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Georg Britting
Sämtliche
Werke - Prosa -
Herausgegeben von Georg-Britting-Stiftung
Band 5
Seite 121
Kommentar
Seite 389
Zeichnung von
Friedrich L. Heubner
Aus: »Der Schneckenweg«
Das Märchen vom dicken Liebhaber
Er griff
in die zitternden Weinranken mit seinen braunen Fingern, wie eine
Adlerklaue in ein Nest voll junger, flaumbehaarter Vögel, in einen
Korb aufgeregter Zappelenten oder Gänsegelbschnäbel fährt,
und die grünen Blätter zischelten und schnatterten, als wollten
sie: Achtung! und: Einbrecher! rufen. Aber es kam niemand, und er stieg
durchs Fenster in das Schlafzimmer des Gutsbesitzers und erbrach den Kleiderschrank.
Mit den schwarzbehaarten Beinen fuhr er in die gelb und weiß gewürfelten
Hosen, den Schlips knotete er sich um den Hals wie einen Strick, und weil
er zu kräftig ihn zuzog, röchelte er, als hinge er am Galgen.
Dann erwischte er noch den hohen, steifen, glänzenden schwarzen Röhrenhut,
und schlüpfte in eine Joppe, und mit dem Hut auf dem Schädel
streckte er nun zuerst das eine gelb und weiß gewürfelte Hosenbein
durchs Fenster, schob das andere nach, saß einen Augenblick lang
witternd am Rand, rutschte durch die aufschnatternden Weinlaubzungen und
machte sich davon.
Über die abendliche
Landstraße trabte er zur Stadt. Der Himmel hatte noch eine tiefe,
weiße Bläue, und Glocken schlugen an. Im Straßengraben
standen versprengte gelbe Blumen herum. Ein paar waren wie auf einen Haufen
zusammen geweht, wie vom Wind zu einem lodernden Züngelbusch zusammen
getrieben. Hallo! schrie er, und kreischend wichen ihm zwei Mädchen
aus, die ihn für einen Betrunkenen nahmen. Er schnaufte, die ungewohnten
Hosenträger schmerzten, sein dicker Bauch wackelte, um seinen Hals
der Galgenstrick flog, und seine große, hügelige Nase schnupperte,
und das Selbstgespräch, das er jetzt begann, einen wirren Schwall
von vielen und saftigen und krummen Worten, hörten nur die gelben
Blumen. Sie verstanden nicht viel davon, nur einzelne Brocken, aber das
genügte ihnen, um sich kichernd auf ihren Stielen zu drehen und zu
wenden, gelenkigen Halses, und auf der Unterseite der Blätter rosa
errötend.
Nun kam er an die Brücke.
Unten der Fluß schwang sich in einem starken Bogen nach Süden.
Er legte die Hände auf die steinene Brüstung, drückte, drückte
fest zu, vom Stein bröselte warmer Sand, und als er weiter ging, blieb
der Abdruck zweier Hände zurück, gewaltig vertieft, der Daumen
neben je vier Fingern, wie in Lehm eingesenkt, und es war doch harter,
grauer, körniger Stein! Die Taube, die schwarzblaue, die sich in einer
der Handhöhlungen niederließ, flügelschlagend, äugte
ihm wichtig nach.
Er trabte weiter, die Stadt
baute sich nun schon vor ihm auf, mit kleinen Häusern erst, und Kinder
balgten sich auf der Straße, und schwatzende Weiber standen vor den
Türen. In einem verstaubten Gärtchen, vor grün gestrichenen
Tischen, saßen Arbeiter und tranken ihr Abendbier. Er setzte sich
zu ihnen, und der Wirt brachte ihm den schäumenden Krug, und den nahm
er, und hob ihn, und trank, und legte den Kopf weit zurück dabei,
und der Hut, den er aufbehalten hatte, stieß wie ein Kanonenrohr
ins Abendrot. Als er zum zweitenmal getrunken hatte, war der Krug leer,
aber als er dann ging, vergaß er zu zahlen, und der Wirt schrie:
Heda!, aber da begann er zu laufen, und: Zechpreller! schrie der Wirt,
und Flüche und Gelächter kollerten hinter ihm drein. Das Abendrot
wurde feuriger, wenn er sich umsah, loderte es wild um Himmel und Brücke.
Aber bald sah er sich nicht mehr um.
Und als er tiefer in die
Stadt hinein kam, und auf einem Schild eine Weinflasche abgemalt erblickte,
und das Schild hing über einer Haustür, schob er sich durch die
Tür, und kam in einen schwach beleuchteten Flur, und tappte sich voran,
und öffnete wieder eine Tür, und stand geblendet in einem Zimmer,
wo viele weiß gedeckte Tische blitzten. Er ging nicht weit in das
Zimmer hinein, nur ein paar Schritte, da war ein leerer Tisch, und ein
leerer Stuhl davor, und schon saß er, und hatte auch schon die Weinkarte
in der Hand.
Er fuhr mit dem fetten
Finger auf der Karte auf und ab, die Weinpreisleiter hinauf und hinunter,
und irgendwo machte er halt. Der Kellner brachte die bestellte Sorte, es
war ein schwerflüssiger, spanischer Roter, und er trank davon in langen,
gurgelnden Zügen, und sah dann glücklich um sich. Am Nebentisch
saß bei einem Herrn eine Dame in weißer Bluse und mit weißem
Hals. Der Dicke drehte seine Kugelaugen, und winkte der Dame zu, aber sie
sagte laut: Pfui! und sah beleidigt weg. Der Kellner stellte die zweite
Flasche vor dem seltsamen Gast nieder, und der setzte sich breit zurecht,
und es wurde ihm warm und gemütlich. Glucksend trank er seinen Wein,
sah fröhlich in das rötliche Schimmern, leckte sich die Lippen,
und als das weiße Dreieck drüben immer blendender wurde, nahm
er seine Flasche unter den Arm, und den Hut hatte er noch immer auf dem
Kopf, und schob mit dem Fuß den Stuhl vor sich her, und siedelte
an den Nachbartisch über. Cäcilie, so hieß das weiße
Mädchen, bog den Kopf zurück, denn ein schwerer Weindunst ging
von dem Mann aus. Einen Zipfel des Galgenstricks um seinen Hals nahm er,
zog, daß er wie eine Saite stramm gespannt war, befeuchtete ihn mit
Wein, daß er schlüpfrig gleißte, und klimperte darauf
eine stumme Melodie. Und als die Melodie am stürmischsten wurde, spritzte
der Dame ein roter Tropfen der weingetränkten Saite mitten ins weiße
Gesicht, mitten auf die roten Lippen, und Rot auf Rot, das sah man nicht.
Vorsichtig holte sie sich mit der Zungenspitze die Weinperle, und er lachte
sie mit seinen Knopfaugen so vergnügt an, daß sie ihm gut wurde
und mit der kleinen weißen Hand ihm den Rücken patschte. Er
aber legte seine große Hand ihr auf das Knie, und heiß wurde
ihr da. Er trägt keinen Kragen! rief der Herr empört, und rümpfte
die Nase, und sprach: Oft wäscht er sich nicht!
Der Dicke war schon bei
der vierten Flasche, und das Gesicht Cäciliens lag an seiner Schulter,
und der Herr rückte unruhig auf seinem Stuhl, und winkte dem Kellner,
und sagte: Zahlen! Aber der Dicke hatte kein Geld, stellte es sich heraus,
und der Herr sagte höhnisch: Ach so!, und Cäcilie geriet in Verlegenheit,
und wurde rot über und über, als sie aus ihrer Börse den
Betrag dann auslegte.
Auf der Straße war
der Herr auf einmal verschwunden, und der Mann mit dem Röhrenhut hatte
den Arm um ihre Hüfte, wie eine goldene Schlange, so fühlte sie
es. Am Himmel rauchten die Sterne, und sie gingen, und kamen in die Parkanlagen,
und setzten sich auf eine Bank. Die Bäume sprachen mit dem Wind und
die Sträucher, und in der Tiefe lief ein Fluß, der ein sprudelndes
Wort manchmal dazwischen warf. Der Dicke war wie in sich versunken,
und rieb nur den Rücken an der Banklehne, wie der Eber im schwarzen
Wald an den Bäumen das borstige Fell schabt. Das schwang durch den
Park mit einem brummenden Ton, und der Mond stieg eilig über die Bäume
herauf, neugierig zu schauen, wer so singe, und Nebel wallten, und Wasserweiber
tanzten vom Fluß her, und Bocksfüßige auch, den Meister
zu hören. Und als wie ein Schauspiel vor ihm und zu seiner Lust, jagten
sie die Mädchen, die flohen, so tuend nur, und das huschte, und brach
Zweige, und stöhnte, und Cäcilie sah zu wie in Träumen.
Und ausgeträumt war, und es geschah ihr nicht zum erstenmal, der erfahrenen,
und was tat schon der Dicke mit ihr, der ein Meister war, und eine Jungfrau
hätte verwirren können, lilienrein und schneekeusch, mit weißem
Fleisch nicht bloß, mit weißer Seele auch ? selbst die hätte
gezittert bei solchem Ansturm und sie erst, die weißhalsige nur?
Und das Gesindel stand um die Bank, Bocksfüße und Wassermaiden,
mit glühenden Augen, und lachten wie nie, und am meisten lachte oben
der Mond: den schüttelte es, daß er hüpfte wie ein Ball,
auf und ab.
Der Dicke winkte hinauf zu ihm,
mit seinem hohen Hut, und da stob das Völkchen unten auseinander.
Und es war vielleicht eine Stunde später, und der Morgen graute schon,
daß einer, der ein schlafendes Mädchen über der Schulter
trug, wie ein erbeutetes Reh, weit draußen, vorm Stadtrand, bei einer
Weide neben einem Graben, haltmachte, und die Schlummernde ins Gras legte.
Dann zog er die Hose aus, und die Joppe, und warf sie im Bogen weit über
den Graben und ins Feld hinaus, und den hohen Hut hinterdrein. Neben einem
schwarzen Kamin stieg die rote Sonne herauf, und das Licht brandete in
goldenen Wellen einher, Kamm hinter Kamm, Wiesen und Felder überschwemmend.
Ein Hase jagte vorüber.
Der dicke Mann nun, nackt
nun, braun, rotbraun, dunkelkupfrig, mit Armen, dick bemuskelt, daß
sie wie die Äste eines Weidenstrunks aussahen – der dunkelkupferige
Mann nun schwang die Hosenträger, die gestohlenen, blauseidenen Hosenträger,
schwang sie wie eine Peitsche, knallte damit, er brachte es fertig, wahrhaftig,
mit den Hosenträgern zu knallen, wie ein Ziegenhirt, wie ein Kuhhirt,
und schwang die Hosenträger wie eine Waffe, wie eine altertümliche,
blauseidene Waffe. Der Hase, der große, gelbe Hase, verhielt zuerst
einen Augenblick lang, wie gelähmt, aber dann wich die Lähmung,
er sprang los, und wie sprang er los! und wie sprang der Peitschenschwinger
hinter ihm drein, der große Jäger! So ging die Jagd über
die Ebene, einem Wäldchen zu, das unfern war. Der Hase schoß
gelb ins Unterholz, und der dicke Jäger, immer dicht hinter
ihm drein, brach durch die Brombeerstauden, ihm nach ins Wäldchen,
ins dunkle. Das Wäldchen zitterte, so war es anzusehen, von der Jagd,
die in ihm gejagt wurde, aber der Jäger und das Gejagte waren nicht
mehr zu schauen, vom Wald geborgen, nur die zitternden Bäume waren
zu schauen und die wackelnden Brombeerstauden.
Cäcilie lag immer
noch schlafend unter der Weide, als von einem nahen Bauernhof ein Knecht
gegangen kam mit starkem Schritt. Er blieb bei ihr stehen, in ihren städtischen
Kleidern eine Prinzessin für ihn, und ihr Gesicht war weiß und
unschuldig mit den gesenkten Wimpern. Er stand, verblüfft, wie das
sein konnte, und mit törichten Augen, daß hier eine lag und
schlief, und nicht im rosa Daunenbett, und dann fiel ihm ein Witz ein,
dem Witzbold, und er zog sein Hirschhornmesser aus der hinteren Tasche
seiner Lederhose, und prüfte die Schneide auf dem Daumenballen, der
bäuerische Kerl und Hans im Glück – wem begegnet das? – und schnitt
einen Zweig von der Weide, und streifte die Blätter davon, und die
Rute nun bog sich nackt und geschmeidig. Er wippte ein paarmal damit durch
die Luft, daß es pfiff, mit einem hohen Ton, und mit der Spitze der
Rute kitzelte er die weiße Schläferin an der Nase, das traute
er sich, mehr nicht, der Tölpel, aber das fand er gehörig. Sie
erwachte, niesend, und griff sich an die Nase, und sah das fremde Gesicht
über sich, und setzte sich auf, und der ohne Witz jetzt war, der Knecht,
sagte blöde: Guten Morgen! und mit zarter Stimme sie das auch, und
knöpfte die Bluse zu. Du bist es nicht, sagte die Stimme dann, wie
Glöckchen klingend, so geh doch, Schweinehirt du aus dem Märchenbuch!
Erschreckt sah er sie an, die vor ihm saß, ein Engel, aus dem Himmel
gefallen, die Stimme klang so und was sie sagte, und dann ging er gehorsam,
einen schmalen Wiesenpfad weiter, und die Hände hatte er in die Hosentaschen
gesteckt aus Verlegenheit, und die Ellenbogen abgespreizt, und durch seine
gekrümmten Arme strömte das Licht wie durch Fenster. Er selbst
war schwarz, war finster anzusehen, und als er sich umwandte, nach einiger
Zeit, und ihr zuwinkte, war auch sein Gesicht nur ein dunkler, ungewisser
Fleck, zweimal handgroß.
Es war dann ein sehr heißer
Tag geworden, der diesem Morgen folgte, und Cäcilie hatte ihn im Geschäft
abgesessen. auf einem kleinen Stuhl, vor einem kleinen Tisch, träumend
mehr als arbeitend, und oft getadelt, aber sie hatte kaum hingehört,
und auch der Abend hatte keine Kühlung gebracht, ja, fast heißer
noch war es jetzt in der braunen Dämmerung. Die Weide zu suchen, unter
der sie geschlafen, war sie aufgebrochen am Abend dann, und war vor die
Stadt hinaus gegangen, aber hatte sie nicht mehr gefunden. Gräben
liefen durch die Wiesen überall, und Weiden standen manche herum,
freundliche Geschöpfe, und eine sah aus wie die andere. Und wenn sie
eine fragte: Bist du es? so plapperte die: Dort drüben ist sie! –
aber die war es wieder nicht, und schickte zur nächsten sie, und die
eine zur andern.
So gab sie es auf, und
nahm den Heimweg zur Stadt, und hatte den Mond im Rücken und vor sich
das sterbende Licht des Tages, und auch der Weg, den sie ging, mußte
ein anderer sein als der von heut früh, denn sie kam an einer Bauernkapelle
vorbei, die sie nie noch gesehen. Der Mörtel bröckelte von ihr,
Brennessel wuchsen am staubigen Eingang, und auf der morschen Gebetsbank
stand ein gesprungener Tonkrug, und ein Blumenstrauß, verwelkt und
gedörrt, war in dem Gefäß. Eine hölzerne Frau auf
dem Altar hatte ein Kind auf dem Arm, und eine Krone aus Rauschgold schief
aufgesetzt. Die leuchtete aus dem schwülen Dunkel her, und stärker
noch leuchteten die Augen der Frau, und die waren aus grünem Glas
und größer, als es zu dem Gesicht paßte. Von einem Gewitter,
das vielleicht kommen mochte in der Nacht, war ein Windstoß voraus
gegangen, und der wehte Strohhalme und Staub in den heißen, kleinen
Raum, und riß die Blumen aus dem Krug, und ein Wirbel von Staub und
Halmen und Blumen füllte die Kapelle, gerade als Cäcilie die
Krone auf dem Haupt der Hölzernen zurecht rückte. Und auch als
die hustende Cäcilie schon gegangen war, schwebte der Staub noch wie
eine Wolke unter der niedrigen Decke.
In einer Mulde, nicht weit von
einer Weide und einer
kleinen Kapelle, aber das war
schon später, schon tief in der Nacht, und das Gewitter war doch nicht
gekommen, knabberten drei große Mäuse an einem hohen, schwarzen
Hut. Eine hatte ein Loch in den Deckel gefressen, die zweite zerfranste
die Krempe, und die dritte trennte weißzahnige das Seidenband von
der Wölbung. Und als der Mond dann schon so hoch gestiegen war, daß
sein Licht milchweiß die Mulde füllte, waren sie alle drei im
Dunkelhohlraum des Hutes verschwunden. Nur drei Schwänze ringelten
sich wie feurige Regenwürmer empor.
Und ein Hasenskelett, ein armseliges,
nacktes, gebleichtes, lag noch einen Herbst lang, einen weißen Winter
lang, bis wieder zum Frühjahr, unter einer Buche, und selbst die Ameisen,
als es wieder Sommer geworden war, selbst die schwarzen, ekelhaften Ameisen
des Wäldchens verschmähten es, an ihm noch herum zu klettern.
Zeichnung von Friedrich L. Heubner