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Georg Britting
Sämtliche
Werke - Prosa -
Herausgegeben von Wilhelm Haefs
Band 3-2
Seite 24
Kommentar
Seite 447
Aus: »Die Kleine Welt am
Strom« Neu
erschienen bei Rimbaud ! [Okt.2006]
Hochwasser
In der Weihnachtswoche
war überraschend Tauwetter eingefallen. Das grüne Wasser der
Donau stieg, färbte sich lehmgelb, fast kaffeebraun dann, wallte in
schwärzlichen Strudeln, stieg und stieg. Baumstämme trieben stromabwärts
und Kähne, die sich von den Ketten gerissen hatten, in Wirbeln sich
drehend. Verwüstetes, zerrauftes Strauchwerk kam geschwommen, in den
Wurzelhaaren hingen verklebt noch Klumpen von Erde und weiß glänzende
Kieselsteine, und auf einer Treibinsel von Binsenröhricht und verquollenem
Schilfzeug hockte frierend, verwundert, wie er auf die sausende Wasserfahrt
geraten war, ein großer Hase. Mit platschenden Händen schlug
der Strom über die Ufer und warf Schlamm und Nässe in die Keller,
und bald plätscherten durch die Gassen der kleinen Stadt Boote.
Ein Stück vor den
Toren lagen nebeneinander zwei niedrige Häuser an der Donau. Jakob
erwachte um die Morgendämmerung, fröstelnd im feuchten Leinenzeug,
und als er sich im Bett aufsetzte in seinem Zimmer zur ebenen Erde, sah
er Wasser am Fußboden sich spiegeln. Er sprang aus dem Bett, das
Wasser umspülte ihm die Knöchel, trat vor das Lager seiner Frau,
schüttelte sie wach und befahl der Erschrockenen, gleich zu ihren
Eltern in die Stadt zu gehen. Er selbst wolle noch einige wichtige Papiere,
Geld, Schmuck und dergleichen zu sich stecken, einen Teil der Möbel
auf den Dachboden schaffen und ihr dann folgen, nicht bevor er Heinrich,
den Nachbarn, auch von dem nassen Besuch verständigt haben werde.
Die Frau ging, die Röcke geschürzt, vorsichtig watend, und Jakob
sah ihr nach, bis sie im wehenden Nebel verschwunden war. Dann ging er
durch den überschwemmten Garten, bis zum Knie reichte ihm jetzt schon
das Wasser, zu seinem Boot, das an einem Pfosten hing, der nur mehr mit
rundem Kopf aus der Flut ragte. Er setzte sich auf die Ruderbank, zündete
sich eine Pfeife an und beobachtete gleichmütig das stetige Anschwellen
des Flusses. In Heinrichs Haus regte sich nichts, ein stilles Rauschen
nur tönte, weit und breit war nur Nebel und Wasserfläche, und
wie Inseln dunkelten die beiden Häuser.
Als der Fluß bis
zu den Fenstern des ersten Stocks von Heinrichs Haus gestiegen war, trieb
Jakob sein Boot mit ein paar Ruderschlägen an die Wand heran und polterte
gegen die Läden. Heinrich, der Langschläfer, immer schläft
er so lang, der Weiberheld, fluchte Jakob, Heinrich, der Faule, Heinrich,
der Schöne, sah aufgescheucht aus dem Fenster, sah Wasser, Wasser,
gelb und schäumend, und sah Jakobs rettendes Boot und erschrak nicht
allzusehr, Uferbewohner müssen auf dergleichen immer gefaßt
sein, und gegen Schaden war er ja schließlich versichert, winkte
und verschwand, zog sich rasch an und erschien wieder am Fenster und schrie
Jakob zu: »Heran!« und schwang schon ein Bein über die
Brüstung, einzusteigen bereit. Aber Jakob traf keine Anstalten, ihn
aufzunehmen, sondern befestigte den Kahn an einem in der Nähe stehenden
Baum, der mit dürren Ästen zum Himmel griff: Dann begann er mit
verschränkten Armen auf Heinrich einzureden, er solle gestehen, daß
er ihn mit Else, seiner Frau, betrogen habe. »Was?« schrie
Heinrich, »was soll ich getan haben?« lachte Heinrich und funkelte
mit seinen kleinen schwarzen Augen. Kein wahres Wort sei an dieser Beschuldigung,
wie könne er nur, Jakob, solch leerem Gerede Glauben schenken? Ein
Muster aller Tugenden sei sie, Else, seine Frau, die ihn mit keiner Silbe
und keinem Blick je verraten habe, und, drängte er, »jetzt heran
mit dem Boot und laß mich einsteigen, du eifersüchtiger Narr!«
und »Hahaha!« lachte schallend und herzlich Heinrich, jetzt
in der Falle.
Jakob lächelte nur,
das eifrige Wasser stieg, schon sprangs durch die Fenster des ersten Stocks,
daß Heinrich eine Stiege höher sich begeben mußte, wollte
er sein Zwiegespräch mit Jakob fortsetzen, und das wollte er, wahrhaftig.
Jakob schlang gerade die Bootskette jetzt um den Wipfel des Baums, der
sich naßseufzend bog, als Heinrich im Fenster schon wieder lehnte
und seine Beteuerungen wieder aufnahm, wie ganz und gar unverständlich
es ihm sei, daß so ein teufelsgelber Verdacht gegen ihn habe entstehen
können, gegen ihn, der nie auch nur einen unrechten Griff getan habe
nach Frau Else. Er sprach fort, mit funkelnden Augen, und fuhr sich mit
der Hand immer wieder aufgeregt durch das Haar, bis Jakob ihm mit schrecklicher
Stimme zurief, er sei ja immer ein Lügner gewesen, aber er möge
doch wenigstens jetzt, im Angesicht des Todes, die Wahrheit sagen! Er,
der Ehemann, werde hier im Boot warten, bis er ersoffen sei, wie er es
nicht besser verdiene, und wenn er vielleicht glaube, der Ehebrecher, er
könne es mit dem Davonschwimmen versuchen, nun, er habe hier ein kräftiges
Ruder, er hob es und zeigte es, und mit dem werde er ihm dann eins über
den Kopf geben, den er beim Schwimmen doch wohl über Wasser werde
halten müssen.
Der Nebel war noch dichter
geworden, wogte schwadig, die Stadt, die nahe war mit vielen Häusern
und Türmen, war nicht zu sehen, und der gelbe Strom wälzte sich
brummend und Unverständliches sprechend. Wenn das Wasser mit der gleichen
Schnelligkeit weiterstieg, mußte es auch bald den zweiten Stock des
Hauses erreicht haben, und einen dritten hatte es nicht, da kam schon das
Dach. Heinrich, der Schöne, der Bedrängte nun, redete immer weiter,
und es sei ja wahr, sagte er, daß er Else mit freundlichen Augen
angesehen habe, und einmal, sagte er, habe er ihr verstohlen, und wie bedaure
er das jetzt, einmal habe er ihr sogar einen Kuß gegeben, das wolle
er nicht leugnen, keineswegs. Aber, versuchte er zu scherzen, das sei doch
kein so großes Verbrechen, und eine schwache Stunde habe eben jeder
einmal, und das dürfe Jakob doch nicht so gewaltig krumm nehmen, und
er solle ihn doch jetzt ins
Boot nehmen, um Gottes willen
oder in Dreiteufelsnamen, und ihn in die Stadt rudern, gleich und sofort!
Jakob verharrte nur in
seinem schrecklichen Lächeln. »Verflucht! verflucht!«
schrie Heinrich und schlug mit der Faust aufs Fensterbrett und spuckte
in das Wasser, und also, wenn er es schon wissen müsse, nun gut, ja,
einmal, aber nur ein einzigesmal, ein allereinzigesmal habe er ihn mit
Else betrogen. Die Weiber, das sei ihm doch auch bekannt, die seien nun
schon einmal lüstern nach fremdem Männerfleisch, und Weiber seien
wie Kinder, sagte er, die von allem haben müßten, das sei nun
einmal schon so, das dürfe man so ernst nicht nehmen, aber natürlich,
gab er zu, er, Heinrich, der doch immer schon Jakobs Freund gewesen sei,
sein guter Freund, er hätte freilich besonnener und standhafter sein
sollen, und er schäme sich, das jetzt sagen zu müssen.
Jakob hatte die Beichte
mit Ruhe aufgenommen, das Lächeln verschwand nicht aus seinem Gesicht
und er spielte mit den Rudern und schaukelte im Boot und sagte nichts,
und sagte gar nichts, und das bewog Heinrich, fortzufahren in seinem Geständnis
und es gerade heraus zu sagen, daß es öfter als einmal gewesen
sei, die Versuchung halt, sagte er, wie das schon sei, aber so oft, wie
Jakob sich das denke, so oft seis wahrhaftig nicht gewesen.
Jakob war aufgestanden
im schwankenden Boot, wie der Richter aufsteht, wenn er den Urteilsspruch
fällt, und im kalten Richterton sagte er dem Heinrich, daß er
jetzt sterben müsse, und er solle jede Hoffnung aufgeben, und bald
sei das Wasser so weit, und er wolle bleiben und zusehen. Und er setzte
sich wieder, beachtete den Verurteilten nicht mehr, sah, irgendwo hin in
die Weite, sah zu, wie die Wellen sich gegen die Bootspitze warfen, wie
die Spitze sich hob und senkte, wieder und wieder, und hörte gar nicht
mehr auf den Tobenden am Fenster, als habe er ihn längst vergessen.
Bis der plötzlich
verstummte, und die Stille Jakob zwang, zu dem Mann am Fenster aufzusehen,
und da waren die beiden stummen Männer lang Auge in Auge, und Heinrich
las wohl im Blick seines Richters, daß das Urteil nicht anzufechten
sei, und trat vom Fenster zurück, ins Haus zurück, verschwand
im Haus.
Es verging wohl eine Viertelstunde,
und es war Jakob, als ob das schweigende Haus unter dem Ansturm des Wassers
erbebe. Da erschien Heinrich wieder am Fenster. Ert rug die Uniform des
Infanterieregiments, in dem er gedient, in dem er den Krieg mitgemacht
hatte, nicht den grauen Feldrock, die helle, blaue bayerische Friedensinfanterieuniform
trug er, hatte den Helm mit der gelb blinkenden Spitze auf dem Kopf, und
auf der Brust schaukelten seine Kriegsauszeichnungen: das bayerische Militärverdienstkreuz
und das preußische eiserne Kreuz. Die schwankten, klirrten leise,
hingen dann stumm. Den Säbel, er war Vizefeldwebel gewesen, hatte
er umgeschnallt, und er legte die beiden Hände auf den Degenknauf
und ohne ein Wort zu sprechen und ohne Jakob auch nur eines Blickes zu
würdigen, stand er wie ein Standbild im Fensterrahmen und seine Miene
drückte aus, er wolle den unvermeidlichen Tod als Soldat und brav
und ohne Furcht und Zittern erwarten.
Jakob sah ihn bestürzt
an. Der kriegerische Mann am Fenster rührte sich nicht. Gewaltig floß
die Donau. Ein leichter Wind hatte sich erhoben, blies in den Nebel, daß
sich lange schleierige Gassen auftaten, durch die ein milchiges Licht rann.
Da löste Jakob wie unter einem Zwang, und er wußte nicht, sollte
er weinend fluchen, sollte er bewundernd lachen, und die Brust schmerzte
ihn, bedrängt von Scham und Wut, da löste Jakob mit zitternden
Händen die Kette vom Baum und trieb das Boot zum Fenster.
Der blaue Soldat riß
sich stramm zusammen, legte die Hand an den Helm, stand kurz so, dankend,
stieg ein dann und setzte sich auf die Bank am Bootsende, wie ein Ehrengast,
wie ein vornehmer Herr, und ein wenig Sonne, die gekommen war jetzt, blitzte
auf den Goldtressen und dem kriegerischen Helmmetall, und Jakob ruderte
eilig und still über die gelbschäumende Wasserfläche zur
Stadt, die mit vielen Häusern und Türmen und dem großen
Dom im plötzlich erwachten Lichtblau sich aufbaute.