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Band 5
Seite 261 „Das Goldstück“
Kommentar Seite 407
„Der Indienfahrer kam nach Hause“
Aus: »Erzählungen, Bilder, Skizzen« | Grafiken: Die Wirtsstube und Der Galgen
Den Vierzehnjährigen
hatte es nicht länger mehr zu Hause gelitten. Dieses Zuhause war eine
Hafenschenke in Marseille, die sein Vater bewirtschaftete. Die Mutter kochte
für die Gäste und hielt die drei Schlafkammern im ersten Stock
sauber, ohne darin zu übertreiben. Es war nicht gerade das vornehmste
Volk, das hier zu nächtigen pflegte, Matrosen und kleine Händler,
wohl auch einmal ein augenrollender Neger aus Tunis. Der rote Provencer
Wein, den es gab, war gut und stark und billig, und die Fischsuppe, mit
Safran und Pfeffer gewaltig gewürzt, schärfte die Lust nach ihm.
Messerstechereien, nun die ereigneten sich, es wurde aber nicht viel Aufhebens
gemacht davon oder gar die Obrigkeit bemüht, die hielt man sich lieber
vom Halse. Die Eltern, die sich nicht mehr und nicht weniger als üblich
um ihren Pierre gekümmert hatten, waren nicht untröstlich, als
der eines Tages verschwunden war, zur See gegangen, die vor seiner Nase
lag und lockte; und die Erzählungen der Matrosen mochten ein übriges
getan haben. Auf einem Zettel hatte der Ausreißer einen kurzen Abschiedsgruß
hinterlassen, weil er schreiben konnte, und nicht jeder konnte das damals,
um das Jahr 176o. »Daß dich . . . « hatte der Vater Renard
geflucht, als er den Wisch seiner ungelehrten Frau vorlas - und weg war
das Söhnchen!
Pierre ward
Schiffsjunge und Leicht- und Vollmatrose, er ließ sich den Wind um
die Ohren blasen und fuhr um die halbe und dreiviertel Welt. Dann blieb
er in dem Lande Indien, als Soldat zuerst und später als Handelsangestellter.
Er sah Affen und Elefanten, Götzentempel und nackte Heiden und gepanzerte
Krokodiltiere in den Flüssen. Nach zwanzig Jahren, es ist leicht nachzurechnen,
war er vierunddreißig geworden, ein viel erprobter Mann mit einem
schwarzen Knebelbart, und hatte drei Lederbeutel voll von Goldstücken
in seiner alten Seemannskiste. Das war sein Erspartes, er war geschickt
und beflissen gewesen in den Geschäften, und Glück hatte er auch
gehabt, das gehört dazu.
Und
dann, so ist das oft, stieg immer leuchtender das Bild der Heimat vor ihm
auf. Er sah, im Schlafen und im Wachen, die Gassen Marseilles vor sich
und roch ihren Geruch, der anders ist als jeder andere. Das fremde Essen,
Reis und Vogelbrüste und Bambus, wollte ihm nicht mehr schmecken,
und seine eingeborene Frau, klein und zwitschernd, von einem Götzenpriester
ihm angetraut, mochte er nicht mehr anschauen - kurz, das Heimweh plagte
ihn über die Maßen. Er löste die Verbindung mit seinem
Handelshause, und dem Weibe schenkte er ein halbes Dutzend von den Goldstücken
- damit mochte sie leicht einen neuen Mann gewinnen! Und lockend lag wieder
das Meer vor seiner Nase, weiß schimmernd, und Schiffe fuhren darauf,
mit geblähten Segeln, und eines fuhr nach Frankreich, fuhr nach Marseille,
und er bestieg es, und das viele Gold nahm er mit - es klirrten die Beutel!
Gleich
nach der Ankunft in seiner Vaterstadt ging er, nur mit einem Felleisen
in der Hand, zu seinem Taufpaten. Die Seemannskiste hatte er gegen Schein
und gehörige Quittung einem Lagerhause zur Verwahrung gegeben. Er
ging durch die Straßen und über die Plätze, und alle Leute
redeten französisch, das klang ihm wie Nachtigallenschlag. Er traf
den Paten auch an, der ein Gewürzkrämer war, und der erkannte
ihn nicht wieder, fiel ihm aber um den Hals, als er seinen Namen nannte.
Die Eltern lebten noch, Gott sei Dank!, und seien so weit gesund und wohlauf.
Als ihm Pierre seinen Plan entwickelte, als ein Fremder und irgend ein
Gast zu ihnen zu gehen, wie er sich das oft ausgemalt habe in schlaflosen
Nächten, verwunderte sich der Pate. Warum denn die Heimlichtuerei?
fragte er. Doch, beharrte der Heimkehrer, und es werde eine ungemeine Lust
für ihn sein, still die unwissenden Eltern anzuschauen und eine schöne,
friedsame Nacht im Vaterhause zu verbringen, in einer der Schlafkammern,
und erst am Morgen darauf zu ihnen zu sagen: Seht euer Kind! Und er faßte
sich an den Knebelbart und lachte sich eins in der Vorfreude.
Es
seien schlechte Zeiten jetzt, meinte der Pate, und Pierre werde es merken
müssen, daß es auch mit der väterlichen Schenke bergab
gegangen sei und die Eltern Sorgen hätten und Schulden; so daß
sie oft nicht wüßten, wo ihnen der Kopf stehe. Aber da rüttelte
Pierre an seinem Felleisen und gab zu verstehen, daß er da vielleicht
ein wenig helfen könne, und auch dem Paten habe er etwas zugedacht,
aber das später! - und liebevoll packten sie einander bei der Schulter.
Eine
Moritat - weiß man heute noch, was das ist? Auf den Jahrmärkten
staunte das Volk sie an und gruselte sich: die aufgerollte Leinwand, auf
der in heftig bunten Farben, Bild neben Bild, der Ablauf gräßlicher
Untat dargestellt war und das Schlußbild gewöhnlich Galgen und
Rad zeigte, daran der Bösewicht, von schwarzen Rabenvögeln umflattert,
jämmerlich enden gemußt: denn es gibt eine Gerechtigkeit! Ein
Ausrufer und Bänkelsänger, mit einem langen Zeigestab in der
Hand, sprach deutend die Erläuterungen dazu, in schön gereimten
Versen, singend mehr als sprechend, und eine Drehorgel machte die Musik.
Erschüttert und recht zum Guten entschlossen, wandten sich die Zuhörer
zur nächsten Bude, wo auf glühendem Eisenrost die Bratwürste
zischten und knallten, und wie schmeckten die jetzt! Aber gehört das
hierher und zur Geschichte des Indienfahrers? Es wird sich erweisen! -
Der Indienfahrer also saß in der Wirtsstube des Hauses, in dem er
geboren und aufgewachsen, und kannte jeden Tisch und jegliches Gestühl
wieder, saß bei rotem Provencer Wein und scharf gewürzter Fischsuppe,
auch Krebse und Muscheln waren darin, und betrachtete verstohlen die Eltern.
Die Mutter war grausträhnig geworden, mit vielen Runzeln im Gesicht
und gebückter, als ihren Jahren zustand; aber der Vater hatte sich
wenig verändert und hatte noch den stechenden Blick, vor dem Pierre
als Kind oft gezittert: ein Mann war er jetzt und zitterte nicht! Und keine
heimlich raunende Stimme flüsterte dem Wirt zu, wer der fremde Gast
sei, und auch das Mutterauge erkannte ihn nicht, den Knebelbärtigen,
und es war ihnen nicht zu verdenken, bartlos war er und knabenhaft, wenn
sie, selten genug, seiner sich erinnerten. Er hatte schon die Kammer besichtigt,
in der er nächtigen würde, und trank jetzt seinen Wein, und nicht
wenig, darob ihm sehr wohl wurde und warm ums Herz. Es waren nicht viele
Gäste in der Wirtsstube, abgerissene Gesellen. Aber es waren seine
Landsleute, und so gefielen sie ihm, sogar der Mann am Nebentisch mit der
abgeschnittenen Nase, das sah abscheulich aus! Pierre trank ihm zu, und
der tat ihm gemessen Bescheid, in königlicher Haltung.
Als
der Knebelbart dann seine Zeche bezahlte, mit einem Goldstück und
sich nicht herausgeben ließ, mit einer großartigen Handbewegung
abwehrend, wurde das Gesicht des Wirtes weiß. Und der Wirt, der sein
Vater war, leuchtete ihm mit einer Kerze zur Kammer hinauf, stellte ihm
die Kerze hin und noch einen Schlaftrunk dazu, wie das die Sitte verlangte,
wünschte ihm eine geruhsame Nacht und ging. Pierre hörte, wie
er zwei Stufen auf einmal nahm, beim Hinabsteigen, so eilig hatte ers.
Die
erste Nacht im Vaterhaus! dachte der Heimkehrer, tief und glücklich
atmend, und dehnte die Brust. Das Felleisen steckte er unters Kopfkissen.
In einem Zuge trank er den Schlaftrunk aus und streckte sich auf dem Bett
aus und spürte nicht, wie hart es war. Er blies die Kerze aus, und
im Dunkeln sah er wieder den Vater vor sich, wie sein Gesicht weiß
geworden war beim Anblick des Goldstükkes, und im Einschlafen noch
dachte er mitleidig: Ihm kann geholfen werden!
Der half
sich selber. Auf der Folter später gestand er die Tat, und daß
er dem Schlaftrunk einen Saft beigemischt habe, auf daß der reiche
Mann aus Indienland desto tiefer in den Schlummer sinke. Und so hörte
der es nicht, als die Tür mit einem Nachschlüssel geöffnet
wurde, und jemand leise an sein Bett trat. Und es war nicht der Mann mit
der abgeschnittenen Nase, dem man es vielleicht hätte zutrauen mögen:
es war der schlimme Wirt, mit einer Blendlaterne in der linken Hand. Pierre,
vom Lichtschein getroffen, drehte sich träumend auf den Rücken,
mohnbetäubt, dem Vater die Brust bietend für einen Stich ins
Herz, und mit einem Seufzer verschied er. Daß es sein eigen Fleisch
und Blut war, das er vom Leben zum Tode brachte - in den frühen und
unwissenden Zeiten wäre das dem Unhold als straferschwerend angerechnet
worden. Damals, in der Hafenstadt Marseille, die Aufklärung warf ihr
Licht voraus, war man schon gerechter. Denn wäre er des Zusammenhangs
inne gewesen, sagte sich das Gericht, hätte der Wirt Renard (das heißt
Fuchs, aber hier erwies er sich als ein rechter Wolf) nicht zugebissen
mit dem Messer. Die Gerichtsherren, alle Umstände bedenkend, nahmen
es als einen gewöhnlichen und alltäglichen Mord, und dafür
schien ihnen der Galgen die genügende Sühne. Den Täter aufs
Rad zu flechten oder gar vierteilen zu lassen, davon nahmen sie Abstand.
Die Mutter kam mit zehn Jahren schweren Kerkers davon, mit einem Hungertag
einmal in der Woche.
Nur
die Moritat, die dann vorgeführt wurde auf den Jahrmärkten in
Arles und Narbonne und vielen Zulauf hatte, war noch ganz in den alten
Vorstellungen befangen und strich es recht und schaurig heraus, daß
der Sohn unter des Vaters Messer hatte verbluten müssen, und den Leuten
einfältigen Gemütes lief es eiskalt über den Rücken
bei des Bänkelsängers Lied. Der sang und vergaß zu singen
von dem viel vermögenden Golde, aus dem man des Kaisers Krone macht
und die Zepter der Könige und sang nicht von den dicken, gelben Goldmünzen
und ihrer verführenden Gewalt, für die alles käuflich ist
auf dieser Erde oder das meiste!
Der
Wirt Renard denn also, den Bericht zu endigen, der Mann mit dem stechenden
Blick, der auch mit dem Messer zu stechen verstand, und gut, sehr gut sogar,
hatte seine schlafende Frau geweckt, daß sie ihm helfe, den Toten
im Keller einstweilen zu verstecken, zwischen den Rotweinfässern,
und ihn bei guter Gelegenheit nächstens und nächtens ins Meer
zu werfen. Die entsetzte sich zuerst nicht wenig und schlug jammernd das
Kreuz, und ein Grauen kam ihr an vor ihrem Eheherrn und Bettgenossen, der
solches vermocht hatte; nie hätte sie es ihm zugetraut: einen Diebstahl
schon oder schiefen Handel, aber dies! Sie schleppten den Sohn in den Weinkeller,
zu dem nur der Wirt den Schlüssel hatte, und dann saßen sie
zusammen und zählten die Goldstücke, und ihre Schuldenlast drückte
sie nicht mehr, sie konnten sich wieder rühren und waren der Zuversicht,
daß sich niemand um das Verschwinden eines knebelbärtigen Mannes
kümmern werde, der schnurstracks aus Indien gekommen war - er hatte
es sorglosverwegen selbst erzählt. Und wer weiß, wie er das
viele Geld erworben hatte, mit Sklavenhandel vielleicht oder sonst dunklem
Tun, so sagten sie einander, leise sich tröstend.
Aber
da war der Pate, der am Morgen kam und fragte. Zu spät dämmerte
es und fürchterlich dem wölfischen Paar. Und die Wölfin
heulte wild und unmenschlich, als die Büttel sie beide holten. Nie
vorher, und Daumenschrauben und Streckeisen hätten es ihnen peinlich
abgenötigt, hatten sie einer Bluttat sich schuldig gemacht. Das Goldstück
war es gewesen!
Galgen
und Kerker taten gleichgültig das Ihre. Lieblich riechen die Gassen
Marseilles für den, der es von Kind auf gewohnt ist. Und ein indisches
Weib, bananenfarbig und zwitschernd, gebar ihrem zweiten Manne, einem Händler
mit Töpferwaren und von niederer Kaste, einen Sohn - der erste, der
weißhäutige, hatte ihr nicht dazu verhelfen können.
S.261 DAS GOLDSTÜCK
E: Die Neue Zeitung, Nr. 17, 20.Januar 1951,
u.d.T. Der Indienfahrer
kam nach Hause.
Am 31.1.1951 antwortet Britting auf eine Anfrage von Jung, der die
Veröffentlichung in der Neuen Zeitung gelesen hatte:
meine moritat heißt 'das goldstück', die redaktion änderte
natürlich den titel. in dem brief in dem die 'neue zeitung' die arbeit
annahm, schrieb sie schon: "es wird sie vielleicht interessieren, daß
ein ähnlicher fall neulich durch die presse lief. da ist ein rußlandheimkehrer
von seinen bäuerlichen eltern, ahnungslos, daß es der sohn sei,
erschlagen worden". nun schreiben sie, axel lübbe, ein gar nicht schlechter
mann, heut völlig verschollen, habe den stoff auch benutzt. und ein
drama, schreiben sie, gibt es darüber auch – und ein pensionierter
major aus dem badischen schrieb mir, der '24.februar' von zacharias werner,
dem schicksalsdramatiger, die gleiche fabel, im gebirge spielend, in einer
almhütte, und der major winkte von fern mit dem wort: plagiat! woher
ich den stoff habe?
wetzlar aus London schickte mir vier [sic!] bände, im alten langen
verlag erschienen, das "neue von gestern" oder so ähnlich.[ ... ]
da stand von dem korrespondenten der vossischen zeitung, 1760 etwa, die
Geschichte, mit namen und details, als eine meldung aus marseille, nicht
als novelle, als 'vermischte nachricht'. so wandern die stoffe.
Bei der von Britting genannten fünfbändigen Sammlung handelt
es sich um :»Das Neueste von gestern«. Kulturgeschichtlich
interessante Dokumente aus alten deutschen Zeitungen.
Hg. Eberhard Buchner, München: Albert Langen, 1911.
D1: Süddeutsche Zeitung, Nr. 125, 26.5.1957,
u.d.T. Das holländische Goldstück.
D2:Die Zeit. 21.9.1962, mit Zeichnungen von Wilhelm M.Busch.
D3:Anfang und Ende, S.41.
Britting hat diese Erzählung mehrfach verändert. Seine
Bemühungen um stilistische Verbesserungen nachzuvollziehen, gelingt
am ehesten durch einen Vergleich des Erstdrucks mit der autorisierten Fassung.
Um dies zu ermöglichen, wird anschließend an die Quelle bei
'Buchner' die Erstfassung von 1951 abgedruckt.
Aus Buchner:
Vossische Zeitung. Berlin 1727. Nr.86.
Paris, den 7.Juli
Ein gewisser Mensch, so von Corbeil gebürtig und 18 Jahre in Indien gewesen, ohne jemals an seine Eltern geschrieben zu haben, kam die verwichene Woche unverhofft nach Corbeil zurück, und begab sich zu einem von seinen Paten, welchem er sich zu erkennen gab und dabey sagte, daß er unbekannter Weise bey seinen Eltern, so Wirtschafft trieben, logiren, und folgenden Tages erst sich zu erkennen geben wollte. Solches geschahe auch, weil aber die Eltern dieses Menschen vermercketen, daß er viel Geld bey sich hatte, so schlugen sie ihn des Nachts im Schlaffe todt und begruben ihn auf den Hof Der Pate kam den andern Morgen in die Herberge und als er den Sohn vom Hause nicht fand. auch bey den Eltern eine grosse Alteration verspührete, so argwohnete er gleich was Böses, gab solches bey der Obrigkeit an, welche denn sogleich dazu kam und beym Haußsuchen den todten Cörper fand, worauf die Eltern, nebst einer Tochter, beim Kopff genommen, und wol verwahret allhier eingebracht worden.
DER INDIENFAHRER KAM NACH HAUSE
Den Vierzehnjährigen hatte es nicht mehr länger zu Hause gelitten.
Dieses Zuhause war eine Hafenschenke in Marseille, die seinem Vater gehörte
und seine Mutter kochte den Gästen auf und hielt die drei Schlafkammern
im ersten Stock sauber, ohne darin zu übertreiben – sie wurden an
Durchreisende billig vermietet. Es waren nicht gerade vornehme Leute, die
hier nächtigten, Matrosen oder Miesmuschelnhändler. Der rote
Provencer Wein, den es gab, war gut und stark und die Fischsuppe, mit Safran
und Pfeffer höllisch gewürzt, schärfte die Lust nach ihm.
Messerstechereien, nun, die ereigneten sich, es wurde nicht viel Aufhebens
gemacht davon oder gar die Obrigkeit bemüht – die hielt man sich lieber
vom Hals. Die Eltern, die sich nicht mehr und weniger als üblich um
ihren Pierre gekümmert hatten, waren keineswegs untröstlich,
als der eines Tages verschwunden war, zur See gegangen, die vor seiner
Nase lag und lockte, und die Erzählungen der Matrosen hatten ein übriges
getan. Auf einem Zettel hatte er einen Gruß hinterlassen, denn er
konnte schreiben, und nicht jeder konnte das, damals, 1760. "Daß
dich!" hatte der Vater Renard geflucht, als er den Wisch seiner Frau vorlas
– und fort war das Söhnchen!
Und das Söhnchen ward Schiffsjunge, und Leicht-und
Vollmatrose, und fuhr um die halbe und dreiviertel Welt, und blieb dann
in Indien, als ein Kriegsmann zuerst, und später als ein Handelsangestellter.
Er sah Affen und Elefanten und Götzentempel, und nackte Heiden, und
war nach zwanzig Jahren, es ist leicht nachzurechnen, vierunddreißig
geworden, trug einen schwarzer Knebelbart, und hatte drei Lederbeutel voll
von Goldstücken in seiner Seemannskiste. Das war sein Erspartes, er
war beflissen gewesen in den Geschäften, und Glück hatte er auch
gehabt.
Und dann, so ist das oft, stieg immer leuchtender das
Bild der Heimat vor ihm auf. Er sah, im Schlafen und im Wachen, die Gassen
Marseilles vor sich und roch ihren Geruch, der anders ist als jeder andere.
Das indische Essen schmeckte ihm nicht mehr, und seine mandeläugige
Frau, von einem Götzenpriester ihm angetraut, mochte er nicht mehr
anschauen - kurz, das Heimweh plagte ihn über die Maßen! Er
löste seine Verbindung mit dem Handelshaus, und dem Weib schenkte
er ein halbes Dutzend von den Goldstücken – dafür konnte es sich
leicht einen neuen Mann erwerben. Und lockend lag wieder das Meer vor seiner
Nase, weiß schimmernd, und Schiffe fuhren darauf mit geblähten
Segeln, und eins fuhr nach Marseille, und er bestieg es, und das viele
Gold nahm er mit – es klirrten die Beutel!
Gleich nach der Ankunft ging er, nur mit einem Felleisen
in der Hand, zu seinem Paten. Er ging durch die Straßen und über
die Plätze, und alle Leute redeten französisch, das klang ihm
wie Nachtigallenschlag. Er traf den Paten auch an, der ein Gewürzkrämer
war. Der erkannte ihn nicht wieder, fiel ihm aber um den Hals, als er seinen
Namen nannte, der gutherzige Mann. Die Eltern lebten noch, sagte er, und
seien gesund. Als ihm aber Pierre seinen Plan entwickelte, als ein Fremder
und irgendein Gast zu ihnen zu gehen, gefiel ihm das wenig, und warum denn
das – fragte er. Doch! beharrte der Heimkehrer, und es werde eine
große Lust für ihn sein, still die unwissenden Eltern anzuschauen,
und eine schöne, gute Nacht im Vaterhaus zu verbringen, in einer der
Kammern, um erst am Morgen drauf zu ihnen zu sagen: Seht euer Kind! Und
er faßte sich an den Knebelbart, und lachte sich eins, in der Vorfreude.
Es seien keine guten Zeiten jetzt, meinte der Pate, und
das Patenkind werde merken müssen, daß es auch mit der väterlichen
Schenke übel stehe, und die Eltern Sorge hätten und Schulden,
und überhaupt, die Heimlichtuerei sei nicht nach seinem Geschmack.
Aber da rüttelte der Pierre an seinem Felleisen und gab zu verstehen,
daß er da vielleicht ein wenig helfen könne, und auch dem Paten
habe er etwas zugedacht – aber das später!
Eine Moritat, weiß man noch was das ist? Auf dem
Jahrmarkt staunte das Volk sie an und gruselte sich: die Leinwand, auf
der in bunten Farben, Bild neben Bild, die Stationen einer greulichen Untat
sich folgten, und das Schlußbild gewöhnlich zeigte Galgen und
Rad, daran der Verbrecher enden gemußt: denn es gibt eine Gerechtigkeit!
Ein Ausrufer, mit einem Stock in der Hand, sprach die Erläuterungen
in schön gereimten Versen, und eine Drehorgel machte die Musik. Erschüttert
und recht zum Guten entschlossen wandten die Zuschauer sich dann zur nächsten
Bude, wo auf glühendem Eisenrost die Bratwürste zischten und
knallten. Gehört das zur Geschichte des Indienfahrers? Man wird es
sehen!
Der Indienfahrer also saß in dem Haus, in dem er
geboren worden, bei Provencer Wein und Fischsuppe, und betrachtete verstohlen
die Eltern. Die Mutter war grausträhnig geworden, mit viel Runzeln
im Gesicht, aber der Vater hatte sich wenig verändert, und hatte noch
den scharfen Blick vor dem er als Kind oft gezittert. Ein Mann war er jetzt
und zitterte nicht! Er hatte schon die Kammer besichtigt, in der er nächtigen
würde, und trank sein gehörig Teil, darob es ihm so wohl wurde,
daß ihm die wenigen Gäste gefielen, und sogar der. Mann am Nebentisch
mit der abgeschnittenen Nase. Er trank ihm zu, und der tat ihm Bescheid.
Als er dann seine Zeche bezahlt hatte, mit einem Goldstück,
und sich nicht herausgeben ließ, mit einer großartigen Handbewegung
abwehrend, wurde das Gesicht des Wirtes weiß. Und der Wirt leuchtete
ihm zur Kammer hinauf, und stellte ihm noch einen Schlaftrunk hin¸
und wünschte eine gute Nacht, und ging. Pierre hörte wie er zwei
Stufen auf einmal nahm¸ so eilig hatte ers.
Die erste Nacht im Vaterhaus¸ dachte der Heimkehrer
und dehnte die Brust. Er steckte das Felleisen unters Kopfkissen und nahm
den Schlaftrunk und streckte sich auf dem Bett lang aus und spürte
nicht, wie hart es war. Er sah den Vater wieder vor sich¸ und wie
sein Gesicht weiß geworden war beim Anblick des Goldstücks¸
und im Einschlafen noch dachte er: ihm kann geholfen werden!
Der half sich selber. Auf der Folter dann gestand er die
Tat, und daß er dem Schlaftrunk einen Saft beigemischt, daß
der reiche Mann aus Indienland desto tiefer in den Schlummer sinke. Und
so hörte der es nicht, als die Tür mit einem Nachschlüssel
geöffnet wurde¸ und drehte sich nur auf den Rücken¸
mohnbetäubt, dem Vater die Brust bietend für den Stich ins Herz,
und mit einem friedlichen Seufzer verschied er.
Daß es sein eigen Fleisch und Blut war¸ das
er vom Leben zum Tode brachte¸ in den frühen unwissenden Zeiten
wär das dem Unhold als straferschwerend angerechnet worden. Damals
war man schon klüger. Denn wär er des Zusammenhangs inne gewesenen¸
sagte sich das Gericht¸ hätte der Vater Renard (das heißt
Fuchs¸ aber hier erwies er sich als ein richtiger Wolf) nicht zugebissen
mit dem Fischmesser. Die Gerichtsherren nahmen es als einen gewöhnlichen
und alltäglichen Mord¸ und dafür schien ihnen der Galgen
die angemessene Sühne. Die Täter rädern oder vierteilen
zu lassen¸ davon nahmen sie Abstand. Die Mutter kam mit zehn Jahren
schweren Kerkers davon. Nur die Moritat, die vorgeführt wurde in Arles
und Narbonne¸ war in den alten Vorstellungen befangen und strich
es recht heraus¸ daß es der Sohn war¸ der unter des Vaters
Messer verbluten mußte.
Der scharfblickende Renard denn also¸ den Bericht
zu endigen¸ hatte die Frau geholt ihm zu helfen¸ den Toten
im Hof zu verscharren. Dann saßen sie und zählten die Goldstücke¸
und fürchteten ihre Schulden nicht mehr¸ und waren der berechtigten
Hoffnung¸ daß niemand sich um das Verschwinden eines Mannes
kümmern würde¸ der geradewegs aus Indien gekommen war mit
seinem Gelde ? und wer wei߸ wie er es erworben hatte¸
mit Sklavenhandel vielleicht!
Aber da war der Pate¸ der am Morgen kam und fragte.
Zu spät dämmerte es und fürchterlich dem wölfischen
Paar. Und die Wölfin weinte noch¸ als die Büttel sie beide
holten. Nie vorher¸ und die Folter war scharf, hatten sie einer Bluttat
sich schuldig gemacht. Das Goldstück war es gewesen!
Galgen und Kerker taten das Ihre. Lieblich riechen die Gassen Marseilles
für den¸ der es von Kind auf gewohnt. Und eine indische Wittib
gebar ihrem zweiten Mann einen Sohn - der erste hatte ihr nicht dazu verhelfen
können.
Fritz Jörns Beitäge in der FAZ – Technik und Motor – sind
mit fj. gezeichnet.
Am 7.November 2000 erschien sein Beitrag „Zeitloses Internet“, in welchem
geschildert wird,
wie es zu unserer Bekanntschaft kam, die mit einem „Brudermord“ begann!.
Wer nun neugierig geworden ist, der besuche www.Joern.de/britting.htm
,dort erfahren Sie mehr!
Inzwischen ist aus der Bekanntschaft eine Freundschaft geworden. Ohne
Fritz Jörn
könnten wir die www.Britting.com nicht so präsentieren, wie
es jetzt, dank seiner unermüdlichen Hilfe, möglich ist.
Und weil er gerade nach Indien "gefahren" ist und er diese Seite erst
lesen kann, wenn der Titel (und nur dieser!) von Brittings „Der Indienfahrer
kam nach Hause“ auch für ihn zutrifft, wollen wir ihm mit dieser Moritat
danken, für alles was er bisher für uns, und für Britting,
getan hat und zeigen, wie aus einem „Indienfahrer“,nicht nur bei Britting,
ein „Goldstück“ wurde!
Das Ende der Moritat freilich steht in keinerlei Beziehung zum „Brudermord“,
denn einen besseren hätte es nicht geben können und wird es auch
nie mehr geben!
Georg-Britting-Stiftung und Hans-Joachim Schuldt
einfügen (Galgen)
Zeichnung von Henry Müller-Brockmann