Journalistisches
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Die Dult
Der Haidplatz
Die steinerne Brücke
Der Römerturm
Der Dom
Die Wahlenstraße
Die Allee
An der Herzogsmauer
Das Stadtbild
Die Ostengasse
Unter den Schwibbögen
Beim Rathaus
Drucknachweise und Anmerkungen
Vorwort
Das literarische Debüt des zwanzigjährigen Georg Britting hat zunächst nur den eng begrenzten Leserkreis der Regensburger Neuesten Nachrichten erreicht. Für dieses Blatt hat der junge Autor im Herbst 1911 zwölf Feuilletons geschrieben, in denen er liebevoll und detailliert die Straßen, Plätze und Gebäude seiner Heimatstadt schildert, in einem überbordend ausschmückenden Stil, wie er zwar nicht für die Entstehungszeit, aber doch für schriftstellerische Anfänger typisch ist. Stilistisch orientiert sich Britting noch deutlich an romantischen und biedermeierlichen Vorbildern, auf die schon die seit dem zweiten Feuilleton – „Der Haidplatz“ – verwendete Sammelüberschrift Regensburger Bilderbögen verweist. Auch die oftmals allzu betulich wirkende Fülle bildhafter Vergleiche und Anthropomorphisierungen ist ein Erbe der Romantik und des Biedermeier: rauschende Brunnen, der „verklärende Schein stillen, beschaulichen Sichbegnügens“, ein „Perlenkranz von seltener Anmut“, „manch ein verschwiegenes, verstecktes Plätzchen“, das zum Träumen lockt, die vielen Türme, die stereotyp als „finstere“ oder „grimmige Gesellen“ charakterisiert werden, „neugierig“ blickende Glocken, Häuser, die sich „hilfesuchend“ an den Rathausturm drängen – Britting muß auf den Fundus abgebrauchter Gestaltungsmittel früherer Epochen zurückgreifen; über ein individuelles oder gar originelles Vokabular zur künstlerischen Vergegenwärtigung des Stadtbildes verfügt er noch nicht.
Der Reiz dieser Feuilletons liegt in ihrer vordergründigen Unberührtheit von allen Erscheinungsformen modernen Stadtlebens. Während in Berlin, wo im Jahre 1911 schon über zwei Millionen Menschen lebten, die ersten expressionistischen Großstadtgedichte entstanden, in denen mit ungewohnten und schockierenden Bildern die verstörende Gegenwärtigkeit der modernen Metropole Gestalt annimmt – „Aufspritzt Berlin, des Tages glitzernd Nest, / Vom Rauch der Nacht wie Eiter einer Pest“, heißt es in Paul Boldts Sonett Auf der Terrasse des Café Josty –, beschwören Brittings gleichzeitig entstandene Bilderbögen über die nur rund 50 000 Einwohner zählende Mittelstadt Regensburg eine verklärte Vergangenheit. Sie preisen gerade nicht den städtischen Lebensraum, sondern die ,natürlichen‘ Refugien der Flußlandschaft, der Parkanlagen und der Anhöhe, von der aus man den Blick auf das „Stadtbild“ und die umgebende Landschaft genießt. Nun ist es aber keineswegs so, daß die Gegenwart des Jahres 1911 in diesen Stadtbildern schlechterdings verschwiegen würde. Bei genauer Lektüre erweisen sich die zeitlichen und räumlichen Fluchten aus der Moderne und die mit dieser Bewegung korrespondierende altertümelnde Sprache als bewußte Strategien zur Abwehr der auch in das mittelalterlich geprägte Regensburg einbrechenden Moderne. Auch in die Abgeschiedenheit der „Allee“ dringen nämlich die Mißtöne der Eisenbahn und des Straßenlärms, und „das Klingeln der Elektrischen“, „das Rollen und Dröhnen der Lastwagen“ macht sich allenthalben störend bemerkbar, so daß man sich wünscht, „die Gegenwart um sich versinken zu lassen“. Auch auf Regensburgs Straßen „drängen und stoßen sich in hastender Eile die Menschen“, wie sie es im zeitgenössischen Berlin der Gedichte von Georg Heym, Paul Boldt oder Alfred Lichtenstein tun. Während aber das rasend beschleunigte Großstadtleben bei den Expressionisten gleichermaßen Furcht und Faszination auslöst, ist für den jungen Britting die ,eigentliche‘ Stadt diejenige der Vergangenheit, der Phantasie, des Traums und des nächtlichen Zaubers, der dem hektischen Treiben des Tages entgegengesetzt wird. Ganz folgerichtig erfährt in seinen Feuilletons allein der späte „Wanderer“ – auch er ein Relikt der Romantik – das wahre Leben Regensburgs, einer weitgehend menschenleeren, aus stumm-beredten Zeugen prachtvoller Vergangenheit zusammengesetzten Stadt, die in Brittings frühen Feuilletons wie in seinen spätesten Gedichten vor den Modernisierungsprozessen noch gefeit ist. Aber die Moderne, ein „ungebetener Gast“, rattert in Gestalt der Straßenbahn unüberhörbar auch in dieses vormoderne Regensburg, das man nur noch in der Kunst besichtigen kann – oder in den Bilderbögen von Georg Britting.
Walter Hettche
Die Dult
Es liegt ein seltsamer Zauber in dem Wort. Heller leuchten die Augen der Kinder, wenn sie es hören und ihre leicht beschwingte Phantasie läßt ihnen eine Welt erstehen voll dunkelgeahnter, geheimnisvoller Schönheit und märchenhafter bunter Pracht. Ihnen erscheint die flitterhaft aufgeputzte Budenstadt ein Ort, der Köstliches und Wunderbares birgt. Sie sehen nicht Elend, Not und Laster, das hinter dem billigen, verlogenen Prunk fratzenhaft graut, wie das Gesicht einer alten Kokotte, unter der Schminke. Den Kindern ist der Herkules mit den dicken Muskelwülsten, der mit den schwersten Eisenkugeln hantiert, als wären sie Spielzeug, ein gewaltiger Held, der Furcht und Bewunderung einflößt. Und der Zauberer, der im weiten roten Kaftan mit der spitzen Mütze auf dem Kopfe die ungeheuerlichsten Dinge vollbringt, Kaninchen verschluckt und wieder aus dem Rockärmel zieht, und die blanken Taler nur so aus der flachen Hand holt, er ist ihnen ein mächtiger Mann, vor dessen funkelndem Blick sie Angst haben. Aber selbst der Erwachsene kann sich dem eigenartigen Reiz nicht entziehen, der von der Welt der fahrenden Leute ausgeht. Man lächelt überlegen, wenn man das Wort Jahrmarkt hört, zitiert wohl gar seinen Goethe: das Lärmen, Schreien, Kegelschieben, ist mir ein gar verhaßter Klang, sie toben wie vom bösen Geist getrieben, und nennens Freude, nennen es Gesang — und wenn dann die bunte Gesellschaft wieder einmal den Protzenweiher in Stadtamhof in Beschlag gelegt hat, so wandert man doch hinaus, um den Rummel mitzumachen. Schon wenn man die Steinerne Brücke zur Hälfte passiert hat, klingt einem das Gedudel und Lärmen entgegen, das bei jedem Schritte wächst. Auf der schmalen Straße zwischen den Verkaufsbuden schiebt sich ein dicker Menschenstrom langsam vorwärts. Die Luft ist mit Staub gesättigt, aber alle die vielen Gesichter blicken fröhlich — äußerlich schadet der Staub ja wenig und was sich in der Kehle ansetzt, wird hinuntergeschwemmt — aber beileibe nicht mit Wasser. Auf dem Protzenweiher, wo die Schaubuden aufgeschlagen sind, entwickelt sich das eigentliche Dultleben. Das ist ein Stoßen und Drücken, Lachen und Scherzen, Flirten und Kokettieren! Heiser tönt die Stimme des Ausrufers, der »für nur zehn Pfennig, Kinder und Militär auf allen Plätzen die Hälfte« die größten Herrlichkeiten verspricht. Das gellende Gebimmel einer Glocke versucht die Aufmerksamkeit auf einen Grand-Zirkus zu lenken, während das Schichtl’sche Künstler- und Zaubertheater eine eigene Kapelle dazu verwendet, mit mehr Lärmaufwand als künstlerischer Eigenart das Publikum anzulocken. Der Erfolg zeigt, daß Buschs Wort »Musik wird störend oft empfunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden« nicht überall Geltung besitzt. Anhänger der Antilärmbewegung dürfen sich überhaupt nicht auf den Dultplatz wagen, denn der disharmonische Vielklang von Geräuschen, der bis in den späten Abend hinein nicht verstummt, gehört nun einmal zu dem Rummel, und das Publikum trägt das seine nach Kräften bei, den Lärm zu steigern. Je größer das Gedudel und Gebrüll, desto größer die Gaudi. Die Aviatik, die ihre praktische Verwendbarkeit schon auf so vielen Gebieten erprobt hat, hat sich nun auch die Dult erobert. In einer Ecke sausen die Luftschiffe aller Konstruktionen im Kreise in der Luft herum — zum Unterschied von ihren Schwestern sind sie allerdings durch lange Eisenstangen an einem gemeinsamen Mittelpunkt befestigt. Kreischend und vor Vergnügen johlend sitzen die Passagiere in den Gondeln und genießen den Zauber einer Luftfahrt, die allerdings von nur sehr kurzer Dauer ist.
Phantastisch angelegte Gemüter statten dem »Verrückten Haus« einen Besuch ab, das sich von Zeit zu Zeit plötzlich in den Angeln hebt und in aller Gemütsruhe den Kopfstand ausführt. Ein grotesker Anblick. Der Clou der ganzen Dult ist diesmal aber unstreitig das Freudenrad. Es ist aber auch eine gar ergötzliche Geschichte: Die Gescheiten schauen lachend zu wie sich die — Minderklugen strampelnd und brüllend auf den Boden wälzen. Die tückische große Scheibe schleudert ganze Reihen kreischender Menschen gegen die ledergepolsterten Barrieren, mit jeder Umdrehung leert sie sich mehr, bis zuletzt nur noch ein Schlaucherl sitzen bleibt, der sich auf den Mittelpunkt niedergelassen hat und von da, gesichert und in nicht zu erschütternder Position, schmunzelnd die Kollegen betrachtet, die sich mühsam wieder vom Boden aufrappeln. Und erst wenn die Damen an die Reihe kommen! Zwar wagen sie sich nur in spärlicher Zahl auf die rotierende Scheibe, aber desto größer ist dann die »Hetz« für die zuschauende Männerwelt, wenn das Ewig-Weibliche in tollem Durcheinander auf dem Boden kollert. — —
Wenn abends die elektrischen Birnen aufglühen und die Budenstadt in magisches Licht hüllen, wenn die Schatten an den Zeltwänden dunkeln, dann ist es ein eigenes Wandern im Reiche der fahrenden Leute. Leicht vergißt man seine Umgebung, gerät ins Träumen, — bis ein scharfer Trompetenstoß in die Wirklichkeit zurückführt, in den tollen Wirrwarr, voll Unsinn und Lust, Dult genannt.
Der Haidplatz
Der Abend war voller Frieden herabgesunken, die Straßen sind still und leer geworden. Aus den Fenstern leuchtet der gelbe Schein der Lampen. Nur manchmal schallt ein Schritt übers Pflaster, und klingt eine Tür und hallt eine menschliche Stimme. Dann fällt ein Tor ins Schloß und ein Schlüssel knarrt und kreischt — dann ist es still. Nur der Brunnen rauscht. Die Zinnen und Zacken des »Goldenen Kreuzes« stechen in den Nachthimmel und der massige Bau des Thon-Dittmer-Hauses liegt wie ein schlafendes Ungetüm, das aus hundert dunklen Augen droht! Frau Justitia auf dem Brunnen hebt in starrer Ruhe das Schwert, während ihre andere Hand die Waage der Gerechtigkeit trägt. Und unbeweglich sieht sie in die Nacht. In die Zeit des Mittelalters ist der Platz zurückgesunken und die alten Patrizierhäuser scheinen sich enger aneinander zu drängen, wie eine Herde geängstigter Tiere. Und der Brunnen rauscht ein Lied, zart und werbend, schmelzend und schwermütig, irgendetwas von pochenden Herzen und bebenden Lippen, von Hoffen und Sehnen und Schluchzen und Tränen. Eine leise Melodie springt auf. Sie klingt, als ob Musik durch dicke Vorhänge finge dahinter ein heimliches Brautpaar tanzt, einen langsamen Walzer voll geheimen Glückes und schwermütiger Süße. Über die starren Züge der Justitia scheint ein leises Lächeln zu gleiten, über den Brunnen, der so törichtes Zeug plaudert, das doch so traut und lockend klingt! Dann blickt wieder ernst und unbeweglich wie zuvor. Und der Brunnen rauscht sein Lied — die ganze Nacht.
Die steinerne Brücke
Mit wilder, ungebändigter Kraft wirft sich der Strom gegen die eisenbewehrten Pfeiler und bohrt sich, ein Winkelried, die spitzigen Lanzen der Brücke in den Leib. Und es nützt doch nichts. Aber der Trotzkopf in seinem jugendlichen Ungestüm läßt nicht ab; brausend und schäumend stürmen seine Wellenrosse gegen die festen Steinquadern, um immer doch kläglich zu zerschellen. Die Brücke ist dieses ungebärdige Toben der Wasser schon gewohnt, achtet gar nicht darauf Sie weiß sich fest gegründet und läßt den Wildling sein tolles Spiel treiben. Ihr wird so leicht nichts geschehen, die mächtigen Steinbogen scheinen für die Ewigkeit gebaut. Voll gedrungener Kraft spannt sich ihr riesiger Leib über den Strom — ein Bild von höchstem, architektonischem Reiz. Alles an ihr ist schwer und wuchtig, und doch ist sie auch wieder leicht geschwungen, als wäre der Stein eine biegsame Weidengerte — eine seltene Vereinigung von Kraft und Anmut. Drum lächelt sie auch über das wilde Tun des Stromes. Sie weiß, der kann ihr nichts anhaben. Wenn nur nicht die Menschen, die vor nichts zurückschrecken, wenn es gilt, ihre Interessen zu verfolgen, ihr zu Leibe gehen werden. Sie hat es schon erleben müssen, daß das alte Brücktor niedergerissen wurde, weil es ein Hemmnis für den modernen Verkehr bildete und seitdem will die Angst nicht mehr von ihr weichen, daß es ihr ähnlich gehen werde. — Aber noch steht sie in stolzer Pracht. Die Sonne gleitet über die grauen Quader und trifft mit ihren glänzenden Strahlen das »Brückenmannl«, das geblendet von der Lichtfülle schützend die Hand vor die Augen hält. Von der Stadt grüßt der Dom zur Brücke und der Rathausturm und im Osten leuchtet von sanft ansteigendem Hügel ein schimmernder Tempel: Die Walhalla. Unten rauscht und gurgelt der Strom und von Stadtamhof klingen die hellen Schläge der Turmuhr der St. Mang-Kirche herüber. Wer die Brücke je so gesehen, in Sonnenglast zur Mittagstunde, dem wird ihr Bild nie aus dem Herzen schwinden, und er wird sie zu dem schönsten und eigenartigsten stellen, was Städte an schönen und malerischen Gebäulichkeiten zu bieten haben.
Der Römerturm
Schroff, trotzig, einsam, wetterhart dräuend und finster, gleich einem Vorposten wider den Feind, von Stürmen ewig begehrt und nie überwunden streckt er seine Mauern in die Höhe. Sie sind stolz; Jahrhunderte konnten ihnen nichts anhaben. Und starr sind sie; in jedem Stein steckt ein Stück Tradition, Tradition ist ein Mörtel, stark und fest wie Eisen. Diese mächtigen Quadern sind durch nichts aus den Fugen zu bringen. Der finstere Geselle, der sich seiner wuchtigen Größe bewußt scheint, der seine massige Gestalt schwer und dräuend aufreckt, macht ein gar mürrisches Gesicht, wenn in des Tages Lärm die Menschlein um seine Füße huschen, die Elektrische sausend vorbeiklingelt. Anderes ist er gewohnt. Der schwere Tritt der römischen Legionen liegt ihm noch im Ohr, besser behagten ihm die wilden, bärtigen Gesichter der eisengepanzerten Stadtknechte, besser die rauhen Fluchworte kommandierender, französischer Offiziere. Viel hat er gesehen und mit erlebt der ragende Koloß, Freud und Leid, gute und schlechte Zeiten im bunten Wechsel. In unsere Tage paßt er nicht recht mehr. Unser nervöses und aufgeregtes Tun sticht zu grell ab von seiner unerschütterlichen, feierlichen Ruhe. Er spürt das selber und darum blickt er des Tages über so grämlich. Des Nachts muß man ihn sehen, wenn der laute Lärm verstummt ist und die Straßen still und dunkel liegen. Von alten, längst vergangenen Zeiten träumt er dann, und die Schauer großer Taten und Ereignisse umwittern ihn. Der Mond taucht den stillen Bau in sein silbern Licht. Er will ihn locken und sprechen machen. Aber die Mauern leuchten nur auf und werfen den Glanz zurück. Und der späte Wanderer, dessen hallende Schritte über den Platz tönen, steht in ehrfürchtigem Staunen: schwarz und drohend hebt sich der steinerne Riese vom Nachthimmel, aber um seine verwitterten Züge huscht doch ein verlorenes Lächeln, ein Lächeln, wie es alte Leute haben, wenn sie der eignen, fernen Jugendzeit gedenken.
Der Dom
Wenn an regenfeuchten Herbstabenden seine Silhouette sich schwarz und finster abhebt und die grauen Türme in den dunkelnden Himmel ragen, dämmert der geheimnisvolle Reiz mittelalterlicher Mystik um seine Mauern. Das verwitterte Gestein schimmert feucht und huschende Nebel brauen um das hohe Portal. Jeden Augenblick vermeint man die weiten Tor-Flügel aufspringen zu sehen und den eintönigen Gesang verhüllter Nonnen zu vernehmen, die in langem Zuge durch die hallenden Gänge schreiten. Durch das durchbrochene Mauerwerk der Türme blinzelt das fahle Mondlicht; es zittert in mattem Glanz auf den Gestalten der steinernen Wasserspeier und setzt seltsame Lichter auf das schwärzliche Grau der vorspringenden Zacken und Erker. Die spitzen Seitentürmchen ducken sich ängstlich, schmiegen sich eng an ihre große Mutter und wenn ein scharfer Windstoß um die Ecken faucht und eine Hand voll Regen prasselnd gegen das Gemäuer wirft, scheinen sie verschüchtert und erschrocken zusammen zu zucken und leise zu weinen. Ein schwarzer Wolkenballen ist mählich an den Mond herangekrochen und hat seine helle Scheibe überdeckt. Nun ist der mächtige Bau in tiefstes Dunkel gehüllt. Seine schwarzen Konturen wachsen ins Riesenhafte, sind seltsam verzerrt. Und als jetzt von einem nahen Turm elf Glockenschläge in die Nacht tönen, klingen sie ganz beklommen als scheuten sie sich den finsteren Riesen zu stören, der unheildrohend seine mächtigen Arme reckt. — Ein anderer ist der Dom an einem sonnendurchfluteten Oktobernachmittag. Aus dem wuchtig schweren Unterbau streben voll leicht beschwingter Anmut die schlanken Türme und baden ihr Haupt im leuchtenden Licht. Wenn man die gewaltige Größe und Wucht der mächtigen Kathedrale betrachtet, fühlt und bewundert man erst die zarte[,] feingliedrige, graziöse Struktur der Teile. Von aller Erdenschwere losgelöst, die Stein gewordene Phantasie eines gottbegnadeten Künstlers, drängen und quellen in unbeschreiblicher Schönheit und Fülle die Linien nach oben, bis das gewaltige Strahlenbündel immer zarter und durchsichtiger wird und auf seiner Spitze als krönenden Abschluß die Kreuzblume trägt. Es ist ein Symbol der Lebensfreude, der Lebensbejahung wie da in Licht und Sonne getaucht der ganze Bau von einem jubelnden, jauchzenden Streben beherrscht ist, wie aufwärts, zur Höhe jedes kleine und kleinste Türmchen strebt, wie jeder Erker, jede Säule nach oben weist, wie jedes einzelne wieder sich zum Ganzen schließt und in gebändigter Harmonie, in ruhiger Schlichtheit und Schöne zur Erfüllung gelangt.
Die Wahlenstraße
Die Sonne flimmert verträumt auf dem Pflaster. Ihr zitternder Schein ist schon dünn und blaß geworden. Herbstsonne ist müd, und schwach und kraftlos. Nur kurze Stunden des Tags läßt sie sich blicken, um bald, als ob sie sich ihrer Ohnmacht schämte, wieder zu verschwinden. Sie ärgert ich: Sonst flüchteten die Menschen, ihrer Glut zu entgehen, während sie nun mit Behagen die lind wärmenden Strahlen aufsuchen. — Die Sonne hat jetzt ihre eigene Schönheit. Die ist wie das Lächeln einer frommen Nonne, die überwunden hat und Leid und Freud der Welt mit wehmütiger Anteilnahme, die über den Dingen steht, betrachtet. Sie webt den verklärenden Schein stillen, beschaulichen Sichbegnügens um alle Gegenstände, auf die sie fällt. Die alten Häuser in der Wahlenstraße gewinnen in ihrem Lichte Leben. Mit blassem Gold malt sie die Ecken aus, sorgsam und mit feiner Kunst. Die grauen, verwitterten Mauern erschimmern in Märchenglanz und der »goldene Turm«, der alte, finstere Geselle macht ein gar freundliches Gesicht, wenn die huschenden Strahlen ihn umspielen. — Ein Stück Mittelalter verkörpert die Wahlenstraße. Die meist schmalen, gedrückten Häuser sind unregelmäßig gebaut und haben sich nicht einer geraden Linie anpassen lassen. Das eine guckt vorwitzig weit in die Straße, während das andere sich ängstlich zurückzieht. Der stolze Wehrturm, der schroff aufragt, der goldene Turm, beherrscht mit seiner wuchtenden Größe das ganze Bild, das in seinem bunten Reiz einen malerischen Ausschnitt aus Alt-Regensburg festhält, wie er echter und von wahrheitsgetreuerem Kolorit gar nicht sein könnte. Wer vom Kohlenmarkt her langsam die Straße heraufschreitet und den verschwiegenen Zauber und die Eigenart der Straße auf sich wirken läßt, glaubt sich ein paar Jahrhunderte zurück versetzt. Es wäre gar nicht so erstaunlich, wenn aus einem alten Torbogen plötzlich ein züchtiges Jungfräulein träte, mit Faltenrock und Riegelhaube und mit bescheidentlichem Augenaufschlag den Wanderer grüßte, oder ein bärtiger Stadtknecht mit klirrender Hellebarde einherstapfte. Es müßte schön sein, auf einem malerischen, mit Blumen geschmückten Balkon, wie die Straße deren mehrere aufweist, zu sitzen und zu träumen, die Gegenwart um sich versinken zu lassen und alte Zeiten und alte Menschen heraufzubeschwören, um sie singen und sagen zu hören von denselben Leiden und denselben Freuden, die auch uns bewegen.
Die Allee
Wie ein kostbarer Gürtel den Leib einer schönen Frau umspannt, so legt sich in weitgeschweiftem Bogen ein Perlenkranz von seltener Anmut um die Stadt — die Allee. Nun sie ihr Herbstkleid angelegt und das einförmige Grün ihrer Gewandung mit braunen und roten Flicken aufgeputzt hat, ist sie in ihrer farbenfrohen Pracht reizvoller denn je. Raschelndes Laub bedeckt die glatten Kieswege und die welken Blätter raunen unter den Füßen der Spaziergänger ihr uralt-ewiges Lied, vom Sterben und Vergehen. Die blanken Sonnenstrahlen spielen durch die leicht gelichteten Baumwipfel. Der Himmel ist mattblau, mit einer Tönung ins Grünliche, manchmal fast noch sommerlich schimmernd. Ein eigener Duft von feuchtem Gras und vermoderndem Laub steigt von den Rasenflächen, die Luft ist von einer herben Frische, die stärkt und belebt und zuweilen doch kühl zusammenschauern läßt. Ein leiser Windstoß fährt in das Gezweige einer Kastanie, daß die großen, leuchtend gelben Blätter sanft schaukelnd in Scharen zu Boden wirbeln. Melancholisch klagt das Plätschern der Springbrunnen, die zu beiden Seiten des mächtigen steinernen Obelisken, »dem ersten Stifter der Anlagen, Karl Anselm, Fürst von Thurn und Taxis« errichtet, ihre Wasserkünste spielen lassen; es klingt, als wolle das einförmige Singen im nächsten Augenblick verträumt verstummen. Vom Bahnhof tönt ein schriller Pfiff herüber, man hört den Zug anfahren, die Räder knirschen, dröhnend schwillt das Geräusch an, wird schwächer, bis es mählich in der Ferne verhallt. Die Stadt, die doch so nahe liegt, scheint versunken. Vom Straßenlärm ist nichts zu vernehmen und wenn nicht die ehernen Glockenzungen die Stunden kündeten, könnte man meinen, in den weiten Parkanlagen eines abgelegenen Landschlosses zu weilen. Durchwandert man den Teil der Anlagen, die das fürstliche Schloß umsäumen und den Einblick in den wohlgepflegten Hofgarten gestatten, wird der Eindruck verstärkt. Das stolze Schloß liegt in abweisender Stille und kalter Schönheit, während die weißen Säulen des lieblichen Parkschlößchens »Fürstenruh« freundlich durch die grünen Sträucher grüßen. — Manch ein verschwiegenes, verstecktes Plätzchen lockt zum Träumen. Wenn warmes Gold die Baumstämme umkleidet und das welke Laub im milden Sonnenlicht in tieferem Glanze erschimmert, so läßt es sich gar schön sitzen und sinnen. Wie die fallenden Blätter im leichten Windhauch sinken und schweben, wandern leicht bewegt die Gedanken, zurück, zu ernsten und heiteren Bildern der Vergangenheit, vorwärts, zu den Wünschen und Hoffnungen der Zukunft.
An der Herzogsmauer
Der Wind spielt mit den gelben und braunen Blättern, die den Boden bedecken, und führt einen tollen Tanz mit ihnen auf. In wilder Jagd hetzt er sie die Mauer entlang, um sie mit seinem Lachen plötzlich in die Luft zu wirbeln. Jauchzend fängt er sie auf seinen breiten Schwingen wieder auf, trägt sie eine Strecke fort, um dann das verrückte Spiel von vorne zu beginnen. Die Donau sieht in gemessener Ruhe dem ausgelassenen Tun des Wildlings zu. Sie scheint ihre alte Bekannte, die Mauer, zu grüßen und geschwätzig schlagen ihre Wellen an das Ufer, nimmer müd im Erzählen. Nur manchmal wird das leise Rauschen ihrer Wasser übertönt von einem hohlen Gurgeln, das von der Mitte des mächtigen Stromes kommt, wo die heimtückischen Strudel lauern. Über die verwitterte, zerbröckelnde Mauer nicken grüne Sträucher, leuchten in bunten Herbstfarben die Wipfel der Bäume. Weinlaub klettert über die Risse und Spalten des Gesteins und umkleidet die Quadern mit sattem, dunkelndem Rot. Auf den vermoosten grauen Steinen blinzelt ein verirrter Sonnenstrahl, der vorwitzig durch das dichte Geäst einer Buche schlüpfte. In sanften, leicht geschwungenen Linien zieht sich jenseits des Stromes der flache Hügelzug hinan auf dessen Hängen der Herbst in blassem Golde liegt. Die Türme der Stadt schieben sich im Osten in das Bild und die drei Donaubrücken überspannen im weiten Bogen den Fluß, dessen breites Silberband mit einem verlöschenden Funkeln am Horizont endet. Die ganze Schönheit des Herbstes, die sanfte Melancholie seiner Farben und die süße Traurigkeit seiner Stimmung ist an diesen Ort gebannt. Das milde Sterben der Natur ist im sonnigen Frühherbst von einem eigenen Zauber umflossen, dessen verklärte Schönheit an Eindringlichkeit der Fülle und Pracht des Sommers nicht nachsteht. Wer sie ganz empfinden und auskosten will, der wandere an einem warmen Nachmittag der Donau entlang, bis ihn die Schatten der Herzogsmauer aufnehmen und verweile dort, in schwelgendem Schauen versunken.
Das Stadtbild
Ein sonniger Herbsttag wie sie der späte Oktober manchmal noch bringt. Ein warmes Aufleuchten aller Farben, eine quellende, zitternde Helle in der milden Luft, ein letztes Anheben und Schwingen aller Töne vor dem Abschied. Da läßt es sich gut wandern auf den Höhen des Dreifaltigkeitsberges. Die Sonne zieht schmale Streifen matten Goldes über die verschlungenen Wege und lächelt mit der sanften, abgeklärten Güte einer noch immer schönen Frau durch das gelichtete Gelb und Rot der Bäume. Raschelndes Laub bedeckt den Boden. An dem grauen, verwitterten Gedenkstein geht es vorüber, der schemenhaft das Bild des großen Korsen auftauchen läßt: »Von diesem Platze aus wurde Stadtamhof am 3. April 1809 in Brand geschossen« …
Nun führt der Steig abwärts, kreuzt die breite Landstraße nach Kareth, um dann mählich ansteigend an der Seidenplantage vorbei in mannigfachen Windungen die Höhe zu gewinnen.
Das ist ein prächtiger Anblick: Da liegt zu Füßen die vieltürmige Stadt, eingebettet in das flachgewölbte Talbecken, von der Sonne beschienen, von den grauen Türmen des Doms überragt, der, Regensburgs Wahrzeichen, in seiner wuchtenden Größe das ganze Bild beherrscht. Scharf zeichnet sich seine ruhige, von klaren Linien getragene Silhouette vom Himmel ab, es überwältigt die reine Schönheit des Baues, dessen bewundernswürdige Einfachheit und Schlichtheit der Komposition tiefe und starke Wirkungen von eindringlicher Nachhaltigkeit hervorbringt. Der massige Rumpf des Rathausturmes reckt sich daneben empor. Das Zifferblatt der Uhr wirkt wie das Gesicht des trotzigen Gesellen, das einen seltsam wechselnden Ausdruck annimmt, wenn die großen, gelben Zeiger im Sonnenlicht sprühenden Glanz werfen. Um Dom und Rathaus scharen sich die grauen Häuser der Altstadt, ein dicker, schwarzer Fleck, aus dem sich hoch und stark der goldene Turm hebt. Deutlich sieht man wie sich, bei der Herzogsmauer beginnend, das Grün der Anlagen in das steinerne Meer schiebt und sich in weitem Bogen durch die Stadt zieht. Im Westen, wo die neuen Häuser der Prüfeninger Straße einen weit vorgeschobenen Vorposten bilden, sich wie eine langgestreckte Zunge in Wiesenflächen und Felder hinein erstrecken, grüßt das rote Ziegeldach des Ausstellungsturms im Stadtpark freundlich herauf. Fern am Horizont, bei Maria Ort, liegt leuchtendes Feuer — Sonnenlicht und die Wasser der Donau verschmelzen zu wundersam tiefdunkelndem Rot. Der breite glänzende Spiegel des Stromes rückt näher, brausend zerschellen an den mächtigen Quadern des »Wehrlochs« seine Wellen: in zwei Arme geteilt, in gemächlicher Ruhe durchrauscht er die Stadt: die Arme vereinigen sich wieder und in stiller Größe flutet der Strom in seinem Bette, froh seiner nun wieder gesammelten Kraft. Der Obere Wöhrd ist von anmutiger schlichter Schönheit. Wie ein breiter Keil stemmt sich das grüne Eiland den brausenden Wassern der Donau entgegen. Die lange Baumreihe, die sich inmitten der Insel bis zu den ersten Häusern hinzieht, gibt der Landschaft ihr typisches Aussehen.
Zwei von den drei Brücken, die die Donau überspannen, sieht man. In kühnem Bogen streckt der Eiserne Steg seinen geschmeidigen Leib vom Oberen Wöhrd zur eigentlichen Stadt. Er nimmt sich zwischen den schweren, finsteren Häusern überirdisch leicht und dünn aus. Da ist die Steinerne Brücke von anderer Art. Massig, von behäbigen Konturen, fest auf und in sich beruhend, sicher und voll schwerer Wucht. In ihrer Nähe erhebt sich der Turm der Kirche von St. Mang in Stadtamhof, dessen runde Kuppel neugierig in die Welt sieht. Im Nordosten leuchten die zerrissenen, weißen Felswände des Keilbergs in mattem Licht, dahinter droht der schwarze bewaldete Kegel des Scheibelberg. Verdämmernd ragen am Horizont die Höhen des Bayerischen Waldes, der seine Ausläufer weit in das flache Land herein schickt. Im Süden schweift der Blick weit hinaus, Kumpfmühl ist zu sehen, dessen Kirchturm sich vom Himmel scharf abhebt, und Karthaus-Brüll.
Von seltener Anmut ist Regensburgs Bild: Die vielen Türme, wehrhaft und voll schwerer Kraft, trotzen im Sonnenlicht, das die altersgrauen Häuser mit leuchtendem Glanz übergießt. Der Dom steht in stolzer Ruhe und Schönheit und in warmem bläulichem Grau spannt sich der Herbsthimmel, mit weißen Wolken zierlich aufgeputzt, über die Stadt. Das schimmernde Band der Donau grüßt herauf und rings dehnen sich Felder und Äcker in weiten Flächen. Wer die Stadt so gesehen,
von der Herbstsonne Gold umflossen, wird das Bild bleibend in der Erinnerung behalten.
Die Ostengasse
Ein unbekannter Künstler von vielen Graden, der Pinsel und Palette mit Geschick und Fleiß zu handhaben verstand, ist der Schöpfer des an einem Hause in der Ostengasse sich jedem Vorübergehenden präsentierenden, vergnüglichen Bildes, das den wütend die Zähne fletschenden Bären darstellt, der gar grimmig und voll Zorn dreinblickt, vermutlich aus Ärger darüber, daß man es gewagt hat, ihn an die Kette zu legen. Fein säuberlich mit Geduld und Kunst ist diese lange Kette mit ihren einzelnen Ringen dargestellt. Und da der wackere Meister, ein Anhänger der naturalistischen Methode zu sein scheint, so ist das Loch darin die Kette mündet, nicht gemalt, nein, wirklich in die Mauer gehöhlt. Die Erneuerer dieses merkwürdigen Kunstwerkes, die die Schäden behoben, die dem Bild im Laufe der Jahrzehnte durch den bekannten bissigen Zahn der Zeit zugefügt wurden, trauten wohl dem Können des ursprünglichen Schöpfers nicht recht: drum ließen sie, um keinen Zweifel an Nam und Art des dargestellten Tieres aufkommen zu lassen, die Inschrift stehen: »Dieses Haus stehet in Gottes Hand, zum Bären an der Ketten ist es genannt«. — Das originelle Bild paßt so recht in den Charakter der Gasse, die schon deshalb einen bizarren Eindruck macht, da ihre große Länge in so gar keinem Verhältnis zur Breite steht. Ein Wehrturm voll trutziger Kraft und Größe beherrscht das Gesamtbild der Ostengasse: der Ostenturm. Mächtig und stark reckt er sich in die Höhe, von zwei kleineren Türmen flankiert. Er scheint sich bewußt, daß er den Eintritt in die Stadt bewacht und blickt mürrisch drein, wenn ein ungebetener Gast wie die Straßenbahn ohne Ehrfurcht vor seinem Alter durch sein Tor rattert. — Ein Anblick von seltener Anmut ist es, wenn man von der Stadtseite aus dem Turm näher kommt und durch den breitgewölbten Torbogen das blasse Grün der Bäume der Straubingerstraße hervorlugen sieht. Die beiden Glocken des Turmes, die hoch oben aus dem Dachstuhl neugierig auf die Straße blicken, führen ein beschauliches Dasein. Die müssen einen prächtigen Rundblick haben über die Stadt, über deren Dächer hinweg so manches Mal ihre Klänge schweben.
Unter den Schwibbögen
Sie ist immer dunkel und düster, die Schwibbogenstraße. Selbst im hohen Sommer gewährt sie dem Licht nur zögernd und widerwillig Eintritt und sieht mit scheelen Augen die gleißenden Strahlenbündel, die die Sonne in schelmischem Übermut gegen die schwärzlichen Wände der Häuser wirft. Der Spätherbst mit seinen grauen, nebligen Tagen ist ihr die liebste Zeit des Jahres. Nur selten und auf kurze Weile dringt jetzt flutendes Licht in die enge finstere Straße, die, stets kalt und feucht, in ihrer abweisenden Ruhe Bilder mittelalterlicher Zeiten heraufbeschwört. Die krummen, winkligen Häuser stehen in der frühen Dämmerung des Novembers wie verzauberte Kobolde. Der Ausblick gegen die Goliathstraße zeigt abenteuerlich verschnörkelte, reizvoll gebrochene Linien der Häuserkonturen, die wie Silhouetten in die Helle geschnitten sind, die die aufblitzenden Lichter der Stadt am Abendhimmel verbreiten. Der mächtige Torbogen der Porta Praetoria starrt drohend und finster. Wuchtig und voll verhaltener Kraft wölben sich die riesigen Blöcke, eisenfest aufeinandergetürmt. Die Schatten vieler Jahrhunderte umschauern das uralte Gemäuer. Braune, sehnige Kriegergestalten mit blitzenden dunklen Augen, in schimmernde Rüstungen gehüllt, geschient und den schweren Helm auf dem Kopf, das kurze, breite Römerschwert an der Seite, sitzen um das lodernde Wachtfeuer, das vor dem Südtor der Castra Regina hellen Schein wirft. Soldaten des Römerkaisers Marc Aurel halten das Castell besetzt, das hier bis knapp an die Donau vordringt … »Porta Praetoria des Römischen Castells Castra Regina. Erbaut um 179 nach Christus von Kaiser Marcus Aurelius.« So sagt eine Inschrift an dem unverwüstlichen Bauwerk. Neben diesen steinernen Zeugen einer großen Vergangenheit hat man einen weiten Platz freigelegt. Die alte Braustätte der Bischofshoferbrauerei stand hier. Im dunkelnden Abend leuchten in drei feinen und schlanken Kurven die weißen Bogen eines Kreuzganges. In den grauen Abendhimmel ragt der Dom, der über das seltsam gegiebelte Häusermeer hinauswächst, dessen schlanke Türme in ruhiger Schönheit zur Höhe streben. — Langsam und wuchtend fallen Glockenschläge in die Stille. Die Straße ist fast menschenleer. Nur bisweilen hallen die Schritte Vorübergehender, die eilig ihren Weg dahinstreben und deren Schatten in dem zitternden Licht der Gaslaternen seltsam huschen. Von der Mauer eines Hauses löst sich bröckelnd ein Stück Mörtel und fällt mit leisem Laut auf dem Boden auf. Am wolkenbedeckten Himmel blitzen in einer Lücke ein paar Sterne auf. Von ferne dringt der Straßenlärm und das Klingeln der Elektrischen — ein Ton wie aus einer anderen Welt.
Beim Rathaus
In dem feinen Nebel des späten Herbstnachmittages wächst der wuchtige, massige Turm des alten Rathauses zu schier übernatürlicher Größe empor. Das schwärzliche Grau seiner Mauern schiebt sich finster drohend wie die eisenstarrende Schlachtreihe eines Fähnleins reisiger Knechte auf den Platz vor. Turmdach und Spitze sind ganz verhüllt von den gleitenden weißen Schleiern, die einen matten Flor um das Haupt des trutzig ragenden Gesellen breiten, so daß es den Anschein hat, als ob er nach oben niemals aufhören wolle, als ob seine riesige Gestalt sich ins Unendliche strecke. Das Zifferblatt der großen Uhr, deren breite, metallisch glänzende Zeiger an hellen Sonnentagen funkeln, ist, hinter den huschenden grauen Nebeln verborgen nicht zu erkennen. Und wenn plötzlich der eherne Klang der Glockenstimme in schwer hallendem Schlag über die Dächer dröhnt und die Stunde verkündet, scheint der mählich verzitternde Ton aus unsichtbaren, überirdischen Räumen zu kommen. In der Stube des Turmwächters brennt ein flackerndes, dünnes Lichtlein, dessen rötlicher Schein mühsam kämpfend die dicke Nebelwand durchdringt; es hängt wie ein verlassener, einsamer Stern in der dunkelnden Höhe. Das niedrige Gewimmel der wirr begiebelten Bürgerhäuser des Kohlenmarktes drängt sich hilfesuchend an den Turm heran. Feucht glänzen die breiten Treppenstufen des mittelalterlichen Portals, das zum großen Reichssaal führt. Die hohen, schmalen Bogenfenster des Saales gähnen schwarz und drohend und der graue verwitterte Erker des Gebäudes wuchtet schwer und finster vor. Auf der Straße drängen und stoßen sich in hastender Eile die Menschen. In dem trüben, verdämmernden Licht der Laternen, das fahl durch das gleitende Volk der Nebelschwaden glimmernd leuchtet, sind ihre schwarzen Silhouetten seltsam verzerrt. Nur schlecht will das laute Treiben und Lärmen des modernen Straßenlebens, das Klingeln der Elektrischen, die ratternd vorbeifährt, das Rollen und Dröhnen der Lastwagen zu dem Orte passen, der noch von dem Zauber einer großen Vergangenheit umwittert ist, und nur schwer findet sich da eine Verbindung mit dem Geist einer mystisch in Furcht und Verzückung nach dem Göttlichen sich steigernden Zeit. Man muß warten, bis das schwingende Leben des Tages verrauscht ist und die Straßen still und ruhig liegen. Wenn dann der alte steinerne Brunnen sein einförmiges Schlummerlied singt, die Schritte eines späten Wanderers laut auf dem Pflaster hallen, das Licht in den Fenstern der Häuser erloschen ist und die schweigende Nacht ihren Mantel über die Stadt gebreitet hat, scheint die Vergangenheit wieder lebendig zu werden: Würdige Ratsherren in langen, dunklen Talaren, das Barett auf dem Kopfe, mit ernsten Gesichtern und gewichtigen Schritten wandeln durch das Tor des Rathauses, vom Stadtknecht ehrerbietig gegrüßt. Züchtige Jungfräulein schreiten vorüber, geschämig den Blick zu Boden gerichtet, — bis um die Ecke ein junges Blut mit dem ersten Flaumbart und roten Wangen biegt. Da heben sich die Augen der Mädchen und danken mit warmem Aufleuchten dem kecken Gesellen für das zierliche Schwenken der Mütze. Ein Büttel in Amtstracht kommt des Weges, von den Buben ehrfürchtig bestaunt. Am Brunnen schöpfen dralle Mägde unter Scherzen und Kichern Wasser und tragen die gefüllten Eimer in die Häuser. Vergoldete Prunkwägen rollen heran, in denen hochmütig dreinblickende Reichswürdenträger sitzen. Der Kopfputz der Pferde gleißt im Sonnenlicht. Mit scharfem Ruck hält die reichgeschmückte Karosse vor der Treppe des Stiegenhauses die zum Reichssaal führt, wo die Geschicke des heiligen römischen Reiches deutscher Nation in langen, nichtssagenden Tiraden, mit pompösem Wortschwall besprochen werden, wo über langwierigen Rangstreitigkeiten und Kleinkrämerei das Wohl des Reiches vernachlässigt wird … Von der Turmuhr tönen elf Glockenschläge in die Nacht. Verschwunden sind die Gestalten, die eben den Platz belebten, wie vom Nebel verschlungen. Nur der Brunnen rauscht sein Lied wie damals und die alten grauen Häuser sind in die stimmungsvolle, verträumte Schönheit des stillen Marktplatzes einer mittelalterlichen Stadt eingesponnen.
Drucknachweise und Anmerkungen
Journalistische Anfänge bei den „Regensburger Neuesten Nachrichten“
1 Die Dult
In: Nr. 219, 15.9.1911.
Das Goethe-Zitat stammt aus der Osterspaziergangsszene des Faust (V.945-949), die sprichwörtliche Wendung von Wilhelm Busch aus dessen Dideldum (1874). Das Schichtl`sche Künstler- und Zaubertheater gehörte schon damals beim Münchener Oktoberfest zu den traditionellen Attraktionen.
2 Regensburger Bilderbögen
Zu den erwähnten Sehenswürdigkeiten des alten Regensburg vgl. die ausführlichen lokal- und kunstgeschichtlichen Angaben bei: Hugo Graf von Walderdorff, Regensburg in seiner Vergangenheit und Gegenwart, 4. Aufl., Regensburg: Pustet 1896 (Nachdruck: Ebd. 1977).
3 Der Haidplatz, 4 Die steinerne Brücke, 5 Der Römerturm.
In: Nr. 230, 28.9.1911.
Der Schweizer Arnold Winkelried soll in der Schlacht bei Sempach (1386) mehrere feindliche Spieße auf sich gezogen und so den Eidgenossen den Einbruch in die aufgerissene Schlachtreihe ermöglicht haben.
Die Rokokokirche St.Magnus [jetzt Sankt Andreas] in Stadtamhof wird in B.s Artikeln als »St. Mang« geschrieben.
Der Römerturm stammt aus dem 12. und 14. Jahrhundert und war Bestandteil der mittelalterlichen Pfalz.
6 Der Dom, 7 Die Wahlenstraße
In Nr. 240, 10.10.1911.
8 Die Allee, 9 An der Herzogsmauer
In: Nr. 248, 19.10.1911.
10 Das Stadtbild
In: Nr. 258, 31.10.1911.
Der »große Korse«, Napoleon, hatte am 23. April 1809 seine Truppen in das kurz zuvor noch von den feindlichen Österreichern besetzte Regensburg geführt.
11 Die Ostengasse, 12 Unter den Schwibbögen
In: Nr. 265, 9.11.1911.
13 Beim Rathaus
In: Nr. 276, 22.11.1911.
Impressum
Band 17
Hrsg. von Ingeborg Schuldt-Britting
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© 2012 Georg-Britting-Stiftung
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Satz u. Layout: Hans-Joachim Schuldt
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Gedruckte Taschenbuchausgabe:
ISBN 978-3-9812360-0-2 (Sämtliche Werke – Prosa)
ISBN 978-3-9812908-0-6 (Regensburger Bilderbögen)