Drucknachweise und Anmerkungen Lieferbare Ausgabe: Georg Britting Taschenbuchausgabe
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Georg Britting |
»Aufzeichnungen«
Eine Auswahl
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"Über Gedichte Georg Brittings"
Unter den mehr als siebzig Gedichten in Georg Brittings neuem
Gedichtbuch
„Unter hohen Bäumen" sind nur wenige, in denen nicht das Tier erscheint;
manchmal ist es der eigentliche Gegenstand, zuweilen aber ist es nicht
in leibhafter Gegenwart da, sondern nur im Gleichnis, doch gerade das
zeigt,
wie sehr die Phantasie des Dichters mit dem Tier beschäftigt und von
ihm erregt ist. Unwillkürlich denkt man zurück an die früheren
Sammlungen seiner Gedichte und findet, daß es dort nicht anders ist:
selbst in der „Begegnung", den Sonetten vom Tode, ist der Kreatur ein
großer
Raum gewährt, und nur im „Lob des Weines", dem menschlichsten seiner
lyrischen Bücher, tritt sie merklich zurück. Britting hat das-von
ihm freilich niemals unmittelbar ausgesprochene - Brudergefühl zu
ihr, das Faust im „Monolog vor Wald und Höhle" offenbart, und es
schließt
die Tiere nicht aus, zu denen der Mensch im allgemeinen nur schwer ein
Verhältnis findet. Ja, dieser Dichter liebt besonders die dem Menschen
rätselhafte Kreatur, die ihm unheimliche, Tiere, in denen das uns
Menschen Fremde, Unergründliche, ja Dämonisch der Natur überhaupt
sichtbar wird. Raben und Krähen, die „Zaubertiere aus der alter Zeit",
die Henkersvögel, die selbst im Frühling nicht singen, die Fische
auch, die stum~ men, die nichts zum Schreien bringt, weder Lust noch
Qual,
und unter ihnen den Aal den sonderbaren Gesellen, der den Schlangen
verbündet
scheint, der gleichsam aus den Gesetz der Natur fällt, indem er ungleich
seinen Brüdern zu Zeiten das ihnen ausschließ lich bestimmte
Element verläßt und sich auf der Erde behagt.
Schon in dem großen Herbstgedicht, einem der stärksten Stücke
der neuen Samm lung, erscheint der Aal: Wie hier aus der matten Stille
des Spätherbsttages, den noch die späte Biene wohlig durchsummt,
unversehens, mit bestürzender Gewalt der Aal sich dem ahnungslosen
Fischdieb um den Arm schlingt und zugleich schwer aufs Herz legt und wir
spüren, wie unheimlich im tiefsten die elementare Natur ist, das gibt
der großen Ode ihre Schwere.
Es ist, als hätte diese kühne Strophe in der Phantasie Brittings
weitergezeugt, in dem neuen Gedicht aber ist der Aal ganz gegenwärtig,
in der menschenfernen Einsamkeit seines Wesens, dem sich allein die
Schlange
gesellt. Wir begleiten ihn auf seiner rastlosen Wanderung durch den
mondbeglänzten
Garten, und dieser Einbruch der wilden Natur in die Ordnung des Gartens,
woraus der Mensch das Wilde, Bedrohende der Natur zu verbannen sucht,
dieses
Gegenspiel von Tiefe und Oberfläche, von Nacht und Tag, ist es
sicherlich,
was zu gestalten den Dichter verlockt hat. Nächtlich ist der schöne
Gesang: der dunkle, voll klingende Vokal, den in unserer Sprache die
Nacht
hat, so gut wie Schlange und Aal und die Farbe seiner Haut, aber auch
die
Gnade, die das Geschöpf der Tiefe beglänzt, beherrscht ihn, bis
in der letzten Strophe, die uns zum Ausgangsort und zum endlichen Ziel
der nächtlichen Wanderung führt, der Vokal des Urhaften, des
mütterlichen Grundes seinen Platz einnimmt und die Versmusik bestimmt.
Einen Gesang nannten wir das Gedicht: Ist es nicht, als ob in ihm in
verwandelter, erdhafterer Gestalt der Klang romantischer Naturgesänge,
etwa Eichendorffs, wieder vernehmlich würde? Aber auch die
Regelmäßigkeit
und Gebundenheit der Liedform erlaubt bei diesem Lyriker eine leichte
Störung:
Genau in der Mitte des Gedichtes bleibt in der dritten Zeile der Strophe
der Reim, auf den unser Ohr unwillkürlich wartet, aus; statt seiner
hört es einen Binnenreim, und er gibt der Zeile eine merkliche Schwere,
so daß der rhythmische Fluß für das feinere Ohr ein wenig
stockt, um dann desto gelöster weiter zu fließen; es ist wie
ein leises Atemholen, ein leichtes sinnendes Verweilen, eine
Unregelmäßigkeit
der Form also, die auch einen inhaltlichen Sinn hat und das Gedicht
bereichert,
ein scheinbarer Makel nur.
Ein Gesang wie dieser klingt lange nach, und am Ende mag einem
aufgehen,
daß er unbeschadet seiner sinnlichen, realistischen Kraft eine
sinnbildliche
Tiefe hat, indem der Einbruch das Aals in die geordnete Gartenwelt eine
Art dichterisch-mythische Form ist für ein Urphänomen des Lebens
schlechthin, das das menschliche nicht ausschließt.
(Anfang Juni 1951)
© Georg Jung
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