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Georg Britting
Sämtliche
Werke - Prosa -
Herausgegeben von Georg-Britting-Stiftung
Aus: »Erzählungen,
Bilder, Skizzen«
Frau Holderlein
Es
gibt Menschen, von denen man es sich nicht vorstellen kann, daß auch
sie einst wie Kinder hüpften: Zu diesen gehörte Frau Holderlein.
Sie war groß, sie war dick und bewegte sich langsam. Elfenzart waren
ihre Knöchel und ihre Füße so klein, daß man sich
wunderte, wie sie die Last des schwer gewordenen Körpers tragen konnten.
Ihre üppige Brust war in Seide gehüllt, immer in Seide, und in
den Farben war sie nicht wählerisch - heute taubenblau und morgen
tomatenrot, das machte ihr keine Bedenken. Im Gesicht sah sie südländisch
aus, mit quittengelber Haut wer weiß, woher sie die hatte, sie, einer
bayerischen Mutter Kind. Eine krumme Geiernase saß über ihrem
kleinen, zugespitzten Mund, der auf der Oberlippe einen dunklen Flaum hatte.
Ihre schwarzen Augen glühten, in ihre schwarzen Haare mischten sich
weiße Strähnen, der weißen Strähnen wurden es immer
mehr, das Schwarz wurde immer weniger, aber ganz weiß wurde sie nie.
So war Frau Holderlein, jeder kannte sie.
Ihr
Mann, Herr Holderlein, war Pferdemetzger, und nebenbei auch Pferdehändler,
und augenzwinkernd sagten seine Freunde, mit dem Roßhandel verdiene
er mehr als mit der ganzen Metzgerei. Die betrieb er in der Münchner
Vorstadt, in dem alten, fast noch ländlichen Giesing, und seine Pfefferwürste
waren weithin berühmt. Sie waren schwarz, gelbe Fettwürfel waren
darin, und Pfefferkörner, darauf zu beißen man sich in acht
nehmen mußte, das tat den Zähnen weh. Für zehn Pfennige
bekam man ein Stück, das war länger als eine Hand lang, und als
Zuwaage noch eine daumendicke Scheibe. Die Wurst war herrlich, und hatte
nur einen Fehler – die Haut ließ sich schwer lostrennen. Die Lehrlinge,
und auch die Schüler, die sich von ihrem Taschengeld die Wurst gern
kauften, die ärgerten sich nicht lang mit der schwer abziehbaren Hülle
und aßen sie mit. Die Pferdezungen gingen in bessere Häuser.
Man weiß es: geräucherte Pferdezungen sind eine Köstlichkeit
und übertreffen die Ochsenzungen an Wohlgeschmack. Manche Menschen
freilich sind kleinlich und weigern sich, etwas, das vom Pferde stammt,
zu essen. Ihnen, die das Vorurteil nun einmal haben, darf man nicht sagen,
daß es Pferdezunge ist, was sie auf dem Teller haben, dann brechen
sie in Lobschreie aus. Sie sagen, diese Voreingenommenen, gegen das Pferd
hätten sie nichts, aber was unter das Beil eines Pferdemetzgers käme,
seien alte, und oft auch kranke Tiere, abgerackerte Droschkengäule
und Schindmähren. Dagegen verwahrte sich Herr Holderlein und sagte,
er schlachte nur gute Stücke, verunglückte Gäule, und es
gäbe überdies eine amtliche Fleischbeschau, die nur einwandfreies
Fleisch zum Verkauf zuließe. Und ob vielleicht eine rippendürre
Kuh besser zu essen sei als ein Hengst, der sich das Bein gebrochen? So
zürnte er und fragte wohl auch herausfordernd, ob sie denn nie gehört
hätten, daß Schmalzgebackenes am besten im gelben Pferdefett
geriete? Nun, sie seien eben keine Feinschmecker!
Sie
waren angesehene Leute in der Vorstadt, die Holderleins. Das kleine Haus,
in dem sie wohnten und die Pferdemetzgerei betrieben, gehörte ihnen,
und ihre Ehe war glücklich und kinderlos. Gegen den Hof hinaus hatte
Herr Holderlein einen Stall angebaut, in dem er sich ein eigenes Pferd
hielt, einen feurig-schnellen Rotfuchs mit einem weißen Fleck auf
der Brust. Das Tier war sein ganzer Stolz. Auch einen kleinen Wagen besaß
Herr Holderlein. Seit dreißig Jahren waren sie nun verheiratet, und
bei ihrer silbernen Hochzeit war es hoch hergegangen. Reich geschmückt
war die Tafel gewesen, auf einem Schragen hatte man ein Faß Bier
aufgelegt, und der Lehrling der Metzgerei machte den Schenkkellner: schäumend
flossen die Krüge über. Aber auch Wein gab es, weißen und
roten, und zuletzt Sekt aus hohen Stengelgläsern, die klingend gegeneinanderstießen.
Das klang wie Geläut von Pferdegeschirren, sagte Herr Holderlein,
der Silberbräutigam. Frau Holderlein hatte stolz und beglückt
im Kreis der Versammelten herumgeschaut, von Erinnerungen bedrängt.
Sie trug ihre schönste Bluse aus weißer, starrender Seide und
hatte ein Myrthenkränzlein im hoch emporgedrehten Haar, und dem Sekt
sprach sie fleißig zu. O, die schöne Lustbarkeit! Der kleine,
stämmige Herr Holderlein trug den schwarzen Gehrock, den er schon
bei der grünen Hochzeit getragen hatte, und ein Sträußlein
im Knopfloch. Er war nicht dicker geworden, rühmte er sich und spannte
die Brust. Seine Frau neben ihm war wie eine hohe weiße Lilie, feierlich
sah sie aus und fromm.
Herr
Holderlein war ein listenreicher Schafkopfspieler, ein Meister in allen
Schlichen und Tücken dieser Kunst, und jeden Abend, und keinen ließ
er aus, ging er ins Wirtshaus, reihum, immer in ein anderes, die Karten
klatschend und siegreich auf den Tisch zu werfen, der Schrecken seiner
Gegner. Da gab es oft hochrote Köpfe, denn auch mit dem Hohn über
die Unterliegenden sparte der Spielmeister nicht, und manchmal auch Zank,
der aber immer bald wieder geschlichtet wurde. Selten kam es vor, daß
er verlor – er tat es dann in würdiger Haltung und nahm Spottreden
gelassen hin. Herr Holderlein hielt es mit dem Ausgehen wie die andern
Geschäftsleute ringsum, die auch jeden Abend am Wirtshaustisch saßen
– die Frauen wußten es gar nicht mehr anders, auch Frau Holderlein
nicht. Das war nun einmal so Sitte. Und es mußte so sein, sagten
die Männer ihren Frauen, der Wirt will doch auch ein Geschäft
machen und kauft dafür bei uns ein, sagten sie – eine Hand wäscht
die andere.
So
gab es viele einsame Stunden für Frau Holderlein, aber sie litt nicht
darunter. Abends saß sie in ihrem Wohnzimmer, neben der Topfpalme,
vor einem Henkelkrug dunklen Biers, und die Lampe gab ein friedliches Licht.
Die Lampe war ein besonders schönes Stück, das Herr Holderlein
bei einer Versteigerung erworben hatte. Sie stellte ein im Galopp dahinsprengendes
Pferd vor. Sie war aus Kupfer, wild wallte die Mähne, und der Roßschweif
bog sich schön. Der Künstler, der sie gefertigt hatte, mußte
ein erlesener Pferdekenner gewesen sein, behauptete Herr Holderlein. Zierlich
und zornig war der Kopf, die Nüstern blähten sich, schön
waren die Beine gearbeitet, und die Augen waren aus grünem Glas und
blitzten. Im Bauch hatte das Tier Petroleum. Frau Holderlein liebte das
kupferne Tier und hielt es glänzend blank. Wenn sie häkelte oder
strickte oder an einer neuen Seidenbluse nähte, sah sie oft zärtlich
und bewundernd zu ihm auf. Sie las oft in einem Fortsetzungsroman, der
von Heft zu Heft unendlich und aufregend sich fortspann, oder auch gern
und immer wieder im ägyptischen Traumbuch, denn auf Träume gab
sie viel und wußte sie schön auszulegen. Die Nachbarinnen kamen
zu ihr, das, was sie geträumt hatten, sich deuten zu lassen. Sie war
zum Fürchten in solcher Stunde, wenn der Geist über sie kam,
und gläubig lauschten die Frauen den Worten der seidenen Sybille.
Und
als das Ehepaar so fast vier Jahrzehnte in Freud und Leid zusammen verbracht
hatte, kam Herr Holderlein zu sterben. Es war ein langwieriges Krankenlager,
das er zu überstehen hatte, und Frau Holderlein pflegte ihn mit hingebender
Geduld. Herr Holderlein war recht kleinmütig geworden, als er sein
Ende herannahen fühlte. Er hatte Stunden, da er weinte, so leicht
zu rühren war jetzt sein Herz. Und einmal, als ihn die Frau eben frisch
gebettet hatte und das Kopfkissen tätschelte, darauf sein Haupt ruhte,
und sie ihm die Tropfen einflößte, die vergeblichen, und friedlich
leuchtete das Petroleumpferd, da sah er sie, die ihm so gut tat, mit nassen
Augen an und sagte: »Wenn ich jetzt fort muß, gell, du läßt
mich nicht allein, du gehst mit!« Herr Holderlein hatte wohl nie
etwas von der strengen Sitte der
indischen
Witwenverbrennung gehört, die da verlangt, daß, wenn der Ehemann
stirbt, die Ehefrau freiwillig den Scheiterhaufen besteigt, im Tode sich
dem Mann zu vereinigen, dem sie im Leben gesellt war. Aber sein Wunsch
war ähnlicher Art. Frau Holderlein doch war kein indisch Weib. Ganz
freundlich sah sie ihren Eheherrn an, und es war kein Groll in ihrer Stimme,
und auch keine Verwunderung ob des sonderbaren Ansinnens, und wie man einem
Kinde, das man nicht ernst nimmt, einen törichten Wunsch abschlägt,
sagte sie voll Sanftmut: »Ja, freilich! Vierzig Jahre lang bist du
jeden Abend allein ausgegangen, und hast mich nicht gebraucht, und jetzt
auf einmal soll ich mitgehen!« Still war es im Zimmer, nur der Regen
klopfte. Frau Holderlein schraubte den Docht der Lampe niedriger, daß
den Kranken das Licht nicht blende und sagte: »Jetzt schlaff «
Herr Holderlein seufzte leise und dann schlief er ein, für diese Nacht,
und ein paar Tage darauf für immer. In tiefer Trauer überlebte
ihn seine Witwe um fünf Jahre. Viele, viele Abende, die nicht leerer
waren, als sie es sonst gewesen, saß sie unter der Lampe und hatte
keine unnützen Gedanken. Die Metzgerei verpachtete sie, nicht ohne
es zur Bedingung zu machen, daß sie jeden zweiten Sonntag eine Pferdezunge
umsonst zu bekommen habe. Das hielt der Pächter treulich ein. Das
Pferd, es war schon längst der Rotfuchs nicht mehr, verkaufte sie
und auch das Wägelchen, in der Wohnung blieb sie. Sie war immer fromm
gewesen, jetzt ging sie täglich zur Frühmesse, und oft zu Herrn
Holderleins Grab.
Und
was sie früher schon gelegentlich getan, das kam erst jetzt zu voller
Entfaltung. Wenn jemand starb, eine alte Frau, von der es nicht anders
zu erwarten gewesen war, oder eine junge Frau im Wochenbett, oder ein schwindsüchtiges
Mädchen, dann holte man sie herbei. Kamm und Bürste packte sie
in ihre Tasche, und Öl und Salben, und eine Brennschere und eilte
zu dem Trauerhaus. Eifrig begann sie ihr Geschäft, das sie um Gotteslohn
verrichtete, kein Geld nahm sie dafür. Mit zarten Fingern löste
sie der Toten das Haar und lobte es, wenn es schön und dicht war,
und kämmte und bürstete es und legte es behutsam zurecht. Sie
nahm die Brennschere und machte sie im Ofenfeuer oder über einer Kerzenflamme
heiß und prüfte an einem Streifen Zeitungspapier, ob das Eisen
nicht zu glühend sei, und brannte der Toten Wellen und Stimlöckchen,
zierlich gerollt auf der bleichen Haut - kein Haarkünstler hätte
es besser machen können. Und manche Mutter sagte, die tote Tochter
betrachtend: »Wie ein Engel schaut sie aus!« und weinte sanfter.
An
Männern übte sie das fromme Werk nicht, nur einmal tat sie es.
Am Rand von Giesing, wo dann das flache Bauernland beginnt, stand eine
große Ziegelei, in der viele Italiener arbeiteten. In Jacken und
Hosen aus Rippelsamt kamen sie daher, die Männer aus dem Süden,
aus Udine oder aus Neapel, wo der Vesuv brennt. Von den Südländern
waren die meisten Kunden der Pferdemetzgerei, auch Alfredo, ein junger,
zarter Mensch mit fast noch kindlichen Gesichtszügen. Mit schwungvoller
Demut, wie vor einer Königin, zog er den Hut, wenn er Frau Holderlein
begegnete, und sie nickte gnädig zurück. Er gefiel ihr in seiner
Unschuld. Nun war er unerwartet gestorben, an einem Lungenleiden, sagte
der Arzt, und die Leute sagten: aus Heimweh! Seine großäugig-traurig
blickende Frau kam jammernd zu Frau Holderlein, daß sie dem Toten
den üppig-schwarzen Lockenkopf brenne. Und so flehentlich bat sie
darum und warf sich schreiend auf die Knie vor ihr nieder und küßte
ihr angstvoll und gierig die Hände und den Rocksaum, daß sie
nicht »nein« sagen mochte. Aber sie betrachtete es doch als
ein unziemliches Verlangen, und es wurde auch nie wieder an sie gestellt.
Auch schien ihr, Herrn Holderlein wäre es nicht recht gewesen.
Als
sie starb, brannte ihr niemand die Haare zu Löckchen. Die vom Amt
bestellte Totenfrau beherrschte die Kunst nicht, und sie kam auch bald
ganz außer Brauch.