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Georg Britting
Sämtliche
Werke - Prosa -
Herausgegeben von Wilhelm Haefs
Band 3-2
Seite 405
Kommentar Seite
510
Aus: »Verstreute Prosa«
Der Rabe von Elbigenalp
Raben sind
Märchentiere, wie Drache und Einhorn, und seit früher Jugend
aus Bilderbüchern dem Stadtkind vertrauter als Pferd und Ochse. Wie
war ich aber enttäuscht, als ich bei einem Ausflug vor die Tore der
kleinen Stadt zum erstenmal schwarze Vögel krächzend von den
Wiesen aufsteigen sah und man mir sagte, das seien Raben. Es waren aber
keine Raben, wie ich später befriedigt erfuhr, es waren Krähen,
und die mächtigen echten alten Kolkraben, die Galgenvögel des
Mittelalters, gebe es in Deutschland nur noch in den großen östlichen
Ebenen.
Aber das Auge gewöhnte
sich an die kleineren Vettern, doch ein Rest von Geheimnis blieb und umwittert
sie immer noch für mich.
Vor einigen Jahren verbrachte
ich zwei glühende Sommermonate in dem Tiroler Dorf Elbigenalp, und
dort war es, zur Zeit des zweiten Grasschnitts, daß ich das seltsame
Abenteuer mit dem schwarzen Vogel hatte. Das breite Tal, in dem das Dorf
liegt, war mit den auf Stöcken befestigten Grasbündeln bedeckt,
die in der Sonne trocknen sollten.
Ein knallblauer Himmel wölbte
sich, die Berge standen mächtig, und es war wunderbar, quer über
die Wiesen gehen zu dürfen, ohne sich an die Wege halten zu müssen.
Es war ein Gefühl, ähnlich dem, das man hat, wenn man über
einen zugefrorenen See geht und die ganze Sonderbarkeit spürt, über
eine Fläche zu schreiten, die sonst dem Schritt verwehrt ist, nur
dem Schwimmer oder Ruderer zugänglich!
Vor dem Mittagessen, das in
einer halben Stunde fällig war, es hatte eben zwölfmal vom Kirchturm
geschlagen, ging ich, gerade von einer Arbeit aufgestanden und mit dem
Gedanken noch bei ihr, in die Wiesen hinein, barhäuptig. Die Sonne
kochte die Grasbündel, daß sie rauchten, der Geruch des Heus
schwamm über dem Tal, wie in einer leisen Trunkenheit ging ich zwischen
den Bündeln dahin. Vom Lech drüben sah ich eine Krähe herstreichen
und sich niederlassen. Ich ging auf sie zu und berechnete, wann sie auffliegen
würde, wie das scheue Tier das immer tut, wenn man sich ihm bis zu
einer gewissen Entfernung nähert. Aber die Krähe blieb, und belustigt
ging ich noch näher an sie heran, und als sie immer noch nicht aufflog,
erwachte eine Art von Jagdlust in mir. Ich hielt gebückt weiter auf
sie zu, nahm Deckung hinter den Heubündeln, legte mich auf den Bauch,
sie wie ein Indianer aus Knabenzeiten zu beschleichen. So kam ich bis auf
vielleicht fünf Schritte an sie heran, den Kopf an den Boden gedrückt,
daß das kurze Gras mich kratzte. Ich lugte hinter einem Bündel
hervor; da saß sie, geneigt den Kopf, sah höhnisch zu mir her,
und jetzt, immer wenn ich noch näher heran wollte, flog sie kurz auf,
ein paar Flügelschläge nur, und ließ sich wieder nieder,
und ich kroch ihr wieder nach. Immer tiefer in die Wiese hinein kamen wir
so, wie ein schwarzes Irrlicht flatterte die Krähe vor mir, der heiße
Boden brannte, das Heu stach und biß. Ich hatte das Mittagessen vergessen
und das Dorf mit dem Kirchturm und die ganze übrige Welt dazu, nur
immer dichter heran an die Krähe trachtete ich. Die Krähe war
schon längst keine gewöhnliche Krähe mehr, sie war zum riesigen
Raben geworden, zum Zauberraben der Märchenbücher, blau schillerten
seine Federn, die klugen Augen sahen mich spöttisch an. Ein Marder,
dachte ich mir, ein Fuchs bist du, und im Sprung wirst du den bösen
Raben fangen! Jetzt eben war mir das Tier aus den Augen gekommen. Ein Heubündel
hatte sich zwischen uns geschoben, neben dem saß es, hatte ich von
meiner letzten Stellung aus gesehen. Wenn ich unbemerkt an das Bündel
herankam, mußte es nur mehr auf Armlänge von mir weg sein, und
mit einem Sprung mußte ich es dann haschen und meine Finger in das
schwarze Federzeug wühlen können, und füchsisch war mir
zumute, beutegierig, daß ich zitterte. Ich hatte das Bündel
jetzt erreicht, noch einen Ruck, noch einen, leise, ich stützte mich
sprungbereit auf die Knie und die linke Hand, hielt die rechte griffbereit
? tat den Sprung und landete, und der Rabe war nicht da. Er konnte nicht
fortgeflogen sein. Wie hätte mir das entgehen können! Ich sah
mich wild um und sprang auf, aber der Vogel war nirgends zu sehen, wie
von der blauen Luft aufgesaugt. Taumelnd stand ich in der heißen
Sonne, spähte, lief zwischen den Bündeln hin und her, klatschte
in die Hände, stocherte wütend, als habe er sich da verkriechen
können, in den Bündeln umher. Das zauberische Tier war und blieb
verschwunden.
Die Turmuhr schlug eben halb
eins, eine halbe Stunde war ich auf der Rabenjagd gewesen, und beschämt
und merkwürdig erregt, nahm ich den Weg zum Wirtshaus: hoffentlich
hatte mich niemand vom Dorf aus beobachtet.
Zwischen Suppe und Fleisch fiel
mir ein, daß es nur eine Möglichkeit gab, daß das Tier
meinem Bilck hatte entkommen können: es mußte ganz gegen gewöhnlicher
Vögel Art, zu fliegen verschmähend, weggegangen sein, mit dem
wippenden Gang der Raben, mußte eilig und spöttisch und vor
sich hingrinsend zwischen den Heubündeln dahin gegangen sein, schwanzwackelnd,
berstend vor Vergnügen über den Tölpel, der ihm nachstellte.
Die Vorstellung war so komisch,
daß ich der dicken, alten Kellnerin, die mir das Fleisch brachte,
ins Gesicht lachte, und sie lachte gutmütig mit, während mir
gleichzeitig ein kleiner kalter Schauer über den Rücken kroch.