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Georg Britting
Sämtliche
Werke - Prosa -
Herausgegeben von Ingeborg Schuldt-Britting
Aus: »Erzählungen,
Bilder, Skizzen«
..
Diese
Erzählung liegt, von Britting gesprochen, als CD
1 vor.
Von Wirtshäusern läßt
sich viel erzählen, mit einem Wirtshaus zu beginnen, ist immer ein
guter Anfang, und auch diese Geschichte beginnt in einem Wirtshaus und
endet aber in einem Pfarrhaus und sie nimmt ein gutes Ende. Nicht jede
tut das, so lustig ist das Leben nicht, das die Geschichten liefert.
In einem ungarischen Landstädtchen,
in dem auch deutschsprechende Bürger Besitz und Handelsgeschäfte
hatten, gab es natürlich auch deutsche Wirtshäuser, die aber
meist ungarische oder kroatische Dienstboten beschäftigten. Man kam
gut miteinander aus, und einer lernte die fremde Sprache vom andern, der
Herr vom Knecht und umgekehrt. Im deutschen Gasthof »Zum roten Ochsen«
diente eine ungarische Magd schon seit über zehn Jahren treu und redlich
und wusch das Geschirr und half der Wirtin in Küche und Keller und
war ihr schier unentbehrlich geworden, meinte die dicke Frau in der stets
blühweißen Schürze. Wie zwei Freundinnen fast taten sie
ihre Arbeit nebeneinander, und so erschrak die Ochsenwirtin nicht wenig,
als die Magd mit verlegenen Worten um ihre Entlassung bat. Sie sagte, die
Magd, ihr Bruder brauche sie, der, es hatte lange genug gedauert, jetzt
endlich eine eigene Pfarrei bekommen hatte, in einem Dorf, nur fünf
Gehstunden entfernt vom Dienstplatz der Schwester. Die Wirtin sah es ein,
daß der Bruder den Vorzug habe und mußte die Magd ziehen lassen.
Auf einem Schiefertäfelchen
rechnete sie umständlich aus, was die Magd noch zu fordern habe an
Lohn, weil diese seit Jahren schon den größeren Teil davon bei
dem Wirte sich hatte ansammeln lassen: er war ihre Sparkasse sozusagen!
Schon daran erkennt man, daß die Geschichte vor langer Zeit sich
ereignet haben muß, denn Mägde dieser Art gibt es nicht mehr
heutigen Tages oder nur mehr ganz selten. Es war, es ungefähr zusagen,
um das Jahr 1800, das ist eine schöne, runde Zahl, es kann aber auch
ein Jahrzehnt früher gewesen sein oder später, das spielt hier
keine Rolle. In der Gaststube also legte die Wirtin der Scheidenden das
Geld auf den blanken Ahorntisch, in harten, klirrenden Stücken, ein
stattliches Sümmchen und gab noch zwanzig Gulden dazu, weil sie immer
so überaus zufrieden mit ihr gewesen war und schenkte ihr auch einen
silbernen Rosenkranz.
Die Magd knotete das Geld
und den Rosenkranz in ein Schnupftuch und tat das Schnupftuch in eine verborgene
Tasche ihres Unterrocks und dann gingen die beiden Frauen auseinander,
unter vielen Tränen und Umarmungen, und der Wirt, der herzugekommen
war, hätte fast auch geweint und schnitt fürchterliche Gesichter,
es nicht tun zu müssen.
Die Magd machte sich zu
Fuß auf den Weg, schritt munter und unbeladen aus, denn ihre wenige
Habe sollte ihres Bruders Knecht nächstens abholen. Es war ein wolkenlos
blauer Tag im frühen Sommer und die Magd, ein hochgewachsenes Frauenzimmer
mit einem schönen und zufriedenen Gesicht, freute sich, den Schmerz
der Trennung still verwindend, schon auf ihr künftiges Daheim, und
unter ihren Füßen wölkte der Staub, daran es in Ungarn
nie gemangelt hat.
Nun war, es hatte weiter
niemand seiner geachtet, ein Mann bei seinem Glas Wein in der Gaststube
gesessen, in der hintersten Ecke, als die Lohnauszahlung stattgefunden
hatte. Der war zu Pferde gekommen und ritt jetzt der Magd nach. Bei einem
Birkenwäldchen holte er sie ein. Er hatte einen langen, hängenden
Schnauzbart, wie ihn die Kroaten zu tragen lieben, und ohne viel Umstände
zu machen, sagte er, sie solle ihr Geld herausgeben, und dazu lachte er
frech. Sie war nicht gewohnt zu lügen, die Magd, es war Sünde,
aber jetzt und hier schien ihr doch erlaubt, zu einer Notlüge Zuflucht
zu nehmen, und also sagte sie, sie habe kein Geld. Der üble Kerl lachte
nur wieder und sagte, sie solle keine Fisematenten machen und zerrte ganz
widerwärtig an seinem Schnauzbart, als wolle er ihn sich ausreißen,
und knirschte mit den Zähnen. Die unerschrockene Magd aber behielt
Fassung und Besinnung und während der Wegelagerer damit beschäftigt
war, sein von einem Bremsenstich unruhig gewordenes Pferd zu bändigen,
warf sie schnell das Schnupftuch mit dem Geld und dem Rosenkranz, ungesehen
von ihm, hinter sich in ein Gebüsch.
Der Räuber auf dem
wieder stillen Pferde wurde jetzt arg böse und« »Heraus
mit dem Zaster!« schrie er, und sie solle sich ausziehen, schrie
er, er werde das Geld schon zu finden wissen, wo sie es auch versteckt
haben möge, im Leibchen oder unter den Röcken! Und gleich stieg
er ab, schlang sich den Zügel um den Arm, und half der Magd auf seine
Räuberweise beim Ausziehen, riß ihr die Kleider herunter und
Mieder und Hemd und durchstöberte alles und fand nichts und hatte
keinen Blick übrig für die nun ganz hüllenlos vor ihm Stehende,
auf das Geld nur erpicht! Die Magd schämte sich sehr ihrer Blöße
und ihres vollen, weißen Busens und ohne Gewand zu sein vor einem
Mann, auch wenn er sie nicht ansah, schien ihr größere Sünde
als gelogen zu haben. Der Gauner nun, als er nichts und garnichts fand,
bedrohte sie mit einem grausamen Tode, wenn sie jetzt nicht endlich mit
ihren Gulden herausrücke und klopfte sich auf die Brust, wo seine
Jacke sich verdächtig bauschte, und sagte, hier habe er eine Pistole,
und sie sei schon geladen, und es war ihm anzusehen, daß er stracks
ernst machen würde.
Da sagte die Magd: »Dort
hab ichs hingeworfen!« und zeigte auf das Gebüsch, und jetzt
wurde der wüste Mensch wieder vergnügt und wies ihr seine prächtigweißen
Zahnreihen unter dem Schnauzbart und sagte: »Halt derweil mein Pferd!
« Er gab ihr die Zügel und kroch in das wilde Gebüsch hinein
und seine Husarenstiefel sahen komisch daraus hervor und es blitzten die
Sporen daran. Sie hörte ihn noch sagen: » Da ist es ja! «
als sie sich, Bauerntochter die sie war und mit Pferden umzugehen gewohnt,
schon in den Sattel geschwungen hatte, den Gaul mit den unbespornten Fersen
mächtig antrieb und davon sprengte.
Das gab nun freilich viel
Verwunderns, als eine Frau, nackt wie Eva vor dem Sündenfall, die
Dorfstraße daherritt, am hellen Tage, und die Bauernweiber am Brunnen
hielten mit dem Schöpfen inne und bekreuzigten sich vor der weißen
Teufelin und die Bauernburschen blieben wie erstarrt stehen und rissen
den Mund und die Augen auf vor dem Anblick, denn die Magd war schön,
wie gesagt, und herrlich und lustvoll zu betrachten.
Vor dem Pfarrhaus neben
der Kirche gelegen und gleich als solches zu erkennen, hielt die Reiterin
und sprang aus dem Sattel und stürzte ins Haus und öffnete im
Flur die nächstbeste Tür und hatte Glück, es war des Pfarrers
Schlafstube, zu der sie führte, und riß das Leintuch vom Bett
und hüllte sich darein. Dann rief sie laut ihres Bruders Namen. Der
war gerade im Keller und hörte sie und kam herauf, wo er kühle
Milch für sich geholt hatte. Sie erzählte ihm in der Geschwindigkeit
das Notwendigste und er lobte ihren Mut und sagte aber auch: »Jetzt
ist dein Lohn für viele Jahre dahin«, und bekam ein trauriges
Gesicht. »Und der Rosenkranz auch! « antwortete die kluge Magd,
»aber dafür haben wir das Pferd! « Wieder mußte
der geweihte Herr sich wundern über die Umsicht seiner Schwester.
Inzwischen hatte der Pfarrknecht,
unter groben Flüchen, die ihm nicht anstanden, weil er ja geistliches
Brot aß, die Leute verjagt, die das zitternde Pferd umstanden, und
hatte es in den Stall geführt, zu des Pfarrers einziger Kuh. Und dann
ergab es sich, daß das Pferd von edler Rasse war und einen überaus
kostbaren Sattel trug und fein gearbeitetes Riemen- und Zügelzeug.
In den Satteltaschen fanden sich keinerlei Papiere, aber an die tausend
Gulden Bargeld. »Das ist Sündengeld und es klebt vielleicht
Blut daran«, sagte der Pfarrer, »und wir wollen es dem Herrn
Stuhlrichter anzeigen.« Die Behörden nun nahmen sich der Sache
an und machten Nachforschungen überall hin, und die Kanzleien arbeiteten
fieberhaft und die Landpolizei, aber von einem Räuber war keine Spur
zu finden, als hätte der Erdboden ihn verschluckt. Es ist anzunehmen,
daß er außer Landes gegangen war, dort sich zu betätigen,
und vielleicht ist er dort auch am Halse aufgehängt worden, wie ihm
nur recht geschehen wäre. Er hatte sich benommen wie ein Hecht, der,
einen großen Fisch im Maul, nach einem kleineren schnappt und den
großen deswegen muß fahren lassen und dieser Dummheit wegen
hätte er verdient, zweimal aufgehängt zu werden.
Erstaunlicherweise meldete
sich niemand, der in der letzten Zeit beraubt worden und hätte Ansprüche
gestellt. Vielleicht hatte der Kroat das Geld den eigenen Spießgesellen
abgenommen, und die wollten nichts mit den Gerichten zu tun haben oder
was sonst es eine Bewandtnis haben mochte mit dem Inhalt der Satteltaschen.
Und also gab man der Magd von dem Räubergeld soviel als der ihr gestohlene
Lohn betrug und sprach ihr überdies zweihundert Gulden zu, so, wie
man ja auch einen Finderlohn bekommt, und auch das Pferd durfte sie behalten,
so war es gesetzlich. Das beste Geschäft machte wie immer die Obrigkeit,
die das Übrige beschlagnahmte, und das war das meiste, wie man leicht
nachrechnen kann.
Von dem ihr zugesprochenen
Gelde stiftete die Magd für die Dorfkirche eine brokatene Altardecke
und zwei große silberne Kerzenleuchter und das fand den allgemeinen
Beifall. Und so trug man es ihr auch nicht nach, daß sie ohne Gewand
sich hatte im Dorf sehen lassen. Ein paar alte Weiber zwar meinten, die
Schwester des Pfarrers hätte, der Würde ihres Bruders eingedenk,
schon vor den ersten Häusern des Dorfes absteigen können und
die Nacht erwarten, um sich unbemerkt heimzuschleichen, jedes Ärgernis
vermeidend - aber nachträglich und in Sicherheit so zu reden ist billig!
Und die Spottvögel unter den Bauern gar pfiffen sich eins und sagten
abends im Wirtshaus, die spindeldürren Hexen allerdings hätten
guten Grund, sich niemandem und niemals in dem Zustand, wie der Herr sie
auf die Erde geschickt habe, zu zeigen, und sie spuckten kräftig aus
und lachten.
Die Magd waltete ihres
Amtes als Hausbesorgerin ihres geistlichen Bruders nicht lange. Einer der
Burschen, ein wohlhabender Bauernsohn, der sie weiß und glänzend
hoch zu Roß gesehen hatte, und ihm schwebte das Bild seitdem bei
Tag und Nacht vor, hielt um ihre Hand an, und sie gab sie ihm.
Und nur ihm auch sagte
sie: Neulich beim Einschlafen sei ihr zu spät der Gedanke gekommen,
daß sie dem Räuberkerl ja gar nicht das richtige Gebüsch
hätte zu zeigen brauchen, sondern irgend ein anderes, in dem nichts
zu finden gewesen wäre - so arg gescheit, wie man das jetzt überall
von ihr erzähle, sei sie eben doch nicht-und sie gab ihm einen Kuß!
Aber auch ihm nicht sagte sie, die kluge Magd, daß sie sich zuweilen
eines sündhaften Ärgers nicht ganz erwehren könne darüber,
daß der Kroat ihr Unbekleidetsein so gar nicht beachtet habe, und
daß sie willens sei, das nächstens zu beichten, aber nicht ihrem
Bruder, sondern dem Pfarrer des Nachbardorfes. So war ihre schöne
Beschaffenheit.
Bei der Hochzeit durfte
natürlich die Ochsenwirtin nicht fehlen und nicht ihr Mann. Schwelgerisch
ging es dabei her, mit Paprikagulasch und gebratenen Ferkeln und vielem
roten Wein und die Ochsenwirtin schenkte der Neuvermählten ein himmelblaues
Seidenkleid und auch einen neuen silbernen Rosenkranz.
So endet diese Geschichte,
die in einem Wirtshaus begann, nun doch nicht in einem Pfarrhaus: sie endet
in einem Bauernhaus, mit einem strohernen Dach darauf und einem Ziehbrunnen
vor dem Pferdestall, und die schöne Bäuerin gebar ihrem Mann
fünf Kinder im Laufe der Jahre, und nie prügelte er sie, auch
an den Festtagen nicht, wenn er betrunken war, wie es die anderen Bauern
mit ihren Weibern machten: sie war des Pfarrers Schwester, aber das nicht
allein hielt ihn davon ab!
Drucknachnachweise und Anmerkungen.
S. 276 Die schöne Magd
Britting am 1.2.1952 an Jung: ich lege ihnen die »schöne
magd« in der neuesten fassung vor, die nun wohl hoffentlich die endgültige
ist - genau weiß man das bei mir nie! schade, daß sie sie noch
nicht hatten, als sie schäfer [d. i. Wilhelm Schäfer] und mich
verglichen: sie haben geradezu ein germanistisches seminar in ihrem haus!
Zehn Tage später wiederum an Jung: die »schöne magd«
betreffend und die jetzt eingeschobene stelle ihres ärger darüber,
daß der räuber ihre nacktheit unbeachtet ließ - sie hat
mir zu schaffen gemacht. ich werde den einschub lassen, aber noch verfeinern.
da muß mit den leichtesten apothekergewichten gearbeitet werden.
vielleicht muß es einmal von dem räuber heißen, daß
er ein braungebranntes gesicht habe oder ein verwegenes, oder adleraugen,
irgend eine zarte andeutung, daß er ihr unbewußt, winzigst,
eindruck machte. »unbekleidet sein« gefiel und gefällt
mir auch nicht, ich wollte nicht zu oft von nackt reden; es soll nichts
lüstern sein aber doch versteckt erotisch.
E: Almanach der Hannoverschen Presse für das Jahr 1954,
u. d. T. Die ungarische Magd. Hg. Friedrich Rasche, Hannover:
Hannoversche Druck und Verlagsanstalt 1953, S. 31-35.
D1: Lesestunde, Buchgemeinschaft, Heft
7,1955, S. 12-13,
u. d. T. Die ungarische Magd.
Der Text wurde noch mehrfach veröffentlicht.
D2: Anfang und Ende, S. 22.
Abermals hat Britting einen alten Zeitungsbericht aus Buchners Sammlung
bearbeitet:
Augspurgische Ordinary Postzeitung, 1782, Nr. 259:
Geistesgegenwart eines MädchensUngarn, den 16. Oktober: