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Georg Britting
Sämtliche
Werke - Prosa -
Herausgegeben von Georg-Britting-Stiftung
Band 5
Seite 292
Kommentar
Seite 415
Aus: »Erzählungen,
Bilder, Skizzen«
Der Sekt der Geizigen
Bei den
Schotten, erzählt man sich, ist der Geiz ein weitverbreitetes Laster,
und man weiß haarsträubende Beispiele davon zu berichten, aber
das ist vielleicht nur üble Nachrede und arg übertrieben. Das
Folgende sei drum nicht bei den kurzröckigen Hochlandsbewohnern angesiedelt,
sondern wir bleiben im deutschen Vaterland, bei den Schwaben etwa, von
deren Sparsamkeit viel daher gemacht wird, wir könnten es aber auch
bei den Franken spielen lassen, oder auch bei den Bayern, die in den Bergen
leben wie die Schotten, nur kurze Lederhosen tragen statt der bunten Röckchen.
In einer schwäbischen
Stadt denn also, in Augsburg, oder in Memmingen, lebte ein so wohlhabener
als geiziger Mensch, und beides fällt gern zusammen, ein Kaufmann,
der mit Seilen und Stricken handelte, mit Fischnetzen und allerlei Angelgerät,
und es ist schon eine Weile her, um die Zeit wars, da der Großvater
die Großmutter nahm. Der Kaufmann hatte es mit der Galle zu tun,
der Krankheit der mißmutig Sparsamen, und einmal lag er schwer und
unter großen Schmerzen danieder. Spät erst, und nach langem
Zögern, weil er die Kosten fürchtete, ließ er einen Arzt
rufen. Der Doktor, der auch nicht zu den verschwenderisch Freigebigen gehörte,
und dafür bekannt war in der ganzen Stadt wie der Seilhändler
auch, kam also, der Geiz zum Geize, und wendete alle Geschicklichkeit auf,
den Kranken zu heilen, und es gelang. Dessen Freude darüber war getrübt
durch den Gedanken an die Rechnung, die er nun zu gewärtigen hatte.
Er schalt sich, desto mehr, als es ihm von Tag zu Tag besser ging, voreilig
gewesen zu sein, und vielleicht, haderte er mit sich, wäre er von
selber wieder gesund geworden, hätte ers nur abgewartet und die Natur
walten lassen, die viel vermögende. Er zerbrach sich lange darüber
den Kopf, wie es anzustellen, ungerupft zu bleiben
von dem grausamen Doktor, und
es kam ihm endlich auch ein rettender Einfall, das heißt, es gerade
heraus zu sagen, es war ein rechter Spitzbubenstreich, den zu verüben
er sich anschickte.
Er hatte noch, da er natürlich
alles aufhob und das Geringste nicht wegwarf, ein Dutzend leerer Sektflaschen
im Keller stehen, französischer Herkunft, von seiner Hochzeit her
noch vor zwanzig Jahren - inzwischen war er längst Witwer geworden.
Die füllte er mit gutem Augsburger oder auch Memminger Brunnenwasser
und verschloß sie auf die Weise, wie man es mit dem Sekt macht, mit
einem Drahtgeflecht um die Korken und wickelte Silberpapier um die Flaschenhälse.
Es war ein ziemliches Kunststück, das er da vollbringen mußte,
und bei einem Fachmann hatte er, unter dem Vorwand, es handle sich um eine
Wette, sich Rats geholt, und es gelang das schwere Werk. Die auf den Flaschen
noch klebenden Zettel, die den Namen des Sekts, Herkunft und Jahrgang meldeten,
waren angeschimmelt und hatten braune Stockflecken, sie ließ er,
wie sie waren, die bezeugten das Alter des Weins, und der gewinnt ja nur
durch langes Lagern.
Das Flaschendutzend schickte
er, noch bevor er eine Rechnung von ihm bekommen hatte, dem Arzt, mit einem
höflichen und schmeichlerischen Brief, des Inhalts, er, der Doktor,
ein Kenner gewiß, werde den Sekt zu schätzen wissen: ein Getränk
sei es für Herzöge und Erzbischöfe, aber seine Dankbarkeit
für die gelungene Heilung sei groß, und nichts sei ihm zu teuer
in solchem Falle. Seine, des Seilhändlers nicht falsche Überlegung
war diese: Der geizige Doktor werde sich nicht überwinden, den Sekt
sich alsbald durch die Gurgel zu jagen, oder gar ihn seinen sowieso seltenen
Gästen vorzusetzen - für ihn, und erst recht für sie, tat
es der schwäbische Landwein auch, und Sünden würde er sich
fürchten, so Herrliches schnell zu vergeuden. Es geschah denn auch,
wie der Kaufmann, seinesgleichen nur zu gut kennend, vorausgesehen hatte:
Der Doktor bewunderte die verschimmelte Pracht, bedankte sich umständlich
bei dem Geber, und ließ die Flaschen durch seine Magd in den Keller
schaffen, sie aufzusparen für eine besondere Gelegenheit.
Die ,Jahre vergingen,
der Kaufmann starb, nicht an seinem Gallenleiden, eine schnelle Lungenentzündung,
zu deren Behandlung den Doktor herbeizurufen er für unnötig gehalten
hatte, raffte ihn hinweg. Der Doktor ging trotzdem zu seiner Beerdigung,
und gedachte, während der Sarg in die Tiefe sank, der Silberhalsflaschen
in seinem Keller, und wie Unrecht hatte man dem Verstorbenen immer getan,
ihn geizig zu nennen: er wußte es besser! Eigentlich wollte er am
Abend dieses Tages eine der kostbaren Flaschen öffnen, einen guten
Schluck zu nehmen, den Spender zu grüßen, aber er kam nicht
dazu, man holte ihn zu einem Kranken, und als er spät zurückkehrte,
war es Zeit, das Bett aufzusuchen, frisch zu sein für den nächsten
Morgen, und so blieb das Flaschendutzend unangebrochen. Nicht lange danach
segnete der Doktor selber das Zeitliche, betrauert nur von seiner alten
Magd, denn, zu heiraten hatte er sich versagt, und keine Witwe grämte
sich um ihn mit vielen Tränen.
Die Erben, entfernte Vettern
und Basen, rüsteten einen großen Leichenschmaus, bei dem es
so üppig herging, daß der Doktor im Grab sich umgedreht hätte,
wär ihm zuzuschauen möglich gewesen. Zur Krönung des Festes,
und da waren sie schon recht lebhaft geworden, holten sie auch von dem
alten Sekt aus dem Keller, den Toten damit würdig zu feiern. Als die
Kelche gefüllt waren, und man in fast ungebührlicher Fröhlichkeit
anstieß auf das jenseitige Wohl des Verstorbenen, hielt die weinende
Magd die Schürze vor das Gesicht und ging aus dem Zimmer. So sah sie
nicht, wie die einen schnell innehielten mit dem Trinken, und husteten,
und prusteten, und sich verschluckten, andre gar unbeherrscht den Sekt
wieder von sich den Teppich - so faulig und verdorben. Trotzdem - für
Wasser nahm das Getränk keiner! Und wenn sie auch von der Magd dann
erfuhren, daß die Flaschen ein Geschenk gewesen des schon lange toten
Seilhändlers - sein Wappenschild blieb fleckenlos, oder wenigstens,
man sah den Flecken nicht! Die Erben beschlossen nun nach dieser Erfahrung,
ihnen sollte dergleichen nicht geschehen, und sie wollten ihre Weine nicht
zu lange lagern lassen, denn, scherzten sie, alt zu werden bekommt schönen
Frauen nicht und nicht französischem Sekt.