zum Inhaltsverzeichnis Prosa © Georg-Britting-Stiftung
Georg
Britting
Sämtliche
Werke - Prosa -
Herausgegeben von Georg-Britting-Stiftung
Band 5
Seite 93
Kommentar
Seite 387
Aus: »Der Schneckenweg«
Die Base aus Bayern
In der kleinen,
verrauchten Weinstube, die ich früher oft besuchte, saß zuweilen
am Stammtisch in der Ecke ein untersetzter, schon grauhaariger Mann, der
schien viel in der Welt herum gekommen zu sein, und war auch im Krieg gewesen,
und wußte zu erzählen, dieses und jenes, und wer um ihn war,
lauschte ihm gern, und verstohlen auch ich am Nebentisch, und so hörte
ich die Geschichte von dem Hamburger Oberleutnant und seiner Base aus Bayern,
und für ihre Wahrheit kann ich also nicht einstehen, aber das kann
wahrscheinlich auch sonst kein Geschichtenerzähler, und würde
das verlangt, keiner erzählte mehr eine.
...Den
Oberleutnant, davon wußte der Mann am Stammtisch zu berichten, hatte
der große Krieg bis hinab nach Serbien und Albanien geführt,
und als die Kämpfe dort ihr Ende fanden, sei er mit seinen Leuten
einstweilen zur Ruhe in ein einsames Bergdorf zu liegen gekommen. Eines
Nachts, er war nicht mehr ganz nüchtern, weil er den Abend im Kreis
seiner Kameraden bei Wein und Karten zugebracht hatte, eines Nachts also
sei er heimgegangen, und habe im Finstern doch, zu seiner eigenen Verwunderung
schier, sein Haus und die Haustür gefunden, und die Tür zu seinem
Zimmer zur ebenen Erde. Als die Kerze dann ihr flackerndes Licht gab, sei
ihm gewesen, in seinem Bett, unter der Decke, liege schon jemand. Da das
aber doch nicht sein konnte, und in der Meinung, der Rausch spiele ihm
einen Streich, habe er, zornig über sich selber, mit einem raschen
Griff die Decke weggezogen. Und da sei aber nun wirklich jemand gelegen,
ein junger Mensch in der bunten Tracht der Einheimischen, mit einer Hakennase,
glatten, rabenschwarzen Haaren, und habe die Augen weit offen gehabt, groß
und rund, und in der Mitte der Stirn habe der junge Mensch ein Loch gehabt,
und von dort sei ein wenig Blut in einer dünnen Schnur an der Nase
und dem linken Mundwinkel vorbei in den Hals gelaufen,
und der junge Mensch sei tot gewesen. Der Oberleutnant, nicht wenig erschrocken
und seinen Augen kaum trauend, habe sich aber dann doch bald wieder gefaßt
und sei gegangen, seinen Burschen zu wecken, der in einer Kammer nebenan
schlief, und gemeinsam dann, und auch dem Burschen sei dabei nicht wohl
zumut gewesen, hätten sie den unheimlichen Gast in den Hausflur getragen
und dort niedergelegt. Und weil Krieg war und man an den Anblick von Toten
sich gewöhnt hatte, und gelernt hatte, nicht zimperlich zu sein, und
weil er müde gewesen und vom Weine noch trunken, so habe der Oberleutnant
nicht viel her gemacht von der ganzen Sache, sondern habe, aber immerhin,
ohne sich wie sonst zu entkleiden, gestiefelt und gespornt, sich auf das
nun wieder leere Bett geworfen und bald fest und tief geschlafen.
...Vergeblich
habe man am andern Morgen versucht, herauszubekommen, welche Bewandtnis
es denn wohl mit dem Toten habe. Die Hausbewohner, und auch die übrigen
Dorfleute, taten, die schlauen und hinterhältigen, so, als wäre
der Erschossene ihnen nie lebend vor den Augen gewesen. Von einem Wunder
redeten sie kopfschüttelnd und kauderwelschend, und mit den Händen
in der Luft geschäftig, und von einem bösen Zauber, der im Spiele
sei, und der Tote hätte wohl, wenn man sie hörte und ihnen hätte
Glauben schenken wollen, geradewegs aus dem Himmel in des Oberleutnants
Bett gefallen sein müssen. So sei nichts übriggeblieben, als
den Toten im Hausgarten von ein paar Soldaten begraben zu lassen, nachdem
man zuvor etwas Schriftliches aufgesetzt, denn Ordnung mußte sein,
und der Oberleutnant sei selber bei der Beerdigung zugegen gewesen.
...Dann
habe der Dienst ihn verlangt, der Tag sei hin gegangen in Erfüllung
der üblichen Obliegenheiten, und abends, beim gemeinsamen Essen, habe
der Oberleutnant sorgenvoll von dem Vorgefallenen
berichtet, und herumgeraten, was da möge an bedrohlichem Geheimnis
dahinterstecken. Und als die Meinung ausgesprochen worden sei: Liebeshändel
wohl, die Leute hier seien wild und gewalttätig und scheuten Blut
nicht, da habe der Oberleutnant zwar nicht dawider geredet, aber doch auch
zu bedenken gegeben, daß man dann doch noch immer nicht eine Erklärung
dafür habe, wie denn und wieso denn der Tote den Weg in das fremde
Bett genommen, und darin hätten ihm alle beipflichten müssen,
die auch nicht schlauer gewesen wären als er, und achselzuckend hätten
sies dann gelassen, sich weiter den Kopf zu zerbrechen. Und dann sei es
wieder Mitternacht geworden darüber, und man habe den Krieg und alle
Toten des Krieges und auch den geheimnisvollen Toten im Bett vergessen
bei Gesang und Wein und vielem Reden.
...Drei
Tage später, als der Oberleutnant heimgekommen sei und in sein Zimmer,
und die Kerze angezündet hatte, habe er sie fast gleich wieder fallen
lassen, als er schaudernd entdeckte, daß wieder jemand auf seinem
Bett liege, und nicht einmal zugedeckt sei der diesmal gewesen, und daß
es der tote Mann von neulich war, mit den glatten, rabenschwarzen Haaren,
der Hakennase, und dem Schuß mitten in die Stirn, von dem ein wenig
Blut in einer dünnen Schnur an dem Mundwinkel vorbei in den Hals lief,
habe er auf den ersten Blick gesehen. Und wieder habe er seinen Burschen
geweckt, der habe wie Espenlaub gezittert, als er erfuhr, worum es sich
handle, und daß der Tote aus seinem Grab wiederauferstanden sei.
Und so närrisch er sich selber vorgekommen sei, der junge Offizier,
er habe begonnen, in der Morgendämmerung, die schon angebrochen gewesen
sei, gemeinsam mit seinem Burschen das Grab im Garten wieder aufzugraben,
verbissen in seine Absicht, sich Gewißheit zu verschaffen, ob das
Grab leer sei, und die Arbeit sei sehr schnell vor sich gegangen, so sehr
tief hätten die Leute gestern nicht gewühlt
gehabt, und woran der Oberleutnant schon während der sinnlosen Schaufelei
nicht mehr gezweifelt gehabt hatte, so sei es auch gewesen: der Tote sei
noch da gelegen, und hatte sein Grab nicht verlassen gehabt, und er habe
nur ein wenig unwillig drein gesehen, daß man ihn störte.
...Und
dann hätten sie den Mann aus dem Bett in den Garten getragen und neben
das offene Grab gelegt, und wie Zwillingsbrüder hätten sie ausgesehen
im ungewissen Morgenlicht, die beiden toten Albaner; wie denn auch die
lebendigen rundherum für sie alle schwer zu unterscheiden waren, mit
ihren schwarzhaarigen Köpfen. Und als die beiden Totengräber
dann, von der Arbeit weniger erschöpft als vom Rätselraten, worum
es sich bei alldem handle, wieder ins Haus gegangen seien, um zu versuchen,
noch etwas zu schlafen, habe der Oberleutnant noch gesehen, wie der tote
Mann, der neben dem Grab gelegen sei, dem in der Grube mit der rechten
Hand mitten ins Gesicht geschlagen habe, das heißt, das habe er natürlich
auch gewußt, daß sich das nur so anschaue, der tote, schwere
Arm bloß abgerutscht sei, aber es habe wie ein beabsichtigter Schlag
ausgesehen.
...Der
Mann am Stammtisch, als er soweit war, sah von Gesicht zu Gesicht der Leute,
die um ihn saßen, und die wußten nicht, was sie von der Geschichte
halten sollten, die wie ein verwirrter Knäuel vor ihnen lag, und verlangten,
ihn aufgedröselt zu bekommen. Der Erzähler lachte, und sagte,
es habe sich später noch alles so ungefähr geklärt. Um Blutrache
habe es sich gehandelt, die da unten Sitte sei, streng geübt und heilig
gehalten, wie es die Ehre will. Der Sohn des Hauses, in dem der Oberleutnant
wohnte, hatte, als die Reihe an ihm war, seinen Feind getötet und
die Leiche dann im Bett des Oberleutnants versteckt, in der Annahme wohl,
wenn ein so hoher Herr im Spiele sei, werde es die Besatzungsbehörde,
die sich ja gern in alles mischte, nicht wagen,
lange Nachforschungen anzustellen. Und der Bruder des Ermordeten hatte
nicht gezögert zurückzuschlagen, und tags darauf, daß die
heilige Kette nicht abrisse, die niemals abreißen durfte, durchs
offenstehende Fenster den Mörder wiederum erschossen, als der gerade,
getrieben von der Lust, den Ort seiner Rachetat wiederzusehen, zu des Oberleutnants
Bett sich geschlichen hatte.
...Nun,
sie am Tisch, sie könnten es glauben, was da erzählt worden war,
sie könnten es aber auch sein lassen, wie sie wollten, aber er halte
es für wahr, sagte der Erzähler, denn er habe es von dem Oberleutnant
selber, und das sei keiner gewesen, der so leicht eine Lüge über
die Lippen gelassen habe.
...Wenn
aber die Geschichte noch nicht zu Ende sein sollte, sagte dann einer mißtrauisch,
denn vorhin wäre doch auch von einer Base die Rede gewesen, so wollten
sie zwar noch weiter zuhören, aber kein toter Mann mehr dürfe
in einem Bett liegen, davon hätten sie genug.
...»Nein«,
sagte der Erzähler, »nie mehr lag ein toter Mann in des Oberleutnants
Bett, nicht einmal irgendwann er selber, steif und starr, denn er fiel
im Felde, kurz darauf, wie viele damals. Der unvermutete Besuch übrigens
der beiden Toten, der ihm zweimal den Schlaf gekürzt hatte, wenn er
ihn auch bald vergessen zu haben schien in wirbligen Kriegstagen, das Bild
der Toten mußte ihm doch geblieben sein, tief im Grund seiner Erinnerung
und war jederzeit bereit heraufzusteigen, und das sollte sich bald zeigen,
in einer fast ein wenig lächerlichen Weise zeigen, lächerlich
aber nicht für ihn, nur für den, der die Geschichte hört,
für ihn selber wars traurig genug.
...Und
das kam so. Sein Regiment war von Osten nach Westen abgeschoben worden,
es lag ein paar Wochen in einem flandrischen Schützengraben, dann
bekam er Urlaub, und den verbrachte er, er war Junggeselle, der Oberleutnant,
und hatte auch keine Eltern mehr, den Urlaub also verbrachte er auf dem
Gut eines Onkels in Bayern. Da war auch gerade eine Nichte des Gutsherrn
zu Besuch, aus München war sie, ein zierliches, lebhaftes junges Mädchen,
mit schwarzen Haaren, mit vollen roten Lippen, etwas zu vollen Lippen,
er war so, daß man ihn immer ansehen mußte, der Mund, erzählte
er mir später, und ihr Wesen nahm ihn gefangen, ihre freie und gelassene
Art, sich zu geben, und der Klang ihrer dunklen Stimme, und wie sie plauderte
und lachte. Dieser Nichte des Gutsherrn, und also einer Base von ihm selber,
dem Oberleutnant, begann er schön zu tun, zart, merkwürdig zart,
keusch, könnte man sagen, ja, fast keusch war es, wie er sich um sie
bemühte, aber das lange Soldatenleben macht unbehilflich in solchen
Sachen, wenn es sich nicht gleich um ganz und gar eindeutige Frauen handelt.
Die Base mit dem vollen Rosenmund, rot wie Pfingstrosen, so schilderte
er mir den Mund, die Base fand den Vetter, den Helden, der Gefahr bestanden
hatte, eigentlich recht reizend, und mehr als das, bloß zu schüchtern
war er, wie man das in der großen Stadt, aus der sie kam, gar nicht
kannte, aber das hinwiederum gerade gefiel ihr an ihm.
...Sie
waren lange auf der Veranda gesessen, eines Abends, und hatten getrunken,
und der Gutsherr und seine Frau waren dann schlafen gegangen, da saßen
sie noch zu zweien, die beiden Jungen, der Mond schien, der gelbe, und
der Mund der Base war so rot, so rot. Mir scheint es nachträglich,
diese paar Stunden einer Sommernacht waren für ihn das Gipfelerlebnis
seiner fünfundzwanzig Jahre, da spürte er wohl ungefähr,
was Glück ist, weil er sie so gar nicht mehr vergaß, diese paar
Stunden, weil er nicht müde wurde, immer wieder von ihnen zu erzählen,
und weil jede Einzelheit in sein Gedächtnis eingegraben war. Er sagte,
er sehe noch das Muster des Tischtuches vor sich, eines blau und weiß
gewürfelten Tischtuches, und den Wein wußte er noch,
den sie getrunken hatten, Glas um Glas, und jedes Wort ihrer Unterhaltung
war noch in ihm, und jedes Verstummen, und jeder Blick hin und her, und
alles und jedes. Es ist ja wenig, wenn so ein paar Stunden das ganze Leben
in sich bergen sollen, das sogenannte Glück eines ganzen Lebens, aber,
mein Gott, manchem ist nicht viel mehr zugewiesen, und manchem nicht einmal
das.
...Und
das stimmte ja auch alles nur für ihn, nicht für die Base – wer
weiß, was der noch alles vorbehalten sein mochte an Gutem und Schönem,
und vielleicht auch an Traurigem! Die hatte ja auch, die Base, noch ein
ganzes, langes Leben vor sich, aber wie es damit bei ihm stand, mit dem
›das Leben vor sich haben!‹, das war wohl ungewiß, damals noch ungewiß,
wo er doch nur auf Urlaub in dem bayerischen Garten war, und ein Lehmgraben
in Belgien auf ihn wartete. So saß er damals da, der unbehilfliche
Schützengrabenvetter, und wagte der Base kaum die Hand zu küssen
(was hat da ein Mädchen schon davon?), und sie hätte ihm doch
gern den Mund überlassen. Dann ging sie auch schlafen, ungeküßt,
und er blieb noch ein wenig sitzen, sah in den Mond hinein, es war derselbe,
der jetzt auch über seinem Graben in Flandern stand, trank sein Glas
leer, und wankte, betrunken von Liebe und Wein und Mondschein, auf sein
Zimmer. Als er die Tür aufmachte, war ihm, in seinem Bett liege schon
jemand.«
...Der
Erzähler hob abwehrend die Hand gegen den der Zuhörer, der schon
vorhin mißtrauisch gewesen war, und jetzt aufbegehren wollte. »Nein«,
sagte aber der Grauhaarige, »wir sind in Bayern, auf einem Gut, wie
hätte da ein toter Albaner in des Oberleutnants Bett liegen können!
Aber es lag jemand in den Polstern, ohne Zweifel, es war natürlich
die rotlippige Base, und sie war erwacht bei seinem Eintritt, oder auch,
sie schlief noch nicht, und sie richtete sich auf, und Schrecken und Staunen,
und vielleicht auch ein wenig unbewußtes
Verlangen war in ihren Augen, als sie ihren Besuch erkannte, und sie flüsterte
›nein‹, sie hauchte es, daß es kaum zu verstehen war, und vielleicht
wollte sie es sogar, daß er das harte Wort nicht klar vernehme, da
ihr Herz vielleicht gesonnen gewesen wäre, ihrem Mund zu widersprechen
– aber der Oberleutnant, der Tölpel, gänzlich verwirrt, sah wieder
die beiden toten Männer vor sich liegen, wie damals, und lief davon,
und warf die Tür hinter sich zu, und das schnitt den Seufzer ab der
rotlippigen Base. Er lief wie im Traum und erreichte grad noch den Korbsessel
auf der Veranda, und da schlief er ein, im Mondschein, und er schlief bis
zur Morgensonne und erwachte, und ging in sein Zimmer, und da lag natürlich
niemand in seinem Bett, blühweiß und unberührt glänzte
es, und er grämte sich, daß er sich gestern in der Zimmertür
geirrt hatte, und vielleicht grämte er sich noch aus einem andern
Grund, den er sich anfangs kaum einzugestehen wagte.
...Die
Base mußte zwei Tage später abreisen, nach Hause zu ihrer erkrankten
Mutter, und die beiden jungen Leute vermieden es in diesen zwei Tagen,
so gut es ohne aufzufallen möglich war, mehr als nur das Gleichgültigste
miteinander zu reden, und von dem nächtlichen Besuch sprachen sie
nun schon gleich gar nicht, törichterweise, denn da hätte sich
manches vielleicht anders angelassen, aber beide schämten sich zu
sehr. Und so bekam der Oberleutnant nie zu wissen, ob nicht die Base bis
zuletzt annahm, er habe die Keckheit gehabt, sie in ihrem Zimmer zu überfallen,
und er sei nur von ihrem Nein vertrieben worden und er habe sie schmerzlich
getroffen damit, daß er glauben konnte, so eine leichte Beute könne
sie sein, und später in der Erinnerung war ihm aber auch manchmal,
es könne gewesen sein, sie habe ihm fast noch mehr deswegen gezürnt,
daß er so rasch sich habe verjagen lassen, nur von einem gehauchten
Nein und ohne den Versuch wenigstens, ein Ja daraus zu machen, und
einen solchen Versuch duldet, ja, wünscht noch das keuscheste Mädchen.
...Das
Erlebnis ging ihm noch lange nach, dem Oberleutnant, und was er versäumt
und schlecht gemacht und daß er nicht noch, im Zimmer noch, was wie
böse Absicht sich angesehen, zum Guten gewendet hatte, so oder so,
das tat ihm weh, in Flandern und vor Arras und er konnte auch nicht mehr
gut machen, wovon er manchmal träumte – denn wer sein Glück sieht,
der muß es gleich beim. Schopfe packen – weil wieder gut zu machen
ihm endgültig verwehrt wurde, dafür sorgte eine englische Kugel,
die ihn bald darauf erreichte und sich einen Platz aussuchte mitten in
seiner Stirn, wie die Kugeln das oft tun, wie sie es auch bei den zwei
Albanern getan hatten, nur daß der Oberleutnant aus Hamburg blond
war, und nicht schwarzhaarig wie die.«
...Der
Erzähler schien zu Ende zu sein mit seiner Geschichte, aber der Zweifelnde
unter den Zuhörern gab sich noch nicht zufrieden. »Eine mißglückte
Sache mit einer Frau«, sagte er, »Sie bauschen das zu sehr
auf! Was hat der Mann nicht alles im Feld erlebt! Können Sie das so
gering ansetzen? Und das Geplänkel auf der bayerischen Veranda das
tiefste Erlebnis seines Daseins nennen?«
...»Eine
Nacht«, sprach der Zweifelsüchtige weiter, »eine lange
halbe Nacht vor einem Sturmangriff, Mondschein ist auch da, wie in Bayern,
gelb ist er auch, der Mond, aber kalt sieht er her, kälter als dort
im Garten, und Wein ist auch da, in der Feldflasche – und man weiß,
daß man in fünf Minuten seinen Graben verlassen muß, um
einen englischen aufzusuchen – das ist schon auch ein Erlebnis und bedeutet
mehr, als, vielleicht überflüssigerweise, aus dem Schlafzimmer
einer Frau zu fliehn und sich hinterher ärgerliche Gedanken machen
zu müssen darüber, ob sie vielleicht nicht doch gnädig gewesen
wäre.«
...Aber
der Erzähler winkte ihm fast streng ab: »Ruhig! Still! Ich hab
mir die Geschichte oft von ihm erzählen lassen.
Er hatte im Unterstand lang über die Sache nachgesonnen, dazu war
ja Zeit, und war daraufgekommen, daß damals, wenn die Erinnerung
an die erschossenen Albaner ihn nicht verscheucht hätte, sich nicht
etwa die weißen Arme eines flüchtig-unbedachten Glücks
vor ihm aufgetan hätten, sondern daß die Stunde anderes und
Höheres bot. Das stand unerschütterlich für ihn fest. Er
hatte dafür, für diese Ansicht, irgendwelche Anhaltspunkte, hatte
Gründe, die schlagend für ihn waren, aber anscheinend nicht gut
für ihn auszusprechen. Und ich denke mir, es war das Nein der Base,
gehaucht und zitternd, das ihn dazu brachte ,so Vermessenes´zu glauben.
...Ȇbrigens,
mein Lieber«, fuhr der Erzähler fort, und sah den Zweifelsüchtigen
unverwandt und streng an, »was Sie da sagen, von der Mondnacht vorm
Sturmangriff, das ist schon allerhand, das geht schon tief, das geht eisig
tief, bis zu den Zehen – und Fingerspitzen, das ist schon ein Erlebnis,
aber würde es so stark empfunden, wäre nicht der Vergleich da
mit dem blühenden Leben – Und das blühende Leben, das war für
ihn nun einmal die Veranda und der rote Mund seiner kleinen Base. Dort
auf der Veranda gab ihm das Leben einen brennenden Kuß, obwohl, das
ist ja das Lächerlichste dran, es zu einem richtigen Kuß gar
nicht kam, das ist nur so ein Vergleich von mir. Aber weil er den brennendsten
Kuß des Lebens gespürt hatte, drum wars so grauenvoll süß,
so herzbeklemmend schön und so eiskalt, sternkalt, so höhnisch
sternkalt für ihn im Graben vorm Sturmangriff unterm Mond.«
...Der
Erzähler sah den Zweifelsüchtigen immer noch streng an, seine
dünnen, grauen Haare flatterten und ein Haarzipfel stellte sich senkrecht,
denn die Tür zur Weinstube war aufgegangen und ein Liebespaar eingetreten
und der Zug in des Erzählers Haare gefahren.
...»Und
es wäre natürlich falsch«, scholl noch des Erzählers
Stimme, »irgendwelche Zusammenhänge zwischen dem Schicksal
der drei Männer, der zwei schwarzhaarigen und des blonden, finden
zu wollen – wo ihnen doch allen dreien gar nichts gemeinsam war, außer
einer Kleinigkeit, einer Kugel in der Stirn.«