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Georg Britting
Sämtliche
Werke - Prosa -
Herausgegeben von Georg-Britting-Stiftung
Band 5
Seite 248
Kommentar
Seite 404
Aus: »Erzählungen,
Bilder, Skizzen«
Der mit
dem blondglänzenden Haarschopf zielte auf mich. Sein Bogen war aus
einer grünen Weidenrute, der Pfeil, ohne Spitze, war ein Stück
Schilfrohr. Der Schütze sah mich streng an: »Halt!« sagte
er, »oder ich schieße!« Sein dunkler Freund, stupsnäsig,
mit aufgeworfenen, sehr roten Lippen, zückte ein Holzmesser.
Der Platz, zur Straßenseite
offen, war von Mietshäusern eingerahmt, an einer Stelle war der Rahmen
beschädigt - da stand eine in sich zusammengesunkene Ruine. Der Platz
war mit spärlichem Gras bewachsen und von zerbrochenen Ziegelsteinen
rot gefleckt. Ein Fußpfad schlängelte sich zur Ruine. Löwenzahn
stand in unordentlichen Büscheln herum, blau war der Himmel. Auch
ein paar Disteln waren da und sonst krautiges Zeug.
Der Bogenschütze
hatte sein Haar mit Federn geschmückt, und sein Freund trug Federn
in der linken Hand, die er zur Faust geschlossen hatte. »Großer
Häuptling«, sagte ich zu dem Bogenschützen, »ich
ergebe mich«, und hob die Arme. Die Stupsnase aber sagte verweisend:
»Ich bin der Häuptling! Der da ist nur ein Krieger meines Stammes«.
Der Bogenschütze
sagte: » So ist es! « und ließ die Waffe in einer edlen
Bewegung sinken. »Wir werden dich nicht martern«, sagte er,
»hab nur keine Angst!«
Jetzt tröstete mich
auch der dunkle Häuptling: »Sei ruhig«, sagte er, »wir
spielen ja nur Indianer!«
»Seht doch!«
sagte ich, »den vielen Löwenzahn!
Das Wort kannten sie nicht,
und der Bogenschütze fragte; »Du meinst die gelben Blumen?«
»Ja, die!«
sagte ich, »habt ihr den Namen nicht in der Schule gehört?«
»Kann schon sein«, sagte der Dunkle verlegen und nagte mit
den Zähnen an der Oberlippe. Dann öffnete er die Faust, mir seine
Federn zu zeigen. Sie schillerten blaugrün und waren verdrückt
von seinem Griff.
»Von einem Adler?«
vermutete ich.
Verächtlich schüttelte
der Bogenschütze den Kopf »Nein, es sind Taubenfedern!«
Eben schwang sich eine
Taube über uns hinweg auf ein Hausdach, und eine zweite folgte ihr.
Sie putzten sich das Gefieder und äugten neugierig zu uns herab. »Der
Adler«, sagte ich, »ist der König der Vögel, und
holt sich manchmal kleine Kinder, wenn er hungrig ist. Es kommt ihm garnicht
darauf an!«
»Adler gibt es bei
uns nicht«, sagte der Bogenschütze ablehnend.
»Doch«, beharrte
ich, »gibt es, im Tierpark!«
»Da sind sie aber
hinter Gittern«, sagte der Bogenschütze, »und können
nichts machen!«
»Und die Löwen
auch nicht«, sagte der Häuptling, und setzte einen Fuß
auf den Löwenzahn.
»Eure Federn sind
schön«, lobte ich.
»Willst du ein paar
haben?« forschte der Dunkle aufgeregt. »Da hinten liegt eine
Taube, von der haben wir sie. Aber es sind noch mehr dran.« Sie führten
mich zur Ruine. In einem Winkel, bei verrosteten Blechbüchsen, bei
Flaschen, neben einem Steinhaufen, der mit Brennesseln bewachsen war, lag
eine tote Taube, halb gerupft. Es kletterten Ameisen auf ihr herum. »Nimm
dir ein paar Federn!« ermunterte mich der Häuptling. »Oder
traust du dich nicht? Ich will es für dich tun«, und er bückte
sich schon. »Vielen Dank auch«, wehrte ich ab, »nein,
was täte ich damit?« »Du könntest sie dir an den
Hut stecken«, schlug der Häuptling vor. »Mein Vater hat
auch Federn am Hut. Bei dem sinds aber Auerhahnfedern, die sind teuer.«
Von der Taubenleiche stieg
ein dünner Geruch auf. Eine große weiße Wolke war jetzt
am Himmel zu sehen, dickbäuchig schwamm sie dahin, wie ein Walfisch.
Wildes Gestrüpp hatte sich in den Trümmern der Ruine angesiedelt.
»Ali, Ali!« rief da eine Frauenstimme, »Ali komm! «
Der Bogenschütze
sagte: »Meine Mutter«, und sagte: »Auf Wiedersehen!«
und rannte davon. Den Bogen hatte er geschultert, den Rohrpfeil hatte er
in der Hand. Die Federn in seinem Haar schwankten im Laufwind, und eine
verlor er. Die schaukelte langsam zu Boden.
»Ali«, fragte
ich, »wohl gar ein Türke?«
Das verstand der Dunkle
nicht. Er sagte: »Alexander heißt er. «
»Kein hübscher
Anblick«, sagte ich, »die Taube.« Sie lag schrecklich
still bei den Flaschen.
Der Häuptling faßte
sie bei den starr gekrümmten Zehen und warf sie mit schönem Schwung
und gut gezielt durch eine Öffnung in den Keller der Ruine. »Da
fressen sie die Ratten«, sagte er ohne Schaudern.
Ich pflückte einen
Löwenzahn, weiß trat die Milch aus der Bruchstelle des Stengels.
»Ich war in dem Haus drin, als es gebombt wurde«, vertraute
er mir an, und er hatte jetzt das Gesicht eines Erwachsenen. »Ich
kann mich aber nicht mehr daran erinnern«, sagte er. Sein dunkelroter
Mund glühte wie eine Pfingstrose. »Damals war ich ja noch so
klein«, sagte er. Er zeigte es mir, indem er die Hände nah gegeneinanderhielt.
Der große weiße
Walfisch am Himmel hatte Junge bekommen, drei der kleinen Wolkentiere schwammen
übermütig neben der Mutter her. Von einer nahen Kirche läutete
die Mittagsglocke, fromm und friedlich. »Servus«, sagte ich,
»ich muß jetzt gehen!«
Der Häuptling steckte
sein Holzmesser in den Hosenbund, damit er die höfliche, rechte Hand
frei habe, und reichte sie mir mit einer kleinen Verbeugung. Das Holzmesser
war mit Silberpapier überzogen, daß es echt und metallisch aussehe.
Die Taubenfedern hielt er fest in der linken Faust. Es waren zwei wohlerzogene
Kinder.