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© Georg-Britting-Stiftung

Georg Britting
Sämtliche Werke  - Prosa -
Herausgegeben von Georg-Britting-Stiftung

Band 5  Seite 286
Kommentar Seite 415

Aus: »Erzählungen, Bilder, Skizzen«


Die sizilianische Vesper

Heinrich Ströbl war sein Name. Wir sagten: der Ströbl Heinerl. Er war für sein Alter, für seine fast sechzehn Jahre, schon groß, auch schon recht dick, mit einem runden, gutmütigen Gesicht und weißen, fettgepolsterten Händen. Seine Fingernägel waren immer sorgfältig geschnitten und gefeilt. Er machte auch sonst einen gepflegten Eindruck und trug gute und gut gebügelte Anzüge. Beinahe schon ein Herr. In der Schule war es ein Jammer mit ihm. Sein runder Kopf mochte nichts behalten, und was er dann doch behielt, verwechselte er. Ströbl war guter Leute Kind, drum mußte er die höhere Schule besuchen, zu seinem Entsetzen und zu dem der Lehrer, da half nichts.
 Im Geschichtsunterricht hatten wir es auch mit den Kreuzzügen zu tun. Neben den großen, entscheidenden Tatsachen, neben den Jahreszahlen von Schlachten und Friedensschlüssen sich bezeichnende und farbige Einzelheiten zu merken, das verlangte unser Lehrer. Die prägten sich leicht und für immer ein, sagte er, und sie seien, was der Maler mit dem Fachausdruck »ein Licht aufsetzen« nennt. Die Kreuzfahrer zogen mit dem Rufe »Gott mit uns!« ins Feld gegen die Heiden und Sarazenen, so lernten wir. Er las uns, der Geschichtslehrer, als hierher gehörig die
»Schwäbische Kunde« von Ludwig Uhland vor, in der geschildert wird, wie der fromme Ritter mit einem Schwertstreich einen Gegner von oben bis unten spaltet: »Zur Rechten sah man wie zur Linken einen halben Türken hinuntersinken« das machte Eindruck auf uns, wahrhaftig unvergeßlich, ein Glanzlicht! Und von der Sizilianischen Vesper hörten wir. An einem stillen Abend wars, zur Vesperzeit, als die heißblütigen Sizilianer, die gegen die französischen Eindringlinge sich erhoben hatten, jeden armen Kriegssoldaten des fremden Landes töteten, dessen sie habhaft werden konnten. Und der Geschichtslehrer wußte wieder ein Glanzlicht auf dem Entsetzensbild anzubringen: Um einen Feind, der sich etwa verkleidet hatte, dem Strafgericht zu entkommen, nicht entwischen zu lassen, verlangten die Aufrührer in jedem zweifelhaften Fall von dem Manne, er solle sagen: cece, cici, ciceri! (Gesprochen wird es: Tschetsche, tschitschi, tschitscheri.) Das nun brachte keiner Mutter Sohn richtig heraus, der in Paris geboren war oder Bordeaux oder sonstwo im gallischen Land, und der Feind war erkannt, und grausam wurde er niedergemetzelt.
 Sie hat, diese Kriegslist, schon einen Vorläufer in der Bibel. Der Geschichtslehrer wußte es vielleicht nicht, jedenfalls sagte er es uns nicht. In der Bibel wird erzählt, daß die Gileaditer, die im Kampf lagen mit den Ephraimitern, diese, wenn sie sich versteckt hatten, und ertappt dann harmlos und freundlich taten, das Wort »Schiboleth« sprechen ließen. Die Armen sagten: Siboleth. Das »sch« gelang ihnen nicht, und das war ihr Tod. So wiederholt sich alles.
 Um wieder vom Ströbl Heinerl zu reden, dem Guten, so sahs in dessen Kopf wüst genug aus. Die einprägsamen Einzelzüge und Glanzlichter brachte er durcheinander wie Kraut und Rüben, heillos, es mochte ihm wohl manchmal schwindeln. Aber was er sich dann einmal leistete, schlug dem Faß den Boden aus und war der Anfang vom Ende seiner Schullaufbahn. Als er sie dem Gehege seiner Zähne entlassen hatte, die unglückselige Antwort, und wir uns minutenlang aufführten wie die Indianer, tanzend um den Marterpfahl, und er, der Heinerl, war am Pfahl, wurde sein rotes Gesicht weiß, und das blasse des Lehrers wurde ganz rot, wie Mohn, rot wie ein Hahnenkamm. Ein paar Wochen drauf verließ der Heinerl die Schule, mitten im Jahr, es war nicht mehr zu machen, und trat in das väterliche Geschäft ein, in der kleinen Landstadt, droben im Wald. Ob er ihn zugrunde richtete, den väterlichen Lederhandel, weiß ich nicht zu sagen. Ich verlor ihn aus den Augen, ganz und gar, und sah ihn niemals wieder. Aber Leder ist zäh und dauerhaft und möglicherweise ging alles gut ab. Aber damals, als ihn der Lehrer fragte, wie der Schlachtruf der Kreuzfahrer gelautet habe, wenn sie auf die Heiden einstürmten, und die Fahne wehte ihnen voran, da hatte der Ströbl Heinerl zuerst noch aufmerksam seine glänzenden Fingernägel betrachtet, als würde ihm von ihnen Rat. Aus voller Brust dann und siegesgewiß, mit seiner Stimme, die schon fest und dunkel war, ein Baß, während unsere oft noch kreischte wie eine Säge im Holz, und nur hie und da schon voll tönte wie eines Mannes Stimme, hatte er gesagt: Tschetsche, tschitschi, tschitscheri! Wie Posaunenhall hatte er seine Antwort hingeschmettert. Er hatte es mit der sizilianischen Vesper verwechselt. Sein Kopf verwechselte so leicht alles, wie schon ein paarmal gesagt; so war er nun eben.
 Werft keinen Stein auf ihn! Wir waren unbarmherzig und warfen viele Steine auf ihn, und begrüßten ihn jeden Morgen mit einem schallenden Tschetsche! Er ging dann also bald von der Schule ab, recht tat er daran, für die Wissenschaft war er nicht geboren. Er trat in die Schule des Lebens ein, in den Lederhandel. Fast nehme ich an, er wird Kalbsleder nicht mit Rindsleder verwechselt haben. Schließlich, was wissen wir schon, ich und du? Bedenks! Und das Lachen wird dir vergehen!