Georg
Britting
Sämtliche
Werke
Band 1 Seite 55 bis 63 und 74 bis 87 "Frühe Gedichte" 1911 - 1919
* Band 1 Seite 529 bis 558 "Gedichte aus den zwanziger Jahren" / Seite 534
Band 2 Seite 211 bis 231 "Verstreut veröffentlichte Gedichte"
Band 4 Seite 295 bis 309 "Verstreut veröffentlichte Gedichte"
© Georg-Britting-Stiftung
- Alle Rechte vorbehalten /
zu
den Rechten:
DER FREMDE
Klimpernd sprang die
schwarze
Friedhofspforte –
Und er ging im weißen
Grabgewande,
An dem zarten Knöchel rot
das Mal der Henkerschande,
Hinunter in die Stadt der
vielen,
überlauten Worte.
Frech bei Wein und
gelber Ostertorte
Höhnten sie den Fremden,
den die Glut, die in ihm brannte,
Süß die Hände
hob. Weil keiner ihn erkannte
Aus der wüsten Sang-
und Säuferhorde,
Wandte er den Schritt
zum Platze,
wo die Kinder spielten.
Die er gestern noch
gestreichelt,
ach, sie kannten ihn nicht wieder
Und sie sangen
Ringelreihenlieder,
Bis er floh, weil sie mit
Steinen
auf den fremden Menschen zielten.
In der Kirche, wo die
Kerzen
glänzten,
Trat er hin zum Priester,
daß
der betend seine Gnade spüre.
Doch der wies ihm hart die
Türe,
Während Frauen fromm die
Kanzel kränzten.
Zu der Freundin ging er,
Magdalenen,
Sünderin im Silberhaus:
Liebe Schwester, sieh, ich
komme
aus dem Grabe…
Die beringten und
geschminkten
Hände schenkten Bettlergabe:
Guter Mann, das Grab gibt
nichts
heraus
Und von Toten nährt sich
Wurm und Maus.
Er hob die Augen, senkte
sie
und lächelte und ging
Zum Grab zurück.
Es war schon Abend und es fing
Zu regnen an aufs
Totengräberhaus.
Seine Mutter aber griff
in der
Luft herum
Und war vor Tränen blind.
Nun liegst du im Grab,
still,
steif und stumm
Und versprachst mir zu
kommen,
Kind!
Sie horchte – es war nur
der
Wind.
[1924]