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Georg Britting
Sämtliche
Werke - Prosa -
Herausgegeben von Wilhelm Haefs
Band 3-2
Seite 408
Kommentar
Seite 511
Aus: »Verstreute Prosa«
Schnee überm Oktoberfest
Vom Oktober
trägt das altberühmte Münchner Volksfest den Namen, das
aber in seiner größern Dauer schon im September gefeiert wird,
und man hat es so eilig mit ihm, um dem Schnee zu entkommen, der in Oberbayern
oft schon sehr früh sich zeigt. Und manchmal ist der Schnee noch schneller
als das Fest, das vor ihm auf der Flucht ist, und fällt in die noch
voll belaubten Bäume und überfällt weiß strudelnd
die bunten Zeltbauten. So konnte, wer der Tollheit der Zeit nicht nachstehen
wollte, und wem es nichts verschlug, selber ein wenig nach einem Narren
auszusehen, so konnte der im vorigen Jahr zum Beispiel, während der
Kalender dumm und unbestechlich den grünen Herbst anzeigte, mitten
im weißen Winter auf die Freudenwiese gehen. Der Schnee zwar, großflockig
und wässrig grau, zerging, sobald er den Boden erreichte, aber auf
den Zeltbahnen, die schräg zum Regenschild herabgerollt die Buden
schützten, blieb er doch ein wenig liegen und zerschmolz auch da nicht
sofort, wo Schokoladenherzen, in brandrotes Papier gehüllt, oder Herzen
aus Lebkuchenteig, mit heißen Liebesschwüren bemalt, an feuerfarbenen
Bändern dicht unterm Regendach baumelten.
Kaum ein Mensch war zu
sehen in den breiten Straßen, die sich zwischen den prunkenden Bierhallen
hinziehen, wo die blau- und weißgestreiften Fahnenstangen sonst ihre
mächtigen Tücher schwenken, in den auch lustig blau- und weißgestreiften
bayrischen Schönwetterhimmel hinein, strahlend, wie er nur sein kann
an gnädigen Tagen, in der Trübe jetzt hingen sie naß und
zerknüllt herab. Und leer auch waren die bescheidnern Gassen, die
von den großen Straßen abzweigen, wo die kleinen Schaubuden
stehen, die frech und betrügerisch prahlende Fassaden zeigen, und
dahinter ist meist nur eine winzige Holzhütte oder auch nur ein notdürftig
vor Wind und Regen schützendes Zelt. Das erinnert ein wenig an jene
Art von Häusern, die man bei uns im Süden antrifft, in Wasserburg
und Burghausen und Tittmoning, deren Fronten ein letztes, gar nicht mehr
vorhandenes Stockwerk hochstaplerisch und zierlich vortäuschen.
Ein grellrot und grün
bemaltes großes Zelt beherbergte, wie die Anschlagzettel verrieten,
Männer aus dem indischen Archipel, die sich Speere werfend und Pfeile
schnellend und auch sonst kriegerische Künste treibend dem Zuschauer
zu zeigen wünschten. In der frühen Nachmittagsstunde dieses Septembertages
aber, der Schneewirbel war gerade ein wenig dünner geworden, es sah
aber so aus, als würde er jeden Augenblick wieder seine alte Stärke
gewinnen, fuhren sie, die sich sonst nur gegen ein Entgelt von fünfzig
Pfennig sehen ließen, auf der andern Seite der Budengasse auf den
großäugig starrblickenden Pferden und langhalsigen, schneeweißgestrichenen
Schwänen eines altmodischen Karussells unentwegt im Kreis herum. Sie
trugen unter den bunten Burnussen dicke graue und grüne Wollstrümpfe
und Knickerbocker aus verwegen gewürfelten Stoffen und machten ein
kindlich glückliches Gesicht. Einer, groß und mager, pockennarbig,
langnasig, einen mächtigen schmutzigweißen Turban um den Kopf,
hatte eine kleine, weißblonde, rundliche Frau, vielleicht die Besitzerin
des Karussells, vor sich auf den spiegelig glänzenden Rappen mit der
schön verschnörkelten Mähne genommen. Der Inder ritt jauchzend
das kleine, dickbauchige Tier, das, mit den schlagenden Vorderhufen in
der Luft, in immer gleichem Abstand hinter den Gefährten einherjagte,
in seiner gedrechselten Erstarrtheit zauberisch lebendig und auch die blonde
Frau, der es anscheinend gar nicht unheimlich vorkam, den Sattel mit einem
bronzehäutigen Muselmann zu teilen, beugte sich kichernd weit vor
über den Kopf des Pferdes, als fege sie über die Wüsten
auf einem feurigen Hengst. Der Leierkasten des Karussells schnarrte und
grölte, und zitterte leicht unter der Wucht des eignen Atems und war
der einzige weitum, der tönte. Die farbigen Ausreißer lächelten
im Vorüberreiten zu ihrer Schaubude hinüber und nickten spöttisch
ihrem Ausrufer zu.
Dem Ausrufer fiel der
kalte Flaum in den großen Mund, den er tapfer immer wieder öffnete,
um die kleine Zuhörerschar, die sich vor ihm zusammengefunden hatte,
zum Eintreten zu verführen. Es waren einige halbwüchsige Burschen
und Mädchen, auch ein paar im Wind fröstelnde Erwachsene darunter,
und eine bäuerisch gekleidete junge Frau mit einem vielleicht sechsjährigen
Knaben an der Hand, die zu spät bemerkte, daß der große
Mann da droben, der drollige Schneeschnapper, vor allem zu ihr sprach,
gerade sie ins Auge gefaßt hatte, gerade ihr mit lauter, weithinschallender
Stimme (und dabei stand sie ihm doch ziemlich nah, am weitesten vorn im
Trupp) die wilden Künste der Archipelmänner anpries. Die Frau
errötete und fand es anscheinend unbehaglich, so unerwartet sich ausgezeichnet
zu sehen, und blickte sich verlegen nach einer Lücke im Zuhörerkreis
um, durch die vielleicht ein unauffälliges Entwischen möglich
war. Da verdrossen der Frau allzu unschlüssiges Gesicht und die schadenfrohen
Mienen der reitenden Inder den schreienden Mann, daß er mit einer
schmerzlichen, verzichtenden Handbewegung seine Rede abbrach, sich mit
übellaunigem Gesicht von der kleinen enttäuschten Zuhörermenge
abwandte und schnell in der Bude verschwand.
Zugleich zogen drüben
die braunen Männer den Leierkasten wieder auf und begannen eine neue
Fahrt, bei der die kleine Frau von einem schönen, weißen Schwan
sich tragen ließ, verführerisch dazu lächelnd.
Der kleine Trupp der Wiesenbesucher
setzte sich wieder in Bewegung, er fiel nicht auseinander, es ging nicht
jeder und jede seiner Wege. Die Leute, die doch gar nicht zusammengehörten,
sie hielten sich dicht aneinander, als trügen sie Furcht, allein das
Abenteuer des verschneiten Festes zu wagen, und auch die bäuerische
Frau blieb ernsthaften Gesichts bei den Genossen der Stunde, an der Hand
das folgsame Kind.
An der Rückwand seines
kleinen Verkaufsstandes lehnte ein schwarzlockiger Mann, der Kokosnußschnitten,
das Stück zu zehn Pfennig, feilbot. Er stand dicht neben einem zarten
jungen Wesen in roter Bluse, das er wohl listiger Weise für die vierzehn
Wiesentage als Verkäuferin verpflichtet hatte, weil er nicht mit Unrecht
der Meinung war, daß so ein hübsches Ding kein »Nein«
hören mußte, wenn es mit sanfter zwitschender Vogelstimme zum
Kauf einlud. Er hatte feurige gutmütig dumme Kugelaugen, der Kokosnußmann,
Augen, wie sie zu seinem gelockten Schwarzhaar paßten, und es schien
nicht, daß er ärgerlich war, weil die Männer in der Stadt
geblieben waren, an denen das Mädchen seine verführerischen Künste
hätte erweisen sollen. Er machte keineswegs ein verdrießliches
Gesicht, wie er so dicht neben der Feingliedrigen stand. Sicher war es
wärmer, wenn man so nah beisammen war, und die Wärme tat ja wohl
gut bei diesem Wetter, und die Bretterwand erlaubte es dem Schneewind nicht,
kühl in des Mädchens Nacken zu blasen, und wenn er sich drehte,
der Wind, daß das Tuch des roten Regendachs knatterte und die an
Schnüren hängenden Kokosnüsse mit dumpfem Ton aneinanderstießen,
dann war es der Mann, der sich breitschultrig und feueräugig vor das
Mädchen stellte, es vor dem Sturm zu schützen, zärtlich
auf die Zitternde hinabsah und dachte: »Ja, die hätte den Männern
gefallen!« Aber dann vergaß er ganz und gar des Geschäfts,
sah nur mehr, wie hübsch sie war, wie ihre Haare braun glänzten
wie die Schalen und ihr Gesicht milchig weiß schimmerte wie das Fleisch
seiner Nüsse.
Als es dann etwas später
am Nachmittag für kurze Zeit ganz aufhörte zu schneien - es war
die Wolkendecke geborsten, schnell und unerwartet, wie sie es sonst nur
im April tut - und alle Straßen und Gassen der Budenstadt blaugetüpfelt
waren, weil die Bläue der himmlischen Wolkenbucht sich im Wasser eines
jeden Fußstapfentümpels spiegelte, bekam der schweifende Trupp,
der immer noch zusammenhielt, Verstärkung. Er schwoll an, mit wunderlicher
Kraft zog er Einzelgänger an, und schob sich langsam und mit Bedacht
und in einer gewissen Ordnung, die keine Sehenswürdigkeit ungesehen
lassen wollte, über den Festplatz. Das schwarze Kopftuch der Bäuerin
flimmerte in der Sonne, und an ihrer Hand das Kind, dem sie eine kleine
Trompete erstanden hatte, blies immer die paar gleichen grellen Krächztöne
darauf, und sah dann ernsthaft der Trompete in den runden Mund, als wundere
es sich, daß daher der Klang käme.
Vorn an die Rampe getreten
war ein kleiner Mann im Frack, einen Zylinder auf den Kopf, mit einem gelben
Gesicht, wie es Leberkranke haben, aufgedunsen und faltig, greisenhaft
und jugendlich geheimnisvoll zugleich, und nun hob der Zwerg mit der gelben
Kinderhand den hohen Hut und winkte, näherzutreten und tat das, indem
er hochmütig über die paar einzeln vorbeistreifenden Zuschauer
hinwegsah. Mit einem plötzlichen entschlossenen Ruck dann setzte der
Kindmann den Hut wieder fest auf den Kopf und begann, die Hände auf
dem Rücken, die ganze Länge der Rampe feierlich und verdrießlich
im Hin und Her und Her und Hin abzuschreiten. Eine Frau, eine gewöhnliche
Menschenfrau, keine Zwergin, die dick vermummt an der Kasse saß,
lud mit kurzem Rufen ein, sich die berühmten Liliputaner zu besehen,
aber es klang wenig zuversichtlich, so, als glaube sie selber nicht recht
daran, daß irgend jemand ihrer Lockung werde Folge leisten.
Es war nun gerade der
Trupp der Beharrlichen vor der Zwergenbude angekommen. Der Däumling
im Frack hielt
plötzlich inne im ruhelosen
Wandern, sah scheelen Blicks zum Himmel auf, der sich schon wieder verdüstert
hatte und grämlich zurücksah. Da schrie die Frau an der Kasse
wild: »Hereinspaziert! Hereinspaziert! « und klatschte in die
Hände und schrie: »Prinzessin Esmeralda! «; und aus dem
Vorhang trat'eine winzige Frau in einem tief ausgeschnittenen Ballkleid
aus rotem Samt, die platinweiß gefärbten Haare gewellt und emporgetürmt
und auf der Haarwoge wackelnd eine goldene Krone. Der Zwerg verbeugte sich
tief vor der Prinzessin, zog in gewaltigen und putzigen Bogen den Zylinder
vor ihr und küßte die Hand, die sie ihm mit einem gefrorenen
Lächeln reichte. »Herein! Herein!«, keuchte die Frau an
der Kasse, während schon wieder die ersten Flocken fielen, dann dicht
und dichter kommend, wirbelnd mit einemmal, und der Wind trieb die Flocken
gegen das kleine Paar, daß sich die Prinzessin das Gesicht Wischen
mußte.
Aber niemand folgte dem
stürmischen »Herein! «, und als der Schnee jetzt zu Regen
wurde und ein Wolkenbruch niederzuprasseln begann, schob sich der Zuschauertrupp
flüchtend in eine Wurstbraterei,
die der Zwergenbude gegenüber lag, nur die Bäuerin ging in den
Regen hinein, weiter mit dem Kind, das die Trompete fest in der Faust hielt.
Leer war es vor dem Liliputanerzelt,
der Regen strömte
dicht und heftig herab, die
Prinzessin Esmeralda war wieder hinterm Vorhang verschwunden, auch die
Frau hatte den Platz an der Kasse verlassen, nur der bleiche, winzige Mann
im Frack stand noch auf den regengepeitschten Brettern, und plötzlich
stampfte er mit dem kleinen Fuß auf und hob seine kleine Faust gegen
den Himmel, schüttelnd, zornig und traurig und lächerlich.
[1932]