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Georg Britting
Sämtliche
Werke - Prosa -
Herausgegeben von Georg-Britting-Stiftung
Kommentar Seite 412
Komödiantengeschichte
Aus: »Erzählungen,
Bilder, Skizzen«
Komödiantengeschichte
In der kleinen
Stadt Honfleur, in der Normandie, nahe der Seinemündung gelegen, und
seiner Stockfische wegen bekannt, hat sich, ein Menschenalter vor dem Bastillesturm
in Paris, der ein neues, vernünftiges Zeitalter heraufführte,
so wenigstens sagt man, das Folgende ereignet, und jedem steht es frei
es lächerlich zu finden oder fürchterlich. Aber es ist so geschehen,
es ist urkundlich verbürgt, und so muß es auch unerschrocken
erzählt und angehört werden, und wer da gern die Augen verschließt
vor dem wüsten Greuel des Lebens, wird leicht blind auch für
sein Liebliches.
Eine Truppe von Schauspielern
war in der Salzfischstadt eingetroffen. Ihr Anführer war ein ehemaliger
Latwergenhändler, der über der rechten leeren Augenhöhle
eine schwarze Binde trug, aber mit dem ihm verbliebenen linken Auge sah
er scharf genug, und mehr als manchem lieb war, seine Leute wußten
es. Im Saal des Wirtshauses brachten sie liederliche Schwänke und
Possen zur Aufführung und hatten großen Zulauf aus dem gemeinen
Volk. Auch gesetzte Bürger fanden sich ohne Scheu ein, die aber ihre
Weiber zu Hause ließen, und junge Herren vom Adel, die mit ihren
Degen ein vornehmes Geräusch machten, und in den Pausen Wein und Zuckerzeug
und rosarote Briefchen den Frauenzimmern hinter die Bühne bringen
ließen – sie wurden
meist gnädig und gewährend angenommen.
Einmal verlangte ein Stück,
das in einer feurig-frechen Eifersuchtsszene gipfelte, daß der Harlekin,
ein bildhübsches Bürschchen von kaum zwanzig Jahren, ein bartloses
Milchgesicht, von dem hitzigen Nebenbuhler durch einen Messerstich getötet
werde. Der Darsteller des Nebenbuhlers, ein schon älterer Mensch mit
dunkel glühenden Augen, mit der munteren Tochter des Latwergenhändlers
unruhig verheiratet, machte das so gut und echt, daß der Harlekin
gleich nach dem Fallen des Vorhangs starb – auf offener Bühne zu verscheiden
hatte er vermieden mit letzter Kraft, in dem Pflichtbewußtsein, das
Schauspieler so oft auszeichnet. Der gestochen hatte, zerraufte sich das
schwarze Haar und warf sich, laut jammernd und sich anklagend, zu Boden,
und verfluchte seine unglückliche Hand. Aber nicht alle glaubten ihm,
daß es nur ein Versehen gewesen war, nur hütete sich jeder es
auszusprechen. Auch die Polizei begnügte sich schnell mit der Meldung,
ein Komödiant sei durch einen Berufsunfall ums Leben gekommen – das
geschah des öfteren, Seiltänzer stürzten ab, Feuerfresser
verbrannten sich, und solch unehrlicher Leute einer mehr einer weniger,
was machte das schon aus?
So weit nun gut und schön,
doch als der einäugige Latwergenhändler, ein Mann, der auf Sitte
und Herkommen hielt, den zuständigen Pfarrer auf das höflichste
bat, und dabei vernehmlich mit den Geldstücken im Hosensack klimperte,
ein Begräbnis vorzubereiten für den Verunglückten, lehnte
der geistliche Herr das mit vielen bedauernden Reden ab, auf seine oberhirtlichen
Vorschriften hinweisend, die es ihm nicht erlaubten, Fahrende mit den kirchlichen
Segnungen versehen auf einem geweihten Friedhof zu bestatten. Er seufzte,
als er das sagte, vielleicht noch das Klimpern im Ohr, und der Latwergenhändler
rückte an seiner schwarzen Binde und verbeugte sich und ging.
Nun hatte vor kurzem erst
das fortschrittlich gesinnte Parlament in Paris eine Verordnung erlassen,
derzufolge in Fällen dieser Art auch das weltliche Gericht ein Wort
mitzusprechen habe, und der Latwergenhändler, gekränkt und rechthaberisch,
strengte eine Klage gegen den Pfarrer an, des Inhalts, diesem sei aufgegeben,
dem Erstochenen, der ein getaufter Christenmensch gewesen, ein ehrliches
Grab nicht zu verweigern, auf daß man ihn nicht zu verscharren brauche
wie eine räudige Katze.
Langsam und schwerfällig
arbeiteten auch damals schon die Behörden, und bis eine Entscheidung
fiel, das mochte
eine geraume Weile dauern, und
bis dahin war die Leiche der viel schneller als die Behörden arbeitenden
Verwesung anheimgegeben. Ihr Einhalt zu gebieten, kam ein Mitglied der
Truppe, ein der Hochschule entlaufener Tunichtgut, der Wundarzt hätte
werden wollen, auf einen tollen Einfall, und es kann nicht anders sein,
als daß es das Vorbild und die Luft der Salzfischstadt Honfleur waren,
die diesen Gedanken in ihm weckten. Er konnte es ja rings mit Augen sehen,
wie man die Fische durch Einsalzen vor dem vorzeitigen Verderben zu bewahren
verstand, und warum, dachte er, sollte das nicht auch bei dem im Tode noch
so anmutig anzuschauenden Jüngling gemacht werden können, damit
man für den Tag der Beerdigung einen wohlerhaltenen Leib in Bereitschaft
habe. Er erinnerte sich von der Schule her, daß die alten ägyptischen
Ärzte schon Mittel anwandten, ihre Könige in gutem Zustand in
die Grabkammern zu legen, und so ähnlich königlich sollte es
dem Harlekin auch geschehen – das war sein Wille!
Die Kosten für das
Salz zu sparen, sammelte der von seiner Aufgabe schon ganz Besessene von
dem Salz, das von den Stockfischen fiel, wenn sie aus den Schiffen ausgeladen
und in die Schuppen der Händler getragen wurden. Alle armen Leute
Honfleurs versuchten so, sich billig das weiße Gewürz zu verschaffen,
obwohl es natürlich verboten war, denn die Stockfischhändler
ließen das Geringste nicht sich entgehen von dem Ihrigen, und nur
auf diese Weise wird man reich. Der fürchterliche Mensch also begann
zu tun, was er sich vorgenommen hatte, alte, fast vergessene Wissenschaft
zu nützlicher Anwendung bringend, mit aller Hingabe, ja, mit einem
einfältigen und frommen Stolz und recht als gutes Werk, wie er in
seiner Verwirrung meinte. Kaum war er fertig geworden, kam ein Salzbedienter
gelaufen, der von dem Diebstahl gehört hatte, mit einem Polizeibüttel
kam er, und ließ den Salzdieb auf der Wache festsetzen – um den so
königlich behandelten Toten kümmerte er sich nicht, das fiel
nicht in sein Amtsbereich! Zwar kratzten jetzt die Schauspieler ihr Geld
zusammen, eine Sicherheit für den Gefangenen zu stellen, und man gab
ihm auch bald die Freiheit wieder, bis der Stadtrichter sein Urteil gefällt
haben würde. Nun hatten die fahrenden Leute einen zweiten Prozeß
auf dem Hals, und ihrem Oberhaupt, dem Latwergenhändler, gefiel das
gar nicht, und er sah Unheil kommen mit seinem noch sehenden linken Auge.
Er rückte an seiner
schwarzen Binde, wie immer, wenn es einen Entschluß zu fassen galt,
und dann ordnete er an, zu tun, was oft schon in Bedrängnissen ihre
Rettung in letzter Stunde gewesen war: sich heimlich, und bei Nacht und
Nebel, und mit Sack und Pack davon zu machen, von den Füßen
den Staub schüttelnd der ungastlichen und grausamen Stadt. Den Harlekin
ließen sie zurück, und der Wirt mochte nur ruhig mit ihren unbezahlten
Rechnungen ein Feuerchen im Ofen anzünden, sich eine Wurst drauf zu
braten: er hatte genug an ihnen verdient durch die vornehmen Gäste,
die sie in sein minderes Haus gelockt hatten. Der Herr sei ihm gnädig,
sagten sie, und meinten den Wirt nicht, meinten den Harlekin, und schlugen
das Kreuz über den toten Kameraden, und die Tochter des Latwergenhändlers
weinte sogar.
Der Salzbediente, als
er von der Flucht der Truppe hörte am andern Morgen, machte sich eilig
zu dem Wirtshaus auf. Er sah den Toten, und weil er glaubte, der sei ein
für ihn kostbares Pfand, und die Schauspieler würden vielleicht
doch einen Boten schicken, es auszulösen, bemächtigte er sich
des Dahingeschiedenen und schaffte ihn auf einem Karren in eins der Stockfischlager.
Nie wieder aber ließ
sich einer der Truppe in Honfleur blicken, und nicht für lange konnte
der Salzbediente den stummen Harlekin bei den stummen Stockfischen haben.
In seiner Not versuchte er zu erreichen, was schon der wortgewaltige Latwergenhändler
nicht erreicht hatte, den geistlichen Herrn nämlich dazu zubewegen,
dem Jüngling nun doch noch ein Begräbnis zu gewähren, auf
Armenkosten natürlich, und in der billigsten Klasse. Aber der Gottesmann
schlug entsetzt die Hände über dem Kopf zusammen, als er von
dem Vorgefallenen hörte und beharrte jetzt erst recht auf seiner Weigerung,
den Harlekin neben den Bürgern der Stadt zu betten.
Der Salzbediente, es ist
zu verstehen, war voll Kummer und sah keinen Ausweg mehr aus dieser Verfahrenheit,
und fest nun entschlossen, dem Trubel ein Ende zu machen, legte er in einer
schwarzen Nacht den toten Schauspieler wieder auf den Handkarren und karrte
ihn, und es ärgerte ihn, daß die ungeschmierten Räder so
laut knarrten, zur Seine hinab, und warf ihn in das geduldige Wasser, das
bei Honfleur ins Meer fließt. Und die Wellen des Flusses trugen den
gesalzenen Leichnam in das weite, salzige Wasser.
Der unbestrafte Mörder,
angenommen, es habe sich um einen überlegten Mord gehandelt, was niemand
wissen konnte, nur er, ja, selbst er nicht mit Sicherheit, denn ihm waren
vielleicht Spiel und Leben ein und dasselbe geworden in einer undurchdringlichen
Sekunde – er nun also lebte wieder still und zufrieden mit der Tochter
des Latwergenhändlers. Und wenn ihn des Nachts böse Träume
peinigten und ihn weckten, und er dann schlaflos lag, und neben ihm atmete
die Frau, und sie auch nur konnte wissen, ob sie mit dem Harlekin bloß
getändelt hatte, oder ob es mehr gewesen war – so griff er nach dem
Krug mit rotem Wein, den er nie vergaß abends ans Bett zu stellen,
und der vermag viel.