»Aus goldenem Becher«
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Georg Britting: „Wir leben im Maul des Drachen …“
Georg Britting war ein Dichter von Rang, man könnte auch sagen: ein Repräsentant der „bayerischen Weltliteratur“. Leider ist er heute beim breiten Lesepublikum fast gänzlich in Vergessenheit geraten. Dass er auch ein großer „Briefsteller“ war, zeigt die Korrespondenz mit seinem Freund Alex Wetzlar, einem geistvollen jüdischen Kaufmann. Brittings Briefe sind literarische Kostbarkeiten und beredte Zeugnisse der Zeitläufte – auch und vor allem der Nachkriegszeit.
Von: Harald Grill in einer Rundfunksendung.
Der Lyriker und Erzähler Georg Britting wurde 1891 in Regensburg geboren und lebte ab 1920 in München, wo er 1964 starb. Er gilt als Dichter vom Rang eines Klassikers. Stichwort: „bayerische Weltliteratur“. Brittings jüdischer Freund Alex Wetzlar war Mitinhaber eines angesehenen Gold- und Silberwarengeschäftes seiner Heimatstadt München, Maximilianstraße 2. Nebenan lag die von Britting häufig aufgesuchte Buchhandlung „Severing u. Güldner“. Dort trafen sich seit Ende der zwanziger Jahre Freunde des Buchhändlers bei Cognac und Zigarren zu offenen Gesprächen, an denen auch die Brüder Heinrich und Alex Wetzlar teilnahmen. Ab und zu vertauschten sie das Hinterzimmer der Buchhandlung mit der Werkstatt der Wetzlar-Brüder, um die Unterhaltung fortzusetzen.
„Weitere Gesprächsrunden, die Britting schätzt, tun sich am Stammtisch ‚Unter den Fischen‘ zusammen. Doch Alex Wetzlar kommt nie an den Stammtisch, obwohl Britting und Severing ihn gerade wegen seiner poetischen Naivität gern dort eingeführt hätten.“
(Curt Hohoff, Freund Brittings)
1939 emigrierten die Wetzlars nach London
Nach den Ausschreitungen der „Reichskristallnacht“ am 9. November 1938 wurden die Wetzlar-Brüder verhaftet und ins Konzentrationslager Dachau gebracht. Nach einigen Wochen durften sie nach Hause – vermutlich auf Intervention von Alex Wetzlars Kommandanten aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, Ritter von Epp. In diesen Tagen war der Laden der Wetzlars bereits „arisiert“. Der Käufer: ein in München noch heute bekannter Juwelier. Nun war es höchste Zeit. Anfang 1939 emigrierten die Wetzlars mit Hilfe einer Bürgschaft englischer Verwandter nach London. Am 3. April 1939 schrieb Britting seinen ersten Brief an Alexander Wetzlar:
„Lieber Alex, als du heut aus dem Wagen stiegst, schwankte ich, ob ich dich nicht umarmen und küssen sollte zum Abschied. Ich tat’s aber nicht. – Laß dich jetzt in Gedanken umarmen … Dein Britting.“
(Georg Britting)
Geistige Unabhängigkeit und grimmiger Humor
Georg Britting war ein leidenschaftlicher Briefeschreiber. Mit Alex Wetzlar führte er seit dessen erzwungener Emigration nach London vom Jahr 1939 bis zum Tod des Freundes im Jahr 1957 eine Korrespondenz. Alex Wetzlar bewahrte die ungewöhnlichen Freundschaftsbriefe Brittings sorgfältig auf. Heute geben sie Einblick in die Denk- und Arbeitsweise aber auch ins Alltagsleben vor allem der Nachkriegsjahre des bayerischen Dichters. Sie leben von der Unmittelbarkeit ihrer Aussage, bestechen durch geistige Unabhängigkeit und grimmigen Humor. Die erste Zeit nach Kriegsende, als das Hungern und Frieren an der Tagesordnung war, charakterisiert Britting lapidar: „Wir leben im Maul des Drachen und versuchen es uns zwischen zwei Eckzähnen möglichst behaglich einzurichten“.