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Drucknachweise und Anmerkungen 

Georg Jung 
zu diesem Gedicht


Lieferbare Ausgabe:

Georg Britting
Sämtliche Werke  

Taschenbuchausgabe
in 23 Bänden

Band 6 »Der unverstörte Kalender«
Seite 80
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Editionsnotiz zu dieser Ausgabe




Georg Britting
Sämtliche Werke 
»Der unverstörte Kalender«   Band 4   Seite 288

© Georg-Britting-Stiftung - Alle Rechte vorbehalten /   zu den Rechten:
    .

Es spricht der Hirt

Steig nur hinauf die Leiter,
Dort oben liegt das Heu!
Du darfst dir davon holen,
Das heiß ich nicht gestohlen,
Auch wird ja nichts verdorben dran:
Zerknittert ist es schon!

Das Heu gehört nicht mir.
Das Heu gehört dem reichen Mann,
Wie Esel, Schaf und Stier.

Ihm sagt man besser nichts davon:
Der wär imstand verböte es –
Er muß nicht alles wissen!

Und magst du einen Bissen?
Es war ein schönes Lamm –
Der Wolf hat mirs zerrissen!
Und gib ein Stück auch ihr!

Wir Knecht und Hirten alle,
Wir armes Volk, wir sind nicht so:
Die Niederkunft im Stalle
Könnt unsereinem auch geschehn,
Und wir, in solchem Falle,
Wir wären trotzdem froh!

Nimm nur! Ich habe nichts gesehn!
Und nimm dir auch vom Stroh!
 
 
 
Georg Jung

»Aufzeichnungen«
Eine Auswahl
.....................................................................................................Seite 71
"Über Gedichte Georg Brittings"

Die beiden ersten Gedichtbücher Georg Brittings, sowohl der „Irdische Tag" als auch „Raabe, Roß und Hahn", enthalten einige Weihnachtsgedichte, die aus demselben Geist entstanden zu sein scheinen wie die Weihnachtsbilder der alten Maler, namentlich Albrecht Altdorfers, seines Regensburger Landsmanns und Lieblingsmalers. Wie diese versetzten sie das heilige Geschehen getrost in die heimische bayerische Welt: der Josef auf dem Münchener Bilde mit der heiligen Familie, der mit der bauchigen Flasche am Stock über die Schulter und dem länglichen Brote unterm Arm heimkehrt, d. h. in das Seitenschiff der Kirche, wo sich Marias Wochenstube befindet, ist ein Bruder von Brittings Josef, der auf gut bayerisch flucht, ehe er sich auf den Bettelweg macht, um Brot und Milch aus dem Tal zu holen, und der (in einem andern Gedicht) den bayerischen Janker trägt. Und nicht anders verhält es sich mit der umgebenden Natur, der Landschaft: wie jene Maler, wenn auch nicht mehr naiv wie sie, sondern mit bewußter Künstlerschaft versetzt der Dichter die heiligen Vorgänge in die vertraute heimatliche Landschaft: In der Scheune, mitten im Föhrenwald, mit Rabe, Eichhörnchen und Fuchs, kommt Maria nieder; auf einem Weg durch schwarzen Fichtenwald, wo der Fuchs den Hasen jagt, geht Maria, von Josef, dem alten Mann, begleitet, mühsam durch den unter ihren Füßen singenden Schnee, und der Zugwind, den die mächtigen Flügelschläge des wegweisenden Engels erzeugen, beugt nicht die morgenländischen Palmen, sondern die heimisch-vertrauten Haselbüsche und Weiden. In dem einen der viele Jahre später entstandenen Weihnachtsgedichte ist das Nordisch-Winterliche, das „Mitten im kalten Winter" unseres schönsten Weihnachtsliedes, noch viel stärker ausgeprägt: Um die Hütte, in der der bäuerliche, schnauzbärtige Schreiner Josef „blasengelschlau" ein „rots Feuer" gemacht hat, tobt der Schneesturm. Mit solchen Wintergedichten geht Britting über die deutschen Maler, in deren Bethlehem es grünt und blüht, hinaus und nähert sich Brueghel, dessen Christgeburtsbilder zugleich Winterbilder sind, auf denen der Winter nicht weniger gewaltig und elementar erscheint als auf dem allbekannten Bilde in der Folge der Jahreszeitenbilder.
Aber das andere der neuen Weihnachtsgedichte, „Es spricht der Hirt", hat eine noch engere Beziehung zu Brueghels sehr eigener Art, das Heilige darzustellen. Das ganz Unvergleichliche und recht'eigentlich „Moderne" des Brüsseler Bildes „Die Volkszählung zu Bethlehem" ist doch neben der großartigen Idylle der vereisten und verschneiten Winternatur mit den sich darin tummelnden Menschen, daß wie in keiner Malerei sonst das Heilige nicht mehr Schwerpunkt und beherrschende Mitte des Bildes ist, sondern als Episode unter anderen erscheint: Der Blick des Betrachters wird durch die Komposition zunächst auf das am linken Bildrand stehende Wirtshaus gelenkt, vor dem sich die Menschen als dem Ort, wo offensichtlich die „Schätzung" geschieht, zusammendrängen; er entdeckt erst bei längerer Betrachtung des mannigfach reichen Geschehens auf diesem echt epischen Bilde das heilige Paar: unauffällig wie jedes andere zur Schätzung aufgerufene Ehepaar nähert es sich dem Orte; kein Heiligenschein umgibt das Haupt Marias, einzig der blaue Mantel zeichnet sie aus, und Josef ist vollends unscheinbar, durch nichts von der Menge unterschieden. So anonym ist wohl von keinem der großen Maler das Heilige dargestellt worden. Darum auch könnte das Bild nicht als Altarbild gedacht werden: der fromme Betrachter würde immer wieder abgelenkt werden, nicht anders als vor dem Winterbild mit der Anbetung der Könige (Sammlung Reinhart, Winterthur): auf ihm ist ebenfalls der heilige Vorgang nur ein Teil der epischen Fülle des Bildes, das auch ohne ihn durchaus sinnvoll wäre.
In Brittings Hirtengedicht (1951) erscheint das Heilige in merkwürdig verwandter Anonymität und Unscheinbarkeit. Wäre nicht in den Worten des Hirten die Rede von der Niederkunft im Stalle, und wäre in ihm nicht die Zeile von „Schaf und Ochs und Stier", deren volksliedhafter Ton an den Stall von Bethlehem denken läßt, könnte man kaum gleich erkennen, daß der so menschlich und hilfsbereit Angesprochene niemand anders als Josef und in der Zeile „Und gib ein Stück auch ihr" Maria selber gemeint ist, die in der Tat in diesem seltsamsten und nüchternsten aller Weihnachtsgedichte nur, „grammatisch" gesprochen, im Dativ des persönlichen Fürworts erscheint.
Worin mag diese auffällige Übereinstimmung zwischen dem alten Maler und dem Dichter unserer Zeit begründet sein? Es ist natürlich bei Brittings starker Neigung zur Malerei und ausgebreiteten Kenntnis ihrer Werke sehr wohl möglich, daß ihn Brueghels Bilder angeregt haben - es wäre nicht das erstemal, daß ein Funke von einer Kunst auf die andere übersprang- es muß aber in diesem Falle in seinem Gemüt, namentlich in seiner künstlerisch bildenden Phantasie, eine Gestimmtheit vorhanden sein, solche Anregung aufzunehmen und fürs eigene Schaffen fruchtbar werden zu lassen.
Doch ist die Annahme einer solchen Abhängigkeit von dem großen Flamen nicht nötig. Es liegt in Brittings Wesen eine deutliche Scheu, das Heilige unmittelbar zu nennen, und es entspricht diesem Wesen - und natürlich auch seinem Realismus, seinem realistischen Sinn für das Alltägliche, den er mit Brueghel teilt - daß er ein Weihnachtsgedicht schreibt, worin das Heilige wie ausgespart ist. Wo liegt der Ursprung dieser Scheu?
Er kann zwiefach sein: Ehrfurcht oder die Scham der Ehrlichkeit, den Verlust des Christenglaubens hinter hohen Worten zu verbergen. Bei Britting müssen wir mit beidem rechnen: Kein Zweifel, daß Ehrfurcht in seinem Wesen liegt, die Weltfrömmigkeit Goethes und Kellers, eine Gesinnung, die auch vor religiösen Symbolen nicht versagt. Kein Zweifel aber auch, daß dieser Sohn des katholischen Bayern längst nicht mehr im überkommenen Glauben ruht: die beiden persönlichen Weihnachtsgedichte Brittings (wenn wir von der symbolischen Weihnachtsballade vom „unverständigen Hirten" absehen), das „Weihnachtslied der Zecher", im „Lob des Weines", und die „Nacht der Erinnerung", dieses menschlich so ergreifende Gedicht, das in „Rabe, Roß und Hahn" dicht nebem den „objektiven" Weihnachtsgedichten steht, beweisen es, und manche der in den letzten Jahren entstandenen alkäischen und sapphischen Oden, zumal zwei Neujahrsgedichte, die gleichzeitig mit dem „Hirten" entstanden sind, zeigen eine weit mehr dem antiken als dem christlichen Lebensgefühl verwandte Haltung.
Ob Brueghels Weihnachtsbilder stärker aus religiösem als aus künstlerischem Erlebnis heraus gemalt worden sind, ist mindestens fraglich, es gibt zu denken, daß er auch bei der Darstellung antiker Mythen nicht anders verfährt als bei seinen Weihnachtsbildern mit der christlichen Heilsgeschichte. In dem Brüsseler Gemälde „Der Sturz des Ikarus" ist der aus der Hybris Stürzende nur eine winzige, leicht zu übersehende Episode eines Bildes, das als „Seelandschaft mit dem pflügenden Bauern" neben die Antwerpener „Flußlandschaft mit einem säenden Bauern" tritt. Wie auf jenen Bildern das christliche, so vollzieht sich auf diesem frühlingshellen Bilde mit dem Ikarussturz das mythische Geschehen, unbemerkt von den ahnungslosen Menschen auf dem Bilde, die sich in ihrem Tun und Treiben nicht stören lassen, in einer Unauffälligkeit und Alltäglichkeit, die den modernen Betrachter viel stärker ergreift, als sie vermutlich die Zeitgenossen des Malers ergriffen hat.
Eine ähnliche Wirkung mag von dem Gedicht „Es spricht der Hirt" ausgehen: dieser namenlose Hirt von Bethlehem, mit seiner läßlichen Auffassung von Mein und Dein ahnt nicht, wem seine verstehende und mitfühlende Menschlichkeit eigentlich gilt, und gerade das ist das Ergreifende.
Es mag manch einem verwunderlich erscheinen, daß ein Lyriker wie Britting, ein Rühmer des „irdischen Tages", so viele Weihnachtsgedichte und nicht nur zu einer bestimmten Zeit seines Lebens geschrieben hat. Ja, daß er nach eigenem Bekenntnis ihrer jederzeit noch mehr schreiben könnte. Die Erscheinung wird zum Teil mit Erlebnissen seiner Kindheit und Jugend im katholischen Regensburg zusammenhängen. Wer ihn kennt, weiß, welche Bedeutung diese bilder- und gestaltenreiche Frühzeit seines Lebens für sein Werk hat. „Die Bilder der Kindheit sind immer sein. / Sie können ihm nimmer verloren sein / und blicken ihn an aus der Nacht."
Zuletzt aber zeigen ihre kernige Volkstümlichkeit und trauliche Nähe zu den alten Malern, ihre leuchtende Bildkraft und ihr Humor Brittings auch sonst überall in seinem Werk offenbare Verwurzelung im altbayerischen Stamm, die ihm hilft, dem vorwiegend künstlerischen Erlebnis der Weihnacht eine Gestalt zu geben, der niemand anmerkt, daß sie nicht mehr von der Gläubigkeit früherer Jahrhunderte getragen wird. Es mag in Brittings Leben Stunden gegeben haben, wo ihm zumute war wie dem alten Thomas Hardy, über dessen Herz in der Weihnachtszeit der alte Kinderglaube an die in der Christnacht in die Knie sinkenden Ochsen im Stall wieder Macht haben will, oder - und unzähligen mit ihm - wie dem „unverständigen Hirten" in seinem eigenen Gedicht, den die Weihnachtsbotschaft nicht erreicht hat.

© Georg Jung

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