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Georg Britting
Sämtliche
Werke - Prosa -
Herausgegeben von Wilhelm Haefs
Band 3-2
Seite 387
Kommentar
Seite 512
Aus: »Verstreute Prosa«
Der gemalte Blitz
Weit hinten
lag das Dorf. Über dem Dorf schwebte eine kleine, graue Wolke von
der Form eines ruhenden Schäfchens, und in diese Wolke war ein Blitz
gefahren und steckte nun darin wie ein Splitter unter der Haut, nein, er
steckte darin wie ein blitzender, roter Kupfersäbel, mit dem man das
graue Wolkenlamm getötet hatte. Unbeweglich stand die Wolke, und unbeweglich
steckte der rote Blitz in ihr. Über dem fernen Dorf die kleine, schafgraue
Wolke, die allein bedeutete das Unheil!
Weil aber eine Wolke auf
dem Bilde, eine gemalte Wolke also, sich nicht vergrößern, nicht
dunkler werden, nicht näherrücken kann, so hatte auch das Unheil
für uns Schuljungen eben doch nichts sonderlich Drohendes. Der Himmel
über den Feldern war heiß und blau und leer. In der Ferne trennte
der schwärzliche Zug des Waldes Himmel und Erde, und aus dem Dorf
schlängelte sich der zierliche, himmelblaue Faden eines Flusses.
Da der Maler dieses Bildes
und mehr noch jener gewissenhafte Schulmann, der es so, genau so, zu malen
befohlen hatte, glauben mochten, daß man Kindern, mageren, dummen
Stadtkindern, nicht deutlich genug kommen könne, wollte man den kleinen
Nichtswissern eine richtige Vorstellung des ländlichen Sommers geben,
so kam es, daß auf dem Bilde, im leeren, reinen Schönwetterhimmel,
doch auch jene kleine, unheilverheißende Gewitterwolke schwebte,
mit einem unbeweglichen Blitz im Leibe; und so kam es, daß die Arbeiter
auf dem Felde nicht gemeinsam die gleiche Arbeit verrichteten, sondern
jeder einer anderen Beschäftigung nachging.
Wir Kinder sollten staunend
erkennen, wie mannigfaltig die Mühen des ländlichen Sommers wären,
und darum also schnitt der eine Bauer das Korn, wendete es der andere,
band eine Frau Garben, aß einer am Feldrain sitzend und schlief auch
einer im Schatten eines Baumes. Ein kleines Mädchen betete vor einem
Wegkreuz. Damit das Gewitter fernbleibe, bete das kleine Mädchen so
eifrig, erklärte man uns damals. Und wir sahen es auch allsogleich
ein, daß das Wolkenlamm nur so klein und unbeweglich über dem
Dorf stehen blieb, weil eben das kleine Mädchen so unbeweglich und
unentwegt betete.
Am oberen und unteren
Ende des Bildes war eine Holzleiste angebracht, und als man das Bild zum
ersten Male über die große, schwarze Wandtafel hängte,
als sich der Sommer zum ersten Male vor unseren Kinderblicken entrollte,
da erfüllte er uns mit großem Entzücken, und weil die Kinder
jener damaligen Zeit noch gerne schwärmten und sich auch gerne ein
wenig übertrieben äußerten, so riefen wir fünfzig
kleinen Burschen ein langgezogenes, theatralisches »Ah« aus.
Es war vielleicht, war
sicher nichts sonderlich Schönes an dem Bilde. Was einzig dem Maler
geglückt war, oder auch nur irgendein Zufall bewirkt haben mochte,
das war die trockene raschelnde, heiße Bräune, die die Landschaft
seltsam überzog. Das Korn war von bräunlichem, üppigem Gelb,
in das Blau des Himmels war Gold gemischt, und ein weniges vom Braun und
ein weniges vom Golde steckten auch in einer jeden anderen Farbe. Da war
es also gut, daß jener Feuersäbel unbeweglich aus dem Wolkenlamm
ragte, daß die trockene, raschelnde, knisternde Bräune sich
an einem gemalten Blitz nicht zu entzünden vermochte.
Wirklich, es war ein einfältiges
Gemälde, das mir damals einen doch so tiefen Eindruck machte. Der
abgebildete Sommer erschien mir vollkommen schön, und der wirkliche,
den ich dann bald darauf in den Ferien zu sehen bekam, blieb für meinen
kindischen Sinn weit zurück.
Wo blieb die drollige,
belustigende Gleichzeitigkeit des Bildes? Beängstigend eintönig
war die Wirklichkeit. Sah ich den immer gleichmäßigen Bewegungen
der Schnitter zu, so fragte ich nach einer Weile mit kindischer Ungeduld,
wann denn einmal einer was anderes täte, wann denn einer einmal essen,
wann denn endlich einer einmal müde genug sein würde, um sich
in den Schatten eines Baumes zu legen! War der Himmel auch zuweilen goldflimmernd,
so vermißte ich doch in seiner unheimlichen Leere das vergnügliche,
kleine Wolkenlamm, und vergebens sah ich mich an strahlend schönen
Tagen nörglerisch nach einem solchen Wölkchen um, das, wie ich's
doch gelernt hatte, das sommerliche Unheil vorzustellen verpflichtet war.
Jetzt wird man den Sommer
von damals wohl nicht mehr im Anschauungsunterricht der Schulen verwenden,
man hat sicher ein schöneres, naturgetreueres Bild, aber ob es so
heiß, so raschelnd braun sein wird, weiß ich nicht, und weiß
auch nicht, ob heutigentags die kleinen, viel klügeren Schuljungen
durch ein etwa fünfzigfaches und ein wenig theatralisches »Ah«
ihr kindliches Entzücken bekunden werden.
[1936]