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Georg Britting
Sämtliche Werke - Prosa -
Herausgegeben von Walter Schmitz
Band 1 - Frühe Werke - Seite 42
siehe auch hier
Anfänge bei den
„Regensburger Neuen Nachrichten“Der Kaufmann von Venedig
Lustspiel in fünf Aufzügen von W. Shakespeare
Ein geistreicher Kopf hat einmal gesagt: Wenn die Engländer alle ihre Kolonien verlieren würden, so hätten sie immer noch Shakespeare. Das ist ein Ausspruch, der mehr bedeutet, als ein verblüffendes Paradoxon, ist kein Aphorismus, der flüchtig kaum die Oberfläche der Dinge streift. Die Zusammenfassung der Faktoren, die dem Britenreiche und ‚eder Nation als Wesensbedingung zum Aufstieg und zur einheitlichen Größe gesetzt sind, wird in dem Satze gegeben. Eine hohe Kultur, die in Männern und Werken der Kunst und Wissenschaft ihren Ausdruck findet, muß ein Volk sich schaffen, denn durch rohe ursprüngliche Kraft allein ist eine Nation vielleicht im Stande, durch Kriegstaten sich vorwärts zu bringen, niemals aber genügt das, um ein Volk auf der einmal erreichten Höhe auch fest zu halten. Äußere kriegerische Macht und innere Kulturarbeit müssen verbunden werden. Englands Macht liegt in seinen Kolonien, seine Kultur besitzt in Shakespeare ihren leuchtendsten, genialsten Geist.
Shakespeare ist der Meister eines großen und edlen Realismus, der himmelweit über dem überwundenen Naturalismus unserer verflossenen Hypcrmodernen steht. Das universelle Genie des Dichters findet für alle Zeiten, alle Länder, alle Geschlechter, alle Altersstufen die richtige Ausdrucksweise. Er kann gütig und verzeihend lächeln wie ein verstehender Menschenfreund, er zürnt und droht wie ein ergrimmter Titane, nichts Menschliches ist ihm fremd. Und ein göttlicher Humor ist ihm eigen, der Humor, der unter Tränen lacht, den Wilhelm Busch so definierte: Humor ist, wenn man trotzdem lacht.
Im Kaufmann von Venedig ist dem Dichter eine Figur unter der Arbeit gewaltig überragend geworden, so mächtig hervortretend und sich in den Mittelpunkt schiebend, wie es der Schöpfer ursprünglich gar nicht gewollt hat. Der Jude Shylok wurde die Hauptperson des Dramas, dessen Ökonomie dadurch gesprengt wird. Die Gestalt dieses Juden, der das Schicksal seiner ganzen Rasse verkörpert, flößt Abscheu und Mitleid zugleich ein. Der Haß gegen seine Unterdrücker macht Shylok zu einem blutdürstigen, eklen Tier. Aber so erfreut man ist, daß Shylok, der mit Verbissenheit auf seinem Schein besteht, am Schluß doch geprellt wird - das Gefühl läßt sich nicht verdrängen, daß ihm doch eigentlich Unrecht geschieht.
Ernst von Possart spielte den Shylok, er ist der Shylok. Wer den gefeierten Künstler einmal in dieser seiner Glanzrolle gesehen hat, dem wird sie unauslöschlich ins Gedächtnis eingeprägt bleiben, für den wird die Gestalt des Juden Shylok immer die Züge Possarts tragen. Er stattete die Figur mit so viel charakteristischen Einzelzügen aus, bis auf das kleinste Detail arbeitet er die Gestalt plastisch heraus, jede Geste, jeder Ton ist so wohl abgemessen, daß ein Shylok vor uns ersteht, der in der Gerichtsszene zu erschütternder Tragik und echter Menschlichkeit empor wächst.
[...]
Das Haus war bis auf den letzten Platz besetzt, sogar im Orchester hatte man Sitze aufschlagen müssen. Der Beifall, der hauptsächlich dem illustren Gast galt, war rauschend und wohlverdient.[1912]