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Herrschaftlicher
Diener gesucht
Schwank in drei Akten von Burg und Taufstein
Nicht daß ich der Meinung
wäre, man solle uns hier Goerings »Seeschlacht«, Unruhs
»Ein Geschlecht« oder Kaisers »Koralle« vorspielen.
Daß Gott behüte: ich bin anspruchsloser in meinen Wünschen.
Die aufrührerische Fahne neuer Bühnenkunst hier entrollt zu sehen
– kein billig Denkender wird das erwarten; stillos wäre das, weil
den gewohnten Rahmen sprengend, in dem sich Darsteller und Publikum in
fröhlicher Wechselwirkung wohlbefinden. Aber ich erhebe die Forderung
der mittleren Linie, wenn ich die Namen Hauptmann, Schnitzler, Bahr nenne.
Und ich lehne es ab, mich nach »Extemporale« und »Meine
Frau die Hofschauspielerin« von dem »Herrschaftlichen Diener«
mit Anstand zu Tode langweilen zu lassen.
Besonders wenn
die Aufführung so steifleinen ist, wie am Mittwoch, daß einem
jedes vorlaute Lachen erschrocken im Halse stecken bleibt. Am besten war
noch Herr Sturmfels, der aber eine Neigung hat, sich gehen zu lassen, die
an üble Provinz gemahnt. Und wenn jemandem der Anfänger so aus
allen Fingerspitzen schaut, wie Herrn Myra, so darf man ihn nicht mit einer
Rolle quälen, die ihn zwingt, sich bloßzustellen.
Wenn man, wie es
fast den Anschein hat, sich an das ernste, moderne Schauspiel nicht heranwagt,
weil man ein Versagen fürchtet, so ist beruhigend zu sagen, daß
es viel schlimmer nicht kommen kann und daß dein Mutigen die Welt
gehört.
[1918]
Der wütende und verruchte
Dialog der Parkszene, in dem zwei Menschen wie in der Tretmühle herumgewirbelt
sich gegenseitig geißeln und zerfleischen, ist martervoll anzuhören.
Martervoll der Dornenweg dieser beiden, von einem fremden Geschick furchtbar
zusammengepeitscht, aneinandergerissen wie Eisenspäne an den selben
Magnet. Es entzündet sich, wie sie sich widerstrebend und willig einander
ergeben, ein Feuer, das zu Liebe und Haß aufbrennt und zu dem kalten
Aschenhaufen der Verzweiflung zusammensinkt. Wer spricht das »Schuldig!«
aus? Schlagt die Hände vors Gesicht und betet, daß der Dämon
in eurer Brust nicht losrase!
Rausch und Taumel
und eine höllische Besessenheit reißen Maurice in zwei Tagen
aus dem Dunkel seiner ruhigen Verborgenheit durch einen Wirbelsturm sündiger
Leidenschaften zum – Himmel der Kirche, hilflos wie Treibholz tanzt er
auf den Wellen der Flut, die gegen ihn losgelassen. Aber die Wellen verschlingen
ihn nicht; sie werfen ihn in die geglättete Stille der Bucht.
Mit einer bitteren,
schmerzlichen Ironie, die nur zu leicht in Haß und Liebe umschlägt,
legt Strindberg die groteske Jämmerlichkeit seiner Menschen bloß.
O, er haßt diese erbärmliche Brut mit einem verzehrenden, tödlichen
Haß, wie man nur sich selbst hassen kann; und er liebt sie und Lunfängt
sie mit einer ekstatischen Glut der Liebe, die Verzückung ist.
Mystik blüht
auf, fremde Schauer werden angerufen und die Trivialität des Kriminalromans
wird nicht verschmäht.
Hinter den Sätzen Strindbergs
lauern Abgründe; doppelsinnig ist jedes Wort und die banalsten Wendungen,
von innen heraus erleuchtet, bekommen Farbe und Glut.
Manchmal hatte
man das Gefühl, Herr Strom spiele Sudermann. Seine Gefühlsausbrüche
waren von einer leidigen Sentimentalität. Mir schien, er erlebte nicht
intensiv genug und gab nur Umrisse, wo starke Ausprägung sich notwendig
gezeigt hätte. Frl. Baltz sprach die Henriette mit ungarischem Dialekt.
Auch sie kam an die Gestalt nicht nahe genug heran. Um Strindberg muß
inbrünstig gerungen werden und seine engeren Bezirke erschließen
sich nur schwer. Immerhin: Herr Reiter traf mit der Vorstellung so von
ungefähr Ton und Tempo des Stückes.
Das vollbesetzte
Haus benahm sich musterhaft und zeigte erstaunlich viel Verständnis.
Ein Grund mehr, in der Zukunft den edlen, schweren Wein der Dichtung zu
verschenken, statt der abgestandenen Limonade der Schwankliteratur.
Eine Anmerkung
zur Richtigstellung: »Rausch« ist nicht der erste Strindberg,
der hier gespielt wurde. Unter Manrach brachte man eine Vorstellung von
»Fräulein Julie« heraus, die ich in guter Erinnerung behalten
habe.
[1918]
Don Carlos
Ein dramatisches Gedicht in fünf Akten
von Schiller
Den klaren und schwingenden Goldklang der Schillerschen Verse durchschmettert mancher Trompetenstoß, der in unedlerem Metall erklirrt. Ein immer jünglinghaftes Pathos entflammt im Spiel der Wechselrede. Diese Menschen leben in einer Ekstase, an die man nicht mehr glaubt, wenn das rasende Wort verklungen ist, das sie entzündet hat. Es sind Leidenschaften des Gehirns, die sich austoben. Mit dieser gemütsabgewandten, den gebändigten Exaltationen des Geistes hingegebenen Kunst rührt Schiller an den Umkreis der großen Franzosen.
[1919]
Rosmersholm
Schauspiel in vier Akten von Henrik Ibsen
Die tote Beate ist die lebendigste
Person des Stückes. Unheimlich, wie ihr blasser Schatten hinter den
beiden aufsteht, wie er sie bedrängt, hetzt, zermürbt. Rosmer
ist das wehrlosere Opfer. Sein »zartes Gernüt« wird gestachelt
von Schuld, die vor mutigeren Augen in Dunst zerflatterte. Rebekka, die
(mit gesünderen Instinkten ausgestattet) den lähmenden Bann Rosmersholms
lösen will, unterliegt im aufreibenden Kampf gegen den unfaßlichen
Feind.
Um Rosmersholm
schwingt eine Luft, fahldünstig und ungesund. Aus allen Wänden
kriecht es schwadig her und die weißen Rosse sausen um die Giebel.
Selbstquälerisch, vergrübelt, ins Unfruchtbare verbohrt, schneiden
sich Menschen selbst die Sehnen zum Sprung in ein neues Leben ab.
Fabelhaft wieder
die Technik, mit der Ibsen im Ablauf der Szenen Vergangenheit erstehen
läßt. Wenn der Vorhang sich hebt, ist das Drama fast schon zu
Ende – nichts bleibt zu tun, als den Schlußstrich zu ziehen.
Eine mystische
Phraseologie, die manchmal stören will, verhindert nicht, daß
Unheimliches skeletthaft zwischen Sätzen hervorgrinst. Die Auseinandersetzung
zwischen Rosmer und Kroll im ersten Akt wirkt in ihrer Zeitgemäßheit
wie für den heutigen politischen Tag geschaffen.
[1919]
König
Nicolo oder: So ist das Leben
Von Frank Wedekind
Man gab uns Wedekind, aber aus
verschiedenen und einem Grunde nur einen zahmen und besänftigten Wedekind.
Zahm auch in jenem bürgerlichen Sinne, der die melancholische Wut
fürchtet und lüstern liebt, mit der Wedekind im Strudel dunkler
Leidenschaften uni Menschentum ringt. Und besänftigt, weil hier sein
Mund von den schmerzlichsten Grimassen entspannt ist und die verkrampfte
Qual seiner Gebärden sich milder löst. Wie ein Traum – und Märchenspiel
gleiten die Bilder vorbei, in denen die Fabel vom vertrieben irrenden König
bitter abgewandelt wird. So ist das Leben, sagt Wedekind zynisch-wehmütig
und belächelt sich, wenn er mit Almas Akrobatenstück sich selber
auf den Kopf steigt. Bizarre Humore leuchten wie Giftblüten aus dem
grünen Laub der bewegten Handlung und in der Königsposse glüht
eine satanische Ironie auf, die sich am eigenen Schmerz entzündet
hat. – Wie Wedekind mit seinen mitunter unbehilflichen Reportersätzen
an die Seele der Dinge herankommt, wie er, bänkelsängerhaft kreischend,–
wo andere Arien sängen, seineu Schmerz hinauswimmert, ist grotesk
hohe Kunst. […]
Das volle Haus,
das den ersten Bildern, die darstellerisch am schlechtesten wegkamen, abwartend
gegenüberstand, ging willig und entflammt mit, als sich Nicolos Schicksal
zum allgemein Menschlichen weitete. Der stürmische Beifall, vor dem
sich die Spieler neigten, und der dem toten Wedekind galt, ist Vorwurf
und Mahnung, mit der geübten Vernachlässigung des modernen Schauspiels
zu brechen. (Und die Zahl der aufgeflührten Stücke rascher zu
mehren! Die Zahlen, die ich nenne, klagen an: Unter Maurach wurden vom
Beginn der Spielzeit bis zum 1. März 72 Stücke gespielt, heuer
im gleichen Zeitraum nur 36. Und niemand wird die Behauptung wagen, daß
heuer dafür besser gespielt werde.)
[1919]
Helden
Komödie in drei Aufzügen von Shaw
Der erste Akt hat literarische
Haltung. Er hat mehr: einen frechen Humor, der noch unterm Galgen schauerliche
Witze reißt. Mit dem Tod werden kleine Späßchen getrieben
und seinem grinsenden, fleischlosen Schädel wird eine blutrote Narrenkappe
aufgesetzt. Der gehetzte und erschöpfte Bluntschli, dem jede Maske
vom Gesicht gesunken ist, trat taumelnd aus einem grotesken Totentanz.
Und seine verzerrte Fratze feixt aus dem blitzenden Spiegel, in dem Raina
das Bild eines romantisch?übersteigerten Helden auffangen wollte.
Aber dann biegen der zweite und dritte Akt unbedenklich zur Posse um. Die
Verspottung einer sentimental verschrobenen Backfischüberspanntheit,
die noch die weißen Haare überdauern kann, diese Verspottung,
die aufgezeigt wird an einem höchst zeitgemäßen Typ – wie
anders malt sich in diesem Kopf der Held! – sie wurde mit einem fatanischen
Zynismus begonnen, um sanfter zu werden und in betulichen Scherzen zu verfli[eß]en.
Keiner der Darsteller
hatte irgendwie Profil. Nichts hob sich heraus aus dieser flachen und farblosen
Vorstellung. […]
[1919]
Othello,
der Mohr von Venedig
Trauerspiel in fünf Akten von W. Shakespeare
Der glühende Stern, um ein
Geringes aus seiner Bahn gerückt, rast nach fremden Gesetzen flammend
zum Absturz. Mit der fein benervten, grausamen Neugier des Künstlers
und einem Ernst des Wissenschaftlers sieht Shakespeare, zerlegend, sich
selbst über die Schulter zu, sieht, wie Othello am Gifte Jagos verenden
muß. Der riesige Mohr, von einer stämmigen Männlichkeit
auch des Geistes, quält sich unter fürchterlichen Erschütterungen
zu Tode. Und fast wie Hohn ist es, daß die ungeheure Verzweiflung
über die verblendete Tat über ihn hereinbricht, während
die Falten seines Ehebettes noch warm sind vorn Blut der Ermordeten.
Herr Reiter hatte
mit Strichen nicht gespart, zum Schaden der Dichtung. Das blanke Gerippe
der gewalttätigen Vorgänge schälte sich blutrot und kinodramatisch
heraus. Die angelsächsische Lässigkeit Herrn Nürnbergers
hat nichts von der prachtvollen Wucht des Negerfürsten. Er zerfloß
und zerflatterte wie Wasser an einem Felsen. Herr Weill als Jago war konventionell
und deklamierte, wo Haß grün aufzischen mußte. Der Cassio
Herrn Fernaus hatte schauspielerische Kultur, die Gutes erwarten läßt.
Alt-Heidelberg[1919]
Der Zuckerguß dieses dramatisierten
Schokoladenbonbons zeigt schon Sprünge und der Kern ist vom Schimmel
angefressen. Aber er ist noch hinreichend süß, um den Backfischen
jeden Alters ein »himmlisch!« abzupressen.
Die Sonntagnachmittag-Vorstellung
erwies ein ungemein tiefes Sich-Einfühlen in die fünfaktige Abziehbilderromantik.
Gut war Herr Fernau in der lässigen Anmut seines Karl Heinz.
[1919]
Johannisfeuer
Schauspiel von Hermann Sudermann
Kein echter Ton klingt auf. Kein
sauberes Gefühl, das sicf hervorwagte. Eine schmalzige Verlogenheit
peinigt.
Umsomehr verstimmt die gerissene
Technik.
Hinter dem Komödiantentum
des Herrn von der Heyden war diesmal so etwas wie seelische Wärme
zu spüren. Herr Nürnberger war unbeteiligter als je und Frl.
Rothe fast ein Mensch, obwohl sie eine gräßliche Puppe spiele
mußte.
[1919]
Kabale und
Liebe
Bürgerliches Trauerspiel von Schiller
Das Feuer, das aus diesen fünf
Akten schlägt, formt sich zu einer Flamme, die nicht immer ganz rein
brennt. Aber das große Herz des Dichters tönt gewaltig, auch
wo Rührseligkeiten es überklingen wollen. Der Sturmwind eines
mächtigen Atems weht über die Bretter und aus Larven werden Menschen.
Herr Fernau, die
stärkste (und vielleicht einzige) Begabung unseres Schauspiels, fand
für seinen Ferdinand den klaren Klang, in dem diese Figur erzittern
muß. Fräulein Rother war eine gottlob unsentimentale Luise,
Herr Agte biedermännischer als er sein durfte. Unter allen Umständen
hätte man es aber verhindern müssen, daß die ganze Aufführung,
die sonst Zug und Wärme hatte, durch Herrn Fürst gesprengt wurde,
der aus dem prachtvollen Graukopf Miller einen geschwätzigen und zappelnden
Narren machte.
[1919]
Liebeleien
Von Arthur Schnitzler
Die süße Traurigkeit dieser drei Akte weht vorüber wi der Klang einer vom Winde vertragenen, abgerissenei Melodie. Ein wenig spöttisch, ein wenig resigniert, ein bißchen sentimentalisch – und noch der tragische Absturz überschleiert von Gefühlen, deren Bitterkeit nicht ohne schmerzlichelegante Anmut ist. […]
[1919]
Iphigenie
auf Tauris
Ein Schauspiel von Goethe
Gegen gewölbte, kühle und klingende Wände kristallenen Gefäßes schäumt trüber Trunk. Marmorne Strenge der Form bändigt barbarisches Geschehen. Im dunklen Wirbel Schrei und Schrecken, Aberwitz und Größe, Gelächter und Ohnmacht, Kühle und Brunst, Verschlagenheit und Einfalt brechen gegen Klippen und glätten sich beruhigt am besonnten Strand. – Von der Gelegenheit, uns pathetisch zu kommen (suchte man sie?) wurde reichlich Gebrauch gemacht. Man hätte Fräulein Brand daran hindern müssen, sich zu überschreien. Herr Wedlich besitzt eine schöne Stimme, die er voll königlicher Würde schwingen läßt. Die Spielleitung des Herrn Mackay unternahm den Versuch nicht, den heiligen Hain von Gartenlaubenrequisiten rein zu halten. Neckische Lichtscherzchen waren keine genügende Entschädigung. Das Publikum benahm sich zurückhaltend.
[1919]
Dies irae
Eine Tragödie in fünf Akten von
Anton Wildgans
Ecce Sudermann! Man ersparte uns nichts. Nicht den schmetternden Aufschrei der blechernen Trompete, nicht sanften Flöten- und Zimbalklang der ersten Liebe. Es war alles da! Der tyrannische Vater, der junge Mensch, der gütige Freund, die Dachkammer, Mignon, Heimchen, der verbummelte Student. Es war Pathos da und Anklage war da und Tag des zornigen Gerichts. Und der Vater vergewaltigte den Sohn. Und der erschoß sich. Und ein Mensch namens Rabanser (oder war es sein Gespenst?) predigte, limonadengrün umflossen, von dem Rechte der Ungeboreneu. Auch der Vater predigte. Der gütige Freund predigte. Alle predigen in dem Stück. Der Selbstmörder vor dem Schuß. Und als Leiche noch aus dem Sarg heraus. Die Gesinnung dieser Leute ist sehr anständig. Sie predigen alle gut. Es ist eine gute Predigt. Aber ein schlechtes Stück. Ein Aufklärungsfilm! Ecce Suderinann! – – Man unterstrich zu viel. Man war larmoyanter fast als es die larmoyanten sechs Bilder ertrugen. Trotzdem: die Aufführung war besser als jene der goethischen Iphigenie am Montag. Dort deklamierte man nur. Diesmal spielte man. Komödie zwar nur, Theater, aber man spielte. – Herr Brandt tobte gräßlich umher. Er rollte seine Augen und war auch sonst ein sehr unangenehmer Vater. Herr Mackay ist zu alt für den Rabanser. Seelisch zu alt. Herr Hauser ließ sich als Melchior Magentrost die Gelegenheit entgehen, zu jüdeln. Fräulein Clauslus zeigte sympathische Zurückhaltung und benahm sich in der verfänglichen Szene des fünften Bildes untadelig. – Das Publikum erlag dem falschen Zauber. Es nahm Talmi für Gold. Es war ergriffen, wo es schimpfen sollte. Und Tränen rollten manche Wangen blaß herab.
[1919]
Goetz von
Berlichingen
Schauspiel in fünf Aufzügen von
Goethe.
In der Bühnenbearbeitung
von Friedrich Kayßler
Um 10 Uhr sprach der Zettel, sollten wir entlassen werden. Aber es war 11 Uhr vorüber als der Vorhang zum letzten Male zusammenrauschte. (Über einer Cyrano-von-Bergerac-Szene. Irre ich nicht, wars sogar derselbe Baum, wie vormals. Wie sich auch sonst mancherlei Ähnlichkeiten aufweisen ließen zwischen dem einfältigen Gottfried und dem rostandschen Helden.) Das Spektakulöse der ersten Aufzüge unterstrich man durch ritterliches Klirren mit Sporn und Panzer. Wies Goetzen schlimm und schlimmer ging, ward man sentimmtal. Indessen: Die Komödie ist so beschaffen, daß sie kräftiges Theater verträgt. Doch hätte ihr ein voller Atemzug Menschlichkeit auch nichts geschadet. Das scheint mir an der Leitung des Herrn Mackay zu liegen, die unerwünscht routiniert ist, daß zu oft ein seelenloses Puppenspiel vor sich geht. Daß in dem Stück ein Mensch, ein ungebärdiger, gerader, verwirrter und verirrter, treuherziger und nicht schuldloser, aber doch ein adeliger Mensch (der etwas vom Don Quixote an sich hat) den ihm gemäßen Kreis des Lebens stark ausschreitet, trat wellig in Erscheinung, indessen man die Lärmszenen klappcrnd und billige Wirkung suchend heraushob. Herr[n] Wedlichs Goetz, ein fader Poltron, ohne Wärme, langweilte und verstimmte. Erfreulich über dem (nicht hohen) Niveau der Aufführung stand Herr Hensel. Sein Franz war lebendig aufflammend, auch in den lyrischen Stellen nicht zuckrig. Fräulein Brand, anfangs kokett wie ein Ladenfräulein (und müßte doch einen Dämon im Leibe haben) erstarkte zuletzt, als sie das Ende kalt im Nacken spürte. – Bühnenbilder rollten sich schwerfällig ab. Durch Vereinfachung hätte man größere Wirkung und einen kürzeren Abend erzielen können.
[1919]
Die
drei Zwillinge
Schwank in drei Akten von Toni Impekoven und
Karl Mathern
Eine Unsinnigkeit, die den Vorzug hat, lustig zu sein. Kliniken brennen ab. Säuglinge tragen rote Bändchen um die Knöchel. Alte Grafen sind unglaublich vertrottelt, Schlächtermeister wurstfingrig und ungebildet. Komtesserln, Diener, ein bißchen Antisemitismus, Ahnenbilder und alte Jungfern: das gibt, verquirlt, eine Komik, die, herkömmlich, unbedenklich, doch kräftig wirkt, weil das Tempo dieser kunstabseitigen Sache wild unterfeuert ist. – Man lachte sehr. Man hätte mehr gelacht, wenn die Aufführung beweglicher, frischer, beschwingter gewesen wäre, Alkoholisierter. Manches geriet zu grobschlächtig. Frl. Ernbacher war eine Waschfrau aus dem vierten Hinterhaus. Aus dem dritten hätte auch schon genügt. Herr Jungermann, anfangs zäh, wurde zuletzt wärmer und humoriger.
[1919]
Der Tor
und der Tod
Dramatisches Gedicht von Hugo von Hofmannsthal
Herbst. Stimmungsbild in einem
Akt
Von Walter Schmidt-Häßler
Es war ein böser Abend.
Ein ganz böser Abend. Es war viel von Stimmung die Rede. Es wurde
zu viel in Stimmung gemacht. Und was man so darunter versteht. Aber ich
habe selten etwas stimmungsloseres gesehen. Hofmannsthals lyrische Szenen
entfalten sich melancholischen Dufts purpurner Orchideen. Sie sind Pastell,
überschleiert, brokaten glänzend, süß mit Schwermut
getränkt, fremder Kindlichkeit und Weisheit voll. Und Menschen wachsen
auf mit tiefen Augen ... Die Szenen sind erlesene Kostbarkeit. Sie haben
ein trauriges Lächeln; ein wenig geziert. Sie sind allzufrüher
Reife. Sie sind wundervoll tändelnd. Ihr Pathos ist gedämpft.
Ihre Resignation jünglinghaft blasiert. Schon im Äußerlichen
vergriff man sich an der Dichtung. Es ist verlangt ein Empirezimmer. »Der
Grundton der Tapete licht, fast weiß, mit Stukkatur und Gold.«
Herr Karl Kolter ten Hoonte erbaute in lehmbraun ein Gemach, dumpf, kellerig,
drückend. Begriff man nicht, daß ein Rahmen, köstlich,
alter Kultur, spitzenmanschettig um das Werk sich falten müßte?
Herr Bruno F. Mackay, kein sehr guter Schauspieler, ist kein besserer Spielleiter.
Er ist zu laut, zu derbfingrig, zu unbedenklich, wohl auch zu komödiantenhaft.
Man hätte leise umblättern müssen, mit behutsamen und kosenden
Fingerspitzen, genießerisch wie bei einer bibliophilen Seltenheit.
Einen schlechtgedruckten Courths-Mahler-Roman zerknitterte man lieblos.
Auf Hofmannsthal
folgte Schmidt-Häßler! Wie wäre es möglich gewesen,
jenen gut zu spielen, da man es fertig brachte, diesen ihm folgen zu lassen!
Merkte man nicht die Verruchtheit dieser Verkuppelung? Wie hätte man
die süß, und edle Trauer eines Kunstwerkes unsentimental wiedergeben
können, da man das übelriechende Schmalz eines elenden Machwerks
gleich gefühlstriefend verschmatzt? (Da man, vorher schon, in den
Tageszeitungen, beide Stücke gleich einschätzend, gleiches Lob
beiden spendete!) Ich blieb nicht lange. Ich floh, als sich der alte Graf
das Herbarium vom Kamin holte. Es war ein übler Abend. An dem man
Kunst kitschig spielte und Kitsch ernst nahm.
[1919]
Der
Biberpelz
Eine Diebeskomödie in vier Akte von Gerhart
Hauptmann
Irgendwo um Berlin spielt das
Stück, das irgendwie an derbe Bilder der Altniederländer erinnert.
Mutter Wolffen, die Spreeschiffersfrau, stiehlt mit einer sentimentalen
Träne im Augenspalt und Bibelsprüchen im Herzen. Dabei ist sie
beileibe kein heuchlerisches Luder, das einem zuwider ist. Sie hat eine
robuste Seele, und wenn sie unbekümmert und prachtvoll überlegen
die Obrigkeit an der Nase herumführt, so hat sie unseren Beifall.
Vielleicht, daß uns auf dem Nachhauseweg so beiläufig einfällt,
daß sie auf die sittliche Forderung des siebenten Gebotes pfeift.
Ehrenfest und bieder darauf pfeift. Aber die Frau ist so ein vollsaftiger
Mensch und in der Verschlagenheit noch so gutmütig, daß unser
Herz bei ihr ist und unsere Schadenfreude bei ihren Opfern. Besonders wenn
das Opfer ein Amtsvorsteher ist, der mit Monokel, Reitstiefeln und Königstreue
regiert. Der dumm ist und dreist und gesinnungsschnüffelnd und wieder
vor allem dumm.
Herr Brandt gab diesen Baron
von Wehrhahn und er hätte ihn weniger laut und mehr preußisch-äh-äh-schneidig
geben dürfen. Fräulein Dierkens war die Wolffen. Annähernd.
Sie hat nicht genügend Blut für dieses stämmige Weibsstück.
Herr Jungermann war als Mitteldorf genügend verschlafen. Ein Teil
des Publikums nahm das Stück fröhlich für einen Schwank,
bestärkt durch einen Teil der Darsteller, der ebenso tat und fröhlich
ins Publikum hineinspielte.
[1919]
Die Räuber
Ein Schauspiel in fünf Akten von Friedrich
Schiller
Ich kann mir denken, daß Kosinskys Erzählung einmal die Herzen brennen machte in Empörung. Was heute Episode ist in dem Werk, wirkte einmal wie ein Faustschlag ins Gesicht der Zeit. Der politische Dichter mußte fliehen. Damals. Inzwischen wurde er, was man so klassisch nennt. Man spielt vor Schülern sein anarchisches Stück. Zur Erinnerung an seinen Geburtstag. Ich kann mir auch denken, daß man, Schillern zu ehren, ein junges, gärendes, anarchisches Stück unserer Tage spielte. Es gibt einen Dichter, der heißt Hasenclever und hat ein Schauspiel »Der Sohn« geschrieben. Es gibt Dichter, die Goering, Kaiser, Keller, Werfel, Toller, Dietzenschmidt heißen. Deren Stücke zu spielen im Geiste Schillers wäre. Des Schillers, der wie noch einmal ein Spartakist die Bitternis der Flucht kosten mußte. – Vieles in diesen fünf Akten, wild hingewirbelt, kraftprotzend übersturmt, trompetenschmetternd hinausgebrüllt, streift die Grenze des Erträglichen. Streift den Kitsch. Vieles ist gewaltig. Ausbrüche eines titanischen Knaben. Eine Handlung ist grobschlächtig zusammengezimmert, hintertreppig, räuberromantisch, mit Vatermord und Buhlschaft und Blut und Bestialität und wieder Blut. Aber die Faust, die das Beil schwingt, hat Kraft und Ziel und Größe.
[1919]
Kabale
und Liebe
Ein bürgerliches Trauerspiel von Friedrich
Schiller
Es war der zweite Schiller dieser Woche. Ich will darob nicht klagen. (Nur sagen, daß ein kluger Mann den Spielplan klüger aufbauen könnte.) Man konnte die Gelegenheit nutzen, zu sehen, daß eben der Schiller, der am Dienstag noch maßlos sich ausraste, am Samstag sich straff schon in die Zügel nahm. Brannte über den Räubern der wilde und flackernde Stern Shakespeares, leuchtet über der Luise Millerin der mildere Mond Lessings. Das Stück ist schon viel gekonnter, auch glätter. Aber es hat Ausbrüche, die mitreißend sind. Szenen von geballter Schlagkraft. Wärme. Und immer noch eine Jugend, die ans Herz greift. Die hatte Herr Hensel (diesmal) nicht. Er spielte sie und da man es merkte, war man schon verstimmt. Fräulein Clausius hatte nur einen Ton, dünn, wie von einem engbrüstigen Spinett. Fräulein Brand, keineswegs reif, läßt doch irgendwie aufhorchen. Daß man den Kammerdiener des Fürsten, der Sätze zu sagen hat, peitschend, verhaltenen Aufruhrs, anklagend, schauerlichen Humors, nicht anders besetzte, sei der Spielleitung nicht verziehen. Der Spielleitung, die das Stück im ganzen gerundeter herausstellte, als mans nach »Götz« Lind den »Räubern« erwarten durfte. Die Bühnenbilder des Herrn Kolter (er bleibe bei dieser Einfachheit!) hatten Stil und Geschmack. Das Haus, leer die Ränge, voll das Parkett von Schülern, tat spröde und gemessen. Wenigstens nach den ersten drei Akten, die ich sah.
[1919]
Doktor
Klaus
Lustspiel in fünf Akten von Adolf L‘Arronge
Ich weiß nicht, ob der Leiter unserer Bühne ein Neffe, Onkel, Enkel oder Schwiegersohn dieses unangenehmen Stückeschreibers ist. Daß man solches gewissermaßen aus dynastischen Gründen tat. Oder hoffte man mit so etwas die Leute aus dem Kino Theater zu locken? Die leeren Kassen zu füllen? Wenn man schon schlechte Stücke spielt, spiele man reißerische. Spiele man reißerische, daß es sichs lohne, seinem künstlerischen Gewissen einen Stoß zu versetzen. Mit dem Doktor Klaus lockt man keinen Hund aus dem Ofenwinkel. Keinen Flimmerfreund weg von der zappelnden Leinwand. Mir ist auch ein Stuart Webbs Drama lieber als dieser verrunzelte Schwank. Wie den vielen Leuten, die am Freitag nicht im Theater waren. Stuart Webbs ist auch ein besserer Schauspieler als Herr Mackay. Ein eleganterer zumindest. Eleganter zumindest als Herr Mackay, der als Baron aussah wie ein Kunstmaler. Wie ein Schwabinger Kunstmaler. Mit dem Kunstersatz »Dies irac« wars nichts. Mit dem Kinoersatz »Doktor Klaus« wars nichts. Ich empfehle, die Finger zu lassen von allem Ersatz. Der Gehalt machts.
[1919]
Familie
Schimek
Schwank in drei Aufzügen von Gustav Kadelburg
Max Linnprunner ist ein Talent. Ich habe ihn immer für ein Talent gehalten. Für ein Talent, dessen Grenzen eng gesteckt sind. Was er kann, ist niederbayerisch sein, kraftbayerisch sein. Auftrumpfend, knödelgrotesk, schmalznudelsaftig. Dazu ein Stück Clown, skurril, amerikanisches Variete, Fußspitzentriller. Eine Eigenart. Mit Möglichkeiten, die er nicht nutzen kann als Zawadil. Ich fürchte, die Rolle hat er sich selbst gewählt. Das geht nicht an bei ihm. Er, und gerade er, braucht eine Faust, die ihm die Nase scharf auf die Hürde richtet; die er nehmen muß. Ober die Steinmauer kommt er nicht. Und nicht in den Zawadil. Zwar, daß er so etwas wie Klasse hat, war nicht zu übersehen. Zumal in einer Aufführung, die am Samstag (ich suche nach einem sanften Wort) so leimsiederisch war. Was da in norddeutscher Zunge wienerisch plauschte, war ... war, war schnöd. Bis auf das Fräulein Hacker, das wenigstens nett aussah.
[1919]
Der
Verschwender
Zaubermärchen in drei Aufzügen von
Ferdinand Raimund
Ein Scherzspiel, nicht ohne tiefere
Bedeutung. Auch einc Predigt, aber mit salbaderndem Text. Manches kluge
Wort. Manche Szene von Belang. Viel Gefühl, echtes und unechtes. Viel
Weisheit, die billiger erscheint, als sie es ist. Fast eine Tragödie,
aber mit dem Pfauenschwanzstück des Märchens. Ein Lebensbild,
merkt wohl auf und lernt! Aber auch lehnt ab! Ab den Geist der Ergebung:
Das Schicksal setzt den Hobel an ... Setzt selbst den Hobel an! – Versatzstücke
und Menschen fanden ihren Platz nicht. Man hatte sich schlecht vorbereitet.
Es war eine schlechte Aufführung. Nie wird Herr Mackay innerlich ergriffen.
Nie ergreift er uns. Herr Linnbrunner als Valentin hatte Herz. Er nahm
sich diesmal, schiens, besser in die Zucht. Zu seinem Nutzen. Im zweiten
Akt sang man auch. Auf Flottwells Fest. Da Herr von Flottwell so gut bezahlte,
hätte er besseres erwarten dürfen. Auch um 2ooo (oder warens
20 000) Dukaten eine andere Vase. –
Der Spielplan der
letzten Wochen: Doktor Klaus, Familie Schimek, Der Verschwender läuft
in einer Kurve, die man nach oben biegen muß. Bald. Und mit Entschlossenheit.
[1919]
Die Ehre
Schauspiel in vier Akten von Hermann Sudermann
Der Dramaturg des Theaters wehrt sich gegen den Vorwurf, daß er nur Unzulängliches, nur Nichtigkeiten, nur Kitschigkeiten auf den Spielplan setze, indem er Sudermann, den Modernen, den Sozialreformer, den Sittenschildercr, den Ankläger, den Geißler, den Satiriker zu Worte kommen läßt. Der gute Dramaturg unseres Theaters hält den augenrollenden Plattheitenklimperer, den schmalzigen Talmipoeten, den gewiegten Kulissendonnerer, den Rampenmarlitt, den Courths-Mahler der Aktschlüsse für den wichtigsten Vertreter des lebenden Schauspiels und denkt: wer kann nun sagen, daß ich nicht mit der Zeit gehe! Der gute Drarnaturg! Ich brülle ihm einen Namen in die Ohren: Kotzebue! Kotzebue! – Dem Publikum gefiel beides: Das Stück und die Darsteller. Mir gefielen sie alle drei nicht: Das Stück, die Darsteller, das Publikum.
[1920]
Die Braut
von Messina
Trauerspiel von Friedrich Schiller
Dieses quasi militaristische Stück, das man anfangs seiner gehäuften Widersinnigkeiten wegen ablehnen möchte, bewirkt dann doch Erschütterungen. Die nicht gezeugt werden von Tamtam und Tubaton. Die sich einstellen bei dem Aufklingen menschlicher Urlaute, bei dem Aufspringen menschlicher Urgefühle, jedem im Blut vertraut. [...] Es ist bestimmt verdienstlich, die Braut von Messina aufzuführen. Das hindert nicht, neuerdings und mit Nachdruck zu verlangen, daß endlich, endlich, endlich die Dichtung unserer Tage gespielt werde! Daß nächstens ein frischerer Wind im Schauspiel wehe! (Es ist, im Vorjahre, dem Direktor Reiter an dieser Stelle vorgerechnet worden, wie sehr er mit der Zahl der gespielten Stücke hinter der Herrschaft Maurach zurückgeblieben sei. Diese Rechnung wird auch dem Intendanten L‘Arronge nicht erspart werden.)
[1919]
Der
Schöpfer
Ein Schauspiel in vier Aufzügen von Hans
Müller
Der Dramaturg des Theaters, gestachelt durch den Zuruf: Modern! Modern! flüchtete schlotternd zu Hermann Sudermann. Als ihm bedeutet ward, der seis nicht, seis nie gewesen, geriet er an einen Lebendigen namens Müller. Ich habe jetzt nur noch eine Hoffnung: Bei dem Blindekuhspiel wird der Dramaturg auch einmal über einen Autor von Belang stolpern. – Ich wollte schon nach dem zweiten Akt gehen. Die Pflicht doch hielt mich mit grausamen Fesseln am Stuhl. Aber als der Vorhang zum drittenmal fiel entlief ich. – Was da auf der Bühne Plattheiten zu reden hatte, tat mir leid. Mein Mitleid schwand, als ich merkte, daß man Komisches ernst nahm und mit Ernsthaftigkeit vortrug. Herr Wedlich wars, der mit Fingerschnackeln und Zigarrenanzünden charakterisierte. (Im vierten Akt, den ich nicht sah, wird man ihn hoffentlich verurteilt haben.) Fräulein Brand ist stets gekränkt. Oder tut wenigstens so. Warum denn? – Die Bühnenbilder waren das Erfreulichste des Abends. Das Zimmer des Freiherrn von Scheel zwar war gehobener Kriegsgewinnlergeschmack. Aber der weltmännische Verfasser hats so gewollt.
[1920]
Gespenster
Ein Familiendrama in drei Akten von Henrik
lbsen
Eine gewisse Dürre ist nicht zu verkennen. Es ist etwas Brüchiges, Knisterndes in den Reden dieser Leute, die sich bewegen wie hinter einem Schleier von Staub. Um es kurz zu sagen: Moder kitzelt die Nase. Viel Papierenes will zerfallen. Und enthüllt das Konstruierte, auch Geschwätzige, Salon-stückmäßige mancher Szene. Aber doch, über das Moralisierende geht die Kurve steil zum Menschlichen und Dichterischen. – Es gibt so etwas wie einen spezifischen lbsenstil der Darstellung. Den in der Mittwochaufführung keiner der Spieler traf. Die gespitzten, mit Widerhaken versehenen Sätze lbsens müssen wie Pfeile geschnellt werden. Frau Rafael, in beherrschten Momenten erträglich, geriet zuletzt ins Sudermännische, wirkte peinlich zugleich und lächerlich. Herr Mackay war Schablone, und nicht einmal eine gute.
[1920]
Die
Straße von Steinaych
Eine ernsthafte Komödie in drei Akten
von Wilhelm Stücklen
Es ist ein gewichtsloses Stück. Es haftet nicht. Es vergißt sich leicht. Nach zwei Stunden Kaffeegespräch habe ich Mühe, mir zurückzurufen, was da geschah. Irgend ein kleines Mädchen, gänschenhaft, spielt mit drei Männern (was lassen sie mit sich spielen?) und heiratet ernsthaft den begütertsten der drei. Ein Duell, (zerschmetterter Unterkiefer!) bringt so etwas wie Tragik in die Angelegenheit. Das alles hält sich vom Dichterischen ebenso peinlich fern wie vom Kolportagehaften. Einschmeichelnd gewandte Szenenführung erzielt nette Augenblickswirkungen. Gut Beobachtetes, Begabtes erfreut und seine ironisch gefärbte Weltanschauung gibt sich schelmisch kund in Gedankensplittern. – Fräulein Hocker war die Viga Sekurius. Anmutig, demivierge, eine süße, altkluge Puppe. Im ersten Akt mit der Geschmeidigkeit eines Porzellantigers. Ein Racker. Im ganzen eine (unerwartete) Talentprobe. Den Blödel Kolomann Schnödigl spielte Herr Mackay mit hängenden Armen und unerschütterlicher Einfalt. Hätte man das Musikantenpaar gehindert, sich wie in einer schlechten Operette zu benehmen und Herrn Eichstaedt den schmalzigen Liebhaber einer Vorstadtbühne nicht gestattet, so hätte die Freitagaufführung über das Maß des hier und heuer Gewohnten weit hinausgereicht. Zumal auch die Bühnenbilder Wärme und Farbe hatten. Das Haus war wieder gut besetzt. Warum denn also die »Hofloge« und den »Schöpfer«, wcnns mit Besserem auch geht, frage ich zum zweiten Male!
[1920]
Medea
Trauerspiel in fünf Aufzügen von
Franz Grillparzer
Der Hokuspokus des goldnen Vlieses
und Medeens zauberisches Raunen, vergeblich stirnrunzelnd gleichnishaft
gedeutet, kann uns Heutigen geschenkt bleiben. Was diese österreichischen
Griechen murmeln von Göttern und Bann und dunklen Zeichen, darüber
lachen wir. Lachend werfen wir den Plunder weg und greifen uns ans der
Dichtung, was uns angeht. Uns geht an das Menschliche dieses Indianerweibes
Medea. Dieses Wildlings, der auf dem Parkett Korinths furchtbar und lächerlich
sich ausnimmt. Dieser Königstochter, die hündisch demütig
duldet, was keine Magd duldete, und, zum äußersten gebracht,
rast, wie keine Magd zu rasen vermöchte. – Die Aufführung am
Montag war unzulänglich, halbzulänglich, viertelzulänglich.
Fräulein Brand gab die Medea.
Je mehr sie innerlich, unergriffen,
fror, desto lauter und erhitzter gebärdete sie sich nach außen.
Noch mehr als sie schrie Fräulein Rafael. Jason, im Stück ein
fader Geck, ein verdrossenes Herrensöhnchen, das sich scheiden lassen
will, Jason war Herr Mackay. Er tat, wie meistens, blasiert. Das kam ihm
zu Hilfe und war zu wenig. Am besten war Herr Hensel. Er explodiert nicht
vor Eigenart und wirft nicht um, aber er wirkt so gepflegt (Marke: guter
Hofschauspieler), daß man auf den Zettel sieht, ob dort nicht hinter
seinem Namen steht: a. G. – Das possierliche Gefolge des Korintherkönigs
mitsamt den beiden wadelnackten Hofpagen bliebe besser ungesehen.
[1920]
Der verlorene
Sohn
Ein Kammerspiel von Hellmuth Unger (Uraufführung)
Jeden Spaß beiseite! Ernste Bemühung verdient ein ernsthaftes Wort. Ich will alles Witzeln unterlassen und in würdiger Haltung feststellen, daß hier sich wieder einer in jener angenehmen Ebene angesiedelt hat, die von gottwohlgefälligcn Talenten treulich und traulich bebaut wird. Ich will auch ferner sachlich bleiben und sagen, daß hier wieder einer die hundert und einmal abgewandelte Geschichte vom verlorenen Sohn zum hundert und zweiten Male abwandelt. Mit einem Mut zur Banalität, der Tollkühnheit geheißen sein muß. Daß Hellmuth Unger Strindberg gelesen hat, daran ist nicht zu zweifeln. Er hat mit Nutzen auch Wildgans gelesen. Sogar auch den Faust. (Fast hätte ich vergessen: La vie de boheme!) Das so entstandene Theaterstück ist nicht schlechter als viele. Es ist nicht besser als viele. Es gehört demnach, zu den vielzuvielen. Doch sei vermerkt, daß in dem Stück eine Gesinnung zu spüren ist, die ehrlich und achtungswürdig ist, und Reißerisches verschmäht. Und daß das vorletzte Bild Dichterischem so nahe kommt, als das Vorspiel (das unerträglich ist) und das letzte Bild davon entfernt sind. […]
[1920]
Der
Einsame
Ein Menschenuntergang von Hanns Johst
Ein Bilderbogen, in Blau und Rot gemalten Bildeln eines Kreuzwegs, der im geplünderten Mietbett endet. Stationen eines Kreuzwegs, den wir nicht ohne Teilnahme mitgchcn. Aber ohne Ergriffenheit, ohne Erschütterung, weil der Kreuzträger zu Ergriffenheit, zu Erschütterung nicht zwingt. Der Christian Dietrich Grabbe dieser neun Bilder ist Worteschleuderer und Armefuchtler geblieben. Er liebt und leidet, säuft und verkommt und [voni seiner unsterblichen Seele verspüren wir keinen Hauch. Er verliert die Braut, die Freunde, den Freund, das Amt, die Mutter – aber das wirft ihn nicht in das große Einsamsein aller großen Schöpferischen, nur in das nicht ohne Bitterkeit ertragene Vereinzeltsein des schrulligen Junggesellen. Es ist so etwas wie die Tragödie des verbummelten (begabten!) Studenten und sollte der Höllensturz gestrauchelten Genies sein. Es ist wenig Geballtes in der Dichtung. (Aber es ist eine Dichtung!) Alles verflatternd, verwischt, huschend, flackernd. Einzelne Bilder doch leuchten für einen Augenblick erschreckend grell, manches ist mit kräftiger Theaterfaust hingeschmissen. – Der Spielleiter Mackay hätte dafür sorgen müssen, daß die Bilder wirbelnd einander gefolgt wären. So gabs unerträgliche Pausen. Und auch Schleppungen und Dehnungen im Spiel, die wehe taten. Er selber als Grabbe: zu larmoyant, jeder Lockung zum Pathetischwerden willig erliegend. Fräulein Rafael, als seine Mutter, gab die vielleicht beste Leistung des Abends. – Das Stück, eines der wenigen Fettaugen auf der mageren Suppe des Schauspielrepertoirs dieses Theaterwinters, war so besucht, wie man es von der Liebe des Regensburger Publikums für moderne Kunst erwarten mußte.
[1920]
Des Meeres
und der Liebe Wellen
Trauerspiel in fünf Aufzügen von
Franz Grillparzer
Der Österreicher wollte ein Trauerspiel schreiben, es ist aber nur eine Ballade geworden, die von Ludwig Uhland sein könnte. Salziger Meergeruch weht nicht aus ihr, Klippen und Sturm und Abenteuer sind mit blassen Farben gemalt und kein grellroter Fleck ist räuberfrech, ist piratendreist draufgesetzt. Es ist nicht: zugepackt, hergerissen, hingeschmettert: balladesk! So ists auch keine Ballade geworden, 's ist nur ein längeres, ein lyrisches Gedicht geworden, von der Liebe Gewalt und der Liebe Süßigkeit und mit einem traurigen Ende, dessen Traurigkeit noch weich verebbend ist und edelsüß. – Der Hellespont und Tempel und Turm und Tempelgarten: weniger wäre mehr gewesen. Die Einbildung macht aus einer grünen Wand den Wald, aber stolpert über den papiernen Felsen. Stolpert, hoppla, in den schönsten Szenen, wenn oben einer zu deklamieren beginnt. Manch einer begann oben zu deklamieren. Beim Fräulein Glaser überhörte mans manchmal, weil sie so lieblich aussah, wie sies muß. Schlimm war ihre Verwandtschaft, Eltern und Oheim. Aber besonders die Mutter.
[1920]
Armut
Trauerspiel in fünf Akten von Anton Wildgans
Der wienerische Sudermann äußert eine sehr anständige und zeitgemäße Gesinnung in diesem traurigen Spiel. Er erhebt, zuletzt, so etwas wie eine soziale Anklage, nachdem er in fünf langgezogenen, weinerlichen Akten den Fluch der Armut gesungen hat. Gesungen hat mit Flöten - und Trompetentönen und Gedichten, deren Reime die Schauspieler sagen müssen, wenn sie merklich erregt sind. Auch gehts bei Wildgans nie ohne Musik, und wenns nur ein Klavier ist, wie diesmal und nie gehts ohne symbolische Gestalten, und wenns nur der Tod ist, wie diesmal, der mit dem Sterbenden noch lange und tiefsinnig hin und her redet. Geschwätzig sind sie alle, die Menschen in dem Stück, Und der geschwätzige Gottfried läßt nicht davon ab, Lateinisches zu zitieren. Ob sie nun zynisch reden, die guten Leute, oder schmerzbewegt, mit zerrissener Seele, oder vor Sinnlichkeit rasend, sie haben alle etwas so romanhaft Edles, so etwas direkt Idealistisches. Sie sind nicht von dieser Welt. Frisierte Puppen, die Menschenredeähnliches über die Lippen lassen. [...]
[1920]
Minna
von Barnhelm
Lustspiel in fünf Akten von G. E. Lessing
Der Major von Tellheim, verabschiedet, ist ein Fadian. Sag ihm ein menschliches Wort, er ruft: Offizier! Versuchs, ihm zu helfen, er schreit: Die Ehre! Biete ihm Geld, zartfühlend, mit Samtpfoten streichelnd, er röchelt: Es ziemt sich nicht! Dieser unerträgliche Mensch ist eine Gefahr für das Lustspiel. Heut fühlt man sich von einem leichten Ärger gekitzelt, wenn diese deklamierende Uniform auf der Bühne steht. Aber die Heiterkeit, das Leben und Lachen um ihn herum läßts wieder vergessen. Vielleicht in abermals 150 Jahren wird man das Stück nicht mehr spielen können, weil dann zwar die Minna und die Franziska, der Werner und der Just noch aus vergnügten und listigen Augen schauen, der verabschiedete Major aber vergreist und verschimmelt sein wird, am schlotternden Arm die Dame in Trauer. – Die Diele des Wirtshauses, braun und angeraucht wie ein Pfeifenkopf, mit Winkeln, in denen sichs behaglich den Rücken scheuert, gab Luftschicht und Farbe der Zeit. Herrn Herrmanns Spielleitung auch einen forschen, soldatischen Ton. Sein Wachtmeister, strack, männlich, bubenhaft trotzig, ein Kerl, der sein gutes Herz auf der Hand trägt, war, neben Herrn Hardtmuths Riccaut, wohl das Beste des Abends. Die beste Leistung einer Aufführung, die wieder gut und rund und geformt war, und vor zweihundert Backfischen stattfinden mußte, die schnatternd das Parkett füllten, aufkreischten, wenn der Werner sein Frauenzimmerchen um die Taille kriegte. – Herr Reiter geht hier noch spazieren und Herr L‘Arronge. Ich rate Ihnen, einen Abend zu opfern und was und wie heuer gespielt wird sich zu besehn und zu merken, warum ich, und andere, in den Vorjahren nicht abließen zu tadeln.
[1920]
Der
Revolutionär
Drama in drei Akten von Wilhelm Speyer
Der Revolutionär dieses Stückes ist ein fader Waschlappen, der nicht müde wird, liberale LeitartikelschlagWorte zu handhaben. Er tut sich was darauf zu gut, ein parfümiertes Seelenleben zu beherbergen, hat‘s renommistischerweise mit drei Weibern gleichzeitig und der russischen Demut, und erschießt sich leider erst ganz zu Ende des dritten Akts. Was um ihn herum sich spreizt, ist ähnliches Gelichter: Lydia, die dämonische Trauerfahne, die blonde Bestie Rosemarie, Walter, das grünflammende Streichhölzchen. Wilhelm Speyer, der gepflegte Prosa schrieb, wird dieses da goldhungrig zurechtgezimmert haben. Verziehen sei‘s ihm! Aber nicht soll ihm vergeben werden, daß Mendel Treib, in Rußland gehenkt, in Leipzig bauchrednerisch sich übt.
[1920]
Maria
Magdalene
Bürgerliches Trauerspiel in drei Aufzügen
von Friedrich Hebbel
Um das Phantom einer grotesk lächerlichen Ehre kreisen Gefühle und Gedanken dieser Leute. Von einem bösen Geist im Kreis herum geführt, starren sie unablässig auf den Götzen Wohlanständigkeit, der fürchterliche Strafen über sie verhängt. Es ist peinigend zusehen zu müssen, wie Menschen leiden und sterben, weil sie in bornierter Raserei nicht ertragen wollen, daß Lümmel und Hohlköpfe vielleicht eine Fratze über sie schneiden. Man muß die Welt durch die beschränkte Brille grauenvoll verspießter Moral betrachten, damit die Tragik spürbar wird, wie hier Menschen, die aus der Gebundenheit ihrer Gesellschaftsschicht nicht heraus können, an einander zu Grunde gehen.
[1920]
Othello,
der Mohr von Venedig
Trauerspiel in fünf Akten von W. Shakespeare
Wie der Mohr sich elend zu Tode
zappelt, Eifersucht wie einen scharfen Haken in der Gurgel, Augenblicke
lang ists von Komik umwittert. Nicht, daß es den stämmigen Burschen
so packt, ihm Nieren und Herz zerfetzt und das Gelbe im Auge rötet
– daß der General den Schnupftuchgründen seines Fähnrichs
so widerstandslos erliegt, führt seine großgeartete Kindlichkeit
nahe heran an unser Lächeln. Jago, der Schurke Jago, der seine Schurkischkeit
mit Anmerkungen und Randglossen professoral versieht, hat leichtestes Spiel
mit dem Neger, den er wie einen Hasen in der Hanfschlinge fängt. Fast
wie Hohn ist es, daß ungeheure Verzweiflung über die Irrsinnstat
über den Feldherrn hereinbricht, während die Falten seines Ehebetts
noch naß und warm sind vom Blut der Ermordeten. – Herr Hugo Reyher-Linden,
der Gastothello aus Bremen, war Problematik. Wort und Pose, im ersten Akt
drohende Ahnung, bekamen, und Angst verschwand, im zweiten den Reiz der
Bewußtheit. Ich sage dies, da es das zu Lobende an der Leistung umschreibt.
Jaguar, aber ein Jaguar, der Vergißmeinnicht frißt. Es gibt
eine Novelle von Meyrink »Der Löwe Alois«. (Man lese sie!)
Die Dämonie des »Uuahh!« ist Reyhers Problematik. Herrn
Hardtmuths Jago war intellektuell und daher Durchschnitt. Die Leistung
lief am schmalen Rande, wo der herkömmliche Bösewicht sich vom
gottgewollten Schurken scheidet. [...] Im ganzen hatte die Aufführung
Haltung, die Bühnenbilder waren in ihrer Einfachheit von starker Eindringlichkeit.
–
Das Haus war voll besetzt: eine
nach dem Erfolg der »Schwester Chrysantheme« doppelt seltsame
Erscheinung in der flauen Zeit zwischen Weihnachten und Silvester. Übernommene
Verpflichtung aus Schülertagen, Respekt vor dem Geist oder peinigende
Lust am Grauen? Es wurde viel geklatscht. Der Beifall war nicht lebhafter
als sonst, aber die Zahl der Hände steigerte ihn für die Spieler
ins Aufregende.
[1920]
Die Marquise
von Arcis
Schauspiel in fünf Aufzügen nach
Diderot
von Carl Sternheim
Das wäre eine rührende, eine romanhafte, beinahe eine marlittsche Angelegenheit, schrillten nicht Sternheinis kalte, böse, funkelnde Sätze. In drei Worten die nackte Handlung: Die Marquise von Pommeraye fühlt, daß der Geliebte, der Marquis von Arcis, ihr entgleitet. Sich unerhört zu rächen, führt sie ihm Henriette zu, die gerade die ersten sicheren Schritte getan hat auf der Laufbahn der käuflichen Mädchen. Der Marquis, der sie für unbescholten hält – infam raffiniert ist das gemacht, wie man ihn dazu bringt an diese Unbescholtenheit zu glauben – der Marquis heiratet sie. Und erfährt, daß die nunmehrige Marquise von Arcis in der Liller Straße von Jedermann zu haben war. Was tut er? Er läßt die schon erhobene Pistole sinken, verzeiht und geht mit seiner Frau auf Reisen. Das alles in einem nadelscharfen Dialog, voll Hinterhältigkeiten, jeder Satz ist bewaffnet, jedes Wort eine Dolchspitze. Nur im letzten Akt, wo Sternheim sein Herz sucht und eine Rechentafel findet, erschreckende Worte und Wendungen, die aus der gefühlvollen Kolportage stammen. – Herr Hardtmuth als Marquis von Arcis, war gut in den Auftritten, wo er gemessen sein durfte, wo seine Leidenschaft noch spielerisch sich erhitzte. Von Sternheim verführt, geriet er in einen Hüttenbesitzerton, wenn er tragisch werden sollte. Fräulein Barth gab die Henriette mit dunkelumränderten Augen, in einer Haltung, die am ehesten Sternheim war. Fräulein Jorysch, sicher, geschmackvoll, war immer noch bei Brachvogel. Frau Gabrieli ahnte nicht einmal, wo sie war. – Warum denn stand auf dem Zettel »Literarischer Abend«? War das »Othello« nicht? Oder hält man sich, weil man Sternheim spielt, für so entsetzlich modern, daß man den Leuten die Nase darauf stoßen muß, daß sies merken und gebührend bewundern?
[1921]
Rose Bernd
Schauspiel in fünf Akten
von Gerhart Hauptmann
Das Vögelchen zappelte von
Schlinge zu Schlinge. Der drosselnde Draht umschnürt ihm den lustigen
und vollen Singhals? Die schlesische Maria Magdalena, triebhafter als jene,
leistet dumpfen, animalischen Widerstand gegen das Verhängnis. Das
Hebbelsche Fräulein liegt schon ertrunken im Brunnen, da würgt
Rose ihr Kind ab und schwört den Meineid. Und wächst zuletzt,
anklägerisch, über sich und ihr Schicksal hinaus. [...]
Das Haus war voll besetzt und
stellte mit Befriedigung fest, daß es genau sei »wie im Kino«.
Die meisten hatten, so schlens, das Stück schon im Olympiatheater
gesehen.
[1921]
Gas
Schauspiel in vier Akten von Georg Kaiser
Die Masten der Kamine vergittern den Himmel. Die Maschinen dröhnen. Gas tobt in den Kesseln, zitternd in Stoßkraft. An Hebeln und Rädern stehen die Menschen, vor Feuern und keuchenden Rohren, Gas, Gas, Gas zu erzeugen. Nicht treibt sie, wie einst, Gier des Unternehmers. Gleichmäßig wird der Gewinn unter sie alle verteilt. Nie wurde so mit Anspannung gearbeitet wie hier, wo jeder Teil hat an Werk und Ertrag. Da fliegen die Kessel in die Luft, Tausende zerschmeißt es zu brennenden Fetzen. Das Gas explodierte, und durfte nicht explodieren, denn die Formel, nach der es hergestellt wird, stimmt. Die Formel ist richtig. Die Formel hält jeder Rechnung stand. Aber das Gas explodierte. Irgendwie, nach Gesetzen, die ein menschliches Hirn nicht mehr errechnet. Die Arbeiter nun verlangen die Entlassung des Ingenieurs, der die Formel aufgestellt hat, richtig aufgestellt hat. Der Milliardärsohn, der Unternehmer, der Menschenfreund, sieht tiefer. Erkennt, daß die Maschinen, daß die Kesgel und Rohre, daß das Gas in den Rohren Herr ward über die Menschen. Die Formel stimmt, aber immer wird das Gas die Menschen töten. Er wi11 die Arbeiter aus den Eisenhallen führen, wo das Werk stand, soll eine Siedlung erwachsen, Grün und Gärten und Bäume, undjeder soll sein Haus haben auf eignem Boden. Und Menschen sollen sie werden, die sich auf ihr Selbst besinnen. Er stößt gegen blockharte Widerstände. Die Arbeiter wollen wieder zu den Gaskesseln, wollen Gas erzeugen, das ihnen Geld in die Mulde der Hand legt. Sie sind Verwirrte, Besessene, Gierige, der Macht des triumphierden Gases, dem Götzen der Maschine Verfallene. Der Ingenieur, dessen Entlassung sie gefordert, wird ihr Führer. Das Werk wird wieder erstehen. Das Gas wird sieden. Wird explodieren. Sie taumeln an die Arbeit. Zerbrochen bleibt der Milliardärsohn zurück. Der Mensch ist noch ferne. Wann wird er kommen? Seine Tochter verspricht, ihn zu gebären. Es soll den Unterdrückten das Heil werden, aber sie verschmähen es. Der Mensch soll zur Menschwerdung gelangen, aber er weigert sich den Weg zu gehen. Die Sklaven der Arbeit schreien nach Fessel und Joch. Die Zeit ist nicht reif für den neuen Menschen. Agitatorisch sind diese vier Akte. Prachtvoll zugespitzt der Dialog. Schmiß und Schwung in den Szenen. Redselig nur der Schluß. Herr Herrmann hatte die Spielleitung. Sie sündigte viel. Man hätte stilisieren müssen. Die Gestalten in starren, eckigen Gebärden, Plakatfiguren. Manches wäre grotesk zu nehmen gewesen. Die schwarzen Herren, die wie Puppen hätten sein müssen, ladestöckig, waren aus einem Schwankakt in die grimassierte Welt Kaisers getreten. Der Arbeiterhaufe im letzten Akt war schlechter Opernchor. Bändigung in Schrei und Erregung, starrer Rhythmus wurde gar nicht versucht. Den Milliardärsohn spielte Herr Herrmann. Mit zu viel Gemüt. Manchmal mit Haltung, aber im ganzen zu sudermännisch. Von den drei Arbeitern war nur Herr Eder erträglich. Fräulein Glaser war die einzige, die begriff, daß Georg Kaiser eine andere Linie verlangt als ein beliebiger Autor. – Das Publikum, erregt zwar, erlahmte zuletzt in der Aufnahmefähigkeit. Manches mißverstand es. Es wurde sogar gezischt. Aber die Zufriedenen und Dankbaren waren in der Überzahl.
[1921]
ZU AUFFÜHRUNGEN DES STADTTHEATERS IN REGENSBURG
Bs. Besprechungen erschienen zunächst in der Neuen Donau-Post (vgl. S.587), die im Juli 1920 in die Volkswacht für Oberpfalz und Niederbayern umgewandelt wurde. Sie werden unten sämtlich angeführt.
Reiches Material zum Spielplan und den einzelnen Inszenierungen befindet sich im Stadtarchiv Regensburg, Theatersammlung Andreas Blank. - Die Memoiren des Schauspielers Rudolf Fernau, der in der Spielzeit 1918/19 bei diesem Stadttheater sein erstes Engagement angetreten hatte, berichten aus dieser Zeit von Versuchen, den inzwischen aufs Theater übergreifenden »Expressionismus« auch dem Regensburger Publikum näher zu bringen. B. hatte das Talent des Debütanten erkannt (vgl. etwa NDP, 2.1.1920); dessen Bild des »trinkfrohen« B., »ein hochkarätiger Lyriker von Rang«, scheint freilich aus der Rückschau stilisiert (S.54, vgl. S.263).
Am Stadttheater war auf den Intendanten Johannes Maurach ab 1913 Emil Vanderstetten gefolgt. Nach der Schließung in den Kriegsjahren übernahm 1918 Max Linnbrunner gemeinsam mit Toni Thoms die künstlerische Oberleitung; es folgte bereits im Jahr darauf Emil Reiter, dann Richard L'Arronge - für 1919/20 - , dann, nach der erneuten Privatisierung, Max Linnbrunner von 1920/21 bis 1924 (vgl. S.159).
Zum Winter 1919 war das Theater neu organisiert worden. Die Neue Donau-Post spendete am 15.Oktober 1919 hohes Lob für den »heuer zum ersten Male und unseres Wissens in ganz Bayern nur hier gemachten Versuch des Eigenbetriebes eines Stadttheaters«; man versprach sich davon »ein gutes Theater unter Ausschaltung der Unternehmerspekulation nach idealen Gesichtspunkten«. In einem Artikel zur Regensburger Theaterfrage erklärte W.Schmitt am 26.November:
Wie der alte Staat, so hat das alte Theater, so hat das alte Publikum mit seiner dünnen aufgeleimten Halbbildung, mit seinen wechselnden Launen und Richtungsmoden abgewirtschaftet.
Aber bereits zum Ende der Spielzeit erwies sich die >Kommunalisierung< als nicht mehr finanzierbar (vgl. NDP, 29.4.1920).
In seiner Rubrik »Quer durch« schrieb B.s früherer Kontrahent vom Regensburger Anzeiger (vgl. S.599 f. am 3o.April 192o:
Einer besonderen Feststellung wert ist wohl die Tatsache, daß ausgerechnet die Kreise ein gut Teil Schuld an dem Schicksal unseres Theaters tragen, die seine Verstadtlichung mit allen Mitteln erzwangen. Das kam auch in einer Vorberatung zur Stadtratssitzung zum Ausdruck [...]. Ein Mitglied des Stadtrats wies daraufhin, daß ausgerechnet die Schauspielkritik der Zeitung, welche die Verstadtlichung am nachdrücklichsten verlangte, nicht mehr Kritik, sondern Bösartigkeit gewesen sei. Andere Leute an weniger verantwortlicher Stelle haben ihr Urteil meiner früheren Feststellung angeglichen: »Das gehört in die Vorgärten von Karthaus«. [...] Nachdem nun das Stadttheater zum großen Bedauern aller ehrlicher Kunstfreunde diesen Weg so vieler revolutionärer Neuerungen nehmen mußte, wird die Kunst mehr aufblühen und zur vollen Entfaltung kommen, die unserem Schieberzeitgeist entspricht.
B.s vehemente Kritiken hatten schon früher zu Streitigkeiten mit gekränkten Schauspielern geführt, die er wiederum öffentlich machte (vgl. NDP, Nr.2o, 26.1.1920). Dem Musikkritiker des Regensburger Anzeigers hatte er überdies nachgewiesen, daß dieser seine Kritiken aus Paul Bekkers Beethoven von 1910 übernehme (vgl. NDP, Nr. 71, 1.4.1920).
In der neuerlichen Polemik gegen den Regensburger Anzeiger versuchte B. seine kritische Schärfe grundsätzlich zu rechtfertigen: Zu Unrecht sei behauptet worden, daß meine Kritik, die keine Kritik sei, sondern Bösartigkeit, ein gut Teil Schuld trüge an dem Schicksal unseres Theaters. [...] Loben [- meint man-] bedeutet Förderung. Daß Tadel fördern kann, daß ich das Pferd nur vorwärts bringe, wenn ich den Sporn bereit halte, daß ich zu höchster Anspannung, zur Hergabe des letzten zwinge, wenn ich das letzte fordere,
- das wolle der Gegenpartei nicht einleuchten.