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Georg Britting
Sämtliche
Werke - Prosa -
Herausgegeben von Georg-Britting-Stiftung
Band 5
Seite 220
Kommentar
Seite 401
Aus: »Erzählungen,
Bilder, Skizzen«
Der gemalte Sommer
Weit hinten
lag das Dorf zierlich, wie aus der Spielzeugschachtel die Häuser und
die Kirche, und hoch über dem Dorf schwebte eine kleine, eisengraue
Wolke: die hatte das Aussehen eines ruhenden, krauswolligen Lammes, und
in dieses Wolkenlamm war wie ein Feuersäbel der Blitz gefahren und
hatte es durchbohrt, bös und mitleidlos, und unten aus dem Bauch sah
die Spitze des Säbels fürchterlich hervor. Unbeweglich stand
die Wolke und unbeweglich steckte der gelbrote Blitz in ihr. Alles auf
dem Bilde sonst war heiter und friedlich, der Himmel heiß und blau
und leer. Rechts hinten trennte der schwärzliche Zug eines Waldes
Himmel und Erde und aus dem Dorfe schlängelte sich der hellblaue Faden
eines Baches.
Da der Maler dieses Bildes,
und mehr noch der gewissenhafte Schulmann, der es so, genau so, zu malen
befohlen hatte, glauben mochten, daß man Stadtkindern nicht deutlich
genug kommen könne, ihnen eine Vorstellung des ländlichen Sommers
zu geben, war man darauf verfallen, im leeren, reinen Schönwetterhimmel
auch die sturmverheißende Gewitterwolke schweben zu lassen, mit dem
unbeweglichen Blitz im Leibe. Die Leute auf dem Bilde verrichteten nicht
alle gemeinsam die gleiche Arbeit, sondern jeder ging einer anderen Beschäftigung
nach. Wir Kinder sollten erkennen, wie mannigfaltig die Mühen des
bäuerlichen Lebens seien, und darum also schnitt der eine Landmann
mit sausender Sense das Korn, wendete es ein anderer mit der Gabel, band
eine Frau Garben, und ein Holzfuhrwerk kam schwer beladen aus dem Walde
hervor. Im Vordergrund aß ein Knecht, am Feldrain sitzend, aus einer
Schüssel, und ein Mann schlief langausgestreckt im kreisrunden Schatten
eines Apfelbaumes, der prangend voll war von gelben Früchten. Und
ein kleines Mädchen im weißen Kopftuch betete knieend vor einem
Wegkreuz. Es bete, das Gewitter fern zu halten, sagte man uns. Und wir
glaubten auch gleich, das Wolkenlamm bliebe nur deswegen so klein über
dem Dorfe stehen, weil das fromme Mädchen so inbrünstig mit gefalteten
Händen es erflehte.
Das Bild war zwischen
weiße Holzleisten gespannt, und als man es zum erstenmal, an einem
grauen Wintertag, über die große, schwarze Wandtafel hängte,
als sich der herrliche, gemalte Sommer in seiner Pracht vor unseren staunenden
Blicken entrollte, da erfüllte er uns mit unbeschreiblichem Entzücken,
und nach Schulbubenart riefen wir ein zwar echt empfundenes, aber doch
auch absichtlich übertreibendes, langgezogenes »Ah! «,
aus fünfzig Kehlen schallend, und der junge Lehrer im hohen Stehkragen
zwirbelte seinen weißblonden Schnurrbart und lächelte gnädig
über unsere Begeisterung.
Es war kein Kunstwerk,
das uns so bezauberte und hinriß. Was einzig dem Maler geglückt
war, oder was auch nur irgend ein Zufall bewirkt haben mochte, oder das
noch mangelhafte Druckverfahren jener Zeit, das war die trokkene, raschelnde,
heiße Bräune, welche die Landschaft überzog. Das Korn war
von bräunlichem, üppigem Gelb, in das Blau des Himmels war Gold
gemischt, und ein weniges vom Braun und ein weniges vom hitzigen Golde
steckte heimlich glühend in jeder der Farben auf dem Bilde. Und es
war nur gut, daß die knisternde, verborgen schwelende Bräune
sich an einem gemalten Blitz nicht zu entzünden vermochte, sonst wären
das Dorf und die Felder vor unseren Augen prasselnd und Funken werfend
in Flammen aufgegangen. Und wir hätten uns nicht gewundert darüber.
Der gemalte Sommer schien
mir vollkommen schön, prangend in Fülle und Hitze, und der wirkliche
blieb für meinen Sinn weit dahinter zurück. Wenn ich in den Ferien,
bei ländlichen Verwandten, über die Felder ging, und den gleichmäßigen
Bewegungen der Schnitter zusah, so sah ich keinen, der sich aus der Schar
los löste, am Feldrain sitzend aus einer Schüssel die Suppe zu
löffeln, und keinen, der müde genug war, um sich in den schwarzen
Schatten eines Apfelbaums zum Schlaf zu strecken. War der Himmel auch zuweilen
blau und goldflimmernd in seiner riesigen Leere, so spähte ich dann
vergebens nach der Unheil verkündenden kleinen grauen Wolke aus. Und
nie sah ich jemals im Leben ein kleines Mädchen mit gefalteten Händen
knieend vor einem Wegkreuz beten.
jetzt wird man das veraltete
Sommergemälde von damals wohl nicht mehr im Anschauungsunterricht
der Schulen verwenden, und man hat sicher längst ein Bild, das sich
treu an die Wirklichkeit hält. Aber daß es den Sommer so heiß
und raschelnd und geheimnisvoll glühend zu zeigen vermag wie jenes
unserer Zeit, das irgendwo zwischen Speichergerümpel verstaubt, glaube
ich nicht. Und fast auch will ich nicht glauben, daß die heutigen
Tages viel klügeren und sachlicheren Schuljungen durch ein übertriebenes
und ein wenig geziertes » Ah! « ihr Entzücken bekunden
– aber das ist vielleicht nur Hochmut oder die Unfähigkeit des Gealterten,
sich auch nur vorzustellen, daß der Glanz der Jugend unverblaßt
bei anderen dauert.