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Drucknachweise und Anmerkungen 

Georg Jung 
zu diesem Gedicht


Lieferbare Ausgabe:

Georg Britting
Sämtliche Werke  

Taschenbuchausgabe
in 23 Bänden

Band 5 »Unter hohen Bäumen«
Seite 72
Editionsnotiz zu dieser Ausgabe


Georg Britting
Sämtliche Werke 
» Unter hohen Bäumen «   Band 4   Seite 196
© Georg-Britting-Stiftung - Alle Rechte vorbehalten /   zu den Rechten:
    .

        WESPEN-SONETTE 

I.

Das Stroh ist gelb.  Das ist Septembers Farbe.
Die fette Birne ist so gelb wie er,
Und für die Wespe da, daß sie nicht darbe:
Verspätete, sonst flögen viele her!

Die goldne Sonne hängt am Himmel schwer,
Gelb wie die Birne, die zersprungen klafft.
Die Wespe trinkt bedächtig von dem Saft:
Die Birne, weiß sie, wird so schnell nicht leer

Und trocken sein, und nichts als dürre Haut!
Vom Himmel oben, der gewaltig blaut,
Strömt überreifes, süßes Licht hernieder.

Die Wespe trinkt.  Bei jedem Zuge rührt
Die Brust sich ihr, spannt sich das enge Mieder,
Das ihre fräuleinshafte Hüfte schnürt.

II.

Die letzten Zwetschgen süßen sich am Ast,
Die Tafel sonst ist nicht mehr reich bestellt.
Die Wespe spürt: es ändert sich die Welt.
Doch weiß sie, was sich ziemt für einen Gast

Und hört nicht auf die Gartenlust zu preisen,
Das blaue Mahl.  Die Sonnenblumen prahlen:
Komm her!  Mach schnell! Um auch bei uns zu speisen,
Bevor die Vögel sich das Beste stahlen!

So lebt sie ihren Tag, Mitsingende
Im dünn gewordnen Chor der gelben Schwestern,
Noch als der Wind, der regenbringende,

Sich austobt an den leeren Vogelnestern
Im Baumgeäst - ein Raufbold der, ein grober
Kennt seinen Namen nicht, doch ihn, Oktober!














Georg Jung

»Aufzeichnungen«
Eine Auswahl
..............................................................................................................Seite 73
"Über Gedichte Georg Brittings"

Zur Entstehung des Gedichtes
„Septembersonett von der gelben Wespe"


 

„Heut wollt ich ein Gedicht machen, Septembersonett von einer gelben Wespe`. Eine schöne, gelbe Wespe setzte sich auf eine gelbe Birne, und sog. Ich fand keinen Anfang. Vielleicht morgen."
So Georg Britting in einem Brief vom 18. August 1950. Es waren die Wochen vor seinem ersten Besuch in Helmstedt, der für die zweite Septemberwoche geplant war. Vierzehn Tage später, keine Woche mehr vor dem Tag der Ankunft, kam einer jener großen gelben Briefumschläge, die als Inhalt ein Manuskript vermuten lassen, und dieser fühlte sich verheißungsvoll dick an. Ich saß im Garten, es war Septembers Anfang, ein echter Nachmittag des schönen Monats, worin sich Sommer und Herbst begegnen, mild war die Luft, das Licht schon etwas dünn, die Sonnenblumen, heuer wahrhaftig „goldene Riesinnen", blühten noch immer, und die Äpfel hingen schon rot vor der Bläue der Luft. Was konnte willkommener sein in einer Stunde, wo das Gemüt zu reiner Empfänglichkeit gestimmt war, als das neue Gedicht, das nun, dem Umschlag entnommen, auf dem Gartentisch in drei großen und zwei halben Blättern sich ausbreitete, von der ersten Niederschrift bis zur - vorläufig - endgültigen Gestalt! Das Gefühl, mit dem man solche Blätter betrachtet, auf denen ein Gedicht entsteht, Blätter, die einen teilnehmen lassen an der Arbeit des Dichters, ist dem verwandt, mit dem man die Handzeichnung einer Künstlers in Händen hält, die ja so oft die lebendigste Niederschrift einer künstlerischen Idee ist, unmittelbarer Ausdruck einer schöpferischen Stunde. Und nun das erste, erwartungsvolle Lesen eines noch unbekannten, vor wenigen Tagen erst entstandenen Gedichtes, wobei sich die leise Sorge einmischt, es möchte nicht halten, was die Erwartung sich verspricht, eines Gedichtes, das, wie sich gleich erweist, gesättigter Ausdruck des Monats ist, der einen im Garten mit der reifenden Fülle der Früchte in einer stillen, milden Luft umgibt:

Septembersonett von der gelben Wespe.

Das Stroh ist gelb. Das ist Septembers Farbe. 
Die dicke Birne ist so gelb wie er,

Und für die Wespe da, daß sie nicht darbe: 
Verspätete, man sieht sonst keine mehr!

Die goldne Sonne hängt am Himmel schwer, 
Gelb wie die Birne, die zersprungen klafft, 
Die Wespe trinkt bedächtig von dem Saft: 
Die fette Birne wird so schnell nicht leer

Und trocken sein, und nichts als dürre Haut! 
Vom Himmel oben, der gewaltig blaut, 
Strömt überreif Septemberlicht hernieder.

Die Wespe trinkt. 
Bei jedem Zuge rührt

Die Brust sich ihr, spannt sich das enge Mieder, 
Das ihre fräuleinshafte Hüfte schnürt 


Ein Gedicht ganz aus dem Gelb, der Sonnenfarbe, entwickelt. Alles ist gelb, zumal die saugende Wespe, die hier zum Mittelpunkt der Welt wird, einer Welt, die voller Reife und Ruhe ist, vom Licht wie von innen durchhellt und durchwärmt; alles ist auch Frucht, auch die Sonne: was von ihr niederströmt, das überreife Licht, es ist im Grunde nichts anderes als der süße Saft, den die Wespe aus der Birne saugt. In diesem tellurischen Gedicht fehlt auch (wie meistens bei Britting) der Himmel nicht: das Stroh des Stoppelfeldes, die Birne, die Wespe, die Sonne am blauen Himmel, das alles schließt sich in praller plastischer Fülle zur Einheit der frühherbstlichen, septemberlichen Welt zusammen, und weil die Wespe, das feingliedrige, „fräuleinshafte" Geschöpf, teil daran hat, in ihrer Kleinheit das Große widerspiegelnd, ist die adlige Form des Sonetts, ursprünglich nur Gefäß hoher menschlicher Gehalte, nicht zu gut, sie zu loben.
Eine solche Dichte der Anschaulichkeit mußte erarbeitet werden. Der erste Bogen vor allem zeigt es: auf ihm begegnen noch unanschauliche, begriffliche Wendungen: „Wer wollte nicht die Welt jetzt loben?" „Mir scheint sie ist betrunken", „Was wollte sie von diesem Herbste mehr?"
Aber auch Bilder erscheinen und werden wieder fallen gelassen: der Raum des Sonetts ist schmal, er zwingt zur Beschränkung und Auswahl:
....„Die Wespe kennt nicht Schnee und weißes Eis, 
....Die Welt ist gelb, denkt sie, und sommerheiß, 
....Voll gelben Weins, und das ist ihr genug."

Am schönsten aber ist es zu verfolgen, wie die letzte Strophe wird: in drei Würfen erst wird sie gewonnen. Der dichterische Kern der schönen Strophe, das Bild des Weibes mit dem der Hüfte eng anliegenden Mieder, ist schon im ersten da: hier aber ist es noch bäuerlich die Magd mit dem goldbesetzten Mieder, dann wird das Bild verfeinert, die Vorstellung des Fräuleinshaften erscheint, aus dem einfachen „schön sich rühren" wird das stärkere „sich lustvoll rühren", bis im dritten Anlauf die gültige Gestalt erreicht ist:
1. Die Wespe trinkt: das ihre Hüfte schnürt, 
....Wie einer Magd, das goldbesetzte Mieder, 
....Wie es bei jedem Zuge schön sich rührt!

2. Die Wespe trinkt . . .
....Das fräuleinshafte angepreßte (angeschmiegte) Mieder, 
....Wie es bei jedem Zug sich lustvoll rührt!

3. Die Wespe trinkt. Bei jedem Zuge rührt
....Die Brust sich ihr, spannt sich das enge Mieder, 
....Das ihre fräuleinshafte Hüfte schnürt.
Nun erst sitzt das Bild, der Satzbau ist vereinfacht und das emphatische „Wie" des Ausrufs durch schlichte Aussage ersetzt.
Schön ist es, ein Gedicht zu schreiben, aber auch schwer: Auf diesen mit zahlreichen Korrekturen, die Phantasie anregenden Reimfolgen, Einfällen bedeckten Blättern ist es zu sehen, wie schöpferischer, unwillkürlicher Einfall und künstlerische, bewußte Arbeit sich verbinden, ja wie beim Schreiben die gestaltende Kraft sich steigert und zu Versen gelangt, die nicht von Anfang an da waren.
Und kaum ist das Gedicht ins Reine geschrieben, läßt der Geist des Ungenügens keine Ruhe: was Reinschrift war, ist nun wieder Entwurf. Während der Dichter schon im Zuge sitzt, auf der Reise ins nördliche Deutschland, befördert die Post die endgültige Gestalt des Gedichtes und bringt sie ins Haus, willkommener Gegenstand des Gesprächs beim ersten gemeinsamen Mahl. © Georg Jung