der Werkstube der städtischen Baubehörde,
mit kleinen Aufgaben nur beschäftigt und murrend über die Plage
des Amtes, mußte er noch froh darum sein, weil es ihm wenigstens
das Brot gab, das er brauchte, und er brauchte es zweimal, für seine
Frau auch.
Für seine Frau auch,
wie das klingt; das klingt falsch und hört sich an, als sei sie ihm
eine Last, die ihm eine Lust war, Frau Barbara, aus der Gegend von Memmingen
auch wie er, und groß und breit und blond, und er war klein und schwarz
von Haar und Bart; denn einen Bart trug er ums Kinn, gegen alle Sitte,
an dem sie ihn zupfte und zerrte, oft, den Baumeisterbart, wie sie ihn
nannte, und er lachte dann nur.
Er lachte aber nur mehr
selten in der letzten Zeit, und dann bald gar nicht mehr, das Lachen war
ihm vergangen, gänzlich, je länger und verbissener er, jede Stunde
nützend seiner freien Abende und der Sonntage, an dem Entwurf arbeitete
für den Rathausneubau einer kleinen norddeutschen Stadt.
Die hatte ein Ausschreiben
erlassen, Pläne zu erhalten für ein zu errichtendes Stadtväterhaus,
und als spätester Zeitpunkt, an dem die Bewerber ihre Arbeiten abzuliefern
hatten, war der erste Oktober bestimmt worden. Aber nun war es schon Ende
September und die Blätter an den Bäumen fingen schon an zu gilben,
er sah es, Hans Breckerle, wenn er den müden Blick hob von seinem
Entwurf, der zwar schon so gut wie fertig genannt werden konnte, mit dem
er aber jetzt sehr unzufrieden war, der ihm gar nicht mehr gefiel und der
ihm doch, als er ihn zum ersten mal mit wenigen Strichen auf das Papier
gesetzt gehabt hatte, glücklich und verheißungsvoll erschienen
war, daß ihm das Herz fast hatte still stehen wollen vor Freude,
so klar und selbstverständlich hatte sich alles gefügt.
Aber dann war er an die
Ausarbeitung gegangen und vieles wollte genau überlegt sein, wo die
Türen saßen und Fenster, und je deutlicher jede Einzelheit hart
und schwarz aus dem Plan hervortrat, um so mehr trat die Schönheit
des ersten Entwurfes zurück, versank vor seinen Augen in eine dunkle
Tiefe und wollte sich nicht mehr heraufholen lassen.
Seine Frau, Barbara, die
teilgenommen hatte am Rausch des ersten glücklichen Fluges, sie sah
nun auch seine Niedergeschlagenheit, sie sah, wie er stockte und nicht
mehr vorankam, sie sah, wie er sich festgebissen hatte, wie er sich verrannt
und verbohrt hatte und nicht mehr den Entschluß fand zu dem, was
jetzt nötig war: neu zu beginnen!
Wer in den Bergen an einen
grün schäumenden Eisbach kommt und er muß hinüber,
drüben läuft der Weg weiter und der Brettersteg, der ihn hinübertrüge,
ist weggerissen wer da zögernd steht und nicht recht den Mut aufbringt,
hinüberzuspringen: der nimmt wohl seinen Hut oder sein Ränzel
und wirft es ans andere Ufer, und muß nun, soll er nicht Verlust
haben, den Sprung wagen. Und manchmal auch wirft ein anderer für ihn
den Hut ...
Und eines Abends also
standen die beiden, Hans und Barbara, wieder einmal nebeneinander vor dem
großen Zeichentisch, den der Baumeister in seinem Arbeitszimmer aufgestellt
hatte, und betrachteten sorgend den Entwurf. Auf dem Tisch funkelte im
Licht der Deckenlampe ein Tintenbehälter, ein schönes Stück
aus der Großväterzeit, das Barbara bei einem Althändler
entdeckt und gekauft und ihrem Mann zum Geburtstag geschenkt hatte, eine
große Kugel aus geschliffenem Glas, ein wenig abgeplattet, daß
sie stehe. »Ein Pfuscher bin ich! «, sagte Hans Breckerle,
der Baumeister, »ein überheblicher Nichtskönner!«
Und er hob zu der Frau sein kindhaftes Gesicht, das von dem schwarzen Bart
männlich umrahmt war, und er sagte mutlos: »Ich gebe es auf!«
»Aber nein, Hans«, sagte die Frau, »der Plan ist doch
so schön! « , und sie stützte sich mit ihren großen,
weißen, fleischigen Händen auf die Schmalseite des Tisches und
beugte sich weit vor dann, genauer zusehend, und legte dabei die Arme fest
und gewichtig auf die Tischplatte. Ein kurzärmliges Kleid trug die
Frau, das die Arme nackt ließ, und wie sie so war, breit hingelagert
mit den Armen auf dem Tisch, spürte sie sich wie froschkühl angerührt
von dem Glas der Kugel. »Der Plan ist doch so schön!«,
sagte sie wieder mit ihrer dunklen, tönenden Stimme, »und wenn
du dort links das Tor«, fuhr sie fort, und sie wollte dort hindeuten,
wo das Tor war, von dem sie sprach, und die tintengefüllte Kugel war
ihrer deutenden Hand im Weg, das Glasgefäß wankte und tanzte
und stürzte, und ein breiter Schwall von Schwärze ergoß
sich aus dem speienden Mund. Die Tinte wälzte sich quer über
die Zeichnung, ein mächtiger Strom, der anfangs rasch floß,
sich dann staute und anschwoll zu einem schwarzen See, und aus dem See
trat der Strom wieder heraus, langsamer rinnend nun und sich dann teilend
in mehrere dünne Arme, wie Ströme das tun, wenn ihr Lauf ermattet,
und diese dünnen Rinnsale rieselten nun gemächlicher, stockend
manchmal am rauhen Korn des Papiers und dann Schleifen ziehend, und flossen
vom Papier auf das Holz des Tisches und flossen weiter und erreichten ungehindert
den Tischrand und tropften von dort auf den Boden. Der war mit einer Matte
belegt, die aus hellem, grauem Stroh geflochten war, und die trockenen
Strohfasern schluckten gierig die Nässe, und es bildeten sich drei
schwarze Flecken, Tinteninseln, kleine zuerst, die sich rasch vergrößerten
dann, weil immer wieder stürzende Tropfen sie nährten.
So standen die zwei, und
keines sprach ein Wort, Hans nicht und nicht Barbara, und sahen untätig
den fallenden Tropfen zu, bis keiner mehr kam. Dann holte Barbara einen
Lappen und wischte die Tinte vom Tisch, und mit einem großen roten
Löschblatt saugte sie das Nasse von der Zeichnung, die nun wie von
Aussatz gefleckt und geschändet aussah, und der große schwarze
See in der Mitte des Entwurfes hatte, nun er aufgetrocknet war, die Gestalt
einer Eule, die finster herblickte.
Sie war schneeweiß
im Gesicht, Barbara, als sie dann vor ihren Mann hintrat und sagte: »Verzeih
mir, Hans!« Der nickte nur mit dem Kopf und sagte: »Wir wollen
schlafen gehn!« Als Barbara folgsam zur Tür sich wandte, sagte
er: »Ich schlafe heut nacht hier. Geh du nur!« Barbara ging,
ging in das Zimmer, in dem sie sonst gemeinsam schliefen, und sie hatte
Tränen in den Augen, als sie sich langsam entkleidete und die Tränen
flossen noch, als sie schon im Bett lag und näßten das Leinen.
Aber dann hörte sie auf zu weinen und atmete tief und schluchzte noch
einmal auf und wühlte entschlossen den Kopf in die Kissen, und zog
die Decke ans Kinn, und so schlief sie ein.
Nachts erwachte sie und
drehte das Licht an, es war drei Uhr, und das Bett neben ihr war leer,
und sie stand auf und tat einen Mantel um und ging über den Flur zur
Tür des Arbeitszimmers. Sie beugte sich spähend und sah Licht
durch's Schlüsselloch schimmern, und richtete sich wieder auf und
stand eine Weile, und ein Frösteln überlief sie und zog fest
den Mantel über der Brust zusammen. Dann klopfte sie an die Tür
und ohne ein Herein abzuwarten trat sie in den grell beleuchteten Raum.
Hans hatte, sie sah es
sofort, die verdorbene Zeichnung abgelöst vom Tisch und einen neuen,
großen, weißen Bogen aufgespannt, auf dem schon wieder ein
Liniengefüge sich zeigte. »Du mußt jetzt schlafen, Hans!«
sagte sie, und trat zu ihm. »Du hast ja noch fünf Tage Zeit!«
»Ja«, sagte er, und folgte ihr, die ihm mit wehendem Mantel
voranging, schweigend ins Schlafzimmer.
Und nach fünf Tagen
hatte Hans Breckerle den neuen Entwurf fertig. Wie die Ameise, die unermüdliche,
ist ihr Werk zerstört, nach kurzer Verwirrung emsig von neuem beginnt,
so hatte er getan, von Zeitnot wunderbar und wohltätig gedrängt,
alle Kraft sammelnd auf das Wesentliche. Und dann war der Abend, wo sie
gemeinsam den Entwurf verpackten und verschnürten und versiegelten,
und die Rolle lag auf dem Tisch, braun und stattlich, und Hans sagte: »Trag'
sie morgen auf die Post!«
Am andern Morgen brachte
Barbara den Entwurf auf die Post. Der Weg führte sie durch die kleine
Anlage, wo Weiden um einen Teich standen und Enten schwammen darauf herum.
Die fütterte sie mit mitgebrachtem Brot, wie sie das oft tat, und
als sie einen Brocken weit hinaus warf, und das Rudel, aufgeregt schnatternd,
ihm zustrebte, lachte sie glücklich, als die kleine, goldgrüne
Ente, die eine schwarze Krause um den Hals trug, als erste den Bissen erreichte
und verschluckte, und sich dann, mit den Flügeln einen Wirbel schlagend,
übers Wasser kurz hob, daß die Tropfen spritzten, und sich stolz
plusterte.
Dergleichen als Vorzeichen
zu nehmen, dazu neigt der kindisch-unsinnige Mensch, solchen Vorzeichen
zu glauben, das Schicksal so zu befragen, das tut er gern, der unten Irrende,
meint rasch, so sprächen die Götter zu ihm, die Stummen droben,
und legt es sich aus auf seine Weise.
Und mehr als vier Monate
vergingen, und aus dem Herbst war Winter geworden und schon wollten erste
Vorfrühlingstage schüchtern sich hervorwagen und die beiden,
Hans und Barbara, sprachen nie mehr ein Wort über das Schicksal des
Entwurfes, sooft sie auch daran denken mochten, bei Tag und bei Nacht.
Und eines Vormittags, als Barbara allein zu Hause saß, da brachte
die Post einen Brief, ein großes, amtliches Schreiben.
Und sie öffnete es
und ihre Hände zitterten nicht dabei, und sie wurde nicht rot und
nicht blaß und war gar nicht einmal erstaunt, und tat, als sei das
gar nicht anders zu erwarten gewesen, als sie las, daß die Preisrichter
Hans Breckerle den Preis zugesprochen hatten.
Aber dann rannte sie in
den nächsten Blumenladen und kaufte einen mächtigen Strauß
weißer, nickender Blumen, aus deren Kelchen rote Zungen flammend
sich streckten, und stellte sie mitten auf den Tisch, hochragend, die Tigerhaften,
und als Hans Breckerle dann heimkam und vor dem Tisch stehen blieb, verwundert,
sagte sie: »Du hast den Preis bekommen! «
Und sie schloß die
Augen und sah die kleine Ente sich über's Wasser heben, Tropfen spritzend,
siegreich flügelnd, und sah den Bergbach stürzen, wirbelnd über's
Gestein, und sah sich, wie sie einen Hut warf ans andere Ufer, nicht ihren,
und Hans sprang, er mußte ja springen, nicht sie, die nur so dreist
gewesen war, den Hut des andern zu werfen, und hätte alles auch mißglücken
können, was sie getan, die gut meinend Vorwitzige.
Als sie, Frau Barbara,
die Blonde, tags darauf, einem Sonntag, gegen abend, und das Licht war
noch nicht angedreht im Zimmer, blaß erhellt nur war es vom Schneeschein
draußen, als sie, an der Wand stehend, groß und weiß,
weit entfernt von ihm, Hans Breckerle, dem Baumeister und Ehemann, als
sie ihm da plötzlich und ohne Umschweife gestand, sie habe die Kugel
damals mit Absicht umgestoßen, damit die Tinte, wildflutend, fließe,
da sagte er, der Schwarzbart, aus dem Dunkel her, in dem er saß,
das habe er geahnt! Nicht schon gleich an jenem Abend sei ihm dieser Gedanke
gekommen, aber je öfter er sich den Vorfall überlegt habe, um
so klarer sei ihm alles geworden. Sie stand unbeweglich, seiner Antwort
lauschend, und da drehte er das Licht an und er sah sie stehen, die den
Blick vor ihm niederschlug und nun gegen die Wand sich kehrte voll Scham,
und er sah im ausgeschnittenen Kleid ihren Rücken sich heben und senken,
sie atmete wohl schwer. Und er nahm die Blumen aus dem Glas und hielt sie
bei zusammengepreßten Stielen, und das Wasser, mit dem sie sich vollgesaugt
hatten, tropfte ihm von der Hand, und die roten Tigerzungen hingen wie
lechzend hervor, und mit der weißen Blumenpeitsche peitschte er der
Sünderin Rücken und Hals. Und sie ließ es geschehen, sie
ließ es sich gefallen, Schlag um Schlag nahm sie hin, geduldig, und
daß ihr Rücken nur immer heftiger zuckte, das kam wohl von dem
Schmerz, den ihr die Hiebe verursachten, woher denn sonst? Und die sie
verdient hatte, ja mit Ruten hätte sie gepeitscht gehört, sie
wußte es selber am besten ...
[1937]
Drucknachweis:
S.423 Die gepeitschte Sünderin In: Simplicissimus, 41, 1937, S.377
[25 Juli.]