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Georg Britting
Sämtliche
Werke - Prosa -
Herausgegeben von Georg-Britting-Stiftung
Band 5
Seite 310
Kommentar
Seite 417
Aus: »Erzählungen,
Bilder, Skizzen«
(Gespräch über das Handwerk des Dichtens)
Mein Gott -
was ist nun eigentlich zuerst da? Das ist wirklich schwer zu sagen. Ein
leerer Bogen Papier jedenfalls. Aber alles, was man über diese Sache
sagt, sehen Sie, stimmt eben nur teilweise. Deshalb spreche ich auch nicht
gern darüber. Ich müßte alles einschränken, bedingen,
halb zurücknehmen. Natürlich, wenn man die weiße Fläche
Papier so vor sich sieht, das reizt, ein paar Verse darauf zu schreiben.
Das reizt und regt an, und auf. Aber auch nur wieder an bestimmten Tagen.
An anderen Tagen nützt das gar nichts. Man schreibt ein paar Zeilen,
man quält sich, man sieht, daß alles schlecht ist, schlechter
als man es von sich selber für möglich gehalten hätte –
dann hört man lieber auf.
Aber, natürlich glücklicherweise,
es gibt andere Tage.
Da spürt man gleich: na, heute
könnte etwas gelingen.
Der Vogel Bienenfresser
In der alten
Stadt Regensburg, auf einer Insel in der Donau, bin ich am 17. Februar
des Jahres 1891 geboren worden, ein Wassermann also in jeder Hinsicht,
auch in astrologischer. Ich glaube aber nicht an die Astrologie.
Früh fühlte ich
mich einen Dramatiker, verfaßte fünf oder sechs Theaterstücke,
von denen eins gedruckt wurde, zwei andre aufgeführt an den Staatlichen
Bühnen Dresden und München. Dann gefielen mir die Komödien
nicht mehr, gar nicht mehr, und ich beschloß, sie dem Feuertod zu
überliefern. Das war im Jahre 1930 ungefähr. Da in dem Zimmer,
das ich bewohnte kein Ofen stand, das Haus war zentralgeheizt, ging ich
eines Abends, Münchner war ich geworden, zur nahen Isar hinunter und
warf von einer Brücke aus die Manuskripte allesamt ins Wasser und
hörte es klatschen und atmete tief und befreit auf, als das Gericht
vollzogen war.
Spät erst, mit fast
dreißig Jahren, begann ich zu schreiben; vorher war ich mit anderem
beschäftigt gewesen, mit einem bißchen, nicht ernst genommenem
Studium der Volkswirtschaft, und dann hieß es im Schützengraben
den ersten Weltkrieg zu überstehen, der bekanntlich durch vier lange
Jahre sich hindehnte. Als ich aus ihm zurückkehrte, nach zwei Verwundungen,
war mein rechter Arm lahm und ist es bis heut geblieben.
Was sollte ich anfangen?
Ich schrieb, weil ich nichts besseres zu tun wußte, ohne Vorsätze
zu haben oder Pläne oder Theorien, ohne jede deutliche Vorstellung
vom Wesen der Dichtung, nach der man mich heut fragt, nicht einmal eine
undeutliche hatte ich. Ich schrieb, weil eine unruhige Lust mich drängte
es zu tun, schrieb kurze Erzählungen, auch Verse, sehr dem Expressionismus
verhaftet; um 1920 herum auch mein erstes Drama.
Die Zeit ging hin mit dieser
Tätigkeit, ich verdiente wenig damit ganz natürlich, verdiente
aber so viel, daß es zu einem Studentendasein in einem Zimmer reichte,
mehr hatte ich auch nicht erwartet und wunderte mich eher, daß es
so viel einbrachte. Es waren schöne, unbekümmerte Jahre. Und
in einem möblierten Zimmer auch noch, erlebte ich meinen sechzigsten
Geburtstag.
Ich war nie besonders fleißig,
wozu auch, aber es häufte sich doch allerhand an, in Zeitungen und
Zeitschriften veröffentlicht zuerst, später auch in Buchform.
1932 erschien mein erster und einziger Roman, der Lebenslauf eines dicken
Mannes, der Hamlet hieß, er wurde ins Französische und Holländische
übersetzt. Fünf Gedichtbücher von mir kamen auf den Markt
und ein halbes Dutzend von Büchern mit Erzählungen. Der Markt
befaßte sich nicht sonderlich mit ihnen, was mich nicht erstaunte.
Ich reiste in fremde Lande, nach Frankreich, Italien, Jugoslawien, Albanien,
in Afrika sogar war ich, nicht lange, eine kurze Woche leider nur, sah
die Wüste, Karawanen und Skorpione. Es waren billige Zeiten damals,
für einen Junggesellen zumal.
Ich trank gern und nicht
zu wenig, Wein, und tue es noch heute, rauche schwarze Brasilzigarren und
dünne österreichische Virginias, lese viel, zuviel vielleicht,
aber kann man das?, bekam einige Literaturpreise, wurde Mitglied von Akademien,
und nun ist es soweit, daß eine Gesamtausgabe meiner Werke zu erscheinen
beginnt, auf sechs nicht allzu dicke Bände berechnet, und immer noch
nicht weiß ich die Frage zu beantworten, was denn das Wesen der Dichtung
sei.
Seit ein paar Jahren habe
ich es zu einer Zweizimmerwohnung gebracht, zu einer Mansarde im vierten
Stock im Herzen Münchens, gegenüber der Sankt Annakirche, auf
einem stillen, baumbestandenen Platz, und eine Frau habe ich jetzt, und
Glockengeläute tönt oft zu mir und der Schrei des Turmfalken.
Ein Turmfalkenpärchen ist es und sie haben Junge.
Die Gechichte von dem Tausendfüßler
gehört jetzt hierher. Den fragt man, wie er denn zurecht komme mit
den vielen Beinen, wie er es anstelle, sie nicht durcheinander zu bringen,
daß kein Wirrwarr entstehe und er nicht stolpere. Das Tier antwortet:
»Das ist doch ganz einfach, das mache ich so, sehen Sie einmal genau
her.« Und es will seinen Gang beginnen, den oft gegangenen, und plötzlich
kann es nicht mehr gehen, wie gelähmt ist es, und steht beschämt
vor dem Frager. Wie ich auch. Und meine, nicht törichter zu sein als
andere, nur vorsichtiger vielleicht, mir selber nicht trauend und meiner
Weisheit, zögernd und eher hochmütig verlegen ablehnend.
Der Bienenfresser gehört jetzt
auch hierher. So heißt ein von mir:
Der Vogel BienenfresserDie den süßen Honig holen,
Von den Rosen, von dem Flieder
Was sie eben sich gestohlen,
Raubt sich gleich ein andrer wieder
Auf die frechste Räuberweise,
Goldner Stacheln ungeachtet:
Und die Bienen, schwer befrachtet,
Selber sind sie nun die Speise,
Und wie Honig ihnen, besser,
Schmecken sie dem Bienenfresser.Und der Dichter? Voller Gier,
Ohne Vorsicht und Bewahrung
Schluckt er stachelige Nahrung
Wie das Bienenfressertier,Nie und nie, daß er verzichte,
Kann er nur den Honig haben:
Bienen baun aus Honig Waben
Und die Dichter draus Gedichte.
Ist's wenig, was ich zum Thema
zu äußern habe?
In Bildern zu sprechen dürft
ihr mir nicht wehren, ich wüßte mich sonst nicht zu erklären.
So ungefähr sagt es Goethe. In Bescheidenheit sag ichs auch.
Das alles ist Bayern . . .
Den meisten
ist das Land der Bayern ein Land der Berge, und wenn sie das Wort Bayern
aussprechen, stehen die Gipfel der Alpen vor ihnen, weiß und schneeglänzend
im Winter, grün und beinern grau im Sommer, Wasserfälle stürzen
und Forellenbäche schnalzen durchs Tal. Sie denken an die Sennen,
die in den schindelbedeckten Almhütten hausen, an Wildschützen
und Holzfäller, und hören im Traum die Glocken, die am breiten
Lederband am Hals der Kühe schaukeln: ruhevoll tönen sie, am
Tag und durch die stillen, heuduftenden Nächte. Das alles ist Bayern,
aber es ist nur ein Teil davon, ein schöner Teil, ein Pracht- und
Glanz- und Prunkstück, doch wer sollte sagen dürfen, es sei der
schönste, ehe er anderes von diesem Lande gesehen hat? Es gibt noch
viel.
München ist Bayerns
Hauptstadt. Es ist eine wunderbare Stadt, mit den Kupferhauben der Frauentürme;
und die München lieben, sagen gern von ihm, es sei ein großes
Dorf geblieben, und sagen: Gottseidank! München hat mächtige
Bauten, Hallen und Kirchen und Paläste, die Wittelsbacher vor allem
waren große Bauherren, es hat italienisch anmutende, steinerne Plätze,
den grünen »Englischen Garten«, die schnelle, wendige
Isar, hat Maler und Gelehrte und Tänzer, eine Stadt der Künste
ist es, aber seine Bewohner sind zu einem großen Teil aus dem Alpenvorland
zugewandert und haben Bäuerliches behalten in Sitte und Sprache und
im Ungestüm ihrer Natur. Man muß einmal auf dem Oktoberfest
gewesen sein, mit seinem Ochsen am Spieß, mit Brathendln und Steekerlfischen,
und gehört haben, wie die Bierbonzen dröhnen, wenn frisch angezapft
wird, um das zu spüren! Da atmet die bayerische Brust tief und beseligt
auf und weiß sich geborgen im eigenen Wesen.
München ist eine vielbesuchte
Stadt. Wer zu ihr kommt und rastet, kurz oder lang, der geht auch bald,
für Stunden, oder für Tage, nach Süden, wo das Gebirge mächtig
lockt, das bei klarem Wetter deutlich zu sehen ist und bei Föhn zum
Greifen nah zu liegen scheint. Auch die eingesessenen Münchner machen
es nicht anders. Nach Norden wenden sich nur wenige.
Da dehnt sich die schwäbisch-bayerische
Hochebene, dehnt sich bis hinüber nach Augsburg, der Stadt der Brunnen,
der Fugger-Stadt am springlebendigen Lech, und senkt sich mit Landshut,
das die Martinskirche hat, mit dem hochgeistlichen Freising, dem bierbrauenden
Weihenstephan, dem klotzig-schweren Moosburg hinab zur Donau. Über
die Hochebene wehen kräftige Winde unter dem hohen weiß-blauen
Himmel; weiß-blau sind Bayerns Landesfarben. Der Schwede Gustav Adolf
hat vorwitzig gemeint, München sei ein goldener Sattel auf einer dürren
Mähre - er hätte richtiger sagen sollen: auf einem derbknochigen
Bauernpferd! An der Donau liegt Regensburg, liegen Straubing und Passau.
Drei Städte, drei uralte Siedlungen, von den Römern gegründet.
Manches ist den Menschen dort geblieben von ihrer Herkunft, im Schnitt
der Gesichter, in der kleinwüchsigen Gestalt, im schwarzen Haar, und
die jungen Männer tragen oft noch kleine, goldene Ohrringe, wie Spanier
sehen sie dann aus! Hier ist Niederbayern, hier ist das »Gäu«.
Der Gäuboden ist von strotzender Fruchtbarkeit, Weizenfelder wogen,
die Kornkammer Bayerns wird dieser Landstrich genannt. Sanft gewellt ist
die Gegend, Barock-Kirchen stehen hier und dort, und weißgekalkte
Klöster. Hier ist das innerste Herzstück Bayerns. Die Bauern,
fromm und rauflustig, sind Herren auf ihren stolzen Höfen. Oberbayern
ist arm von Natur, hat Stein und Gras und seine Bergschönheit; Niederbayern
ist reich. Bei Passau grenzt es an Österreich, das stammverwandte,
das von den Bayern besiedelt wurde, und bayrisch ist es geblieben in Mundart
und Wesen, nur zum Höflicheren, zu Leichterem und Feinerem hat es
sich
gewandelt: das Kaiserhaus in Wien
und seine Ausstrahlung hat das vermocht. Passau, die Bischofsstadt, die
Dreiflüssestadt, - Donau, Inn und Ilz vereinigen sich hier -, ist
wie aus einem Traum geholt anzusehen, mit der Festung Oberhaus, dem Mariahilfsberg,
den vielen Brücken.
Am nördlichsten Punkt,
den die Donau in ihrem Lauf erreicht, liegt Regensburg: eine einzige Herrlichkeit!
Romanisch, gotisch, barock, alle Stile vertragen sich in ihr. In der Nähe,
donauaufwärts, bei dem Städtchen Kelheim, liegt das Kloster Weitenburg,
ein Wunderwerk die Klosterkirche und ihr Georgsaltar. Die Donau bricht
hier durch die Kalkfelsen des Jura, zieht eine mächtige Schleife.
Wer von Weitenburg mit dem Boot donauabwärts fährt bis Passau,
tut eine unvergeßliche Reise. Von den Donaustrudeln sei hier nicht
weiter die Rede, und daß es bei Regensburg noch Weinberge gibt. Der
Kruckenberger hat seinen sauren Reiz. Einen großen fließenden
Magneten nennt Hans Carossa, der in einem Ort bei Passau lebt, den grün
dahinziehenden Strom.
Nördlich von Regensburg
beginnt die Oberpfalz. Der Fluß Regen durchfließt sie, der
bei Regensburg in die Donau mündet, daher trägt die Stadt ihren
Namen. Der Regen ist ein schwarzes, langsam strömendes Wasser, von
sanft-schwermütiger Art. Die ganze Oberpfalz hat etwas von dieser
dunklen Schönheit. Burgruinen und Klöster sieht man, auf den
grünen Wiesen grasen die weißen Gänse. Die Oberpfalz erstreckt
sich hoch hinauf, bis ans Sächsische, ans Fränkische, und hat
im Osten Böhmen zum Nachbarn.
Es gibt auch eine kleine
Stadt, die Regen heißt, sie liegt schon »im Wald«, wie
man den bayrischen Wald kurzhin nennt, und »Waldler« seine
Bewohner. Von altersher wird Glas geblasen in dieser Gegend, Venezianer
haben die Kunst eingeführt, ein Schnupftabak, der »Schmalzier«,
wird gemacht, und sogar Gold wird noch gewaschen in den Bächen und
Flüssen. Viel davon geben sie nicht her. Der »Wald« hat
stille, schwarze Seen, Ortschaften wie Bischofsmais und Lam und Zwiesel,
die Berge Arber, Osser und Dreisessel. »Der Hochwald« Adalbert
Stifters wächst hier. Es ist bei ihm nachzulesen, wie er ist, keiner
weiß es besser.
Viele Namen sind noch nicht
aufgezählt der Orte und Gegenden, die des Rühmens wert sind:
Ingolstadt, »die Schanz«, die alte Soldatenstadt, und Donauwörth,
und Lauingen, das schweigsame Amberg, die hopfenreiche Holledau und Memmingen,
die alte freie Reichsstadt, wo es schwäbelt und es Spätzle zu
essen gibt statt der altbayrischen Knödel. Die sind aber auch gut.
Und von Wasserburg wurde noch nichts gesagt, in der Innschleife, und von
Burghausen, von Kappl, von Waldsassen, vom Wallfahrtsort Altötting
mit seiner schwarzen Madonna - wo anfangen, wo aufhören? Ein altes
Leben hat sich in diesen Siedlungen erhalten, gelassen, ohne Hast, in selbstgenügsamer
Tätigkeit.
Es wurde viel von Kirchen
und Klöstern gesprochen, das hat seinen Grund, Bayern ist ein erzkatholisches
Land. Es ist ein heiterer und lebensfreudiger Katholizismus, der hier daheim
ist, und gar nicht weltabgewandt, mit allen Sinnen auch das Irdisch-Schöne
genießend. Wie Gold funkeln die Altäre der Kirchen, die Türme
haben lustige Zwiebelhauben, der Barock ist ein echter Ausdruck dieses
Landes. Die Blasmusik wird geliebt, der Tanzboden am Sonntag, bei Hochzeiten
und Taufen, und an den Werktagen wird gearbeitet: alles zu seiner Zeit!
Für Fontane
Fontane zu
lesen, und immer wieder zu lesen, ist für mich eine Freude, und ein
Glück.
Ich bin ein alter »Fontanist«,
wie wir Fontane-Verehrer, Fontane-Bewunderer uns gern, und als sei's eine
Auszeichnung, die es auch ist, zu nennen lieben. Von diesem wunderbaren
Mann, diesem großartigen Schriftsteller, diesem Dichter, der mit
scheinbar leichter Hand Schweres bewältigt - ich kann von ihm nicht
reden wie von einem germanistischen Katheder herunter.
Von den »Poggenpuhls«
z. B., einem quasi »kleinen Nebenwerk« von ihm, vermag ich
nur hingerissen zu schwärmen, wie ein Liebender entzückt zu schwärmen
beginnt, wenn vom Gegenstand seiner Liebe gesprochen wird.
Grad innerhalb unserer deutschen
Literatur, die so oft schwerflüssig, und schwersinnig und schollenklumpig
einher schreitet-nie »schreitet« Fontane, ergeht, nur manchmal
auch tanzt er - schenkt er uns ein hohes und herrliches Vergnügen,
ein tiefes und herzliches Wohlbehagen, eine fromme Lust, ist er ein Glanz,
ein Segen, der auf Taubenfüßen zu uns kommt.
Er gehört aber zu dem
Geschlecht der Adler.