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Georg Britting
Sämtliche
Werke - Prosa -
Herausgegeben von Georg-Britting-Stiftung
Band 5
Seite 227
Kommentar
Seite 402
Aus: »Erzählungen,
Bilder, Skizzen«
Lob der Stadt Passau
Als
ich noch verliebter war in diese Stadt und vermessener in meinem Urteil
und schneller fertig mit dem Wort, als ich es heute zu sein glaube, da
schrieb ich wohl, daß Passau die schönste deutsche Stadt sei.
Heute wage ich das von ihr so wenig zu sagen wie von irgend einer anderen
deutschen Stadt im Norden und im Süden, im Osten und im Westen. Aber
wenn meine Liebe heute gezügelter ist und ich vorsichtiger geworden
bin und von Passau als einer der schönsten deutschen Städte spreche,
so darf mich niemand der Übertreibung zeihen.
Es gibt
Holzschnitte von einem alten und treuherzigen und klaräugigen Meister,
von Hans Sebaldt Lautensack, der vor 400 Jahren lebte. Auf seinen vergilbten
und bräunlichen Blättern sind die Umrisse von süddeutschen
Städtebildern klar in den Himmel gezogen. Wie ein Netz von Strichen,
ein Kreuz und Quer von Dächerkanten, von Fenstergesimsen, von Türmen
und Mauern schwankt manche Stadt bei ihm tänzerisch und verwegen über
dem Flußtal. So ist auch Passau anzusehen, die Stadt, von der ich
nicht weiß, ob der alte Holzschneider und Kupferstecher Lautensack
sie jemals vor Augen bekam: ein hüpfender Ball über Ebenen und
Wäldern.
Drei Flüsse
vereinigen sich rauschend ihr zu Füßen: die Donau, der Inn und
die Ilz. Spiegelndes Wasser glänzt auf unvermutet hinter jedem Häuserblock,
und von der breitesten der Brücken schaut der böhmische Beichtvater
Nepomuk hinunter zu den silbernen Fischen.
Die Straßen
steigen hurtig auf und nieder, verwandeln sich in Treppen mit moosbewachsenen,
feuchten Stufen, und stürzen jäh und glitschig ab - und immer
steht man dann an einem Fluß. Grün und geringelt wie Wasserschlangen,
die ihr Element suchen, patschen die Treppenstraßen ins Strömende.
Drei Tage ist man dort, dann unterscheidet man an der Farbe des Wassers,
ob es die Donau ist, der Inn oder die Ilz. Die Donau rollt breit und schwer,
der Inn rasch und schäumend, die Ilz geschmeidig und behend. Und breit
und schwer und rasch und schäumend und geschmeidig und behend fließen
sie vorbei an den Kirchen, an den vielen Kirchen, an Domen und Kapellen
mit runden und stumpfen und spitzen Türmen, mit großen und kleinen
Glocken, und sie läuten am Morgen, am Mittag und am Abend. Passau
ist die glockengeschwätzigste Stadt.
Von
der Festung aus, die über der Stadt droht, Oberhaus heißt sie,
sieht man weit ins Land hinein, über Hügel und Acker und Wasser
hinweg, hinein nach Österreich sieht man, und dort, wo die Wälder
wie ein grüner Wirbel zusammenschlagen, beginnt Adalbert Stifters
Land.
Die
Festung Oberhaus war einmal Militärzuchthaus und in vielen schwermütigen
Liedern wird ihrer gedacht. Wer den Offizier mit der blanken Waffe anging,
den rosigen Leutnant oder den breitschultrigen Hauptmann, in Trotz und
Rausch und Jähzorn, oder wen das Heimweh verführte, der mußte
hier Karren schieben, Soldat zweiter Klasse, schielend hinunter auf die
goldenen Dächer.
In
einer kleinen Schenke, die einem frommen Stift gehört, gibt es einen
würzigen Wein. Der wächst über der Grenze auf einem Weinacker,
den die Braunkuttenträger betreuen. Man schenkte in der Schenke, damals,
vor Jahren, als ich dort war, nur diesen einen Wein aus und sonst nichts
und garnichts sonst. Man saß am butterweiß gefegten Tisch,
und schon stand das funkelnde Glas vor einem. Brot mußte man selbst
mitbringen. In der Schenke gab es nur den gelben, mönchischen Wein.
Mit
gemauerten Steinwänden stößt eine Insel hinaus in das viele
Wasser. Mit wippender Gerte steht an der vördersten Spitze ein Angler.
Der Himmel wölbt sich herab. Das viele Wasser ist wie ein See, und
Himmel und Erde verrinnen in eins, und der Angler angelt nach Fischen und
Sternen.
Ob
der alte Stecher und Holzschneider Hans Sebaldt Lautensack die Stadt Passau
jemals vor seine leiblichen Augen bekam, weiß ich nicht. Sein Nachfahr
Heinrich Lautensack, der Dichter, der im Jahr 1918 im Wahnsinn in München
starb, dessen Andenken heut fast verschollen ist, der ist hier in der Nähe
geboren, und lebte jahrelang in der Dreiflüssestadt und kehrte immer
wieder zu ihr zurück. Er war zuhaus hier, in dieser krausen und schroffen
und lieblichen Landschaft, wie sie auf Abbildungen der Donaumeister, des
Augustin Hirschvogel, des Wolf Huber und des großen Albrecht Altdorfer
ein zaubermächtiges Leben führt, mit Kalkfelsen und Stromdurchbrüchen
und wehendem Strauchwerk und einem wolkenüberflogenen Himmel. Seine
Gedichte sind stark und würzig und ein wenig mönchisch auch wie
der Schoppenwein in der kleinen Schenke, und gelbfunkelnd und prächtig
und zierratreich wie die Arbeiten eines anderen Ahnen von ihm, des Goldschmiedes
Lautensack, von dem Goethe berichtet, daß er »ein geschickter,
munterer Mann war, der wie mehrere geistreiche Künstler selten das
Notwendige, gewöhnlich aber das Willkürliche tat, was ihm Vergnügen
machte«. Und ein wenig so war Heinrich Lautensack wohl auch, der
Dichter des »Hahnenkampfs« und des »Gelübdes«
und der so verlästerten und geschmähten und doch so heiterfrommen
»Pfarrhauskomödie«.
Von
kurzem, grünem, hellgrünem Stoppelgras beflaumt steigt die Anhöhe
sanft auf. Da liegt Heinrich Lautensacks Haupt. Schmerzlich grinst sein
geöffneter Mund: eine bräunliche Kiesgrube. Bäume, buschig,
blätterwuschlig, stehen im Halbbogen wie Augenbrauen. Abgetrennt liegt
sein Kopf vom Rumpf, wächst zusammen mit der Landschaft, und wie eine
freche, stechende, stachlige Nase mit nach oben stehenden Nasenlöchern
erhebt sich ein Grasbuckel in der Mitte des Hanges. So sieht um die Abendröte
weinrot des Dichters Kopf über die bayerische Stadt.
Ein
hoher Baum, eine kahle Föhre, sonnt sich am Erdbeerhügel. Eidechsen
rascheln unten, die nackte Föhre wiegt sich im Juliblau. Es ist ein
schwarzer Abdruck von der braunen Kupferplatte, aber das Juliblau, das
über der Föhre glänzt, das tiefe, tönende, wankende
Blau ist doch deutlich zu sehen. Hinter dem Hügel beginnen die Wälder,
die scharrenden, dunklen, böhmischen Wälder. Nur die froschnackte
Föhre ist auf die Platte gesprungen, voreilig, zu früh, und brät
nun allein in der hitzigen Einsamkeit ihres Vorpostens. Denn nach Passau
darf sie doch nicht hinein, dieser Stadt, schwankend und tänzerisch
überm Dreiflüssetal, dieser federnden, hüpfenden Stadt auf
der braunen Platte des alten Lautensack. Und aus den Versen des jungen
Lautensack strömt der Duft dieser Landschaft zu mir her, und den funkelnden
Schoppen halt ich hinauf, empor zum Oberhaus, hinüber ins Adalbert-Stifter-Land,
schwenk ihn und schütt ihn hinab zu Donau und Inn und Ilz.
Als
ich noch verliebter war in diese Stadt, und vermessener, ja, frech in meinem
Urteil und überaus schnell fertig mit dem Wort, da ließ ich
wohl drucken, daß Passau die schönste deutsche Stadt sei. Aber
wenn meine Liebe heute gezügelter ist und ich vorsichtiger geworden
bin, vielleicht zu vorsichtig, ja, leisetreterisch, und ich von Passau
als von einer der schönsten deutschen Städte spreche, wer dürfte
mich da der Übertreibung zeihen; wer?
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