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© Georg-Britting-Stiftung

Georg Britting
Sämtliche Werke  - Prosa -
Herausgegeben von Georg-Britting-Stiftung

Band 5  Seite 296
Kommentar Seite 415

Aus: »Erzählungen, Bilder, Skizzen«


Entrückung in die Landschaft

Der Fluß Regen im Bayerischen Wald ist ein bräunliches, langsam strömendes Wasser, von sanft-schwermütiger Art. Auf den grünen Uferwiesen grasen die weißen Gänse. Am Flusse Regen liegt die kleine Stadt Regen. Der Regen mündet bei Regensburg in die Donau. Die Stadt Regensburg hat von ihm den Namen.
 Nach langen Jahren war ich, zu Ende des August, zum erstenmal wieder im Wald, der meiner Mutter Heimat ist. Ich wohnte in Regen, in einem alten weiträumigen Gasthof am Marktplatz, gegenüber der Kirche. Der Schlag der Turmuhr dröhnte, wenn ich das Fenster offen hatte, gewaltig zu mir herein. Von der Stadt Regen führt eine schöne Straße zu der Stadt Zwiesel, die auch am Regen liegt. Die Stadt Zwiesel ist berühmt ihres Schnupftabaks wegen, und wegen der Glasbläsereien ihrer Umgegend. Venezianer sollen die Kunst in den Wald gebracht haben. Im Regen, und in den Bächen, die zu ihm fließen, wurde früher Gold gewaschen. Viel davon gaben sie nicht her.
 Dreimal, an drei Tagen hintereinander, ging ich von Regen nach Zwiesel und zurück. Das sind zusammen fünf Stunden Wegs. Am Straßenrand gab es Brombeeren die Fülle, in schwarzblauer Pracht. Das rote Eichkätzchen zuckte wie eine Flamme durchs Waldesdunkel. Der Häher schrie.
 Der Schnupftabak hat die graue Farbe des Flusses Regen. Von jeher machen den besten die Schuster, im Nebenerwerb. Die Blätter des Brasiltabaks werden, mit einer Zugabe von Butterschmalz, in einer großen, hölzernen Schüssel mit einem Stößel zu einem feinen Pulver zermalmt. Von dem Schmalz heißt der Schnupftabak Schmalzler. Auch mischt man Glassplitter in das Pulver. Die sollen die empfindlichen Innenhäute der Nase aufnahmebereit machen für das zarte Gift. Aber wer denn
schnupft noch heute? Nur die alten Männer tun es, und haben große, rote und blaue Schneuztücher, und sie zu waschen, ist die Pein der Hausfrau.
 Der Hund des Wirtes, ein weißer Spitz mit klugen, schwarzen Augen, lag immer am Abend am Kachelofen, auch wenn der nicht geheizt war. Einmal mußte der Ofen geheizt werden, so kalt war es geworden im sommerlichen August. Es ist eine rauhe Landschaft um Regen herum. Die Wälder tun das ihre.
 Zwei Wochen verbrachte ich in Regen. Nicht eine Stunde lang regnete es in dieser Zeit. Der Himmel war blau, die Wälder glänzten schwarz, und der Tierarzt, aus dem Böhmischen stammend, der mir manchmal Gesellschaft leistete, erzählte Geschichten vom kranken Vieh, von der Maul- und Klauenseuche, von den störrischen Bauern, die seine Ratschläge nicht befolgten, und lieber alte Hausmittel in Anwendung brachten, vom Vater und Großvater überliefert. Den Tierarzt ärgerte das. Er war auch sonst ein Aufklärer, und hatte in Gießen studiert.