Zu den frühen Gedichten
Georg Britting   - Prosa -
Sämtliche Werke - Band 1   Seite 52
Anfänge bei den 
„Regensburger Neuen Nachrichten“
siehe auch hier

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Japanische Schauspieler
(Gastspiel der japanischen Tragödin Madame Hanako vom
kaiserlichen Hoftheater in Tokio)


Japanische Künstler waren am Mittwoch Abend bei uns zu Gaste, Menschen, die aus einer andern Welt stammen, Kinder eines Volkes, das uns fremd und rätselreich ist. Da ist eine starke und blühende Kultur, die sich unbeeinflußt von abendländischer Gesittung, entwickelt hat. Da ist Kunst, die von einer reizvollen Besonderheit ist, die Werke schafft, voll einer merkwürdigen Schönheit und von einem seltsamen Glanz. Eine eigenwillige Kraft offenbart sich in der japanischen Dichtkunst, eine Kraft die sich mit fließender Weichheit und zarter Süße paart. Die japanische Lyrik hat volksliedmäßige Gedichte aufzuweisen, die bei einer starken Tiefe der Empfindung von einer wunderbaren Einfachheit der Form sind und zu den unvergänglichen Werken der Weltliteratur gerechnet werden müssen. In der japanischen Malerei - die rein auf das Handwerkliche hin betrachtet manchmal schlicht und einfältig sich gibt ? stecken künstlerische Werte, die erheblich sind.
Japanische Schauspielkunst ist von einer sonderbar wirkungsvollen Eindringlichkeit und Leidenschaft, von fremdartigem Eigenwuchs. Sie beruht auf einer Darstellung, die einesteils natürlichste Lebensechtheit bezweckt, andererseits aber sich auf einer stark stilisierenden Linie bewegt. Es ist erstaunlich, wie diese Schauspieler ihren Körper in der Gewalt haben. Sie vereinigen mit einer großen Kunst der Darstellung Fähigkeiten rein körperlicher Art, die sie zum Auftreten in einem Zirkus berechtigten. Dabei ist ihr Spiel von einer verhaltenen Leidenschaft durchleuchtet, die sich jäh und gewaltig mit einem Male entlädt.
Madame Hanako, die berühmte Japanische Schauspielerin, die schon seit Jahren Gastspielreisen durch ganz Europa
macht, zwang uns, eine Kunst zu bewundern, die uns trotz ihrer Besonderheit und Seltsamkeit bis ins Innerste packte und aufwühlte.
Sie ist eine Schauspielerin, die eine unerhört verlebendigende Kraft der Darstellung besitzt. Höchste Lebenswahrheit ist bei ihr auf einen Ausdruck gebracht, der bezwingt. Dieses zierliche, kleine Persönchen ist eine große Künstlerin. Wie sie die Sterbeszene in dem Einakter »Der Selbstmord« spielt, ist erschütternd eindringlich. Als »Otake« ist sie von einer einfachen, rührenden Fröhlichkeit, von einer kindlichen, spielerischen Freude, die ans Herz greift.
Auch die übrigen Darsteller sind durchweg Künstler. Sie boten Leistungen, die als reife Darstellungskunst bewertet werden müssen.
Die Spieler sprachen den Text der drei Einakter japanisch. Das Verständnis litt darunter nicht, da die Stücke eine ganz einfache Fabel mit viel Handlung [auflweisen. Selbständigen Kunstwert besitzen die Sachen anscheinend nicht.
Das sehr gut besetzte Haus gab reichen Beifall.
Man ging um ein Erlebnis reicher nach Hause.
[1914]

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