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Georg Britting
Sämtliche
Werke - Prosa -
Herausgegeben von Wilhelm Haefs
Band 3-2
Seite 16
Kommentar
Seite 446
Aus: »Die Kleine Welt am
Strom« Neu
erschienen bei Rimbaud ! [Okt.2006]
Der unflätige Hirte
Er ging,
ich sah ihn oft, durch die Straßen, immer in hohen Röhrenstiefeln,
bei jedem Wetter trug er sie, sommers und winters, er ging, ich sah ihn
oft, mit etwas torkelndem Schritt, er setzte Fuß vor Fuß so
dicht, daß die Spitze des einen und die Ferse des andern Stiefels
sich streiften, dann wackelte er, aber er stürzte nicht, so ging er
stundenlang durch die Straßen der kleinen Stadt. Er hatte ein ledernes,
faltiges Gesicht, zwei kleine, graue Augen drin, er trug keinen Bart, war
immer schlecht rasiert, seine Kleider glänzten schmierig, vom vielen
Fett, das er dran hingeschmiert hatte. Er benutzte die Gabel nicht, wenn
er in einer kleinen Wirtschaft sich einen Leberkäs bestellt hatte
oder einen Preßsack. Er schnitt das Fleischerne mit seinem holzgriffigen
Metzgermesser, aß mit den Fingern und wischte sich die Finger ab
am Rockärmel. Viehtreiber war er von Beruf, Aushilfsviehtreiber, hatte
nur an großen Markttagen zu tun.
Aber seinen Viehtreiberstecken
schwang er stets, wenn er die Stadt unermüdlich durchlief. So kam
er des Wegs, der Einfältige, schwankend, aber nie stürzend, setzte
den Stock, wirbelte den Stock, ging durch die abendlichen Gassen, und dann
tönte sein Schrei, daß zusammenfuhr, wer ihn hörte, den
Ton, rauh und gurgelnd, tierisch, röhrend, trompetend, sein gewaltiges:
Hoi!
Der Einfältige mit
den blinzelnden Schweinsaugen schaute nicht links und nicht rechts, er
merkte es nicht, daß sein Ruf die Spaziergänger schreckte, der
Hirte, er ging, und die Kuh, die er trieb, die man nicht sah, für
ihn war sie da. Die Häuser waren nicht da, die ewige Landstraße
nur, und der ewige Himmel, er ging durch den Regen, torkelnd, durchnäßt,
er dehnte sich wohlig im Regen, ließ den Regen sein Gesicht waschen,
das er sonst nie wusch, trieb die Kuh vor sich her, der ewige Hirt, straßenauf,
straßenab, und ließ schallen sein mächtiges: Hoi!
Die in den Schenken kannten
ihn, die Metzgerburschen und die Viehhändler, und neben ihnen saß
er auf den Bänken und trank das Bier, das sie ihm zahlten, und aß
den Preßsack, den sie ihm bringen ließen, und sprach nichts
und merkte nicht, daß sie ihre Späße mit ihm trieben,
und trank aus und wischte sich die Finger an den Rockärmeln, und ging
in den Abend wieder hinaus und sah den Kuhschwanz vor sich und schrie sein:
Hoi!
Er nächtigte in den
kleinen Ställen der Vorstadt, schlief tief und fest und selig im raschelnden
Stroh, die Röhrenstiefel an den Füßen, den Stock in der
Hand, wandernd und rufend noch im Traum.
Die Militärmusik
spielte am Sonntag, am Domplatz, geputzt die Städter gingen auf und
ab, in wehenden, weißen und gelben Kleidern die Mädchen, und
er kam einher, torkelnd, stoppelbärtig, und sein Hoi! schallte über
den Platz, daß die Mädchen zur Seite sprangen vor dem Hirten,
und dann lachten und ihm lachend und zwitschernd nachsahen, und ein Grauen
doch über ihre helle Haut lief, vor dem Anblick des stinkenden Hirten,
der von den Wäldern und Wiesen gekommen war in die Stadt.
Er hieß »
der Hoi« in der Stadt, und die Kinder liefen ihm nach, die unguten
und vorwitzigen und bösen, und liefen ihm nach und torkelten wie er,
und manche fielen, wenn sie seinen Gang nachahmten, er aber fiel nie, und:
hoi! hoi! ahmten sie ihn nach, mit hellen Kinderstimmen. Er sah sie gar
nicht, er trieb seine Kuh vor sich her und schwang seinen Stock, und wenn
sein Hoi! aufschallte, warum zuckten die Kinder doch zusammen, und erblaßten
und schwiegen beklommen, kurz, ehe sie mit hohen Stimmen ihm nachschrien
das Spottwort?
Und wenn den Metzgerburschen
das Geld locker saß, dann bestellten sie dem Hirten nach dem Preßsack
noch einen Leberkäs und nach dem Leberkäs noch ein paar geräucherte
Würste und dann noch einen Emmentaler und zahlten ihm eine Maß
Bier und noch eine Maß Bier, und der Hirte aß und trank, kaute
langsam und mit Genuß, mit seinen wenigen gelben Zähnen hinter
den gelben Lippen und trank langsam und mit Genuß, und saß
mager und ausgedörrt auf der hölzernen Bank vor dem hölzernen
Tisch in der Schenke und schlug sich den Bauch voll, und der schwoll sichtlich
an, daß er die Hosen lockern mußte, schwoll an, der Bauch am
magern Leib. Und dann sagten die Metzgerburschen: »Hoi, du kriegst
noch eine Maß und noch einen Preßsack, wenn du ihn dir aufbügeln
läßt! «
Dann stand der Hirte auf,
ohne zu schwanken, wischte sich die Finger ab am fettigen Rockärmel,
blinzelte mit seinen Schweinsaugen, - wer weiß, wohin er damit sehen
konnte, er sah doch ständig eine Kuh vor sich, aber er sah auch anderes
-, und ging, die Metzgerburschen hinter ihm drein. Und er ging in seinen
Röhrenstiefeln zu einem der vielen kleinen Bügelgeschäfte,
drin weißgekleidete Frauen unermüdlich das heiße Eisen
schwingen, riß die Türe auf, und drehte sich um, zeigte den
bügelnden Frauen seinen Rücken, bückte sich schamlos, sah
mit kleinen, blinzelnden Augen auf die Metzgerburschen, tat das Unflätige,
das unanständig Schallende, langgezogen und tiefdonnernd, Bier und
Preßsack hatte er ja im Bauch, und drehte sich wieder und sagte den
Frauen im Laden: »Waschen und aufbügeln, morgen hol ich ihn
wieder ab.« Er hörte wohl nicht die entsetzten Schreie der Frauen,
hörte wohl nicht, wie sie riefen: Hinaus, du Sau! und sich die Nase
zuhielten, beachtete nicht das Gröhlen der Metzgerburschen, ging schwankend
seinen Weg zurück zur hölzernen Bank vor dem hölzernen Wirtshaustisch,
die Maß Bier und den Preßsack erwartend für seine Tat,
der unflätige, einfältige Hirte Hoi.